Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 I 341



Urteilskopf

136 I 341

34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG
gegen Stadt Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_373/2009 / 1C_467/2009 vom 30. August 2010

Regeste

Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG; Bedeutung des ausserordentlichen Rechtsmittels der
kassatorischen Revision für die Zulässigkeit der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide letzter kantonaler
Instanzen.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen einen Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich ist zulässig unabhängig davon, ob
das ausserordentliche Rechtsmittel der kassatorischen Revision, mit welcher
nach kantonalem Recht Verfahrensverletzungen beim iudex a quo geltend gemacht
werden können, ergriffen wurde oder nicht (E. 2.1-2.4).

Sachverhalt ab Seite 342

BGE 136 I 341 S. 342

A. Am 27. Juni 2007 setzte der Stadtrat von Zürich das Strassenprojekt
"Flankierende Massnahmen N4/N20-Westumfahrung" fest. Mit diesem Projekt soll
die durch die Eröffnung der Westumfahrung ermöglichte Entlastung des
Stadtgebiets vom Durchgangsverkehr zwischen dem linken Zürichseeufer und dem
Limmattal sichergestellt werden. Gleichzeitig wies der Stadtrat unter anderen
eine Einsprache der X. AG ab, deren Grundstück (...) für den geplanten
Verkehrsknoten Seebahnstrasse/Hohlstrasse teilweise beansprucht und deren
Gebäude (...) dafür abgebrochen werden müsste.

B. Einen von der X. AG gegen den Beschluss des Stadtrats erhobenen Rekurs wies
der Regierungsrat des Kantons Zürich (...) ab, soweit er darauf eintrat.
Dagegen erhob die X. AG Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 4. Juni 2009 abwies.

C. Am 17. August 2009 reichte die X. AG beim Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich ein Revisionsgesuch gegen dessen Entscheid vom 4. Juni 2009 ein. Sie
begründete das Revisionsgesuch damit, dass in Bezug auf einen am Entscheid
mitwirkenden Richter ein Anschein von Befangenheit vorliege, weshalb dieser in
den Ausstand hätte treten müssen.

D. Am 25. August 2009 hat die X. AG ebenfalls gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2009 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben (...). Sie beantragt, der Entscheid
des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. (...)

F. Mit Beschluss vom 8. September 2009 ist das Verwaltungsgericht des Kantons
Zürich auf das Revisionsgesuch vom 17. August 2009 nicht eingetreten, weil sein
Entscheid vom 4. Juni 2009 nach
BGE 136 I 341 S. 343
dessen Anfechtung beim Bundesgericht durch die Beschwerdeführerin nicht
rechtskräftig geworden sei. Gegen diesen Beschluss ist die X. AG am 19. Oktober
2009 wiederum ans Bundesgericht gelangt und zwar mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie subsidiärer Verfassungsbeschwerde
(...). Sie beantragt, die Vorinstanz sei anzuweisen, auf das Revisionsgesuch
vom 17. August 2009 einzutreten. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerden vom 19. Oktober 2009 gegen den
Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. September 2009 nicht ein. Die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 25. August 2009 gegen
den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2009 weist es ab.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Vorab ist über die Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten vom 25. August 2009 zu befinden.

2.1 Dem Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2009 liegt ein
Beschwerdeverfahren über ein Strassenprojekt gemäss kantonalem Strassengesetz
vom 27. September 1981 (StrG; LS 722.1) und damit eine öffentlich-rechtliche
Angelegenheit im Sinne von Art. 82 lit. a BGG zu Grunde, gegen welche die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht
grundsätzlich zulässig ist. Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 ff. BGG liegt
nicht vor.

2.2 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen
Entscheide letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht die Beschwerde ans
Bundesverwaltungsgericht möglich ist (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Es stellt
sich die Frage, ob der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom 4. Juni 2009 in diesem Sinne letztinstanzlich ist, zumal
gegen Entscheide des Verwaltungsgerichts nach § 86a des
Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24. Mai 1959 (VRG; LS
175.2) unter gewissen Voraussetzungen die Revision verlangt werden kann.
Fraglich ist, ob der Begriff der Letztinstanzlichkeit nach Art. 86 Abs. 1 lit.
d BGG sämtliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe umfasst, die im Kanton gegen
Entscheide eines oberen kantonalen Gerichts zur Verfügung stehen. Dies zu
bejahen bedeutete, dass vorliegend zunächst das Gesuch um Revision gestellt
werden müsste, sofern diese zulässig wäre.
BGE 136 I 341 S. 344

2.3 Bei den nach Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG zu ergreifenden ausserordentlichen
Rechtsmitteln handelt es sich (nur) um solche, die gegen Entscheide eines
oberen kantonalen Gerichts bei einer "zusätzlichen kantonalen Gerichtsinstanz"
erhoben werden können, mithin beim iudex ad quem. Das ergibt sich aus Art. 100
Abs. 6 BGG (der französische Gesetzestext lautet: "Si la décision d'un tribunal
cantonal supérieur peut être déférée à une autre autorité judiciaire
cantonale..."), wonach (nur) in diesen Fällen erst mit der Eröffnung des
Entscheids dieser Instanz die Rechtsmittelfrist gegen den Entscheid eines
oberen kantonalen Gerichts zu laufen beginnt. Das trifft auf die sogenannte
kassatorische Revision, mit welcher wie vorliegend Verfahrensverletzungen beim
iudex a quo geltend gemacht werden können, nicht zu. Im Übrigen ist die
kassatorische Revision ein spezifisches Institut des öffentlichen
Verfahrensrechts (z.B. Art. 66 Abs. 2 lit. c VwVG [SR 172.021], Art. 147 Abs. 1
lit. b DBG [SR 642.11] bzw. Art. 51 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden [StHG; SR 642.14] sowie zahlreiche kantonale
Verwaltungsrechtspflegegesetze). Die kantonalen Zivilprozessordnungen sehen sie
nur vereinzelt vor (VOGEL/SPÜHLER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8. Aufl.,
13. Kapitel Rz. 88). Weder die Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19.
Dezember 2008 (ZPO; AS 2010 1739; Art. 328 und 396) noch die Schweizerische
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; AS 2010 1881; Art. 410) kennen
sie.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher zulässig, ob
das ausserordentliche Rechtsmittel der kassatorischen Revision ergriffen wurde
oder nicht.

2.4 War demnach die Beschwerdeführerin von vornherein nicht gehalten, ein
kantonales Revisionsgesuch einzulegen, steht dem Eintreten auf die gegen den
Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 4. Juni 2009 erhobene Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nichts entgegen, zumal die
Beschwerdeführerin als Adressatin des angefochtenen Entscheids und Eigentümerin
des betroffenen Grundstücks zur Beschwerde legitimiert ist (vgl. Art. 89 Abs. 1
BGG) und auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind.