Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 436



Urteilskopf

136 II 436

40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. WWF
Schweiz und Mitb. gegen X. AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
1C_214/2010 vom 27. August 2010

Regeste

Art. 86 Abs. 3 BGG; Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter.
Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Art. 86 Abs. 3 BGG und der
Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV kommt der Ausschluss der richterlichen
Beurteilung ausdrücklich nur für Ausnahmefälle in Betracht. Mit Art. 86 Abs. 3
BGG soll den Kantonen namentlich die Möglichkeit eingeräumt werden, nicht
justiziable, politisch bedeutsame Verwaltungsakte des Parlaments von der
verwaltungsgerichtlichen Überprüfung auszunehmen (E. 1.2).
Der angefochtene kantonale Entscheid über die Erteilung einer
Wasserrechtskonzession hat zwar eine politische Komponente, umfasst jedoch
nicht einzig den blossen Verleihungsakt, sondern regelt neben den Rechten
insbesondere auch die Pflichten der Konzessionärin detailliert. Diese Aspekte
sind justiziabel und weisen keinen vorwiegend politischen Charakter auf. Somit
ist in einem gerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob das Vorhaben der
einschlägigen Gesetzgebung, insbesondere den Vorgaben des Bau-, Planungs- und
Umweltrechts entspricht (E. 1.3).

Sachverhalt ab Seite 437

BGE 136 II 436 S. 437

A. Am 24. Februar 2010 erteilte der Landrat von Glarus der X. AG die Konzession
für die Ausnützung der Wasserkraft der Linth in Mitlödi zwischen der
Ennetlinthbrücke und der Linthkrumm. Die Gültigkeitsdauer der Konzession wurde
auf 80 Jahre festgesetzt, laufend ab dem Tag der Inbetriebsetzung des
Kraftwerks. Weiter wurde festgelegt, dass eine dauernde Restwassermenge von
2'000 Litern pro Sekunde abgegeben werden müsse.
Der Konzessionsentscheid wurde am 18. März 2010 im Amtsblatt des Kantons Glarus
publiziert mit dem Hinweis, dass gegen den Entscheid innert der bis zum 19.
April 2010 dauernden Auflagefrist beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden könne.
BGE 136 II 436 S. 438

B. WWF Schweiz, WWF Glarus, Pro Natura - Schweizerischer Bund für Naturschutz
und Pro Natura Glarus führen mit Eingabe vom 19. April 2010 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht sinngemäss mit den
Anträgen, die Konzession vom 24. Februar 2010 sei aufzuheben, und die
Angelegenheit sei zur Fortsetzung des Verfahrens an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Diese habe die Restwassermenge auf 5'000 Liter pro Sekunde
festzulegen und die Konzessionsdauer auf 30 Jahre zu beschränken. Des Weiteren
stellen die Beschwerdeführer diverse prozessuale Anträge. Sie beantragen
namentlich, es sei festzustellen, dass entgegen der Rechtsmittelbelehrung im
Amtsblatt vom 18. März 2010 nicht das Bundesgericht, sondern das
Verwaltungsgericht des Kantons Glarus für die Behandlung der Beschwerde
zuständig sei. (...)
Die Beschwerdeführer reichen gleichzeitig Beschwerde beim Verwaltungsgericht
des Kantons Glarus ein. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwieweit auf ein Rechtsmittel eingetreten werden kann (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE
133 II 249 E. 1.1 S. 251).

1.1 Angefochten ist ein kantonaler Endentscheid über die Erteilung einer
Wasserrechtskonzession. Es handelt sich dabei um eine öffentlich-rechtliche
Angelegenheit im Sinne von Art. 82 lit. a BGG, welche grundsätzlich der
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt.

1.2 Die Kantone setzen als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere
Gerichte ein, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz Entscheide anderer
richterlicher Behörden der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen (Art. 86
Abs. 2 BGG). Für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter können die
Kantone anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz
des Bundesgerichts einsetzen (Art. 86 Abs. 3 BGG).
In den Materialien wird nicht näher erläutert, was unter dem unbestimmten
Gesetzesbegriff "Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter" im Einzelnen
zu verstehen ist (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 4327
BGE 136 II 436 S. 439
zu Art. 80). Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Art. 86 Abs. 3 BGG und
der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV kommt der Ausschluss der richterlichen
Beurteilung ausdrücklich nur für Ausnahmefälle in Betracht (BGE 136 I 42 E. 1.5
S. 45; vgl. auch ESTHER TOPHINKE, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz,
2008, N. 19 zu Art. 86 BGG). Mit Art. 86 Abs. 3 BGG soll den Kantonen
namentlich die Möglichkeit eingeräumt werden, nicht justiziable, politisch
bedeutsame Verwaltungsakte des Parlaments von der verwaltungsgerichtlichen
Überprüfung auszunehmen.

1.3 Die Erteilung von Wasserkraftkonzessionen hat zwar eine politische
Komponente. Der angefochtene Konzessionsentscheid umfasst jedoch nicht einzig
den blossen Verleihungsakt. Vielmehr werden neben den Rechten insbesondere auch
die Pflichten der Konzessionärin detailliert geregelt. So wird etwa verlangt,
dass die Konzessionärin die kantonalen und eidgenössischen Gesetzesbestimmungen
über den Wasserbau und die Wasserbaupolizei einzuhalten und die Anlagen gemäss
den geltenden Vorschriften für den Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutz zu
betreiben hat. Diese Aspekte sind justiziabel und weisen keinen vorwiegend
politischen Charakter auf. Somit ist in einem gerichtlichen Verfahren zu
prüfen, ob das Vorhaben der einschlägigen Gesetzgebung, insbesondere den
Vorgaben des Bau-, Planungs- und Umweltrechts entspricht. Dass die
erstinstanzliche Rechtsanwendung im Konzessionsentscheid des Landrats erfolgte,
ändert daran nichts (vgl. RUTH HERZOG, Auswirkungen auf die Staats- und
Verwaltungsrechtspflege in den Kantonen, in: Neue Bundesrechtspflege, Pierre
Tschannen [Hrsg.], 2007, S. 105).
Im konkreten Fall ist namentlich gerichtlich zu prüfen, ob - wie von den
Beschwerdeführern geltend gemacht - die Mindestrestwassermenge mit 2'000 Liter
pro Sekunde zu tief festgesetzt wurde und hierdurch die Bestimmungen von Art.
29 ff. des Gewässerschutzgesetzes vom 24. Januar 1991 (GSchG; SR 814.20)
betreffend die Sicherung angemessener Restwassermengen falsch angewendet wurden
(vgl. insoweit auch BGE 126 II 283).
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass der angefochtene
Konzessionsentscheid mit seinen detaillierten, gerichtlich überprüfbaren
Regelungen keinen Entscheid "mit vorwiegend politischem Charakter" darstellt,
für welche der Kanton Glarus anstelle eines Gerichts den Landrat als
unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen könnte.
BGE 136 II 436 S. 440

1.4 Angesichts der fehlenden Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheids
ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (Art. 86 Abs. 2 und 3 BGG). Demzufolge
ist nicht auf die weiteren Anträge und Rügen der Beschwerdeführer einzugehen.
Mangels bundesgerichtlicher Zuständigkeit ist insbesondere nicht zu
entscheiden, ob es bundesrechtswidrig ist, den Landrat als erstinstanzlich
zuständige Behörde vorzusehen.
Zur Beurteilung öffentlich-rechtlicher Angelegenheiten ist auf kantonaler Ebene
das Verwaltungsgericht zuständig (vgl. Art. 17 ff. des Gesetzes vom 6. Mai 1990
über die Gerichtsorganisation des Kantons Glarus [GS III A/2]). Da die Sache
dort bereits hängig ist, ist von einer förmlichen Überweisung abzusehen.