Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 I 220



Urteilskopf

136 I 220

20. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kanton Glarus
gegen Z. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_212/2009 vom 15. April 2010

Regeste

Art. 49 BV; Art. 64a und 65 KVG; Art. 31 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes
des Kantons Glarus vom 7. Mai 2006 zum Bundesgesetz über die
Krankenversicherung (in der seit 1. Januar 2008 geltenden Fassung);
Prämienverbilligung.
Eine kantonale Regelung, gemäss welcher Prämienverbilligungsbeiträge mit
Steuerschulden verrechnet werden können, ist mit der Zielsetzung des KVG nicht
vereinbar und daher bundesrechtswidrig (E. 6.4.3).

Sachverhalt ab Seite 221

BGE 136 I 220 S. 221

A. Die Steuerverwaltung des Kantons Glarus stellte mit Verfügung vom 30. April
2008 fest, dass Z. für das Jahr 2008 Anspruch auf einen
Prämienverbilligungsbeitrag an die Krankenpflege-Grundversicherung von Fr.
956.- habe. Gleichzeitig hielt sie fest, der genannte Betrag werde in Anwendung
von Art. 31 des Einführungsgesetzes des Kantons Glarus vom 7. Mai 2006 zum
Bundesgesetz über die Krankenversicherung (EG KVG; GS VIII D/21/1) mit
laufenden oder noch geschuldeten Steuern verrechnet. Z. erhob dagegen
Einsprache, mit welcher er einzig die Verrechnung des Beitrages mit
Steuerforderungen rügte. Die kantonale Steuerverwaltung wies die Einsprache mit
Entscheid vom 30. Juni 2008 ab. Zur Begründung führte sie an, die
anspruchsberechtigte Person könne die Auszahlung der Prämienverbilligung
verlangen, wenn sie nachweise, dass sie die Krankenkassenprämien bis zum Antrag
lückenlos bezahlt habe. Da der Leistungsansprecher diesen Nachweis nicht
erbracht habe, sei die vorgenommene Verrechnung mit Steuerforderungen rechtens.

B. Mit Entscheid vom 28. Januar 2009 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Glarus die von Z. dagegen erhobene Beschwerde gut, stellte fest, dass Art. 31
Abs. 1 und 2 EG KVG bundesrechtswidrig sei, hob den genannten
Einspracheentscheid auf und wies die Steuerverwaltung an, den
Prämienverbilligungsbeitrag von Fr. 956.- an Z. auszubezahlen bzw. zu
überweisen.

C. Mit Eingabe vom 27. Februar 2009 erhebt der Kanton Glarus, handelnd durch
den Regierungsrat, beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, mit welcher die Aufhebung des Entscheids des
Verwaltungsgerichts beantragt und darum ersucht wird, den Einspracheentscheid
vom 30. Juni 2008 zu bestätigen, eventualiter die Sache an das
Verwaltungsgericht zurückzuweisen, und festzustellen, dass Art. 31 Abs. 1 und 2
EG KVG in der von der Landsgemeinde am 6. Mai 2007 beschlossenen Fassung nicht
gegen Bundesrecht verstosse. Zudem wird um Erteilung der aufschiebenden Wirkung
der Beschwerde ersucht.
Das Verwaltungsgericht wie auch Z. beantragen, auf die Beschwerde nicht
einzutreten, eventualiter sie abzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG)
liess sich in abweisendem Sinne vernehmen.
BGE 136 I 220 S. 222

D. Am 15. Oktober 2009 hiess der Präsident der I. sozialrechtlichen Abteilung
das vom beschwerdeführenden Kanton Glarus gestellte Gesuch um aufschiebende
Wirkung gut.

E. Am 15. April 2010 hat die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts
eine publikumsöffentliche Beratung durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

4. In materieller Hinsicht streitig und zu prüfen ist, ob Art. 31 Abs. 1 und 2
EG KVG, welcher eine Verrechnung von Prämienverbilligungsbeiträgen mit
Steuerschulden vorsieht, bundesrechtskonform ist.

4.1 Gemäss Art. 65 KVG (in der seit 1. Januar 2001 in Kraft stehenden Fassung)
gewähren die Kantone den Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen
Verhältnissen Prämienverbilligungen (Abs. 1). Die Kantone sorgen dafür, dass
bei der Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere auf Antrag der
versicherten Person, die aktuellsten Einkommens- und Familienverhältnisse
berücksichtigt werden. Nach der Feststellung der Bezugsberechtigung sorgen die
Kantone zudem dafür, dass die Auszahlung der Prämienverbilligung so erfolgt,
dass die anspruchsberechtigten Personen ihrer Prämienzahlungspflicht nicht
vorschussweise nachkommen müssen (Abs. 3). Mit den Schlussbestimmungen der
Änderung vom 24. März 2000 werden die Kantone verpflichtet,
Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Nach der Rechtsprechung geniessen die
Kantone eine erhebliche Freiheit in der Ausgestaltung der Prämienverbilligung,
indem sie autonom festlegen können, was unter "bescheidenen wirtschaftlichen
Verhältnissen" zu verstehen ist. Deshalb stellen die von den Kantonen
erlassenen Bestimmungen bezüglich der Prämienverbilligung in der
Krankenversicherung grundsätzlich autonomes kantonales Ausführungsrecht zu
Bundesrecht dar (BGE 134 I 313 E. 3 S. 315 mit Hinweisen).

4.2 Laut Art. 27 Abs. 1 EG KVG wird der Anspruch auf Prämienverbilligung
grundsätzlich von Amtes wegen ermittelt und ausgerichtet. Nach Art. 31 Abs. 1
EG KVG (in der seit 1. Januar 2008 in Kraft stehenden Fassung) kann die
anspruchsberechtigte Person die Auszahlung der vollen Prämienverbilligung an
sich verlangen, wenn sie nachweist, dass sie der Zahlung der Prämien bis zum
Zeitpunkt des Antrages auf Auszahlung der Prämienverbilligung lückenlos
BGE 136 I 220 S. 223
nachgekommen ist. Ein entsprechendes Gesuch ist mit den nötigen Belegen bei der
zuständigen kantonalen Verwaltungsbehörde einzureichen. Im Regelungsbereich von
Art. 21 (Personen, die wirtschaftliche Hilfe beziehen) und Art. 25
(Asylsuchende) erfolgt keine Auszahlung an die anspruchsberechtigten Personen.
Der Regierungsrat regelt die Einzelheiten, namentlich bis zu welchem Zeitpunkt
die Auszahlung der vollen Prämienverbilligung verlangt werden kann. Nach Art.
31 Abs. 2 EG KVG wird die Prämienverbilligung mit den geschuldeten Kantons- und
Gemeindesteuern verrechnet, wenn die Auszahlung der vollen Prämienverbilligung
nicht verlangt wird oder die Voraussetzungen dafür gemäss Absatz 1 nicht
erfüllt sind. Gemäss Art. 4 lit. d EG KVG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der
kantonalen Verordnung vom 17. September 2002 über die Prämienverbilligung (GS
VIII D/21/2; nachfolgend: RIPV) ist die kantonale Steuerverwaltung mit dem
Vollzug der Prämienverbilligung betraut. Sie ist insbesondere zuständig für die
Verrechnung der Prämienbeiträge mit den Kantons- und Gemeindesteuern bzw. die
Auszahlung der Prämienbeiträge an die Berechtigten in besonderen Fällen (Art. 3
Abs. 2 lit. e RIPV).

5.

5.1 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass aufgrund von Art. 3 Abs. 2 lit.
e RIPV die Verrechnung der Verbilligungsbeiträge mit Kantons- und
Gemeindesteuern die Regel bilde und die Auszahlung an die Berechtigten bloss in
"besonderen Fällen" erfolge. Dabei stelle die Voraussetzung gemäss Art. 31 Abs.
1 EG KVG, dass die Auszahlung an die versicherte Person von einer lückenlosen
Prämienzahlung bis zum Zeitpunkt des Gesuchs abhänge, eine Bedingung dar, die
mit dem vom Bundesgesetzgeber verfolgten Ziel der Prämienverbilligung kaum
vereinbar sei. Zudem entspreche es nicht Sinn und Geist von Art. 65 KVG,
Steuerausstände oder den diesbezüglichen Inkassoaufwand zu reduzieren und die
von Bund und Kanton bereitgestellten Mittel nicht direkt zur Prämienzahlung dem
Versicherten oder zur Prämienreduktion dem Versicherer zuzuführen. Mit der
Verrechnung mit Steuerforderungen könne überdies auch keine zweckmässige
Verwendung der Beiträge sichergestellt werden.

5.2 Der Beschwerde führende Kanton Glarus macht im Wesentlichen geltend, die
Umsetzung des Bundesrechts obliege nach Art. 46 BV den Kantonen. Der Bund habe
im KVG nicht vorgeschrieben, welche Auszahlungssysteme im Rahmen der
Prämienverbilligung
BGE 136 I 220 S. 224
möglich seien. Laut Botschaft vom 21. September 1998 betreffend den
Bundesbeschluss über die Bundesbeiträge in der Krankenversicherung (BBl 1999
793 ff. Ziff. 242) sei es Sache eines jeden Kantons, den Kreis der
Begünstigten, die Höhe, das Verfahren und den Auszahlungsmodus der
Prämienverbilligung festzulegen. Der Kanton Glarus habe ein gemischtes System
gewählt, indem die Prämienberechtigung von Amtes wegen mitgeteilt werde, die
Auszahlung direkt an die Berechtigten jedoch beantragt werden müsse, wobei bei
fehlendem Antrag eine Verrechnung mit geschuldeten Kantonssteuern erfolge.
Weder verstosse dieses System gegen Art. 65 KVG, noch bestehe eine
Verpflichtung zur Barauszahlung an die Versicherten.

6.

6.1 Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts nach Art. 49 Abs.
1 BV schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend
regelt, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das
Bundesrecht - wie bei der Prämienverbilligung - nicht abschliessend ordnet,
dürfen Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist
des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen (ZBl 109/
2008 S. 311, 2P.229/2006 E. 3). Die kantonalen Bestimmungen über die
Prämienverbilligung müssen sich somit an Sinn und Geist des KVG halten und
dürfen den mit der Prämienverbilligung angestrebten Zweck nicht vereiteln (BGE
122 I 343 E. 4a S. 349; GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale
Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2007, S. 764 Rz. 1071; URS CH. NEF, Die
Prämienverbilligung in der Krankenversicherung, in: LAMal - KVG, Recueil de
travaux en l'honneur de la société suisse de droit des assurances, 1997, S.
489).

6.2

6.2.1 Die individuelle Prämienverbilligung zielt darauf ab, im System des KVG
mit einer Einheitsprämie pro Versicherer ohne Berücksichtigung der finanziellen
Leistungsfähigkeit der Versicherten, für Personen in bescheidenen Verhältnissen
die wirtschaftliche Last der Krankenversicherungsprämien zu mildern. Sie ist
damit ein Element der Solidarität zugunsten weniger bemittelter
Bevölkerungsschichten (BGE 122 I 343 E. 3g/bb S. 347). Dabei entschied sich der
Bundesgesetzgeber für eine föderalistische Ausgestaltung, indem er die
Festlegung des zu erreichenden Sozialziels und die Ausgestaltung der
Prämienverbilligung (Festlegung des Bezügerkreises, des Betrags, des Verfahrens
und der Zahlungsmodalitäten) an die Kantone delegierte.
BGE 136 I 220 S. 225

6.2.2 Wie der Beschwerdeführer zutreffend festhält, hat der Gesetzgeber den
Kantonen im KVG die Auszahlungsmodalitäten der Prämienverbilligung nicht
vorgeschrieben. In der Botschaft vom 6. November 1991 über die Revision der
Krankenversicherung (BBl 1992 I 93 ff.) wird zur Prämienverbilligung durch die
Kantone ausgeführt, wie das Modell in die Praxis umzusetzen sei, werde den
Kantonen überlassen. In der Studie der Schweizerischen Vereinigung privater
Kranken- und Unfallversicherer (PKU) sei ursprünglich vorgeschlagen worden,
dass der Anspruch der Versicherten direkt von der Steuerschuld in Abzug
gebracht werde. Die kantonalen Finanzdirektoren hätten seinerzeit gegen ein
solches Vorgehen Bedenken geäussert. Die Kantone könnten ein von der Erhebung
der Steuern losgelöstes System wählen. Es sei ihnen freigestellt, ob sie die
Prämienverbilligung den Versicherten oder direkt den Versicherern ausbezahlen
wollten (BBl 1992 I 198 Ziff. 3). In der bereits erwähnten Botschaft vom 21.
September 1998 (BBl 1999 793 ff. Ziff. 242 f.) wurde festgehalten, es sei Sache
eines jeden Kantons, den Kreis der Begünstigten, die Höhe, das Verfahren wie
auch den Auszahlungsmodus für die Prämienverbilligung festzulegen. In der Regel
erfolge die Auszahlung an den Versicherer, wobei die Berechtigten informiert
würden. In Ausnahmefällen werde die Verbilligung den Berechtigten selbst
entrichtet. Ein solches Verfahren werde jedoch von der überwiegenden Mehrzahl
der Kantone mit dem Hinweis abgelehnt, die Gelder müssten zweckgebunden sein.
In der Botschaft vom 26. Mai 2004 zur Änderung des Bundesgesetzes über die
Krankenversicherung (Prämienverbilligung) und zum Bundesbeschluss über die
Bundesbeiträge in der Krankenversicherung (BBl 2004 4327 ff.) wird bestätigt,
dass bezüglich der Zahlungsmodalitäten zwei Tendenzen hätten beobachtet werden
können, wobei die Mehrzahl der Kantone die Subventionen direkt an die
Versicherer ausrichte, während einige wenige Kantone den
Prämienverbilligungsbetrag den Versicherten bezahlen würden (BBl 2004 4337
Ziff. 1.1.5).

6.2.3 Aufgrund der Ausführungen in den bundesrätlichen Botschaften schloss das
Verwaltungsgericht, das vom Kanton Glarus gewählte System der Gutschrift zur
Verrechnung mit Steuerforderungen sei nicht in Erwägung gezogen worden. Wie das
BAG in seiner Vernehmlassung zutreffend festhält, bestehen gestützt auf die
Gesetzesmaterialien darüber hinaus auch keine Hinweise darauf, dass das vom
Kanton Glarus gewählte System der Gutschrift zur Verrechnung mit
Steuerforderungen als bundesrechtswidrig zu betrachten wäre.
BGE 136 I 220 S. 226

6.3

6.3.1 Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass vor allem jene Versicherten,
die aus finanziellen Gründen (in der Vergangenheit) die Prämien nicht bzw.
nicht rechtzeitig bezahlen konnten, in den Genuss der Prämienverbilligung
kommen würden. Dabei gehe es nicht an, die Verbilligungsbeiträge nur indirekt
dem gesetzlichen Zweck der Prämienverbilligung zukommen zu lassen. Wenn dies
zulässig sei, würden finanzielle Mittel für andere Zwecke der
Anspruchsberechtigten verfügbar gemacht, deren anderweitige Verwendung nicht
als missbräuchlich betrachtet werden könne.

6.3.2 Der Beschwerdeführer wendet ein, zumindest in den Fällen, in welchen die
Versicherten weder Krankenkassenprämien noch Steuern zahlen würden, obwohl sie
weder Steuererlass genössen noch Sozialhilfeempfänger seien, könne der Aufwand
des Staates bei Vorliegen von Verlustscheinen reduziert werden. Damit werde
verhindert, dass Beiträge für die Krankenkassenprämien zuerst über die
Prämienverbilligung und anschliessend auch noch im Rahmen eines Verlustscheins
aufgewendet werden müssten, was eine sinnvolle und zweckgebundene
Vollzugslösung darstelle.

6.3.3 Steuern sind grundsätzlich so lange geschuldet, als sie nicht erlassen
werden. Ob die Erlassvoraussetzungen gegeben sind, wird in einem selbständigen
Verfahren geprüft. Sind Steuerschulden zu begleichen und erfolgt die Tilgung
durch Verrechnung, bleibt per Saldo das Vermögen der versicherten Person
gleich, wie wenn ihr die Prämienverbilligung ausbezahlt würde. Der Unterschied
besteht einzig darin, dass bei der Verrechnung die Passiven reduziert werden,
während sich im Fall der Auszahlung die Aktiven erhöhen. Dies bestätigt auch
der Beschwerde führende Kanton, wenn er festhält, die Prämien würden insofern
ermässigt, indem den Berechtigten andere zwingende Kosten, nämlich die fälligen
und zu begleichenden Steuern, abgenommen würden. Ein solches Vorgehen
widerspricht grundsätzlich nicht dem Gesetzeszweck. Wie bereits oben anhand der
Gesetzesmaterialien dargelegt (vgl. E. 6.2.2), lässt es das Bundesrecht zu,
dass die Verbilligung bar an die Versicherten ausbezahlt wird. Damit akzeptiert
der Bundesgesetzgeber, dass diese Beträge nicht für die Prämienzahlung, sondern
allenfalls für anderweitige Auslagen verwendet werden. Wäre es ihm darum
gegangen, nur die direkte Verwendung für die Prämienzahlung zu sichern, hätte
er im KVG vorschreiben müssen, dass nur eine Auszahlung an den Versicherer
zulässig sei. In diese Richtung zielt denn auch eine p
BGE 136 I 220 S. 227
arla mentarische Initiative, welche mit einer Revision von Art. 65 KVG die
Kantone verpflichten will, die Prämienverbilligung direkt an die Versicherer
auszurichten, um künftig zu verhindern, dass diejenigen Versicherten, denen die
Prämienverbilligung direkt ausgerichtet wird, die Gelder für andere Zwecke
einsetzen (vgl. Bericht vom 28. August 2009 der Kommission für soziale
Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates "Parlamentarische Initiative
Artikel 64a KVG und unbezahlte Prämien" [09.425]). Dass bei einer Barauszahlung
an die Versicherten die Verbilligungen zum Teil anderweitig verwendet werden,
ist unbestritten. Der Unterschied zu einer Gutschrift mit Verrechnung der
Steuerschulden besteht einzig darin, dass im einen Fall die Tilgung einer zum
vornherein bestimmten Schuld erfolgt, während im andern Fall die versicherte
Person selber entscheidet, welche Schulden sie tilgen will. Wenn mittels
Verrechnung der Prämienverbilligung mit geschuldeten Kantons- und
Gemeindesteuern der Missbrauchsgefahr nicht entgegengewirkt wird, kann -
solange kein bestimmter Auszahlungsmodus bundesrechtlich vorgeschrieben ist -
daraus allein nicht geschlossen werden, das vom Kanton Glarus gewählte System
sei bundesrechtswidrig.

6.4

6.4.1 Mit der Vorinstanz gilt es sodann auf den zwischen der
Prämienverbilligung und der Prämienzahlungspflicht bestehenden engen
Zusammenhang hinzuweisen, welcher in Art. 65 Abs. 3 Satz 2 KVG zum Ausdruck
kommt, wonach die Auszahlung der Prämienverbilligung so zu erfolgen hat, dass
die anspruchsberechtigten Personen ihrer Prämienzahlungspflicht nicht
vorschussweise nachkommen müssen. Mit dem am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen
Art. 64a Abs. 2 KVG wurde zudem eine gesetzliche Grundlage für die
Prämienzahlungspflicht geschaffen, und es wurden zugleich die Folgen des
Verzugs verschärft (vgl. dazu Botschaft vom 26. Mai 2004, a.a.O., BBl 2004 4327
ff. Ziff. 3). Bezahlt die versicherte Person trotz Mahnung nicht und wurde im
Betreibungsverfahren ein Fortsetzungsbegehren bereits gestellt, so schiebt der
Versicherer nach dieser Bestimmung die Übernahme der Kosten für die Leistungen
auf, bis die ausstehenden Prämien, Kostenbeteiligungen, Verzugszinse und
Betreibungskosten vollständig bezahlt sind. Gleichzeitig benachrichtigt der
Versicherer die für die Einhaltung der Versicherungspflicht zuständige
kantonale Stelle über den Leistungsaufschub. Vorbehalten bleiben kantonale
Vorschriften über eine Meldung an andere Stellen. Eine Person, die ihre Prämien
nicht bezahlt, läuft Gefahr, dass
BGE 136 I 220 S. 228
ihr Versicherer die Übernahme der Kosten für ihre Leistungen aufschiebt, was
sich auf die betroffenen Versicherten negativ auswirken kann, da für sie unter
Umständen keine adäquate Gesundheitsversorgung mehr gewährleistet ist (vgl. den
bereits erwähnten Bericht vom 28. August 2009 der Kommission für soziale
Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates "Parlamentarische Initiative
Artikel 64a KVG und unbezahlte Prämien").

6.4.2 Der Beschwerde führende Kanton bestreitet nicht, dass beim System einer
Verrechnung von Steuerschulden die Bestimmung von Art. 65 Abs. 3 Satz 2 KVG
nicht eingehalten wird. Auch bleibt das Risiko eines Leistungsaufschubs, das
mit der Prämienverbilligung verhindert werden soll, bestehen. In seiner Eingabe
ans Bundesgericht bringt der Beschwerdeführer lediglich vor, die Verrechnung
mit den geschuldeten Steuern werde nicht vorgenommen, wenn die berechtigte
Person gemäss Art. 31 Abs. 1 EG KVG Antrag auf Auszahlung der
Prämienverbilligung stellen könne und die Verrechnung mit Steuern somit auf
freiwilliger Basis geschehe, was aber voraussetzt, dass die Prämien der
Vorjahre lückenlos bezahlt wurden. Auch wenn die anspruchsberechtigte Person
grundsätzlich die Auszahlung der vollen Prämienverbilligung an sich verlangen
kann, knüpft der kantonale Gesetzgeber diese an Bedingungen, die von
Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen im Sinne von Art.
65 Abs. 1 KVG nicht einfach zu erfüllen sind. Denn wer offene Steuerschulden
hat, kann oftmals auch die Krankenkassenprämien nicht lückenlos bezahlen und
somit die Auszahlungsvoraussetzungen gemäss Art. 31 Abs. 1 EG KVG nicht
erfüllen. Vor Vorinstanz hielt der Kanton zu diesem Punkt fest, Art. 65 Abs. 3
KVG bestimme zwar, dass die Bevorschussung so zu erfolgen habe, dass die
anspruchsberechtigte Person ihrer Prämienzahlungspflicht nicht vorschussweise
nachkommen müsse. Dies sei jedoch illusorisch und werde wohl von keinem Kanton
eingehalten. Dieses Argument hilft dem Beschwerdeführer jedoch insofern nicht
weiter, als es vorliegend nicht darum geht, andere Systeme zu würdigen.

6.4.3 Daraus ergibt sich, dass Art. 31 Abs. 1 und 2 EG KVG gegen die
Zielsetzung des KVG und dabei namentlich gegen die Vorgabe von Art. 65 Ab. 3
Satz 2 KVG verstösst. Da die kantonalrechtlichen Bestimmungen mit der
bundesgesetzlichen Regelung über die Prämienverbilligung nicht vereinbar sind,
hat das kantonale Gericht sie zu Recht als bundesrechtswidrig erklärt.