Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 IV 55



Urteilskopf

136 IV 55

9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S.
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_238/2009 vom 8. März 2010

Regeste

Art. 19 Abs. 2, Art. 47 und 50 StGB; Strafzumessung bei verminderter
Schuldfähigkeit; Begründungspflicht.
Ausgehend von der objektiven Tatschwere hat der Richter das (subjektive)
Tatverschulden zu bewerten. Dabei hat er (auch) die verminderte Schuldfähigkeit
zu berücksichtigen. Er muss dartun, in welchem Umfange sich diese
verschuldensmindernd auswirkt (E. 5.5 und 5.6).
Die Gesamteinschätzung des Tatverschuldens ist im Urteil zu benennen, damit
überprüft werden kann, ob die daraus resultierende (hypothetische) Strafe
angemessen ist und mit der durch den gesetzlichen Strafrahmen zum Ausdruck
gebrachten Abstufung des Unrechtsgehaltes übereinstimmt (E. 5.7).
Die tat- und täterangemessene Strafe für eine einzelne Tat ist grundsätzlich
innerhalb des ordentlichen Strafrahmens festzusetzen. Dieser ist nur zu
verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die
betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde
erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann
sich stellen, wenn verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren
zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter
relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Rahmens dem
Rechtsempfinden widerspräche. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt
deshalb grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu
unterschreiten. Dazu bedarf es weiterer, ins Gewicht fallender Umstände, die
das Verschulden als besonders leicht erscheinen lassen (E. 5.8).

Sachverhalt ab Seite 56

BGE 136 IV 55 S. 56

A. Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X. und Y. am 18. Februar
2008 der vorsätzlichen Tötung ihrer Tochter A. schuldig. Es verurteilte Y. zu
12 Jahren und X. zu 6 Jahren Freiheitsstrafe, unter Anrechnung der erstandenen
Polizei- und Untersuchungshaft.

B. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in
Strafsachen, wobei sie nur das Urteil gegen X. anficht. Sie beanstandet die
Strafzumessung und beantragt, die Sache zur neuen Entscheidung an das
Geschworenengericht zurückzuweisen. Das Urteil gegen Y. ist inzwischen in
Rechtskraft erwachsen.

C. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Gleichzeitig stellt sie das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Die
Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde in öffentlicher Sitzung beurteilt.
BGE 136 IV 55 S. 57

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz gewichte die verminderte
Schuldfähigkeit in ermessensüberschreitender Weise strafmindernd. Die
Beschwerdegegnerin leide nicht an einer Persönlichkeitsstörung. Die
Abhängigkeitsproblematik gegenüber dem Mitangeklagten sei eine
persönlichkeitsakzentuierte Eigenschaft, welche nicht einer psychischen Störung
krankhafter Natur gleichzusetzen sei. Bei der Einschätzung der mittelgradig
verminderten Steuerungsfähigkeit handle es sich um eine grobe Schätzung des
Gutachters. Aus einer derart unsicheren, mathematisch ungenauen Einschätzung
dürfe keine mathematisch präzise Strafreduktion ("rund um die Hälfte")
erfolgen. Angesichts des objektiven Tatverschuldens sei die ausgefällte Strafe
von 6 Jahren weitaus zu mild.

5.2 Die Vorinstanz hält unter Hinweis auf die Feststellungen des
psychiatrischen Sachverständigen im Gutachten vom 15. September 2004 und
anlässlich der Hauptverhandlung fest, bei der Beschwerdegegnerin liege eine
Abhängigkeitsproblematik vor, die aus ihrer Kindheit herrühre. Sie könne im
Sinne eines Schutzmechanismus negative, traumatische Erfahrungen ausblenden.
Sie und Y. seien gegenseitig voneinander abhängig gewesen. Auf der einen Seite
habe er ein Bedürfnis nach Kontrolle und Dominanz in der Beziehungssituation
gehabt. Auf der anderen Seite habe sie sich stark an ihn angelehnt. Die Tochter
habe die Exklusivität der Paarbeziehung gesprengt. Es sei bereits während der
Schwangerschaft zu tätlichen Übergriffen des Mitangeklagten gekommen. Resultat
dieser Drucksituation sei gewesen, dass sich das Paar gegen aussen immer mehr
abgeschottet habe. Die Dependenzstörung der Beschwerdegegnerin sei noch nicht
als Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, weil die Problematik nicht in
allen Lebensbereichen zum Vorschein komme. Es handle sich um eine akzentuierte
Eigenschaft. Die Problematik habe die Beschwerdegegnerin in ihrer Fähigkeit
eingeschränkt, sich anders zu verhalten. Die Einsichtsfähigkeit sei aber
vorhanden gewesen. Im Ergebnis läge gemäss dem Gutachter eine mittlere
Verminderung der Schuldfähigkeit vor. Dies sei innerhalb des ordentlichen
Strafrahmens nach Art. 19 Abs. 2 StGB strafmindernd zu berücksichtigen. Die
Strafe sei um rund die Hälfte zu reduzieren.

5.3 Ist der Täter zur Zeit der Tat vermindert zurechnungsfähig (schuldfähig),
so ist die Strafe gemäss dem Wortlaut des Gesetzes
BGE 136 IV 55 S. 58
zu mildern (aArt. 11 bzw. Art. 19 Abs. 2 StGB). Nach der bisherigen
Rechtsprechung ist dabei die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe
nach Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit zu reduzieren. Die
Täterkomponenten sind davon unabhängig zu bewerten. Allerdings können einzelne
Tatsachen, welche die Verminderung der Schuldfähigkeit begründen, unter
Umständen auch für die Gewichtung bestimmter Täterkomponenten von Bedeutung
sein. Der Verminderung der Schuldfähigkeit ist bei der Strafzumessung im vollen
Ausmass der Verminderung Rechnung zu tragen. Das Bundesgericht hat mehrfach
entschieden, dass dabei keine lineare Reduktion nach einem bestimmten Tarif
vorzunehmen ist (BGE 129 IV 22 E. 6.2 S. 35; BGE 123 IV 49 E. 2c S. 51; je mit
Hinweis). Eine leichte, mittelgradige oder schwere Herabsetzung der
Zurechnungsfähigkeit führe daher nicht zwingend zu einer rein mathematischen
Reduktion der Strafe um 25, 50 oder 75 %. Indessen müsse ein bestimmtes
Verhältnis zwischen der festgestellten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit
und den Folgen für die Strafe bestehen (BGE 129 IV 22 E. 6.2 S. 35). Diese
Rechtsprechung wird in der Lehre teilweise so interpretiert, dass eine
besondere Begründung erforderlich sei, sofern die verminderte Schuldfähigkeit
nicht linear berücksichtigt werde (so etwa SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen
und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 97; HUG, IN: StGB Schweizerisches
Strafgesetzbuch [...], 17. Aufl. 2006, zu Art. 48a StGB). Auch das
Bundesgericht hat in einzelnen Entscheiden die eigene Rechtsprechung
relativiert und den Eindruck vermittelt, es müsse von der Regel einer linearen
Reduktion ausgegangen werden (vgl. etwa Urteil 6S.547/2006 vom 1. Februar 2007
E. 4.3). In BGE 118 IV 1 wurde festgehalten, die Strafe sei entsprechend dem
Grad der Verminderung herabzusetzen. Bei einer verminderten
Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grad sei die Strafe, die für die gleiche Tat
eines voll Zurechnungsfähigen ausgesprochen würde, in mittlerem Ausmass zu
reduzieren (a.a.O. E. 2 S. 5 mit Hinweisen). In einem solchen Fall dürfe die
Strafe nicht lediglich um 40 % herabgesetzt werden (BGE 129 IV 22 E. 6.2 S.
36). In einem neuen Entscheid hat das Bundesgericht befunden, dass es bei einer
schweren Verminderung der Schuldfähigkeit nicht gegen Bundesrecht verstosse,
die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe um 75 % zu ermässigen.
Eine Reduktion exakt in diesem Umfang sei aber bundesrechtlich nicht zwingend.
Der Richter könne in Ausübung seines Ermessens die aus den Tatkomponenten
resultierende Einsatzstrafe auch um etwas weniger herabsetzen, soweit
BGE 136 IV 55 S. 59
diese Reduktion noch im gewissen Rahmen dessen liege, was geboten ist, um einer
schweren Verminderung der Schuldfähigkeit im vollen Ausmass der Verminderung
Rechnung zu tragen. Eine diesen Rahmen unterschreitende Reduktion der aus den
Tatkomponenten resultierenden Einsatzstrafe sei nur zulässig, wenn besondere
Umstände dafür sprechen, die in der Urteilsbegründung darzulegen seien (BGE 134
IV 132 E. 6.6 S. 139).

5.4 Gemäss aArt. 63 StGB hat der Richter die Strafe nach dem Verschulden des
Täters zu bemessen, wobei die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen
Verhältnisse des Schuldigen zu berücksichtigen sind. Der am 1. Januar 2007 in
Kraft getretene neue Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches hat die bisherigen
Strafzumessungsgrundsätze in Art. 47 Abs. 1 StGB beibehalten. Die Bewertung des
Verschuldens wird in Art. 47 Abs. 2 StGB dahingehend präzisiert, dass dieses
nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts,
nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters
sowie danach bestimmt wird, wieweit der Täter nach den inneren und äusseren
Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (BGE 134
IV 17 E. 2.1 S. 19). Sowohl nach altem wie nach neuem Recht kommt somit dem
(subjektiven) Tatverschulden bei der Strafzumessung eine entscheidende Rolle
zu.

5.5 Ausgehend von der objektiven Tatschwere hat der Richter dieses Verschulden
zu bewerten. Er hat im Urteil darzutun, welche verschuldensmindernden und
welche verschuldenserhöhenden Gründe im konkreten Fall gegeben sind, um so zu
einer Gesamteinschätzung des Tatverschuldens zu gelangen. Der Gesetzgeber hat
einzelne Kriterien aufgeführt, welche für die Verschuldenseinschätzung von
wesentlicher Bedeutung sind und allenfalls bewirken können, das Verschulden als
derart gering einzustufen, dass eine Strafe unterhalb des ordentlichen
Strafrahmens geboten ist (E. 5.6 und 5.8 nachfolgend). In diesem Sinne spricht
auch Art. 19 StGB (aArt. 11 StGB) davon, die Strafe sei bei verminderter
Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit) zu mildern. Dabei geht es zunächst
entgegen dem Wortlaut des Gesetzes und in Änderung der bisherigen
Rechtsprechung (vgl. BGE 134 IV 132 E. 6.1 S. 136 f.) nicht um die Herabsetzung
einer Strafe, sondern um die Reduktion des Verschuldens. Der Schuldvorwurf, der
einem nur vermindert schuldfähigen Täter gemacht werden kann, ist verglichen
mit einem voll schuldfähigen Täter geringer (BGE 118
BGE 136 IV 55 S. 60
IV 1 E. 2 S. 4). Das Schuldprinzip verlangt deshalb, dass die Strafe für eine
in verminderter Schuldfähigkeit begangene Tat niedriger sein muss, als wenn der
Täter - unter sonst gleichen Umständen - voll schuldfähig gewesen wäre. Die
mildere Strafe ergibt sich aus dem leichteren Verschulden (Urteil 6B_585/2008
vom 19. Juni 2009 E. 3.5). Wenn das Gesetz in einem verschuldensrelevanten
Zusammenhang von Strafmilderung bzw. Strafminderung spricht, so bedeutet dies,
dass die Strafe aufgrund des geringeren Verschuldens tiefer auszufallen hat,
als wenn keiner dieser Gründe vorläge.

5.6 Bei der Frage, in welchem Umfang die Einschränkung der Schuldfähigkeit die
Verschuldensbewertung beeinflusst, gilt es vor Augen zu halten, dass die
verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB (bzw. aArt. 11
StGB) eines von mehreren Kriterien sein kann, wenn auch - je nach Grad der
Verminderung - von wesentlichem Gewicht. So trifft etwa denjenigen ein
geringerer Schuldvorwurf, dem lediglich eventualvorsätzliches Handeln
anzulasten ist (Art. 12 Abs. 2 StGB; vgl. Urteil 6S.233/2003 vom 4. November
2003 E. 4.3 mit Hinweis). Das StGB selbst erwähnt verschiedene Umstände, die
das Verschulden reduzieren können: wenn der Täter aus achtenswerten
Beweggründen, in schwerer Bedrängnis oder unter dem Eindruck einer schweren
Drohung gehandelt hat; ebenso wenn sein Handeln durch eine Person, der er
Gehorsam schuldet oder von der er abhängig ist, veranlasst worden ist (Art. 48
lit. a StGB). Im gleichen Sinne ist von einem minderen Verschulden auszugehen,
wenn der Täter durch das Verhalten der verletzten Person ernsthaft in
Versuchung geführt worden ist (Art. 48 lit. b), wenn er in einer heftigen
Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung (Art. 48 lit. c StGB)
gehandelt hat. Ein reduziertes Verschulden trifft auch denjenigen, der die Tat
durch Unterlassung begeht (Art. 11 Abs. 4 StGB). Zu nennen sind schliesslich
die entschuldbare Notwehr (Art. 16 Abs. 1 StGB) und der entschuldbare Notstand
(Art. 18 Abs. 1 StGB), der vermeidbare Irrtum über die Rechtswidrigkeit (Art.
21 StGB), der Rücktritt (Art. 23 Abs. 1 StGB) und die Gehilfenschaft (Art. 25
StGB). In all diesen Fällen liegen Sachverhaltselemente vor, die sich
verschuldensmindernd auswirken, was zu einer milderen Strafe führt. Auf der
anderen Seite sind Umstände denkbar, welche das Tatverschulden erhöhen und
namentlich die wegen der reduzierten Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des
Täters geringere Schuld wieder auszugleichen vermögen (so auch VENZLAFF/
FOERSTER, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S. 25 mit Hinweis auf
BGE 136 IV 55 S. 61
BGHSt 7, 28 [31]). Zu erwähnen ist beispielsweise ein verwerfliches Motiv. Es
liegt im Ermessen des Sachrichters, in welchem Umfang er die verschiedenen
Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Die strafrechtliche Abteilung des
Bundesgerichts greift auf Beschwerde in Strafsachen hin nur in die
Strafzumessung ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder
unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen
beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch
gewichtet hat (BGE 134 IV 17 E. 2.1 S. 19 mit Hinweisen).
Das Gericht ist nicht gehalten, in Zahlen oder Prozenten anzugeben, wie es die
einzelnen Strafzumessungskriterien berücksichtigt (BGE 127 IV 101 E. 2c S. 104
f. mit Hinweisen). Bereits von daher ist es abzulehnen, bei der Verminderung
der Schuldfähigkeit einen genauen Raster etwa von 75 %, 50 % und 25 % oder eine
lineare Abstufung zu verlangen (was bereits in BGE 76 IV 34 E. 2 S. 38 als
"offensichtlich verfehlt" bezeichnet wurde). Andernfalls wäre der Richter
gehalten, eine vom psychiatrischen Gutachter vorgegebene grobe Einschätzung
willkürlich einzuengen. Der Nachweis und die Einstufung der verminderten
Schuldfähigkeit lassen sich nicht mit exakten naturwissenschaftlichen Methoden
objektivieren. Die forensische Psychiatrie ist nicht in der Lage, ein
mathematisch exaktes Messsystem anzubieten, weshalb sich in der Praxis eine
pragmatische Dreiteilung (leichte, mittlere oder schwere Verminderung)
eingespielt hat. Wenn der Gutachter den Grad der Verminderung beurteilt, so
macht er von einem grossen und auch subjektiven Ermessen Gebrauch. Er gelangt
zur konkreten Einstufung der verminderten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit,
indem er die forensisch relevanten Auswirkungen einer konkreten Störung mit
anderen vorkommenden Schweregraden vergleicht (BOMMER/DITTMANN, in: Basler
Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 73 zu Art. 19 StGB). Zu Recht
wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass es sich dabei um einen
Ausgangspunkt handeln muss, der für die Strafzumessung aufgrund der
Besonderheiten des Falles zu verfeinern ist (a.a.O.). Damit wird zum Ausdruck
gebracht, dass der Richter ein psychiatrisches Gutachten rechtlich zu würdigen
hat. Er ist diesbezüglich grundsätzlich frei und nicht an die
Schlussfolgerungen des Gutachtens gebunden (vgl. BGE 129 I 49 E. 4 S. 57 zu
Glaubhaftigkeitsgutachten; BGE 113 IV 1 E. 3 S. 4 zu Gutachten über die
Schuldfähigkeit). Insbesondere hat er auch die Ursache einer verminderten
Schuldfähigkeit zu gewichten.
BGE 136 IV 55 S. 62
Der einer psychiatrischen Einschätzung zugrunde liegende Ermessensspielraum
kommt auch dem Richter zu, wenn er zu entscheiden hat, wie sich die
festgestellte Einschränkung der Schuldfähigkeit unter Würdigung aller Umstände
auf die (subjektive) Verschuldensbewertung auswirkt. Es ist naheliegend, dabei
das übliche Abstufungsmuster anzuwenden: Ein (objektiv) sehr schweres
Tatverschulden kann sich wegen einer leichten Verminderung der Schuldfähigkeit
auf ein schweres bis sehr schweres Verschulden reduzieren, bei einer
mittelgradigen Beeinträchtigung auf ein mittelschweres bis schweres und bei
einer schweren Einschränkung auf ein leichtes bis mittelschweres. Gestützt auf
diese grobe Einschätzung hat der Richter unter Berücksichtigung der weiteren
Strafzumessungsgründe innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden Strafrahmens
die Strafe auszufällen, wobei ihm wiederum ein erhebliches Ermessen zusteht.
Mit einem solchen Vorgehen wird der Verminderung der Schuldfähigkeit im ganzen
Ausmass Rechnung getragen, wie es von der Rechtsprechung gefordert wird, ohne
diesem Umstand eine zu weit gehende Bedeutung zukommen zu lassen. Eine rein
mathematische Reduktion einer (hypothetischen) Einsatzstrafe, wie nach
bisheriger Rechtsprechung als zulässig erachtet, ist systemwidrig. Sie schränkt
die Ermessensfreiheit des Richters in unzulässiger Weise ein und ist
abzulehnen. Sie führt im Übrigen auch dazu, dass der vom psychiatrischen
Experten eingestuften Verminderung der Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit
regelmässig ein zu grosses Gewicht beigemessen wird.

5.7 Liegt eine Verminderung der Schuldfähigkeit vor, hat der Richter im Sinne
einer nachvollziehbaren Strafzumessung somit, in Abänderung der bisherigen
Rechtsprechung (vgl. BGE 134 IV 132), wie folgt vorzugehen: In einem ersten
Schritt ist aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Gutachters zu
entscheiden, in welchem Umfange die Schuldfähigkeit des Täters in rechtlicher
Hinsicht eingeschränkt ist und wie sich dies insgesamt auf die Einschätzung des
Tatverschuldens auswirkt. Das Gesamtverschulden ist zu qualifizieren und mit
Blick auf Art. 50 StGB im Urteil ausdrücklich zu benennen, wobei von einer
Skala denkbarer Abstufungen nach Schweregrad auszugehen ist. Hierauf ist in
einem zweiten Schritt innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens die
(hypothetische) Strafe zu bestimmen, die diesem Verschulden entspricht. Die so
ermittelte Strafe kann dann gegebenenfalls in einem dritten Schritt aufgrund
wesentlicher Täterkomponenten (sowie wegen eines allfälligen blossen Versuchs
im Sinne von Art. 22 Abs. 1 StGB) verändert
BGE 136 IV 55 S. 63
werden (Urteil 6B_585/2008 vom 19. Juni 2009 E. 3.5 mit Hinweis auf BGE 134 IV
132 E. 6.1 S. 135).

5.8 Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des
ordentlichen Strafrahmens der (schwersten) anzuwendenden Strafbestimmung
festzusetzen (SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, a.a.O., S. 74). Dieser Rahmen ist
vom Gesetzgeber in aller Regel sehr weit gefasst worden, um sämtlichen
konkreten Umständen Rechnung zu tragen. Entgegen einer auch in der Praxis
verbreiteten Auffassung wird der ordentliche Strafrahmen durch Strafschärfungs-
oder Strafmilderungsgründe nicht automatisch erweitert, worauf dann innerhalb
dieses neuen Rahmens die Strafe nach den üblichen Zumessungskriterien
festzusetzen wäre (Urteil 6S.73/2006 vom 5. Februar 2007 E. 3.2). Zwar ist auch
in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darauf hingewiesen worden, das Gesetz
sehe eine Strafrahmenerweiterung vor (vgl. BGE 116 IV 300 E. 2a S. 302). Damit
sollte aber nur ausgedrückt werden, dass der Richter infolge eines
Strafschärfungs- bzw. Strafmilderungsgrundes nicht mehr in jedem Fall an die
Grenze des ordentlichen Strafrahmens gebunden ist. Der ordentliche Rahmen ist
nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die
betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde
erscheint (SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, a.a.O.). Die Frage einer
Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn
verschuldens- bzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen
objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe
innerhalb des ordentlichen Rahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Dabei hat
der Richter zu entscheiden, in welchem Umfang er den unteren Rahmen wegen der
besonderen Umstände erweitern will.
Der vom Gesetzgeber vorgegebene ordentliche Rahmen ermöglicht in aller Regel,
für eine einzelne Tat die angemessene Strafe festzulegen. Er versetzt den
Richter namentlich in die Lage, die denkbaren Abstufungen des Verschuldens zu
berücksichtigen. Die verminderte Schuldfähigkeit allein führt deshalb
grundsätzlich nicht dazu, den ordentlichen Strafrahmen zu unterschreiten. Dazu
bedarf es weiterer ins Gewicht fallender Umstände, die das Verschulden als
besonders leicht erscheinen lassen. Nur eine solche Betrachtungsweise vermag
der gesetzgeberischen Wertung des Unrechtsgehaltes einer Straftat und damit
letztlich der Ausgleichsfunktion (auch) des Strafrechts Rechnung zu tragen.
BGE 136 IV 55 S. 64

5.9 Im vorliegenden Fall stuft die Vorinstanz das objektive Verschulden der
Beschwerdegegnerin als sehr schwer ein, weshalb sie eine Einsatzstrafe von 16
Jahren annimmt. Dies ist angesichts des ordentlichen Strafrahmens von fünf bis
zwanzig Jahren nicht zu beanstanden. Geht man von den Feststellungen des
psychiatrischen Experten aus und billigt man der Beschwerdegegnerin eine
Verminderung der Schuldfähigkeit in mittlerem Masse zu, so trifft sie subjektiv
ein zumindest mittelschweres Verschulden. Zu Recht weist die Vorinstanz darauf
hin, der Beschwerdegegnerin sei ein egoistisches Motiv anzulasten, weil sie es
vorzog, die Beziehung zum Mitangeklagten aufrechtzuerhalten, anstatt ihre
wehrlose Tochter zu beschützen. Dass sie dabei die schweren Folgen für das Kind
nur in Kauf nahm und nicht direkt wollte, vermag sie nicht wesentlich zu
entlasten. Der Säugling war ihr völlig ausgeliefert. Betroffen war ihr eigenes
Kind, was eine besondere Verantwortung begründete. Im vorinstanzlichen Urteil
wird zutreffend festgehalten, die Beschwerdeführerin habe in schwerer Weise
gegen ihre Fürsorge- und Betreuungspflichten als Mutter verstossen. Die
Vorinstanz selbst erachtet das Verschulden insgesamt als erheblich. Wenn sie -
auch unter Berücksichtigung der günstigen Täterkomponenten (tadelloses
Verhalten im Strafverfahren, Teilgeständnis, zu langes Verfahren u.a.) - eine
Strafe von lediglich 6 Jahren festsetzt, ist dies nicht mehr vertretbar. Eine
solche Sanktion am untersten Rand des ordentlichen Strafrahmens weist auf ein
leichtes Verschulden hin, wovon wie dargetan nicht auszugehen ist. Die
Vorinstanz verletzt deshalb Bundesrecht, weshalb die Beschwerde gutzuheissen
ist. Das Urteil der Vorinstanz ist aufzuheben und die Sache zu neuer
Festsetzung der Strafe zurückzuweisen.