Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 V 117



Urteilskopf

136 V 117

15. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_84/2009 vom 25. Januar 2010

Regeste

Art. 44 ATSG; Art. 12 lit. e VwVG; Mitwirkungsrechte bei Begutachtung durch die
Rehaklinik Bellikon.
Die fachmedizinischen Stellungnahmen der Rehaklinik Bellikon, soweit sie von
der SUVA verlangt werden, sind nicht als Gutachten unabhängiger
Sachverständiger zu betrachten, weshalb vorliegend Art. 44 ATSG nicht anwendbar
ist und sich damit aus dieser Bestimmung auch keine Pflicht zur Gewährung des
rechtlichen Gehörs ergeben kann (E. 3.4).

Regeste

Art. 10 Abs. 2 und Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 43 Abs. 2 ATSG; Recht auf
Selbstbestimmung im sozialversicherungsrechtlichen Abklärungsverfahren.
Die SUVA verletzt das Recht auf Selbstbestimmung, welches Teil des Anspruchs
auf persönliche Freiheit bildet, und den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn
sie die medizinische Begutachtung einer versicherten Person während eines
Rehabilitationsaufenthalts durch die behandelnden Ärzte ohne Wissen der
Betroffenen anordnet. Die Verpflichtung der SUVA, im Interesse der
Versichertengemeinschaft keine nicht geschuldeten Leistungen zu erbringen,
wiegt dasjenige der versicherten Person an einer rechtskonformen Abklärung
nicht auf. Der Mangel kann im Rechtsmittelverfahren nicht geheilt werden (E.
4.2.2.1 und 4.2.2.2).

Sachverhalt ab Seite 118

BGE 136 V 117 S. 118

A. Die im Detailhandel angestellte H. (Jahrgang 1982) war bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 16. Dezember 2004 prallte ein nachfolgendes
Fahrzeug in das Heck des Personenwagens, in dessen Fond sich die Versicherte
befand, wodurch dieses in das vor einem Fussgängerstreifen zum Stillstand
gebrachte Automobil gestossen wurde. Aufgrund der gesundheitlichen Folgen
dieses Unfalles verblieb eine hälftige Arbeitsunfähigkeit. In Absprache mit der
Versicherten ordnete die SUVA einen Rehabilitationsaufenthalt in der Rehaklinik
Bellikon (vom 20. November bis 11. Dezember 2006) an, deren Ärzte neben einem
Austrittsbericht (vom 29. Dezember 2006) auftragsgemäss neuropsychologische,
psychiatrische, physikalisch-medizinische sowie neurologische Stellungnahmen
abgaben, die sie interdisziplinär zusammenfassten (Bericht vom 20. Februar
2007). Gestützt darauf stellte die SUVA mit Verfügung vom 6. Juli 2007 die
bislang erbrachten Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld) auf den 31. Juli 2007
ein und verneinte mangels adäquaten Kausalzusammenhangs der geltend gemachten
Beschwerden mit dem Unfall vom 16. Dezember 2004 einen Anspruch auf
Invalidenrente oder Integritätsentschädigung. Daran hielt sie auf Einsprache
hin fest (Einspracheentscheid vom 16. November 2007).

B. Hiegegen liess H. beschwerdeweise weitere ärztliche Auskünfte einreichen und
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids seien ihr weiterhin
die ihr zustehenden Leistungen aus UVG zu entrichten; eventualiter sei die
Sache zwecks Einholung eines polydisziplinären Gutachtens bei einer externen
und unabhängigen Gutachterstelle an die SUVA zurückzuweisen. Mit Entscheid vom
18. Dezember 2008 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern das
Rechtsmittel ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt H. die
vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren wiederholen.
BGE 136 V 117 S. 119
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Das kantonale Gericht bestätigt in seinem Entscheid vom 18. Dezember 2008
die Leistungseinstellung der SUVA per 31. Juli 2007, da in diesem Zeitpunkt mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit keine somatischen und psychischen Unfallfolgen
mehr bestanden hätten. SUVA und Vorinstanz stützten sich bei ihrer Beurteilung
im Wesentlichen auf die verschiedenen Berichte aus dem stationären Aufenthalt
in der Rehaklinik Bellikon vom 20. November bis 11. Dezember 2006, namentlich
auf die interdisziplinäre Zusammenfassung vom 20. Februar 2007. Wie bereits im
Einsprache- und kantonalen Verfahren macht die Beschwerdeführerin diesbezüglich
vorab eine Verletzung von Art. 44 ATSG (SR 830.1) sowie des Anspruchs auf
rechtliches Gehör (Art. 42 ATSG und Art. 29 Abs. 2 BV) geltend.

3. Aktenkundig und unbestritten ist, dass Ziel des Aufenthaltes neben der
stationär durchzuführenden Rehabilitationsmassnahme eine Beurteilung der
Zumutbarkeit sowie eine interdisziplinäre Stellungnahme waren und dass der
Rechtsvertreter der Versicherten von der SUVA vor und unmittelbar nach dem
Aufenthalt in der Rehaklinik Bellikon darüber nicht informiert worden war.
Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob Art. 44 ATSG, dessen Verletzung die
Beschwerdeführerin rügt, hier anwendbar ist.

3.1 Gemäss Art. 44 ATSG gibt der Versicherungsträger, wenn er zur Abklärung des
Sachverhalts ein Gutachten einer oder eines unabhängigen Sachverständigen
einholen muss, der Partei deren oder dessen Namen bekannt. Diese kann den
Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen und kann Gegenvorschläge machen.

3.2

3.2.1 Nach im Einspracheentscheid vom 16. November 2007 vertretener Auffassung
der SUVA handelt es sich bei den Stellungnahmen der Rehaklinik Bellikon nicht
um Gutachten im Rechtssinne. Diese habe lediglich die durchgeführten
medizinischen Massnahmen sowie die ärztlichen Feststellungen und Beobachtungen
dokumentiert und hierüber berichtet.

3.2.2 Das kantonale Gericht erwog hiezu, die SUVA habe die zur Abklärung des
Gesundheitszustands erforderlichen und
BGE 136 V 117 S. 120
zweckmäs sigen diagnostischen und therapeutischen Massnahmen von Gesetzes wegen
anordnen dürfen. Die Ergebnisse von Rehabilitationsaufenthalten in speziellen
Kliniken, seien es solche der SUVA oder von Dritten, könnten nicht als
Begutachtungen im Sinne von Art. 44 ATSG betrachtet werden, da sie in erster
Linie der Therapie und Wiedereingliederung in das Arbeitsleben dienten. Die
Vorinstanz stützte sich dabei auf MARKUS FUCHS (Rechtsfragen im Rahmen des
Abklärungsverfahrens bei Unfällen, SZS 2006 S. 316).

3.2.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Austrittsbericht der Rehaklinik
Bellikon vom 29. Dezember 2006 würden als Hauptziel die Beurteilung der
Zumutbarkeit und auf Wunsch der SUVA eine interdisziplinäre Stellungnahme,
mithin eine Begutachtung genannt. Schon umfangmässig entsprächen die Unterlagen
einer interdisziplinären Expertise und nicht dem üblichen Austrittsbericht.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz schliesse ein Gutachterauftrag nicht
ohne weiteres jegliche Behandlung aus. Das kantonale Gericht komme denn auch in
Widerspruch dazu zum Ergebnis, dass die interdisziplinäre Zusammenfassung der
Rehaklinik Bellikon den von der Praxis gestellten Anforderungen an ein
medizinisches Gutachten entspreche. Insgesamt sei der Anspruch, an der Erhebung
wesentlicher Beweise mitzuwirken, erheblich verletzt worden, weshalb die
Verwaltungsverfügung ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde aufzuheben
und die Sache gemäss Eventualantrag zur Bestellung eines Gutachtens durch
unabhängige Sachverständige zurückzuweisen sei.

3.3 Die SUVA weist im Einspracheentscheid vom 16. November 2007 zwar zu Recht
darauf hin, dass Behandlungs- und Begutachtungsauftrag nicht vermischt werden
sollten (vgl. dazu BGE 124 I 170 E. 4 S. 175 sowie Urteil I 701/05 vom 5.
Januar 2007 E. 2 in fine mit Hinweisen). Für die Anwendbarkeit von Art. 44 ATSG
ist indessen entscheidend, ob die Stellungnahmen der Ärztinnen und Ärzte der
Rehaklinik Bellikon, namentlich die interdisziplinäre Zusammenfassung, als
Gutachten eines oder einer unabhängigen Sachverständigen im Sinne dieser
Bestimmung gelten.

3.3.1

3.3.1.1 Nach der zu Art. 44 ATSG ergangenen Rechtsprechung (BGE 132 V 376,
insbesondere E. 9 S. 386; vgl. Urteil des ehemaligen Eidg.
Versicherungsgerichts U 178/04 vom 18. August 2006 E. 3.5, nicht publ. in: BGE
132 V 418) ist der versicherten Person vorgängig mitzuteilen, von wem das
Gutachten durchgeführt wird.
BGE 136 V 117 S. 121
Sind dem Versicherer bei dessen Anordnung die Namen der Ärztinnen und Ärzte
noch nicht bekannt, genügt es, wenn diese der versicherten Person (allenfalls
durch die beauftragte Gutachterstelle) erst zu einem späteren Zeitpunkt
eröffnet werden. Dies muss indessen frühzeitig genug erfolgen, damit sie in der
Lage ist, noch vor der eigentlichen Begutachtung gesetzliche Ausstands- und
Ablehnungsgründe geltend zu machen. Handelt es sich um diesbezüglich
substanziiert begründete Einwendungen, hat der Sozialversicherer darüber noch
vor der eigentlichen Begutachtung mittels einer beschwerdefähigen Verfügung zu
befinden. Werden dagegen einzig materielle Einwendungen vorgebracht, genügt
eine einfache Mitteilung, dass darüber im Rahmen der Beweiswürdigung zusammen
mit dem Entscheid in der Sache befunden werde (vgl. dazu BGE 132 V 93 E. 6.5 S.
108 f.).

3.3.1.2 In BGE 132 V 376 E. 5 ff. S. 380 ff. hat das Bundesgericht weiter auf
dem Wege der Auslegung unter Berücksichtigung des Schrifttums geprüft, ob
Medizinische Abklärungsstellen (MEDAS) unter den Anwendungsbereich von Art. 44
ATSG fallen (E. 5 S. 380). Es stellte fest, dass der Gesetzgeber den Begriff
des Gutachtens in einem funktionellen Sinne gebraucht, mithin entscheidend ist,
wer (als beauftragtes Subjekt) ein Gutachten erstellt und dafür verantwortlich
zeichnet. Sachverständiger bedeutet demnach zum einen das mit der Begutachtung
beauftragte Subjekt und zum andern die natürliche Person, die das Gutachten
erarbeitet, weshalb die fehlende Erwähnung der Medizinischen Abklärungsstellen
in Art. 44 ATSG nicht darauf schliessen lässt, die Bestimmung sei auf sie nicht
anwendbar (E. 6.1 S. 381). Weiter erwog das Bundesgericht zum Begriff der
Unabhängigkeit des Sachverständigen, dass zumindest dem Wortlaut von Art. 44
ATSG nach nicht eine Unterscheidung zwischen verwaltungsinternen und -externen
Gutachten vorgenommen wird. Ob eine solche Unterscheidung überhaupt zu treffen
ist, brauchte nicht geprüft zu werden, da für die streitigen Belange die
Feststellung genügte, dass es sich bei der MEDAS gemäss der auch nach
Inkrafttreten des ATSG weiterhin geltenden Rechtsprechung (BGE 123 V 175) um
eine unabhängige und unparteiliche Gutachterstelle handelt (E. 6.2 S. 382).

3.3.2 Das zur Unabhängigkeit der MEDAS Gesagte gilt aus den folgenden Gründen
nicht für die Rehakliniken der SUVA:

3.3.2.1 Praxisgemäss stellt der in Art. 10 Abs. 1 UVG (SR 832.20) verankerte
Anspruch der Versicherten auf zweckmässige
BGE 136 V 117 S. 122
Behand lung der Unfallfolgen eine vom Versicherungsträger zu erbringende
Naturalleistung dar (RKUV 1995 S. 190, U 29/95 E. 2a mit Hinweisen). Laut Art.
17 Abs. 2 des Reglements vom 14. Juni 2002 über die Organisation der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Organisationsreglement SUVA [SR
832.207], vom Bundesrat genehmigt am 18. Dezember 2002) kann die SUVA, die eine
öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit ist (Art. 61
Abs. 1 UVG), Spezialkliniken mit dem Ziel führen, eine umfassende
Rehabilitation anzubieten, wobei für diese separate Rechnungen mit eigenen
Bilanzen zu führen sind. Diesen gesetzlichen Anforderungen ist die SUVA unter
anderem mit der Gründung der Rehaklinik Bellikon (vgl. dazu GEORG LUTZ, Das
Nachbehandlungszentrum der SUVA in Bellikon, SZS 1978 S. 34 ff.) nachgekommen.
Insoweit kann die Rehaklinik Bellikon im Verhältnis zur SUVA nicht als
unabhängig betrachtet werden. Auf der anderen Seite bietet sie auf ihrer
Website unter anderem ambulante sowie stationäre Rehabilitationsmassnahmen von
nicht SUVA-versicherten Unfallgeschädigten an und setzt zudem einen Schwerpunkt
in der interdisziplinären Beurteilung/ Begutachtung von Unfallfolgen, die je
nach Situation ambulant oder im Rahmen eines kürzeren stationären Aufenthalts
erfolgen (, besucht am 24. Juni 2009). Es stellt
sich daher die Frage, ob die Ärzte der Rehaklinik Bellikon im Verhältnis zur
SUVA versicherungsinterne oder -externe medizinische Sachverständige sind.

3.3.2.2 ROGER PETER kam in der Dissertation mit dem Titel "Der Sachverständige
im Verwaltungsverfahren der obligatorischen Unfallversicherung" (1999, S. 150
mit Hinweisen; vgl. auch derselbe, Der Anspruch auf verwaltungsexterne
Sachverständige im Verwaltungsverfahren der obligatorischen Unfallversicherung,
SVZ 68/2000 S. 83 ff., und derselbe, Administrativsachverständige ohne Hinweis
auf die vier Hauptpflichten: Unparteilichkeit, Fachkunde, Wahrheit, persönliche
Erstattung des Gutachtens?, SZS 2002 S. 152) zum Schluss, dass keine sachlichen
Gründe für eine verfahrensrechtliche Ungleichbehandlung von verwaltungsinternen
und -externen Sachverständigengutachten gegeben seien. Den Parteien stünden in
Bezug auf Beweismittel, die inhaltlich und funktionell einem
Sachverständigengutachten im Sinne von Art. 12 lit. e VwVG (SR 172. 021)
gleichkämen, sowohl im Verwaltungsverfahren der SUVA als auch der anderen
Unfallversicherer im Sinne von Art. 68 UVG die Mitwirkungsrechte im Sinne von
Art. 57 ff. BZP (SR 273) zu. Andernfalls könnten die Verwaltungsbehörden die
Gewährung dieser
BGE 136 V 117 S. 123
Mitwirkungsrechte durch Einsetzung verwaltungsinterner Sachverständiger
umgehen. Dieser Rechtsauffassung schliesst sich UELI KIESER (ATSG-Kommentar, 2.
Aufl. 2009, N. 10 zu Art. 44 ATSG) auch für den Anwendungsbereich von Art. 44
ATSG mit den Worten an, der Terminus des unabhängigen Sachverständigen lasse
die Abgrenzung zwischen versicherungsinternen und -externen Personen als nicht
massgebend erscheinen; Art. 44 ATSG beziehe sich auch auf versicherungsinterne
Sachverständige.

3.3.2.3 Gemäss dem schon vor Inkrafttreten des ATSG unter anderem im Verfahren
der Unfallversicherung sinngemäss anwendbaren Art. 57 Abs. 1 BZP gelten als
Sachverständige Drittpersonen, die - von einer Verwaltungs- oder
Gerichtsbehörde - aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zur Aufklärung des
Sachverhalts beigezogen werden. Dazu zählen ungeachtet der fachlichen
Qualifikation nicht Personen, die eine Verfügung zu treffen oder vorzubereiten
haben (vgl. Art. 10 Abs. 1 VwVG und Art. 36 Abs. 1 ATSG). Die nach Art. 19 VwVG
in Verbindung mit Art. 57 ff. BZP für Sachverständigengutachten geltenden
Verfahrensvorschriften sind daher auf die Auskünfte versicherungsinterner Ärzte
nicht anwendbar (BGE 123 V 331). Den Materialien zur Entstehung des ATSG sind
keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass mit Art. 44 ATSG eine von der bisherigen
Rechtsprechung abweichende Regelung eingeführt wurde. An der Sitzung vom 8. Mai
1995 der Subkommission ATSG der Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit des Nationalrates wurde bei der Diskussion der bei der Bestellung
der Gutachter zu wahrenden Garantien festgehalten, der ärztliche Dienst der
SUVA könne nicht abgelehnt werden. Zur Begründung wurde unter anderem darauf
hingewiesen, dass es hier um die Begutachtung durch den Experten gehe, der von
der Versicherung unabhängig sei. In der parlamentarischen Debatte vom 17. Juni
1999 führte der Berichterstatter der Kommission aus, dass das Recht, einen
ernannten Gutachter aus triftigen Gründen abzulehnen, für die
verwaltungsinternen Gutachter - beispielsweise diejenigen der SUVA - nicht
gelte (AB 1999 N 1244 [Rechsteiner]). Die Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit des Ständerates stimmte an der Sitzung vom 6. September 1999 dem
Beschluss des Nationalrates diskussionslos zu. Im Plenum führte der
Kommissionssprecher aus, es sei klar festzuhalten, dass die aus der
Militärversicherung übernommene Regelung, wonach ein ernannter Gutachter aus
triftigen Gründen abgelehnt werden könne, für die verwaltungsinternen
Gutachter, beispielsweise für diejenigen im Bereich der Träger der
obligatorischen
BGE 136 V 117 S. 124
Unfallversicherung, nicht gelte. Daran habe die Kommission nichts ändern wollen
(AB 2000 S 182 [Schiesser]). Der Gesetzgeber sah demnach nicht vor, Art. 44
ATSG (Art. 52 des Entwurfs) auf versicherungsinterne Ärzte anzuwenden (vgl.
auch ANDREAS FREIVOGEL, Zu den Verfahrensbestimmungen des ATSG, in:
Bundesgesetz überden Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG],
2003, S. 100 ff.). Dieses Ergebnis entspricht auch der Regelung im allgemeinen
Verwaltungsrecht, wonach die von der Verwaltung mit eigenem Sachverstand
durchgeführten Untersuchungen nicht als Gutachten im Sinne von Art. 12 lit. e
VwVG gelten, weshalb die Verfahrensvorschriften von Art. 57 ff. BZP (in
Verbindung mit Art. 19 VwVG) nicht anwendbar sind (KRAUSKOPF/EMMENEGGER, in:
VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2009, N.
147 zu Art. 12 VwVG; CHRISTOPH AUER, Kommentar zum Bundesgesetz über das
Verwaltungsverfahren [VwVG], 2008, N. 55 zu Art. 12 VwVG; BGE 135 V 254 E.
3.4.1 S. 259).

3.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass fachmedizinische Stellungnahmen der
Rehaklinik Bellikon, soweit sie von der SUVA verlangt werden, nicht als
Gutachten unabhängiger Sachverständiger im Sinne des Art. 44 ATSG zu betrachten
sind. Art. 44 ATSG ist somit nicht anwendbar und eine Pflicht zur Gewährung des
rechtlichen Gehörs kann sich vorliegend nicht aus dieser Bestimmung ergeben.

3.5 In diesem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, dass es der SUVA
freisteht, sich bei entsprechenden Sachverhaltsabklärungen Art. 44 ATSG zu
unterziehen, wodurch die Akzeptanz solcher Berichte erhöht würde.

4. Zu prüfen bleibt, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör anderweitig verletzt
ist.

4.1 In Art. 42 ATSG wird unter dem Titel "Abklärung" statuiert, dass die
Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör haben. Sie müssen nicht angehört werden
vor Verfügungen, die durch Einsprache anfechtbar sind. Gemäss Art. 43 ATSG
prüft der Versicherungsträger die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen
von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Mündlich
erteilte Auskünfte sind schriftlich festzuhalten (Abs. 1). Soweit ärztliche
oder fachliche Untersuchungen für die Beurteilung notwendig und zumutbar sind,
hat sich die versicherte Person diesen zu unterziehen (Abs. 2).
BGE 136 V 117 S. 125

4.2

4.2.1 Der zuständige Sachbearbeiter der SUVA hielt in einer Notiz vom 16.
Oktober 2006 ein telefonisch geführtes Gespräch mit der Versicherten fest.
Danach verzögerte sich der Eintritt in die Rehaklinik Bellikon aufgrund des
Umstands, dass der "federführende Arzt und Neurologe" sich nicht nur um eine
stationäre Rehabilitation, "sondern auch um eine interdisziplinäre
Untersuchung" kümmern müsse, was eine Koordination der involvierten Ärzte
unterschiedlicher Fachrichtung nötig mache. Aus diesen Angaben kann nicht
geschlossen werden, dass der Versicherten auch eine interdisziplinäre
gutachterliche Beurteilung bevorstand. Nichts anderes ergibt sich aus der
telefonischen Notiz der SUVA vom 22. September 2006, wonach der Rechtsvertreter
der Versicherten telefonisch lediglich "über den vorgesehenen Eintritt in die
Rehaklinik Bellikon" in Kenntnis gesetzt wurde, womit dieser sich grundsätzlich
einverstanden erklärte. Unter diesen Umständen ist nicht nachgewiesen, dass die
Versicherte oder ihr Rechtsanwalt vor Beginn des Klinikaufenthalts hätte
realisieren können oder gar müssen, dass der von der SUVA angeordnete
Rehabilitationsaufenthalt zusätzlich der gutachterlichen Beurteilung des
medizinischen Sachverhalts galt. Schliesslich hat gemäss Angaben der Rehaklinik
Bellikon auch kein Arzt oder keine Ärztin darauf hingewiesen. Damit steht fest,
dass die SUVA der Versicherten keine Gelegenheit gab, zur Notwendigkeit und
Zumutbarkeit der medizinischen Begutachtung in der Rehaklinik Bellikon Stellung
zu nehmen.

4.2.2 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3
EMRK) stellt einen wichtigen und deshalb eigens aufgeführten Teilaspekt des
allgemeineren Grundsatzes des fairen Verfahrens von Art. 29 Abs. 1 BV bzw. Art.
6 Ziff. 1 EMRK dar (BGE 129 I 85 E. 4.1 S. 88) dar. Als Teilgehalt des Gebots
des fairen Verfahrens anerkennt das Bundesgericht ein grundsätzliches
Verwertungsverbot widerrechtlich erlangter Beweise (BGE 131 I 272 E. 3.2.1 S.
275 und E. 3.2.3.4 S. 277). Die Verwertbarkeit solcher Beweismittel ist nicht
in jedem Fall ausgeschlossen, sondern lediglich dem Grundsatze nach. Es ist
eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei einerseits das öffentliche Interesse
an der Verwertung, anderseits das Gewicht und das Ausmass der
Rechtsgüterverletzung bei der Beweisbeschaffung zu würdigen sind (BGE 131 I 272
E. 4.1 S. 278 f.; Urteil 1B_241/2008 vom 26. Februar 2009 E. 5.2).

4.2.2.1 Die Anordnung einer medizinischen Begutachtung ohne der versicherten
Person Gelegenheit zu geben, zur Notwendigkeit und
BGE 136 V 117 S. 126
Zumutbarkeit Stellung zu nehmen, beschlägt den in Art. 10 Abs. 2 BV (vgl. auch
Art. 8 EMRK) gewährleisteten Anspruch auf persönliche Freiheit. Zu dessen
Schutzbereich gehört insbesondere das Recht auf physische und psychische
Unversehrtheit respektive Integrität (vgl. BGE 130 I 369 E. 2 S. 373 mit
Hinweisen; BGE 127 I 6 E. 5a S. 13; siehe zu Art. 4 aBV: BGE 118 Ia 427 E. 4b
S. 434 mit Hinweisen). Die Anordnung medizinischer Untersuchungen an einer
Person greift zweifellos in dieses Recht ein (vgl. BGE 134 III 241 E. 5.4.3 S.
247 mit Hinweisen; ferner: BGE 104 Ia 480 E. 4a S. 468 mit Hinweisen und Urteil
1P.109/2000 vom 26. April 2000 E. 1c; FROWEIN/ PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3.
Aufl. 2009, N. 8 zu Art. 8 EMRK mit Hinweis auf das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte Y.F. gegen Türkei vom 22. Juli 2003, Recueil
CourEDH 2003-IX S. 185). Wohl handelte es sich hier um einen leichten Eingriff
in das Recht auf körperliche und geistige Integrität gemäss Art. 10 Abs. 2 BV
(vgl. BGE 134 III 241 E. 5.4.3 S. 247; BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 259 mit
Hinweisen). Auch mögen die Voraussetzungen des Art. 36 BV (vgl. auch Art. 8
Ziff. 2 EMRK) für eine Grundrechtseinschränkung vorgelegen haben. Dies ändert
jedoch nichts daran, dass die ohne Wissen der Versicherten durchgeführte
medizinische Begutachtung das Recht auf Selbstbestimmung, welches ebenfalls
Teil des bundesverfassungsrechtlichen Anspruchs auf persönliche Freiheit bildet
(vgl. BGE 128 II 259 E. 3.2 S. 268; BGE 127 I 6 E. 5a S. 11 f. mit Hinweisen;
JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 138; vgl. auch BGE
129 I 302 E. 1.2.3 S. 309 mit Hinweisen), deutlich einschränkte. Auf der
anderen Seite musste die SUVA, die für die Durchführung der obligatorischen
Unfallversicherung vieler öffentlich- und privatrechtlicher Unternehmenszweige
verpflichtet ist, zur Erfüllung ihrer Aufgabe im Interesse der
Versichertengemeinschaft bestrebt sein, keine nicht geschuldeten Leistungen zu
erbringen. Dieses Interesse wog jedoch dasjenige der Versicherten an einer
rechtskonformen Abklärung des medizinischen Sachverhalts im
sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht auf. Insgesamt
betrachtet ist die gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
schwerwiegend.

4.2.2.2 Nach der Rechtsprechung kann selbst bei einer schwerwiegenden
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von einer Rückweisung der Sache
an die Verwaltung (im Sinne einer "Heilung" des Mangels) abgesehen werden, wenn
und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu
unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung
BGE 136 V 117 S. 127
gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen
Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 133 I 201 E. 2.2 S. 204;
BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390 mit Hinweis). Hier liegen, wie dargelegt,
Verletzungen der bundesverfassungsrechtlich garantierten Ansprüche auf
persönliche Freiheit und auf rechtliches Gehör vor, weshalb eine Rückweisung
der Sache an die Verwaltung angezeigt ist. Die SUVA wird neue Abklärungen zu
tätigen haben, bei welchen sie den Anspruch der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör zu wahren hat.