Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 5



Urteilskopf

136 II 5

2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und
Y. gegen Sicherheitsdirektion und Regierungsrat des Kantons Zürich (Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_196/2009 vom 29. September 2009

Regeste

Art. 7 lit. d FZA sowie Art. 3 und 5 Anhang I FZA; Nachzug von
Familienmitgliedern mit Drittstaatsangehörigkeit; Anpassung der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung an die geänderte Rechtsprechung des
Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften; Voraussetzungen, unter denen
eine Bewilligung verweigert werden kann.
Prozessuales (E. 1).
Tatsächliches (E. 2).
Regelung des Familiennachzuges nach dem Freizügigkeitsabkommen (E. 3.1-3.3).
Berücksichtigung der nachträglichen Entwicklung der Rechtsprechung des
Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften: Zur Gewährleistung einer
parallelen Rechtslage zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft und zwischen derselben und der Schweiz kann nicht an der
Voraussetzung festgehalten werden, dass sich das Familienmitglied mit
Drittstaatsangehörigkeit, das ein Angehöriger eines EU-Staates in die Schweiz
nachziehen will, vorgängig bereits rechtmässig in der Schweiz oder einem
anderen Vertragsstaat aufgehalten hat (Änderung der Rechtsprechung gemäss BGE
130 II 1 und BGE 134 II 10 in Anpassung an das Urteil des EuGH i.S. Metock; E.
3.4-3.7).
Voraussetzungen des Freizügigkeitsabkommens für die Verweigerung einer
Bewilligung, auf die Anspruch besteht, insbesondere Erfordernis einer
gegenwärtigen und hinreichend schweren Gefährdung der öffentlichen Ordnung
(Fortführung von BGE 129 II 215 und BGE 130 II 176; E. 4).
Rechtsfolgen (E. 5.1).

Sachverhalt ab Seite 7

BGE 136 II 5 S. 7

A.

A.a Der aus Palästina (Westbank) stammende X., geb. 1969, reiste am 25. Juni
1996 in die Schweiz ein, wo er um Asyl ersuchte. Das Gesuch wurde am 11.
November 1998 abgewiesen. Am 8. September 1998 wurde X. wegen
Betäubungsmitteldelikten mit 18 Monaten Gefängnis bei bedingtem Vollzug und mit
einer Landesverweisung für die Dauer von sieben Jahren bestraft. Die in der
Folge angeordnete Ausschaffungshaft führte nicht zum Ziel, da die Ausschaffung
mangels Reisepapieren nicht vollzogen werden konnte. Der danach ergangenen
Aufforderung, die Schweiz selbständig zu verlassen, kam X. nicht nach. Am 25.
Mai 2000 verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Zürich erneut wegen
Betäubungsmitteldelikten sowie wegen falschen Zeugnisses zu zehn Monaten
Gefängnis unbedingt. Gleichzeitig ordnete es den Vollzug der bedingt
ausgefällten Gefängnisstrafe vom 8. September 1998 an. Vom 19. September 1999
bis zum 12. November 2001 befand sich X. zuerst in Untersuchungshaft und später
im Strafvollzug.

A.b Am 13. September 2002 ersuchte der Kanton Zürich das zuständige Bundesamt
für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration), X. vorläufig aufzunehmen. Das
Gesuch wurde am 15. Juli 2003 abgewiesen. Eine dagegen beim Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement eingereichte Beschwerde ist noch immer (seit dem
1. Januar 2007 beim Bundesverwaltungsgericht) hängig.

A.c Im Mai 2007 liess sich X. von seiner ersten in Palästina lebenden Ehefrau
scheiden, und am 29. Juni 2007 heiratete er die in der Schweiz niedergelassene
spanische Staatsangehörige Y., geb. 1978. Diese Ehe blieb bisher kinderlos. X.
ist hingegen Vater von zwei in Palästina bei der Mutter lebenden Söhnen, die in
den Jahren 1991 und 1993 geboren wurden.

A.d Vom 1. Dezember 1997 bis zum 31. Juli 1998 arbeitete X. als Küchenhilfe in
einem Restaurant in Zürich. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug war er vom
7. Januar 2002 bis zum 11. Februar 2002 als Office-Mitarbeiter in einem
Restaurantbetrieb und vom 11. Februar bis zum 12. März 2002, als ihm ein
Arbeitsverbot
BGE 136 II 5 S. 8
auferlegt wurde, als Pizzaiolo in einem anderen Restaurant erwerbstätig. Danach
war er im Rahmen des Programms "Gemeinnützige Einsatzpläne der Stadt Zürich" am
Empfang der Asylorganisation der Stadt Zürich aktiv. Seit Anfang 2008 arbeitet
er als Sicherheitsbeamter und Detektiv bei einer privaten Unternehmung im
Sicherheitsbereich.

A.e Mit Strafbefehl vom 10. März 2008 wurde X. wegen Mitführens von Waffen und
Munition ohne Waffentragbewilligung mit einer bedingten Geldstrafe von zwei
Tagessätzen zu Fr. 70.- und mit einer Busse von Fr. 300.- bestraft.

B. Mit Verfügung vom 7. September 2007 wies das Migrationsamt des Kantons
Zürich ein Gesuch von X. um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zum
Verbleib bei seiner Ehefrau ab und setzte ihm eine Frist zum Verlassen des
schweizerischen Staatsgebietes. (...)

C. Am 13. August 2008 wies der Regierungsrat des Kantons Zürich einen dagegen
erhobenen Rekurs ab. Mit Urteil vom 21. Januar 2009 wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Zürich, 2. Kammer, eine dagegen eingereichte Beschwerde ab. (...)

D. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht vom 23. März 2009 stellen X. und Y. in der Sache die folgenden
Rechtsbegehren:
"1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben;
2. Der Kanton Zürich sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer die Jahresbewilligung
zu erteilen;
3. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen;
4. Subeventuell sei die Wegweisungsverfügung des Migrationsamts des Kantons
Zürich vom 7.9.2007 aufzuheben;
(...)"
Zur Begründung wird im Wesentlichen eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts
geltend gemacht. Die Staatskanzlei (für den Regierungsrat) des Kantons Zürich
schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht beantragt
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für
Migration stellt ebenfalls Antrag auf Abweisung und führt dazu aus, das
Freizügigkeitsrecht vermittle X. und Y. keinen Anspruch auf
Anwesenheitsbewilligung. (...)
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

BGE 136 II 5 S. 9
Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Nach Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig gegen Entscheide auf dem
Gebiet des Ausländerrechts über Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht
noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt.

1.2 Am 1. Januar 2008 ist das Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die
Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) in Kraft getreten. Nach Art. 126
AuG bleibt das alte Recht (Bundesgesetz vom 26. Mai 1931 über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer [ANAG] und Ausführungserlasse) anwendbar auf
Gesuche, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes eingereicht worden sind.
Das Verfahren richtet sich jedoch nach dem neuen Recht. Im vorliegenden
Verfahren ist in materiell-rechtlicher Hinsicht auf das alte Recht abzustellen,
da das Bewilligungsgesuch noch vor dem 1. Januar 2008 eingereicht wurde (BGE
135 I 142 E. 1.2 S. 145).

1.3 Die Beschwerdeführerin verfügt über die Niederlassungsbewilligung, weshalb
ihr Ehemann nach Art. 17 Abs. 2 ANAG (AS 1991 1043) einen Anspruch auf
Erteilung der Aufenthaltsbewilligung hat, solange die Ehegatten zusammenwohnen.
Überdies können sich die Beschwerdeführer auf Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV
berufen, soweit ihre Ehe intakt ist und tatsächlich gelebt wird, was an sich
von keiner Seite bestritten wird. In erster Linie machen sie aber geltend, sie
hätten einen Anspruch auf Familienvereinigung gestützt auf das
Freizügigkeitsrecht (Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [FZA; SR 0.142.112.681]).
Da bereits gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG und Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV ein
Anspruch auf Bewilligung besteht, ist auf die Beschwerde ohnehin einzutreten,
weshalb hier die Anwendbarkeit des Freizügigkeitsrechts einzig unter
materiellen Gesichtspunkten geprüft zu werden braucht.

1.4 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht
- inklusive Bundesverfassungsrecht -, Völkerrecht sowie kantonale
verfassungsmässige Rechte (Art. 95 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil
den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1
BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom
BGE 136 II 5 S. 10
Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1 Die Beschwerdeführer machen in verschiedener Hinsicht geltend, das
Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig oder unter
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt.

2.2 Im angefochtenen Entscheid hält die Vorinstanz fest, die bald
dreizehnjährige Anwesenheitsdauer des Beschwerdeführers ergebe sich allein
daraus, dass dieser seine Mitwirkungspflicht verletzt und sich seiner
Ausschaffung widersetzt habe. Diese Feststellung widerspricht offenkundig den
Akten. Daraus geht nämlich hervor, dass die Ausschaffung palästinensischer
Bürger ein komplexes Zusammenwirken der schweizerischen, palästinensischen und
israelischen Behörden erfordert, das im vorliegenden Fall (wenigstens bisher)
anscheinend nicht erfolgreich war. Das kantonale Migrationsamt hat denn auch
dem zuständigen Bundesamt am 13. September 2002 die vorläufige Aufnahme des
Beschwerdeführers beantragt, weil es trotz aller Bemühungen keine konkreten
Hinweise dafür gebe, dass die Ausschaffung in absehbarer Zeit möglich werde. In
seinem Entscheid vom 15. Juli 2003 hielt zwar das Bundesamt für Flüchtlinge
unter anderem fest, der Beschwerdeführer könne sich über seine Familie einen
Reisepass der Autonomiebehörde ausstellen lassen, weshalb er seine
Mitwirkungspflicht verletzt habe, soweit er dies unterlassen habe. Dieser
Entscheid ist aber nicht rechtskräftig; vielmehr ist nunmehr seit rund sechs
Jahren eine dagegen erhobene Beschwerde hängig. Es kann daher nicht ohne
weiteres davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer trage allein die
Verantwortung für das bisherige Scheitern der Ausschaffung.

2.3 Die Beschwerdeführer rügen, die kantonalen Instanzen hätten die im
Rekursverfahren vor dem Regierungsrat eingereichten zahlreichen
Referenzschreiben weder erwähnt noch gewürdigt. Diese liessen jedoch
Rückschlüsse auf den Leumund zu und seien deshalb entscheidrelevant. Der
erhobene Vorwurf trifft indessen nicht zu. Das Verwaltungsgericht bezog sich
zwar in der inhaltlichen Begründung seines Entscheids nicht ausdrücklich auf
die angerufenen Referenzschreiben. Es äusserte sich dazu aber bei der
Behandlung der bereits bei ihm erhobenen Rüge, der Regierungsrat habe den
BGE 136 II 5 S. 11
Anspruch auf rechtliches Gehör der Beschwerdeführer verletzt. Es nahm damit die
fraglichen Referenzschreiben zumindest zur Kenntnis. Obwohl es diese nicht
ausdrücklich würdigte, ist nicht ersichtlich, dass es sie nicht berücksichtigt
hätte. Jedenfalls leiden die tatsächlichen Feststellungen des
Verwaltungsgerichts insofern nicht an einem erheblichen Mangel gemäss Art. 97
Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 2 BGG. Im Übrigen steht nichts entgegen, dass das
Bundesgericht die Referenzschreiben bzw. den Leumund des Beschwerdeführers
integral in Rechnung stellt.

2.4 Nach Art. 105 Abs. 2 BGG kann das Bundesgericht die auf einem massgeblichen
Mangel beruhenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz berichtigen.
Dieses Vorgehen rechtfertigt sich im vorliegenden Fall, soweit sich die
Sachverhaltsfeststellungen als ungenügend erweisen, weil alle Grundlagen für
eine korrekte Sachverhaltserhebung in den Akten liegen. Eine Rückweisung an die
Vorinstanz zu ergänzenden Abklärungen erweist sich daher als überflüssig.

3.

3.1 Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gingen ohne
weitere Begründung davon aus, die Beschwerdeführer könnten sich auf das
Freizügigkeitsrecht berufen bzw. hätten gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen
einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an den Ehemann.
Demgegenüber hält das Bundesamt für Migration in seiner Stellungnahme an das
Bundesgericht fest, dies treffe deshalb nicht zu, weil der Beschwerdeführer
sich bisher nicht rechtmässig in einem Vertragsstaat aufgehalten habe.

3.2 Nach Art. 7 lit. d FZA regelt das Freizügigkeitsabkommen unter anderem das
Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen der Staatsangehörigen der
Vertragsstaaten, und zwar ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Gemäss Art. 3
Abs. 1 Anhang I FZA haben die Familienangehörigen einer Person, die
Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein
Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Als
Familienangehöriger gilt unter anderem, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit,
der Ehegatte (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. a Anhang I FZA). Das
Freizügigkeitsabkommen ist auch anwendbar auf EU-Bürger, die sich bereits bei
dessen Inkrafttreten in der Schweiz aufhielten, wie das für die in der Schweiz
niedergelassene, erwerbstätige Beschwerdeführerin zutrifft, die über
BGE 136 II 5 S. 12
die spanische Staatsangehörigkeit verfügt (vgl. BGE 130 II 1 E. 3.4 S. 7).

3.3 Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts muss sich ein
Drittstaatsangehöriger, der nachgezogen werden will, allerdings bereits
rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden Aufenthaltstitel in der Schweiz
oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten haben (BGE 130 II 1 E. 3.6 S. 9
ff.). Diese Rechtsprechung geht auf das Urteil Akrich des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 23. September 2003 zurück (C-109/01,
Slg. 2003 I-9607), in dem vor allem über die Anwendung der Regelung der
Familienvereinigung gemäss der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15.
Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft
(ABl. L 257 vom 19. Oktober 1968 S. 2 ff.) zu entscheiden war. Mit dem Urteil
vom 9. Januar 2007 Jia Yunying (C-1/05, Slg. 2007 I-1) relativierte der
Gerichtshof seine Rechtsprechung in dem Sinne, dass die Mitgliedstaaten nicht
verpflichtet seien, die mit dem Urteil Akrich geschaffene zusätzliche
Voraussetzung anzuwenden, Bewilligungen an Familienangehörige mit
Drittstaatsangehörigkeit also auch erteilen könnten, wenn sich diese vorher
nicht bereits rechtmässig in einem Vertragsstaat aufgehalten hätten. Das
Bundesgericht sah darin gemäss einem Urteil vom 30. November 2007 keine
Veranlassung, seine Rechtsprechung zu ändern, insbesondere weil der EuGH die im
Urteil Akrich anerkannte zusätzliche Voraussetzung der Bewilligungserteilung
zwar nicht als verbindlich, aber auch nicht als unzulässig beurteilt hatte
(vgl. BGE 134 II 10 E. 3 S. 14 ff.). Seither hat sich der EuGH jedoch
ausdrücklich vollständig von seiner in der Sache Akrich verfolgten
Rechtsauffassung abgewendet. Danach hängt das Recht auf Familiennachzug nicht
mehr von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat ab
bzw. verletzt eine solche Voraussetzung die gemeinschaftsrechtliche Regelung
der Familienvereinigung (Urteil vom 25. Juli 2008 C-127/08 Metock u.a.).

3.4 Gemäss Art. 16 Abs. 2 FZA ist für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens
die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung
(21. Juni 1999) massgebend. Das Bundesgericht kann aber, ohne dazu verpflichtet
zu sein, zum Zwecke der Auslegung des Freizügigkeitsabkommens auch seither
ergangene Urteile des Gerichtshofs heranziehen (BGE 130 II 1 E. 3.6.1 S. 10 f.,
BGE 130 II 113 E. 5.2 S. 119 f.). Hierbei ist beachtlich, dass das
BGE 136 II 5 S. 13
Abkommen die Freizügigkeit auf der Grundlage der in der Europäischen
Gemeinschaft geltenden Bestimmungen verwirklichen will (Präambel) und die
Vertragsparteien zur Erreichung der Ziele des Abkommens alle erforderlichen
Massnahmen treffen wollen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und
Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug
genommen wird, Anwendung finden (Art. 16 Abs. 1 FZA). Das bedeutet, dass für
die vom Abkommen erfassten Bereiche eine parallele Rechtslage verwirklicht
werden soll (ACHERMANN/CARONI, § 6 Einfluss der völkerrechtlichen Praxis auf
das schweizerische Migrationsrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar
/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 6.47; ASTRID EPINEY, Das Verbot der
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, SJZ 105/2009 S. 26 f.;
EPINEY/MOSTERS, Un exemple d'interprétation des accords conclus entre la Suisse
et l'Union européenne: l'accord sur la libre circulation des personnes, in:
Auslegung und Anwendung von Integrationsverträgen, Epiney/Rivière [Hrsg.],
2006, S. 62 ff.; LAURENT MERZ, Le droit de séjour selon l'ALCP et la
jurisprudence du Tribunal fédéral, RDAF 65/2009 I S. 259). Um das Abkommensziel
einer parallelen Rechtslage nicht zu gefährden, wird das Bundesgericht in
angemessener Weise nach dem Stichtag (21. Juni 1999) ergangene
Rechtsprechungsänderungen des EuGH in seine Beurteilung einbeziehen und ihnen
Rechnung tragen. Das gilt allerdings nur, soweit das Abkommen auf
gemeinschaftsrechtliche Grundsätze zurückgreift. Da der EuGH nicht berufen ist,
für die Schweiz über die Auslegung des Abkommens verbindlich zu bestimmen, ist
es dem Bundesgericht überdies nicht verwehrt, aus triftigen Gründen zu einer
anderen Rechtsauffassung als dieser zu gelangen. Es wird dies aber mit Blick
auf die angestrebte parallele Rechtslage nicht leichthin tun.

3.5 Der EuGH hielt im Entscheid Akrich fest, die Regelung der Verordnung Nr.
1612/68 beziehe sich nur auf die Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft und
besage nichts im Hinblick auf den Zugang zum Gemeinschaftsgebiet; der mit einem
Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige müsse sich bereits rechtmässig
in einem Mitgliedstaat aufhalten, wenn er das Recht geltend machen wolle, bei
seinem Ehegatten, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt, Wohnung zu
nehmen (Urteil Akrich, a.a.O., Randnrn. 49 ff.). Aus der
Sachverhaltsdarstellung und den Erwägungen geht hervor, dass
Missbrauchsgesichtspunkte mit eine Rolle spielten (Urteil Akrich, a.a.O.,
Randnrn. 36 und 55 ff.). Das Bundesgericht übernahm diese
BGE 136 II 5 S. 14
Rechtsprechung (BGE 130 II 1), ohne allerdings gewisse Zweifel zu verhehlen. So
wies es auf den Wortlaut sowohl des Freizügigkeitsabkommens als auch der
Verordnung Nr. 1612/68 hin, welche eine solche Beschränkung der
Familiennachzugsregelung nicht erkennen lasse (BGE 130 II 1 E. 3.6.3 S. 11 f.).
Es nannte ferner einen Entscheid des EuGH (BGE 130 II 1 E. 3.6.2 S. 11), in
welchem dieser noch auf anderer Grundlage argumentiert hatte und davon
ausgegangen war, dass sich das Recht auf Einreise und Aufenthalt von
Familienangehörigen aus Drittstaaten allein aus der familiären Beziehung ergebe
(Urteil vom 25. Juli 2002 C-459/99 MRAX, Slg. 2002 I-6591 Randnrn. 59 und 80).
Für das Bundesgericht blieb jedoch bedeutsam, dass Art. 3 Anhang I FZA Inhalt
und Tragweite von Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 übernimmt, "um die
Freizügigkeit wie in der Europäischen Gemeinschaft zu realisieren" (BGE 130 II
1 E. 3.6.4 S. 12 ff.), was es nicht angezeigt erscheinen liess, das
Freizügigkeitsabkommen grosszügiger zu interpretieren, als es der vom EuGH
festgestellten Rechtslage innerhalb der Gemeinschaft entsprach.

3.6 Das Urteil Metock stützt sich im Unterschied zum Entscheid Akrich
überwiegend auf die neue Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer
Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen
und aufzuhalten (ABl. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, bzw. in berichtigter
Fassung ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 ff.), welche die Verordnung Nr. 1612
/68 abänderte und verschiedene Richtlinien aufhob bzw. ersetzte, worunter die
in Art. 5 Abs. 2 des Anhangs I zum FZA genannten Richtlinien 64/221/EWG vom 25.
Februar 1964 (ABl. L 56 vom 4. April 1964 S. 850), 72/194/EWG vom 18. Mai 1972
(ABl. L 121 vom 26. Mai 1972 S. 32) und 75/35/EWG vom 17. Dezember 1974 (ABl. L
14 vom 20. Januar 1975, S. 14). Es fragt sich, ob damit eine nachträgliche
Veränderung der Rechtslage eingetreten ist, die für die Schweiz nicht
massgebend ist, oder ob es sich um eine Neuentwicklung der Rechtsprechung
handelt, welche das Bundesgericht zur Gewährleistung der parallelen Rechtslage
berücksichtigen soll.

3.6.1 Für die Auslegung des Freizügigkeitsabkommens nicht massgeblich ist
grundsätzlich die nationale Umsetzung des Freizügigkeitsrechts. Insbesondere
vermag es nicht den staatsvertraglichen Anspruch auf Familienvereinigung zu
beeinträchtigen, dass der
BGE 136 II 5 S. 15
schweizerische Gesetzgeber neu in Art. 42 Abs. 2 AuG eine Anpassung der
Nachzugsregelung für Schweizerinnen und Schweizer an diejenige des
Freizügigkeitsrechts vorgenommen hat, dabei aber in Anlehnung an das Urteil
Akrich als zusätzliche Voraussetzung den Besitz einer dauerhaften
Aufenthaltsbewilligung in einem Staat verlangt, mit dem ein
Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde. Diese Bestimmung bezweckt die
Vermeidung der Inländerdiskriminierung. Zwar trifft es zu, dass mit einer
Aufgabe der Akrich-Praxis für die Nachzugsrechte der Angehörigen der
Europäischen Union erneut eine Benachteiligung von Schweizerinnen und
Schweizern droht (vgl. MERZ, a.a.O., S. 263 ff.; MARC SPESCHA,
Inländerdiskriminierung im Ausländerrecht?, AJP 2008 S. 1435 ff.; PETER
UEBERSAX, § 7 Einreise und Anwesenheit, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi
Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 7.144). Ob sich diese auf dem Weg der
Rechtsprechung oder lediglich durch eine Gesetzesanpassung vermeiden lässt,
braucht hier aber nicht entschieden zu werden. So oder anders bleibt die
gesamte Ordnung der Familienvereinigung in sich wenig konsistent. Nach Art. 42
Abs. 1 AuG hängt der Nachzug des Ehegatten und der ledigen Kinder unter 18
Jahren von Schweizerinnen und Schweizern nicht von einem vorherigen
rechtmässigen Aufenthalt in einem bestimmten Staat ab; dafür ist - im Vergleich
mit Art. 3 Anhang I FZA und Art. 42 Abs. 2 AuG - nur ein beschränkter Kreis der
Familienangehörigen nachzugsberechtigt, ist erforderlich, dass die Familie
zusammenwohnt, und gelten die Nachzugsfristen von Art. 47 AuG sowie andere
Voraussetzungen für eine Beschränkung der Familienvereinigung. Analoges gilt
für den Familiennachzug von Niedergelassenen nach Art. 43 AuG bzw. altrechtlich
Art. 17 Abs. 2 ANAG, was im vorliegenden Fall wesentlich ist, weil die
Beschwerdeführer gestützt auf das nationale Recht über eine schwächere
Rechtsstellung verfügen als gemäss dem Freizügigkeitsabkommen. Insgesamt lässt
sich der schweizerischen Gesetzesordnung daher keine deutliche Leitlinie für
das Verständnis der Regeln über den Familiennachzug entnehmen. Insofern kann an
den Erwägungen in BGE 134 II 10 (insbes. E. 3) nicht festgehalten werden, die
sich freilich einzig auf die Urteile Akrich und Yunying Jia, noch nicht aber
auf das Urteil Metock bezogen. Entscheidend bleibt ohnehin, dass das
Freizügigkeitsrecht auf eigener Grundlage auszulegen ist und nicht von dessen
nationaler Umsetzung abhängen kann.

3.6.2 Das Urteil Metock erging nach der Unterzeichnung des
Freizügigkeitsabkommens und ist für die Schweiz grundsätzlich nicht
BGE 136 II 5 S. 16
verbindlich (vgl. E. 3.4 hiervor). Das traf indessen bereits auf das Urteil
Akrich zu. Das Bundesgericht schloss sich trotz einer gewissen Skepsis vor
allem aus Gründen der Rechtsharmonisierung an die Akrich-Rechtsprechung an,
obwohl es dazu nicht verpflichtet war. Analoge Überlegungen sprechen für eine
Übernahme der angepassten Rechtsprechung. Es sind keine triftigen Gründe
erkennbar, weshalb es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und in deren
Verhältnis mit der Schweiz zwei unterschiedliche Freizügigkeitsregelungen geben
sollte. Das Interesse an einer parallelen Rechtslage und mithin an einem
möglichst einheitlichen Freizügigkeitsraum geht vielmehr vor. In ähnlichem
Sinne hielt der Gerichtshof im Urteil Metock fest, die Verwirklichung eines
Binnenmarkts und die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr
erforderten, dass die Voraussetzungen gleich seien, unter denen Unionsbürger in
andere Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, einreisen
und sich dort aufhalten dürften (Urteil Metock, a.a.O., Randnr. 68). Dieses
Argument lässt sich analog auf das Verhältnis zwischen der Europäischen
Gemeinschaft und der Schweiz übertragen. Hinzu kommt, dass die
Missbrauchsaspekte, die bei der Beurteilung des Falles Akrich eine Rolle
spielten, nicht verallgemeinert werden und insbesondere die Rechtsstellung
derjenigen Personen nicht schmälern dürfen, die ihre Rechte nicht
missbräuchlich geltend machen.

3.6.3 Gewiss hatte der EuGH bei der Beurteilung der Rechtssache Metock das in
der Europäischen Union aktuell geltende Recht anzuwenden. Im hier fraglichen
Zusammenhang führte die Neufassung der einschlägigen Bestimmungen jedoch zu
keinen wesentlichen Änderungen. Wohl regelt die neue Richtlinie 2004/38/EG
ausdrücklich die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger, während sich die
frühere Verordnung Nr. 1612/68 auf diejenigen der Staatsangehörigen der
Mitgliedstaaten bezog. Inhaltlich brachte dies aber für die hier zu
entscheidende Frage der Familienvereinigung keine massgeblichen Neuerungen mit
sich. Die Richtlinie 2004/38/EG fasste im Wesentlichen die bestehenden
Gemeinschaftsinstrumente zur Freizügigkeit zusammen, kodifizierte die
Rechtsprechung des Gerichtshofs und modifizierte die bisherige Rechtslage nur
punktuell. Die Freizügigkeit und das Niederlassungsrecht der Arbeitnehmer
bildeten bereits einen wesentlichen Inhalt des ursprünglichen Vertrags vom 25.
März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. Art. 48
ff. des EWG-Vertrags in der
BGE 136 II 5 S. 17
ursprünglichen Fassung; BGBl. II Nr. 23 vom 19. August 1957 S. 766 ff.). Sie
wurde im Verlauf der Jahre durch verschiedene Erlasse, worunter durch die
genannten, von der Richtlinie 2004/38/EWG inzwischen abgelösten Rechtsakte, der
jeweils zuständigen Organe konkretisiert, die alle - teilweise lange Zeit - vor
Abschluss des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz in Kraft traten. Schon
früh wurde erkannt, dass für die Freizügigkeit des Staatsangehörigen eines
Mitgliedstaates auch diejenige seiner Familienangehörigen bedeutsam ist (vgl.
etwa das Urteil vom 7. Juli 1992 des EuGH C-370/90 Singh Slg. 1992 I-19). Die
Unionsbürgerschaft wiederum wurde mit dem Vertrag von Maastricht zur Gründung
der Europäischen Union vom 7. Februar 1992 (ABl. C 191 vom 29. Juli 1992 S. 1
ff.) eingeführt. Nach Art. 17 des EG-Vertrags in der konsolidierten Fassung
gemäss dem Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABl. C 340 vom 10.
November 1997 S. 173) ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines
Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft vermittelt insbesondere das
Wahl- und Petitionsrecht, den diplomatischen Schutz eines jeden Mitgliedstaates
sowie die Freizügigkeitsrechte, wie sie im EG-Vertrag und in den
Durchführungsvorschriften vorgesehen sind bzw. umgesetzt werden (Art. 18-21 des
EG-Vertrags in der konsolidierten Fassung). Das Niederlassungsrecht wird in den
Art. 43 ff. des EG-Vertrages (in der konsolidierten Fassung) lediglich in den
Grundzügen geregelt; die Details finden sich in den ausführlichen
Durchführungsvorschriften. Immerhin fällt auf, dass Art. 43 des EG-Vertrags (in
der konsolidierten Fassung) das Recht auf freie Niederlassung nicht den
Unionsbürgern, sondern gemäss der ursprünglichen Formulierung den
Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates zuerkennt. Das belegt, dass der
begrifflichen Unterscheidung der Unionsbürgerschaft von den Staatsangehörigen
der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der Freizügigkeitsrechte keine
wesentliche Rolle zukommt. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Rechtslage
bereits vor dem 21. Juni 1999 galt.

3.6.4 Die erwähnten Zusammenhänge gehen auch aus der Rechtsprechung des EuGH
hervor. Der Entscheid Metock stützt sich zwar auf die Richtlinie 2004/38/EG.
Was die Rechte auf Familiennachzug betrifft, ergibt sich aus der
Begriffsbestimmung der anspruchsberechtigten Familienangehörigen von Art. 2 in
Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG aber auch nach
Auffassung des EuGH keine relevante Änderung im Vergleich mit Art. 10 der
BGE 136 II 5 S. 18
Verordnung Nr. 1612/68, auf der die für das Verhältnis zwischen der Schweiz und
den Mitgliedstaaten massgebliche Regelung von Art. 3 FZA beruht. Der
Gerichtshof legte im Entscheid Metock ausdrücklich dar, dass er seine
Ausführungen in der Sache Akrich auch unter dem Gesichtspunkt der damals
massgebenden Regelung von Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht
aufrechtzuerhalten vermöchte (Urteil Metock, a.a.O., Randnr. 58). Er verwies
dabei auf die altrechtlichen Regelungen (Urteil Metock, a.a.O., Randnrn. 56 f.)
und seine frühere Rechtsprechung (insbes. das erwähnte Urteil MRAX, a.a.O.,
Randnr. 59, sowie das Urteil vom 14. April 2005 C-157/03 Kommission gegen
Spanien, Slg. 2005 I-2911 Randnr. 28), wonach sich das Recht auf Einreise
allein aus dem Verwandtschaftsverhältnis ergebe, weshalb die Rechte aus Art. 10
der Verordnung Nr. 1612/68 des mit einem Unionsbürger verheirateten
Drittstaatsangehörigen nicht davon abhängen könnten, ob er sich zuvor
rechtmässig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten habe (Urteil Metock,
a.a.O., Randnr. 58). Daraus folgerte der EuGH, erst recht müsse die Richtlinie
2004/38/EG in gleichem Sinne ausgelegt werden, da nicht in Betracht komme, dass
die Unionsbürger aus dieser Richtlinie weniger Rechte ableiten könnten als aus
den Sekundärrechtsakten, die sie ändere oder aufhebe (Urteil Metock, a.a.O.,
Randnr. 59). Aus dieser Argumentation lässt sich klarerweise schliessen, dass
für den EuGH der Gesichtspunkt der Unionsbürgerschaft bzw. deren Niederschlag
in der Richtlinie 2004/38/EG lediglich ergänzend von Bedeutung war, nicht
jedoch den Ausschlag gab, sondern dass der Gerichtshof auch auf der Grundlage
der vorgängigen Rechtserlasse gleichermassen entschieden hätte.

3.6.5 Schliesslich wird auch im Schrifttum, soweit ersichtlich, einhellig -
teils eindeutig, teils jedenfalls tendenziell - die Meinung vertreten, die
schweizerische Praxis sei an die neue Rechtsprechung des EuGH im Sinne von
dessen Urteil Metock anzupassen. Die entsprechenden Begründungen folgen dabei
im Wesentlichen dem hier wiedergegebenen Argumentationsmuster (dazu ASTRID
EPINEY, Von Akrich über Jia bis Metock: zur Anwendbarkeit der
gemeinschaftlichen Regeln über den Familiennachzug - Gleichzeitig eine
Anmerkung zu EuGH, Rs. C-127/08 [Metock], Urt. v. 25.7.2008, EuR6/2008, S. 840
ff.;MERZ, a.a.O., 285 ff.; SPESCHA, a.a.O., 1432 ff.; derselbe, Die
familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht [ANAG/AuG/FZA/EMRK] in den
Jahren 2007 und 2008 [bis Ende Juli] und zugleich ein Blick auf offene
Rechtsfragen, FamPra.ch 2008S. 843 ff.).
BGE 136 II 5 S. 19

3.7 Den Gründen für die Änderung der Rechtsprechung durch den EuGH lässt sich
die Überzeugungskraft nicht absprechen. Sie tragen den Bedenken Rechnung, die
das Bundesgericht bereits in BGE 130 II 1 unter Bezugnahme auf den Wortlaut und
auf das Urteil i.S. MRAX angesprochen hatte. Der EuGH hält auch zu Recht fest,
dass die gemeinschaftsrechtliche Regelung der Personenfreizügigkeit im
Binnenmarkt gleiche Rechte gewährleisten will, unter denen sich der
Freizügigkeitsberechtigte mit seiner Familie im Aufnahmemitgliedstaat
niederlassen darf, was nicht zuträfe, wenn es für das Recht, die
Familienangehörigen nachzuziehen, zusätzlich darauf ankäme, ob sich diese
bereits rechtmässig im Gemeinschaftsgebiet aufhalten. Damit ergibt sich, dass
bei der Anwendung des Freizügigkeitsabkommens zur Gewährleistung der parallelen
Rechtslage in Angleichung an das Urteil Metock an der Geltung der
Rechtsprechung gemäss dem Urteil Akrich nicht festgehalten werden kann. Der
Nachzug eines Familienmitglieds mit Drittstaatsangehörigkeit gemäss dem
Freizügigkeitsabkommen setzt demnach - in Abänderung der Rechtsprechung gemäss
BGE 130 II 1 und BGE 134 II 10 - nicht voraus, dass sich dieser
Familienangehörige bereits rechtmässig mit einem nicht nur vorübergehenden
Aufenthaltstitel in der Schweiz oder einem anderen Vertragsstaat aufgehalten
hat. Mit Blick auf die spanische Staatsangehörigkeit der Ehefrau können sich
die Beschwerdeführer daher auf das Freizügigkeitsabkommen und die darin -
insbesondere in Art. 3 Anhang I FZA - enthaltene Regelung des Familiennachzugs
berufen.

4.

4.1 Gemäss Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA dürfen die durch das
Freizügigkeitsabkommen eingeräumten Rechte "nur durch Massnahmen, die aus
Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt
sind, eingeschränkt werden". Art. 5 Abs. 2 Anhang I FZA verweist insoweit
insbesondere auf die gemeinschaftsrechtliche Richtlinie 64/221/EWG, die
wiederum auf den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit
in Art. 46 des EG-Vertrages (in der konsolidierten Fassung) zurückgeht. Diese
Richtlinie bleibt trotz des Erlasses der Richtlinie 2004/38/EG für das die
Schweiz betreffende Freizügigkeitsrecht massgeblich (vgl. EPINEY/MOSTERS, Die
Rechtsprechung des EuGH zur Personenfreizügigkeit und ihre Implikationen für
das Freizügigkeitsabkommen, in: Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2007/
2008, Epiney/Civitella [Hrsg.], 2008, S. 57; MERZ, a.a.O., S. 299). Eine
Anpassung des
BGE 136 II 5 S. 20
Freizügigkeitsabkommens an die Richtlinie 2004/38/EG (vgl. insbes. Art. 27 ff.
der Richtlinie) hat bisher nicht stattgefunden. Aber auch die Rechtsprechung
des EuGH hat gestützt auf den aktuelleren Rechtsakt bis jetzt keine wesentlich
neue Entwicklung im vorliegenden Zusammenhang erfahren, deren Übernahme auf das
Freizügigkeitsabkommen in Frage stehen könnte.

4.2 Nach der an die Praxis des EuGH angeglichenen Rechtsprechung des
Bundesgerichts setzen Entfernungs- oder Fernhaltemassnahmen eine hinreichend
schwere und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den
betreffenden Ausländer voraus. Eine strafrechtliche Verurteilung darf dabei nur
insofern zum Anlass für eine derartige Massnahme genommen werden, als die ihr
zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das
eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Art. 5 Anhang
I FZA steht somit Massnahmen entgegen, die (allein) aus generalpräventiven
Gründen verfügt werden (vgl. BGE 130 II 176 E. 3.4 S. 182 ff.; BGE 129 II 215
E. 7 S. 221 ff.; je mit Hinweisen). Während die Prognose über das künftige
Wohlverhalten im Rahmen der Interessenabwägung nach rein nationalem
Ausländerrecht zwar mitzuberücksichtigen, aber nicht ausschlaggebend ist, kommt
es bei Art. 5 Anhang I FZA wesentlich auf das Rückfallrisiko an (BGE 130 II 176
E. 4.2 S. 185 mit Hinweisen). Zu verlangen ist eine nach Art und Ausmass der
möglichen Rechtsgüterverletzung zu differenzierende hinreichende
Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit und
Ordnung stören wird. Je schwerer die möglichen Rechtsgüterverletzungen sind,
desto niedriger sind die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende
Rückfallgefahr (BGE 130 II 176 E. 4.3.1 S. 186; vgl. auch die Urteile des
Bundesgerichts 2C_624/2008 vom 15. Juni 2009 und 2C_15/2009 vom 17. Juni 2009;
MERZ, a.a.O., S. 299 ff.; ZÜND/ARQUINT HILL, § 8 Beendigung der Anwesenheit,
Entfernung und Fernhaltung, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser
[Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Rz. 8.38 ff.).

4.3 Der Beschwerdeführer wurde in den Jahren 1998 und 2000 zweimal insbesondere
wegen Betäubungsmitteldelikten zu total 28 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Diese Strafen verbüsste er weitgehend. Im November 2001 wurde er aus dem
Strafvollzug entlassen. Seither wurde er einzig im März 2008 wegen eines im
Jahre 2003 begangenen Vergehens gegen die Waffengesetzgebung verurteilt. Zwar
trifft es zu, dass es sich bei den länger zurückliegenden
BGE 136 II 5 S. 21
Betäubungsmitteldelikten um schwerwiegende Straftaten handelte, die ein
erhebliches Verschulden begründen und nicht leichtzunehmen sind. Seit seiner
Haftentlassung vor acht Jahren verhielt sich der Beschwerdeführer aber
weitgehend korrekt. Entgegen der Würdigung der Vorinstanz lässt sich aus dem
geringen Strafmass des Strafbefehls vom März 2008 durchaus ablesen, dass das
verfügende Bezirksstatthalteramt Waldenburg das Verschulden des
Beschwerdeführers beim Verstoss gegen das Waffengesetz als nicht allzu schwer
einstufte. Eine ausführliche Begründung dazu fehlt zwar; im Strafbefehl wird
aber ausdrücklich auf die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches
verwiesen, die eine Bestrafung nach dem Verschulden vorsehen. Auch wenn die
Begründung des Beschwerdeführers, weshalb er eine Schusswaffe und diverse
Munition mit sich führte, wenig überzeugend erscheint, ist ihm anzurechnen,
dass sich - abgesehen vom Mitführen ohne Bewilligung - keine Hinweise auf eine
unrechtmässige Verwendung finden liessen. Entscheidender ist jedoch ohnehin,
dass auch das Vergehen gegen die Waffengesetzgebung nunmehr bereits rund sechs
Jahre zurückliegt. Der Beschwerdeführer hat seither keine Gründe mehr gesetzt,
die erkennen liessen, er könnte wieder straffällig werden. Die Rückfallgefahr
ist daher nicht als erheblich einzuschätzen.

4.4 Der Beschwerdeführer verbrachte die ersten 27 Jahre seines Lebens in
Palästina und hat dort noch immer etliche Verwandte und zwei Söhne. Dass er
selbständig nach Palästina hätte zurückreisen können, ist nicht erstellt.
Vielmehr muss davon ausgegangen werden, er sei nicht allein dafür
verantwortlich, dass sich seine Ausschaffung nicht vollziehen liess (vgl. E.
2.2). Inzwischen hält sich der heute 40-jährige Beschwerdeführer seit rund 13
Jahren in der Schweiz auf. Sein Anwesenheitsstatus ist weiterhin prekär, wurde
ihm bisher doch weder Asyl gewährt noch eine ausländerrechtliche Bewilligung
erteilt. Das Verfahren über eine eventuelle vorläufige Aufnahme ist seit 2003
im Rechtsmittelstadium hängig. Seit zwei Jahren ist er mit seiner hier seit
ihrer Kindheit lebenden und damit mit den hiesigen Verhältnissen vertrauten
zweiten Frau verheiratet. Die Beziehung scheint ungetrübt zu sein. Jedenfalls
setzt sich die Ehefrau für den Beschwerdeführer ein und trat bis vor
Bundesgericht auch in den Rechtsmittelverfahren gegen die
Bewilligungsverweigerung als Beschwerdeführerin auf. Zwar konnte die
Beschwerdeführerin bei der Heirat nicht sicher sein, die Ehe in der Schweiz
leben zu können; es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass dies in einem
anderen
BGE 136 II 5 S. 22
Land - insbesondere in der Heimat des Beschwerdeführers und derjenigen der
Ehefrau - möglich wäre. Seit seiner Haftentlassung bemüht sich der
Beschwerdeführer um ein geordnetes Leben. Er lernte - anscheinend sehr gut -
Deutsch und arbeitete zunächst im Gastronomiebereich und später, als ihm ein
Arbeitsverbot auferlegt wurde, im Rahmen der Beschäftigungsprogramme der
Asyl-Organisation Zürich. Seit Anfang 2008 ist er als Sicherheitsbeamter und
Detektiv erwerbstätig. Seine Arbeitszeugnisse lauten sehr positiv. Wie die
vielen Referenzschreiben belegen, ist er auch ausserhalb der Arbeitswelt recht
gut integriert und jedenfalls darum bemüht, sich ein privates Beziehungsnetz
aufzubauen. Im Betreibungsregister ist er nicht verzeichnet, und öffentliche
Unterstützungsleistungen benötigt er nicht. All dies belegt eine
kontinuierliche Stabilisierung der Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers und
spricht ebenfalls gegen eine Rückfallgefahr. Angesichts dieser Umstände besteht
zurzeit keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer
künftig die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören wird.

4.5 Sind damit die Voraussetzungen für die Beschränkung der
Freizügigkeitsrechte der Beschwerdeführer gemäss Art. 5 Anhang I FZA nicht
erfüllt, verstösst der angefochtene Entscheid gegen das Freizügigkeitsabkommen,
insbesondere gegen Art. 7 lit. d FZA und Art. 3 Anhang I FZA.

5.

5.1 Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Der
angefochtene Entscheid muss aufgehoben werden, und das kantonale Migrationsamt
ist anzuweisen, dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA zu
erteilen. Die Eventualanträge werden damit gegenstandslos. Das
Verwaltungsgericht wird allerdings über die Kosten- und Entschädigungsfolgen
des vorinstanzlichen Verfahrens neu zu entscheiden haben.