Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 I 389



Urteilskopf

136 I 389

39. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Initiativkomitee Fairflug, Fluglärmsolidarität und Klose gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_174/2010 vom 14. Dezember 2010

Regeste

Art. 34 BV, § 64 GPR/ZH; kantonale Volksinitiative betreffend die Verteilung
des Fluglärms um den Flughafen Zürich; Abstimmungserläuterungen; Umweltschutz
und Raumplanung.
Die den Stimmberechtigten zugestellte Abstimmungszeitung enthält den
"Beleuchtenden Bericht", der die Auffassung der kantonalen Behörden wiedergibt,
sowie die "Stellungnahme des Initiativkomitees" (E. 3.2). Die im "Beleuchtenden
Bericht" wiedergegebene Argumentation der Behörden, wonach das mit der
Initiative verfolgte Ziel der Fluglärmverteilung im Widerspruch zu
umweltschutzrechtlichen Prinzipien und dem öffentlichen Interesse stehe, ist
zutreffend und verletzt die politischen Rechte nicht (E. 3.3).

Sachverhalt ab Seite 389

BGE 136 I 389 S. 389
Die kantonale Volksinitiative "Für eine faire und ausgewogene Verteilung des
Fluglärms um den Flughafen Zürich (Verteilungsinitiative)" verlangte eine
Ergänzung von § 1 des Gesetzes vom 12. Juli
BGE 136 I 389 S. 390
1999 über den Flughafen Zürich (Flughafengesetz; LS 748.1) mit folgenden neuen
Absätzen 2-4:
"Insbesondere ist eine faire und ausgewogene, die Rechtsgleichheit aller
Menschen im Umkreis des Flughafens berücksichtigende Verteilung der
Flugbewegungen mittels Zeitfenstern und Rotation anzustreben.
Abflüge ab den jeweiligen Abflugpisten sind zu verteilen, indem nach dem Start,
sofern flugtechnisch möglich und zulässig, in Richtung Flugdestination zu
fliegen ist.
Anflüge sind gemäss historischer Gegebenheiten grundsätzlich von Norden her auf
die Pisten 14 oder 16 zu leiten. Die nicht über Deutschland durchzuführenden
Anflüge sind, sofern flugtechnisch möglich und zulässig, unter Beachtung von
Zeitfenstern und Rotation über schweizerisches Hoheitsgebiet auf die Pisten 14,
28, 32 und 34 zu verteilen."
Am 8. Juli 2009 setzte der Regierungsrat des Kantons Zürich die Volksabstimmung
über die Vorlage auf den 27. September 2009 fest. Der "Beleuchtende Bericht"
des Regierungsrats wurde am 14. August 2009 im Amtsblatt des Kantons Zürich
veröffentlicht (ABl 2009 1479). Als Teil der Abstimmungszeitung ist er zudem an
die Stimmberechtigten verschickt worden.
Mit Eingabe vom 19. August 2009 erhob Kurt Klose im eigenen Namen sowie namens
des Initiativkomitees Fairflug (Verteilungsinitiative) und der Bürgerinitiative
für solidarische Fluglärmverteilung "Fluglärmsolidarität" (im Folgenden:
Bürgerinitiative Fluglärmsolidarität) Stimmrechtsrekurs beim Regierungsrat.
Dieser wies den Rekurs am 23. September 2009 ab. Die Stimmberechtigten des
Kantons verwarfen die Initiative am 27. September 2009 mit 75,2 % Nein-Stimmen
gegenüber 24,8 % Ja-Stimmen.
Gegen die Rekursabweisung gelangten Kurt Klose, das Initiativkomitee Fairflug
und die Bürgerinitiative Fluglärmsolidarität mit Beschwerde vom 26. Oktober
2009 an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Unter Hinweis auf die
inzwischen erfolgte Ablehnung der Initiative verlangten sie, die Abstimmung sei
für ungültig zu erklären. Der Beleuchtende Bericht sei objektiv und ausgewogen
zu formulieren, insbesondere sei die Bemerkung zu unterlassen, eine Umsetzung
der Fairflug-Verteilungsinitiative verstosse gegen geltendes Umweltrecht.
Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Urteil vom 10. Februar 2010 ab.
Es gelangte zum Schluss, dem Beleuchtenden Bericht könnten keine unzutreffenden
oder irreführenden Aussagen entnommen werden. In ihrer Gesamtheit, also unter
BGE 136 I 389 S. 391
Berücksichtigung der ebenfalls abgedruckten Meinung des Initiativkomitees,
wahre die Abstimmungszeitung das Gebot der Ausgewogenheit.
Mit Beschwerde an das Bundesgericht vom 29. März 2010 beantragen Kurt Klose,
das Initiativkomitee Fairflug und die Bürgerinitiative Fluglärmsolidarität, der
Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Abstimmung sei zu
wiederholen. Der Beleuchtende Bericht sei objektiv und ausgewogen zu
formulieren, insbesondere sei die Bemerkung zu unterlassen, eine Umsetzung der
Fairflug-Verteilungsinitiative verstosse gegen geltendes Umweltschutzrecht.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Gemäss § 64 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 1. September 2003 über die
politischen Rechte (GPR/ZH; LS 161) wird zu jeder Abstimmungsvorlage ein
kurzer, sachlich gefasster und gut verständlicher Beleuchtender Bericht
verfasst. Bei der Abstimmung über Volksinitiativen muss der Beleuchtende
Bericht eine Stellungnahme des Initiativkomitees enthalten (§ 64 Abs. 1 lit. c
GPR/ZH). Der Beleuchtende Bericht wird in der Regel von der Exekutive verfasst
(§ 64 Abs. 3 GPR/ZH).
Die kantonale Abstimmungszeitung zur Verteilungsinitiative enthält einen
längeren Beleuchtenden Bericht sowie eine Zusammenfassung der wichtigsten
Argumente, die gegen die Annahme der Initiative sprechen. Sodann enthält die
Abstimmungszeitung die "Meinung des Initiativkomitees", in welcher die
Argumente der Initianten dargelegt werden. Die Abstimmungszeitung ist somit
kontradiktorisch gestaltet. Dem Beleuchtenden Bericht, welcher die
Abstimmungsempfehlung von Regierung und Parlament begründet, steht die Meinung
des Initiativkomitees gegenüber.

3.2 Die Beschwerdeführer halten den Beleuchtenden Bericht für einseitig. Dieser
Kritik kann nicht zugestimmt werden. Die Meinung des Initiativkomitees kommt in
der Abstimmungszeitung deutlich zum Ausdruck. Der Beleuchtende Bericht gibt die
Sicht der kantonalen Behörden wieder, während die Argumente für die Initiative
in der Stellungnahme des Initiativkomitees enthalten sind. Damit wurde das
Prinzip der Chancengleichheit (vgl. dazu MICHEL BESSON,
BGE 136 I 389 S. 392
Behördliche Information vor Volksabstimmungen, 2003, S. 260) hinreichend
beachtet. Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Beleuchtende Bericht
des Regierungsrats weder falsche Informationen enthalten noch irreführend sein
darf.

3.3 Im Beleuchtenden Bericht wird wiederholt ausgeführt, dass die von der
Initiative geforderte Verteilung des Fluglärms im Widerspruch zum geltenden
Umweltschutzrecht stehe. Gemäss den umweltschutzrechtlichen Prinzipien sei
danach zu trachten, die Zahl der Anwohner, die von Lärmeinwirkungen über den
Immissionsgrenzwerten betroffen würden, möglichst klein zu halten. Demgegenüber
verlange die Initiative eine Verteilung des Fluglärms und regelmässige Starts
"nach Süden geradeaus". Sie führe somit zu einer erheblichen Zunahme der
Belastung der Städte und Gemeinden im Süden des Flughafens, eines der am
dichtest besiedelten Gebiete der Schweiz. Es sei deshalb mit grosser
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der zuständige Bund die Initiative im
Falle ihrer Annahme nicht umsetzen würde. Ergänzend wird im Beleuchtenden
Bericht angeführt, dass die mit der Initiative geforderte Pistenbenützung aus
Sicherheitsgründen nur zu einem kleinen Teil möglich sei. Entgegen dem Wortlaut
der Initiative könne nicht von einer fairen und ausgewogenen Verteilung der
Flugbewegungen die Rede sein.

3.3.1 Umstritten ist insbesondere die im Beleuchtenden Bericht mehrmals
wiedergegebene Auffassung, wonach das von der Initiative verfolgte Ziel der
Fluglärmverteilung im Widerspruch zu umweltschutzrechtlichen Prinzipien und dem
öffentlichen Interesse stehe.

3.3.2 Das Verwaltungsgericht legt im angefochtenen Urteil dar, dass nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Zahl der Anwohner, die von
Lärmeinwirkungen über den Immissionsgrenzwerten betroffen werden, möglichst
klein zu halten sei. Somit stehe das Bestreben der Initianten, neben den
regelmässigen morgendlichen Landungen vermehrt auch abendliche Anflüge über den
dicht besiedelten Süden des Flughafens zu leiten, mit dem öffentlichen
Interesse in Widerspruch.

3.3.3 Massnahmen zum Schutz gegen übermässige Einwirkungen des Luftverkehrs
bzw. zu ihrer Abgeltung finden sich - ausserhalb des Enteignungsrechts -
insbesondere in der Umweltschutzgesetzgebung und im Raumplanungsrecht. Die
einschlägigen Bestimmungen dürfen nicht je isoliert, sondern müssen koordiniert
angewendet werden (vgl. dazu BGE 130 II 394 E. 8-10 S. 406 ff. mit Hinweisen).
BGE 136 I 389 S. 393
Der Schutz von Menschen gegen schädliche und lästige Einwirkungen ist vor allem
Aufgabe des Umweltschutzgesetzes (Art. 1 Abs. 1 USG; SR 814.01). Danach werden
Luftverunreinigungen, Lärm, Erschütterungen und Strahlen in erster Linie durch
Massnahmen bei der Quelle begrenzt (Art. 11 Abs. 1 USG). Unabhängig von der
bestehenden Umweltbelastung sind Emissionen im Rahmen der Vorsorge so weit zu
begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich
tragbar ist (Vorsorgeprinzip; Art. 11 Abs. 2 USG). Steht fest oder ist zu
erwarten, dass die Einwirkungen unter Berücksichtigung der bestehenden
Umweltbelastung schädlich oder lästig werden, so müssen verschärfte
Emissionsbegrenzungen angeordnet werden (Art. 11 Abs. 3 USG).
Gleichzeitig muss mit raumplanerischen Massnahmen dafür gesorgt werden, dass
Wohngebiete vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen wie Luftverschmutzung,
Lärm und Erschütterungen möglichst verschont werden (Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG;
SR 700), und zwar soweit möglich auch unterhalb der Grenzwerte gemäss USG (BGE
127 I 103 E. 7c-g S. 110 ff.; BGE 112 Ib 26 E. 5d S. 38; Urteil 1A.194/2006 vom
14. März 2007 E. 7, in: URP 2007 S. 509 und ZBl 109/2008 S. 284). Einerseits
dürfen in fluglärmbelasteten Gebieten grundsätzlich keine neuen Wohnsiedlungen
entstehen (vgl. Art. 24 und 22 USG); andererseits muss der Flughafenbetrieb
Rücksicht auf bestehende Wohngebiete nehmen. Dieser Nutzungskonflikt ist in
erster Linie durch die Überarbeitung der raumplanerischen Grundlagen zu lösen (
BGE 127 I 103 E. 7f S. 113 mit Hinweisen). Der komplexe Interessenausgleich für
den Flughafen Zürich ist Gegenstand des laufenden Verfahrens für die Erstellung
des Objektblatts Zürich des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Dieser
wird die raumplanerischen und betrieblichen Rahmenbedingungen für den Flughafen
Zürich festlegen und als Grundlage für das definitive Betriebsreglement des
Flughafens Zürich dienen. Dabei wird nach Lösungen gesucht, die einerseits die
Rolle des Flughafens Zürich als grösster und wichtigster Landesflughafen der
Schweiz sicherstellen und andererseits dem Grundsatz der nachhaltigen
Entwicklung genügen (Bericht des Bundesrats vom 10. Dezember 2004 über die
Luftfahrtpolitik der Schweiz, BBl 2005 1799 ff. Ziff. 2.1). Ziel dieser Planung
muss es insbesondere auch sein, den Flugbetrieb möglichst anwohnerfreundlich
auszugestalten. Sofern dicht besiedelte Wohngebiete vor Fluglärm nicht
verschont werden können, müssen die betroffenen Anwohner zumindest durch
bauliche Massnahmen von
BGE 136 I 389 S. 394
schädlichem Lärm abgeschirmt werden (BGE 136 II 263 E. 8.2-8.3 S. 271 ff.).

3.3.4 Der angefochtene Entscheid ist im Lichte der wiedergegebenen
Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Die umstrittene Initiative zielt
unbestritten darauf ab, dass die am dichtesten besiedelten Gebiete im Süden des
Flughafens vermehrt überflogen werden und somit die Lärmbelastung dort
ansteigt. Dieses Anliegen ist zumindest in der Art, wie es nach dem Willen der
Initianten erfüllt werden soll, mit der Pflicht zur Vorsorge (Art. 11 USG) und
den raumplanerischen Anliegen (E. 3.3.3 hiervor) nicht vereinbar. Wie im
angefochtenen Entscheid zutreffend erwogen wird, steht das Bestreben der
Initianten, neben den regelmässigen morgendlichen Landungen vermehrt auch
abendliche Anflüge über den dicht besiedelten Süden des Flughafens zu leiten,
zum öffentlichen Interesse, wie es im Umweltschutz- und Raumplanungsrecht des
Bundes zum Ausdruck gebracht wird, in Widerspruch.

3.4 Die Beschwerdeführer beanstanden weiter die Aussagen im Beleuchtenden
Bericht, wonach die Verteilung der Flugbewegungen nicht weniger, sondern mehr
vom Fluglärm stark betroffene Personen zur Folge habe, und dass die mit der
Initiative geforderte Pistenbenützung aus Sicherheitsgründen nur zu einem
kleinen Teil möglich sei. Sie stellen die Beurteilung dieser Aussagen durch das
Verwaltungsgericht jedoch nicht substanziiert in Frage. Es ist denn auch nicht
ersichtlich, inwiefern die Aussagen des Regierungsrats das Gebot der
Ausgewogenheit im Rahmen der Abstimmungszeitung verletzten.