Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 I 395



Urteilskopf

136 I 395

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Politische Gemeinde Wetzikon gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
1C_66/2010 vom 6. September 2010

Regeste

Art. 9 und 50 BV, Art. 85 KV/ZH; Gemeindeautonomie bei der Auslegung von
Zonenvorschriften.
Kognition des Bundesgerichts im Anwendungsbereich der Gemeindeautonomie (E. 2).
Autonomie der Gemeinde bei der Auslegung des kantonalrechtlichen Begriffs des
mässig störenden Betriebs (E. 3).
Der Entscheid der Gemeinde, die Nutzung einer Liegenschaft für
Freitodbegleitungen in einer primär der Wohnnutzung gewidmeten Zone sei mehr
als nur mässig störend, ist vertretbar. Die blosse Vorstellung darüber, was im
Innern eines benachbarten Gebäudes vor sich geht, ist bei der Beurteilung der
Immissionen zu berücksichtigen. Die Aufhebung des kommunalen Entscheids durch
das kantonale Verwaltungsgericht verletzte die Gemeindeautonomie und das
Willkürverbot (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 396

BGE 136 I 395 S. 396

A. Am 15. Dezember 2008 stellte X. ein Gesuch um baurechtliche Bewilligung für
die Änderung der Nutzung der bisherigen Werkstatt- und Büroräume im Erdgeschoss
der Liegenschaft Talstrasse 9 in Wetzikon. Die Liegenschaft befindet sich in
der Wohnzone mit Gewerbeerleichterung "WG 2.9". Laut Baugesuch sollen die Räume
neu durch den Verein "Y." zur Durchführung von Freitodbegleitungen für seine
Mitglieder genutzt werden. Mit Beschluss vom 11. März 2009 verweigerte die
Baukommission Wetzikon die Bewilligung mit der Begründung, die vorgesehene
Nutzung sei nicht zonenkonform.
Einen gegen diesen Beschluss eingelegten Rekurs wies die Baurekurskommission
III des Kantons Zürich am 8. Juli 2009 ab. Daraufhin erhob X. Beschwerde an das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess das Rechtsmittel teilweise
gut und lud die Baukommission Wetzikon ein, die Bewilligung der beantragten
Nutzung unter Erlass der gebotenen Nebenbestimmungen zu erteilen.

B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht vom 29. Januar 2010 (...) beantragt die politische Gemeinde
Wetzikon, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die
Bewilligungsverweigerung sei zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache an die
Baukommission Wetzikon zur Beurteilung des Ausmasses der Einwirkung des
streitbetroffenen Betriebs zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut. Es hebt das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Dezember 2009 auf und verweigert
die ihm zugrunde liegende Baubewilligung. Es weist die Angelegenheit zu neuem
Entscheid im Kostenpunkt an das Verwaltungsgericht zurück.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

BGE 136 I 395 S. 397
Aus den Erwägungen:

2. Das Bundesgericht nimmt gegenüber dem Entscheid der kantonalen
Rechtsmittelinstanz eine freie Überprüfung vor, soweit es um die Handhabung von
Bundesrecht oder kantonalem Verfassungsrecht geht. Es prüft deshalb frei, ob
die kantonale Rechtsmittelinstanz einen in den Anwendungsbereich der
Gemeindeautonomie fallenden Beurteilungsspielraum respektiert hat (Art. 50 Abs.
1 BV; BGE 96 I 369 E. 4 S. 374 f. mit Hinweisen). Bei einer eigentlichen
Kognitionsüberschreitung durch die Vorinstanz ist zudem gemäss der
Rechtsprechung von Willkür auszugehen (Art. 9 BV; BGE 116 III 70 E. 2b S. 71;
Urteil 1P.678/2004 vom 21. Juni 2005 E. 4.3, in: ZBl 107/2006 S. 430; je mit
Hinweisen).

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, bei der Frage der Zonenkonformität
gehe es primär um die Anwendung kommunalen Rechts. Der Gemeinde komme dabei
Autonomie zu. Der Beschwerdegegner bestreitet dies mit dem Argument, der
Begriff des mässig störenden Betriebs entstamme einer kantonalen Bestimmung (§
52 Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 über die
Raumplanung und das öffentliche Baurecht [LS 700.1; im Folgenden: PBG/ZH]) und
sei zudem in einer umfangreichen kantonalen Rechtsprechung konkretisiert
worden. Ein Spielraum für die Auslegung durch die Gemeinden bestehe nicht.

3.2

3.2.1 Die Bundesverfassung gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe
des kantonalen Rechts (Art. 50 Abs. 1 BV). Nach der Rechtsprechung sind
Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht
abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung
überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt.
Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder
Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden
Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen.
Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen
Aufgabengebiet, sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen
ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden
Bereich anwendbaren kantonalen
BGE 136 I 395 S. 398
Verfassungs- und Gesetzesrecht (vgl. BGE 135 I 233 E. 2.2 S. 241 f.; BGE 133 I
128 E. 3.1 S. 130 f.; BGE 129 I 290 E. 2.1 S. 294; je mit Hinweisen; KÖLZ/
BOSSHART/RÖHL, VRG: Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons
Zürich, 2. Aufl. 1999, N. 19 zu § 20 VRG).

3.2.2 Art. 85 KV/ZH (SR 131.211) garantiert in allgemeiner Weise die Autonomie
der zürcherischen Gemeinden. Für den hier interessierenden Bereich der
Zonenkonformität einer baulichen Nutzung ergibt sich die Entscheidungsfreiheit
der Gemeinden aus dem Planungs- und Baugesetz (PBG/ZH). Gemäss dessen § 2 lit.
c sind die politischen Gemeinden grundsätzlich zum Erlass der ihnen
vorbehaltenen Ausführungsvorschriften, zur Festsetzung kommunaler Pläne und zur
erstinstanzlichen Gesetzesanwendung zuständig. § 45 PBG/ZH hält fest, dass die
Gemeinden eine Bau- und Zonenordnung erlassen und dass sie dabei an die
Institute, Begriffe, Mess- und Berechnungsweisen sowie an die
Mindestanforderungen des kantonalen Rechts gebunden sind, soweit dieses ihnen
nicht ausdrücklich Abweichungen gestattet.

3.2.3 Laut dem angefochtenen Urteil geht es beim Entscheid darüber, ob die
Nutzung der streitbetroffenen Liegenschaft für Freitodbegleitungen zonenkonform
im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Wetzikon vom
23. März 1998 (BZO) ist, um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des
kommunalen Rechts. Diese Auslegung stehe in erster Linie den kommunalen
Behörden zu und sei von den Rechtsmittelinstanzen nur mit Zurückhaltung zu
überprüfen. Das Verwaltungsgericht bejaht damit sinngemäss eine relativ
erhebliche Entscheidungsfreiheit und damit eine Autonomie der Gemeinde. Diese
Einschätzung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, auch wenn der Begriff des
mässig störenden Betriebs § 52 Abs. 3 PBG/ZH und damit einer
kantonalrechtlichen Bestimmung entstammt, wie dies der Beschwerdegegner geltend
macht. § 52 Abs. 3 PBG/ZH hat folgenden Wortlaut:
Mässig störende Betriebe sind gestattet, wo die Bau- und Zonenordnung sie
zulässt; stark störende und solche, die unverhältnismässigen Verkehr auslösen,
sind unzulässig.
Wie erwähnt, kann der Gemeinde bei der Anwendung des kantonalen Rechts eine
relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zustehen. Dies trifft dann zu, wenn
der erstinstanzliche Vollzug der kantonalen Bestimmung der Gemeinde übertragen
ist und zudem die Art der zu regelnden Materie für ein kommunales
BGE 136 I 395 S. 399
Selbstbestimmungsrecht Raum lässt. Diese Voraussetzung ist vorliegend, wo
örtliche Interessen im Vordergrund stehen und eine sinnvolle Aufgabenerfüllung
auf lokaler Ebene ermöglicht werden soll, erfüllt (vgl. BGE 119 Ia 214 E. 3b S.
219; Urteil 1P.9/1997 vom 21. Mai 1997 E. 2c, in: ZBl 99/1998 S. 170; je mit
Hinweisen). Die Beschwerdeführerin verfügt somit bei der Auslegung des (von §
52 Abs. 3 PBG/ZH vorgegebenen und von Art. 5 Abs. 2 BZO übernommenen) Begriffs
des mässig störenden Betriebs und damit bei der Beurteilung der
Zonenkonformität des umstrittenen Bauvorhabens über Autonomie.

4.

4.1 Die Beschwerdeführerin wirft dem Verwaltungsgericht vor, es banalisiere die
zu erwartenden ideellen Immissionen. Sie weist jedoch auch darauf hin, dass es
gar nicht darum gehe, wie die Einschätzung der Vorinstanz zu beurteilen sei.
Entscheidend sei vielmehr, ob die Baukommission und die Baurekurskommission in
vertretbarer Weise davon ausgehen durften, dass der streitige Betrieb im
Widerspruch zu den umliegenden Nutzungen und zum verfolgten Zonenzweck stehe
und deshalb als stark störend zu betrachten sei. Entgegen den Feststellungen
des Verwaltungsgerichts hätten die Baukommission wie auch die
Baurekurskommission diese Frage sehr wohl geprüft und im Ergebnis bejaht. Das
Verwaltungsgericht habe sich mit den diesbezüglichen Argumenten nicht
auseinandergesetzt. In willkürlicher Weise habe es erklärt, es sei nie
festgestellt worden, dass der Betrieb stark störend sei.

4.2

4.2.1 Die Vorinstanz hält im angefochtenen Entscheid fest, die Baukommission
habe sich nicht darüber ausgesprochen, inwiefern sie die geplante Nutzung der
streitbetroffenen Liegenschaft zur Durchführung von Freitodbegleitungen als
nicht nur mässig störend betrachte. Sie stütze die Verweigerung allgemein auf
die fehlende Übereinstimmung mit dem raumplanerischen Zweck der primär auf
Wohnnutzungen ausgerichteten Wohn- und Gewerbezone, was vorliegend nicht
zulässig sei. Es gehe sodann auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit
nicht an, dass die Baukommission in der Wohn- und Gewerbezone ideelle
Immissionen sehr weitgehend berücksichtige, in der Zentrumszone B, wo gemäss
Art. 13 Abs. 1 BZO ebenfalls nur mässig störende Betriebe zulässig seien, bei
den dort ansässigen Betrieben des Sexgewerbes aber nicht in Betracht zu ziehen
scheine.
BGE 136 I 395 S. 400
Die geplante Nutzung bewirke eine leichte, keinesfalls aber eine erhebliche
Einwirkung auf das psychische Wohlbefinden der Anwohner. Dafür sprächen auch
die unbestritten gebliebenen Ausführungen des Baugesuchstellers, wonach in
Schwerzenbach, wo die Freitodbegleitungen von November 2007 bis Juni 2009
durchgeführt worden seien, der Betrieb nach anfänglichem Presserummel kein
Aufsehen mehr erregt habe. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich die
Freitodbegleitungen im Innern des Gebäudes abspielten. Die getroffenen
Vorkehren, wie insbesondere der Abtransport der Särge durch neutrale Fahrzeuge
direkt aus der Garage, seien geeignet, das Konfliktpotenzial zusätzlich
herabzusetzen. Unter diesen Umständen würde die Nutzung auch durch Kinder,
welche den nahe gelegenen Kindergarten besuchten, gar nicht zur Kenntnis
genommen.

4.2.2 Die Baukommission erwog in ihrem Beschluss vom 11. März 2009,
entscheidend sei allein, dass der Zonenzweck der primär auf Wohnnutzungen
ausgerichteten Wohn- und Gewerbezone und der für Bildungsinstitutionen
ausgeschiedenen benachbarten Zone für öffentliche Bauten nicht wesentlich
beeinträchtigt werden dürfe. Die vorgesehene Freitodbegleitung habe zur Folge,
dass sich in der Liegenschaft mehrmals pro Woche Menschen dem Tod auslieferten,
weil sie für ein Weiterleben keine erträgliche Zukunft mehr sähen. Unabhängig
davon, wie man sich zu diesem Entscheid stelle, bedeute die Präsenz eines
solchen Orts eine schwere Belastung für die Nachbarschaft. Er stehe in
besonders bedrückender Weise für die mögliche Ausweglosigkeit menschlicher
Situationen, die einzelne Betroffene veranlassten, ihre Existenz definitiv
auszulöschen. Solche Erfahrungen seien schon im Einzelfall belastend. Erst
recht seien sie es, wenn sie in einer benachbarten Liegenschaft konzentriert
und fast täglich zum Ereignis würden. Sie seien unabhängig davon, wie die Zu-
und Wegfahrt organisiert sei, weder den Nutzern der zahlreichen benachbarten
Wohnungen noch den Kindern im unmittelbar angrenzenden Kindergarten oder den
Schülern der benachbarten Bildungsinstitutionen zumutbar.

4.2.3 Aus diesen Ausführungen der Baukommission geht deutlich hervor, dass sie
die geplante Nutzung nicht als nur mässig störend im Sinne von Art. 5 Abs. 2
BZO einstuft. Dasselbe gilt für die Baurekurskommission, die die Erwägungen der
Baukommission in ihren Entscheid aufnahm und ergänzte. Die gegenteilige
Feststellung der Vorinstanz ist offensichtlich falsch und im genannten Sinne
richtigzustellen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).
BGE 136 I 395 S. 401

4.3

4.3.1 Gemäss § 50 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom
24. Mai 1959 (VRG; LS 175.2) stand dem Verwaltungsgericht im vorliegenden
Verfahren eine Rechtskontrolle zu (KÖLZ/BOSSHART/RÖHL, a.a.O., N. 1 zu § 50
VRG). Es fragt sich deshalb, ob es die Grenzen dieser Prüfungsbefugnis und
damit die Gemeindeautonomie respektiert oder ob es stattdessen einen
vertretbaren Entscheid der Gemeinde in unzulässiger Weise korrigiert hat. Das
Bundesgericht überprüft diese Frage mit freier Kognition (vgl. E. 2 hiervor).

4.3.2 Die im Zentrum des vorliegenden Verfahrens stehende (und § 52 Abs. 3 PBG/
ZH entsprechende) Bestimmung von Art. 5 Abs. 2 BZO hat folgenden Wortlaut:
In den Wohnzonen mit Gewerbeerleichterung (WG 2.9 und WG 3.3) ist mässig
störendes Gewerbe zulässig. Der Anteil für Wohn- und/oder Gewerbenutzung ist
nicht beschränkt.
Dass diese Bestimmung neben materiellen auch immaterielle (ideelle) Immissionen
erfasst, ist unbestritten. Immaterielle oder ideelle Immissionen sind
Einwirkungen, die das seelische Empfinden verletzen bzw. unangenehme psychische
Eindrücke erwecken. Wenn ein Betrieb zur Folge hat, dass die Umgebung unsicher,
unästhetisch oder sonst wie unerfreulich wirkt, so kann dies die Attraktivität
einer Gegend für Geschäfte und Wohnungen beeinträchtigen. Dabei liegt es im
Wesen des Immissionsrechts, dass es nicht anders geregelt werden kann als mit
dem weiten Begriff der übermässigen Einwirkung. In jedem konkreten Fall muss
festgestellt werden, was anhand der gegebenen Umstände als übermässige
Einwirkung anzusehen ist (vgl. BGE 108 Ia 140 E. 5c S. 143 ff.; Urteil 1C_262/
2007 vom 31. Januar 2008 E. 3.4; je mit Hinweisen).

4.3.3 Bei der Anwendung von Normen mit Bezug auf ideelle Immissionen ist der
Charakter der fraglichen Umgebung zu berücksichtigen. Die Qualifizierung
ideeller Immissionen als stark störend bedingt nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ein erhebliches Konfliktpotenzial zwischen den sich
entgegenstehenden Nutzungen, insbesondere zu Wohnnutzungen. Umgekehrt lässt
sich nicht sagen, dass eine Einstufung als "nicht störend" das Fehlen jeglichen
Konfliktpotenzials voraussetzt. Vielmehr ist eine Gesamtschau unter Einbezug
des geplanten Vorhabens und der bestehenden Umgebung anzustellen (BGE 108 Ia
140 E. 5c/bb S. 148; Urteil 1C_262/
BGE 136 I 395 S. 402
2007 vom 31. Januar 2008 E. 4.4 mit Hinweisen). Nach diesem Massstab hat es das
Bundesgericht etwa als vertretbar bezeichnet, in einer Zone mit einem
Wohnanteil von mindestens 60 % sexgewerbliche Betriebe aufgrund ihrer ideellen
Immissionen als stark störend einzustufen (Urteil 1P.771/2001 vom 5. Mai 2003
E. 9.2, in: ZBl 105/2004 S. 111).

4.3.4 Im vorliegenden Fall ist eine Zone betroffen, welche in erster Linie der
Wohnnutzung gewidmet ist, auch wenn mässig störendes Gewerbe zulässig und der
Anteil der Gewerbenutzung nicht beschränkt ist (Art. 5 Abs. 2 BZO). Die
fragliche Liegenschaft befindet sich zudem in unmittelbarer Nachbarschaft eines
Kindergartens und in der näheren Umgebung einer Alterssiedlung und einer
Berufsschule. Die Baukommission erwog, dass das Erfahren einer Selbsttötung
schon im Einzelfall belastend sei. Erst recht treffe das zu, wenn die
Selbsttötung in einer benachbarten Liegenschaft fast täglich stattfinde. Dies
gelte ganz unabhängig davon, welche Haltung man zur Sterbehilfe im Allgemeinen
einnehme. Diese Argumentation und der daraus gezogene Schluss, dass die
beantragte Nutzung am fraglichen Ort mehr als nur mässig störend sei, ist
durchaus vertretbar. Zwar hält das Verwaltungsgericht die befürchteten
Auswirkungen für übertrieben, da die umstrittene Nutzung im Verborgenen
stattfinde. Damit setzt es sich jedoch in Widerspruch zu der andernorts
gemachten und zutreffenden Feststellung, wonach auch solche Einwirkungen auf
das psychische Wohlbefinden zu berücksichtigen sind, die aus der blossen
Vorstellung darüber entstehen, was im Innern eines benachbarten Gebäudes vor
sich geht, mithin aus dem Wissen um verborgene Vorgänge. Auch wenn die Zufahrt
zur Liegenschaft, die Sterbebegleitung selbst und der Wegtransport der Leichen
mit grösstmöglicher Diskretion ablaufen, so ist nachvollziehbar, dass bei den
Bewohnern ein Gefühl des Unbehagens ausgelöst wird. Daran vermag auch nichts zu
ändern, dass gemäss den Ausführungen des Beschwerdegegners im vorinstanzlichen
Verfahren Freitodbegleitungen in Schwerzenbach nach anfänglichem Presserummel
ohne weiteres Aufsehen erfolgt sein sollen. Nach den unbestritten gebliebenen
Ausführungen der Beschwerdeführerin handelte es sich nämlich beim damaligen
Standort um eine Industriezone mit Wohnverbot. Auch aus dem Umstand, dass in
der Zentrumszone B (wo gemäss Art. 13 Abs. 1 BZO ebenfalls nur mässig störende
Betriebe zulässig sind) Betriebe des Sexgewerbes ansässig sind, ergibt sich
nichts anderes. Die Nutzweise jener Zone ist
BGE 136 I 395 S. 403
von der vorliegend betroffenen verschieden; gemäss Art. 13 Abs. 1 BZO sind in
den Zentrumszonen Wohnungen, Büros, Praxen, Handels- und
Dienstleistungsbetriebe, Verwaltungen sowie höchstens mässig störende Betriebe
zulässig. Es hält deshalb vor dem Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 Abs. 1 BV)
stand, wenn in der Wohnzone mit Gewerbeerleichterung als übermässig störend
eingestuft wird, was in der Zentrumszone noch als akzeptabel erscheint. Damit
kann offenbleiben, inwiefern sich ein Betrieb des Sexgewerbes hinsichtlich
seiner immateriellen Immissionen von der Freitodbegleitung unterscheidet.

4.3.5 Insgesamt erscheint die Annahme der Baukommission Wetzikon, die mit dem
zu beurteilenden Nutzungsvorhaben verbundenen Immissionen seien mehr als nur
mässig störend, als vertretbar. Das Verwaltungsgericht hat mit seiner eigenen
Würdigung zu Unrecht in das Ermessen der kommunalen Behörde eingegriffen. In
dieser Überschreitung der Prüfungsbefugnis liegt Willkür. Gleichzeitig hat das
Verwaltungsgericht mit der Ausdehnung seiner im Gesetz vorgesehenen
Prüfungsbefugnis die Gemeindeautonomie verletzt (vgl. E. 2 hiervor).