Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 415



Urteilskopf

136 II 415

38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und
Mitb. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_438/2009 vom 16. Juni 2010

Regeste

Art. 82 BGG, Art. 115 StGB, Art. 44 BetmV; Vereinbarung über die organisierte
Sterbehilfe.
Die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und
einer privaten Sterbehilfeorganisation stellt kein zulässiges Anfechtungsobjekt
nach Art. 82 BGG dar. Aufgrund des bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses ist
dennoch zu untersuchen, ob sich die Vereinbarung nicht als geradezu nichtig
erweist (E. 1).
Verstoss der Vereinbarung insbesondere gegen die abschliessende Regelung der
Beihilfe zum Selbstmord durch Art. 115 StGB und gegen das Betäubungsmittelrecht
(E. 2.2-2.5). Unzulässigkeit des Abschlusses eines verwaltungsrechtlichen
Vertrags in diesem Bereich (E. 2.6).
Nichtigkeit in Bezug auf die gesamte Vereinbarung (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 416

BGE 136 II 415 S. 416

A. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Verein X. haben am 7.
Juli 2009 eine Vereinbarung über die organisierte Suizidhilfe abgeschlossen.
Zweck der Vereinbarung ist gemäss deren Ziff. 1, "die organisierte Suizidhilfe
zwecks Qualitätssicherung gewissen Rahmenbedingungen zu unterstellen". Die
Vereinbarung enthält unter anderem Bestimmungen über die Voraussetzungen und
den Ablauf der Suizidhilfe, das Sterbemittel (Natrium-Pentobarbital), dessen
Verschreibung und den Umgang damit. Weiter werden das Vorgehen der
Strafuntersuchungsbehörden nach gewährter Suizidhilfe und die Meldung von
Verstössen gegen die Vereinbarung geregelt.

B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das
Bundesgericht vom 10. September 2009 beantragen A., B., C., D., E., F., G. und
H., die Vereinbarung sei aufzuheben. Sie rügen eine Verletzung verschiedener
verfassungsmässiger Rechte sowie der Heilmittel- und
Betäubungsmittelgesetzgebung des Bundes. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein und stellt im
Urteilsdispositiv fest, dass die Vereinbarung nichtig ist.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Gemäss Art. 82 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide
in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts (lit. a), gegen kantonale Erlasse
(lit. b) und betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und
Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen (lit. c).
Angefochten ist vorliegend eine Vereinbarung zwischen der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Verein X. Es handelt sich
dabei nicht um einen Entscheid im Sinne von lit. a (BGE 135 II 22 E. 1.2 S. 24
mit Hinweisen). Ebenso wenig steht eine Verletzung politischer Rechte zur
Diskussion (lit. c). Genauer zu untersuchen ist dagegen, ob es sich bei der
Vereinbarung entgegen ihrer Bezeichnung um einen kantonalen Erlass handelt
beziehungsweise ob eine Verwaltungsverordnung vorliegt, die unter bestimmten
Voraussetzungen ebenfalls abstrakt angefochten werden kann (BGE 128 I 167 E.
4.3 S. 171 f. mit Hinweisen).
BGE 136 II 415 S. 417
Verwaltungsverordnungen sind generelle Dienstanweisungen und richten sich an
untergeordnete Behörden oder Personen (BGE 128 I 167 E. 4.3 S. 171 mit
Hinweisen). Die vorliegend umstrittene Vereinbarung weist gewisse Züge einer
Verwaltungsverordnung auf. So enthält Ziff. 5.2 der Vereinbarung verschiedene
Bestimmungen über das Vorgehen der Strafuntersuchungsbehörden. Zudem können die
Adressaten der Vereinbarung bei ihrer Befolgung grundsätzlich damit rechnen,
dass keine Meldung an die zuständigen Behörden erfolgt und dass gegen sie kein
Strafverfahren eröffnet wird (vgl. Ziff. 10.2 der Vereinbarung). In
entscheidender Weise gegen eine Qualifizierung als Verwaltungsverordnung
spricht indessen der Umstand, dass sich die Vereinbarung an eine einzige
Organisation (den Verein X.) richtet und somit individueller, nicht genereller
Natur ist. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass allenfalls andere
Organisationen unter Berufung auf rechtsgleiche Behandlung verlangen könnten,
dass mit ihnen eine Vereinbarung mit entsprechendem Inhalt geschlossen werde.
Schliesslich ist nicht zu übersehen, dass die Vereinbarung nur aus wichtigen
Gründen mit sofortiger Wirkung gekündigt werden kann (Ziff. 11 der
Vereinbarung), während Verwaltungsverordnungen im Interesse einer effizienten
Aufgabenerfüllung der Verwaltung leicht abgeändert und an neue Entwicklungen
angepasst werden können sollen.
Damit ergibt sich, dass gegen die Vereinbarung zwischen der
Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein X. die Beschwerde in öffentlich-
rechtlichen Angelegenheiten nicht zulässig ist (Art. 82 lit. a-c BGG).

1.2 Liegt kein zulässiges Anfechtungsobjekt vor, so ist grundsätzlich auf die
Beschwerde ohne jede materielle Prüfung nicht einzutreten. Indessen ist bei
Vorliegen eines entsprechenden Rechtsschutzbedürfnisses zu untersuchen, ob sich
die Vereinbarung nicht als geradezu nichtig erweist. Auch dies würde dazu
führen, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Die Nichtigkeit ist
jederzeit und von sämtlichen staatlichen Instanzen von Amtes wegen zu beachten.
Sie kann auch im Rechtsmittelverfahren festgestellt werden (BGE 132 II 342 E.
2.1 S. 346 mit Hinweisen).

1.3 Die Beschwerdeführer D. bis H. sind natürliche Personen. Ihr
Rechtsschutzbedürfnis entscheidet sich danach, ob sie zumindest virtuell (das
heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal) in
ihren tatsächlichen Interessen betroffen sein könnten (Art. 89 Abs. 1 lit. b
und c BGG; vgl. BGE 135 I 28 E. 3.4.1
BGE 136 II 415 S. 418
S. 35 mit Hinweisen). Diesbezüglich machen die Beschwerdeführer geltend, es sei
nach der Vereinbarung nicht ausgeschlossen, dass dem Suizidwunsch einer
psychisch kranken oder dementen Person Rechnung getragen werde. Das festgelegte
Verfahren könne zudem nicht mit Sicherheit verhindern, dass in solchen Fällen
fälschlicherweise eine Therapiemöglichkeit verneint werde. Sollten sie je
einmal in die Situation geraten, aus psychischem Leiden heraus oder bei Demenz
Suizid begehen zu wollen, bestünde die Gefahr, dass ihre Urteilsfähigkeit
bejaht werden könnte und infolgedessen ihr Leben nicht ausreichend geschützt
wäre. Dem hält die Oberstaatsanwaltschaft entgegen, dass gemäss
höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Suizidbegleitung psychisch kranker und
dementer Personen unter engen Voraussetzungen zulässig sei, sofern deren
Urteilsfähigkeit bezüglich des Sterbewunsches mittels eines Fachgutachtens
belegt sei. Die Vereinbarung gehe nicht darüber hinaus.
Mit dem sinngemässen Argument, dass in der Vereinbarung nichts stehe, was sich
nicht ohnehin aus Gesetz und Rechtsprechung ergebe, vermag die
Oberstaatsanwaltschaft die virtuelle Betroffenheit, wie sie die
Beschwerdeführer zutreffend dargelegt haben, nicht in Frage zu stellen. Dass
eine, wenn auch geringe Möglichkeit besteht, dass die Beschwerdeführer in
Zukunft einmal von der Vereinbarung betroffen sein könnten, ist nicht von der
Hand zu weisen. Die virtuelle Betroffenheit ist deshalb zu bejahen. Inwiefern
die Vereinbarung in Einklang mit der Gesetzgebung und der Rechtsprechung steht,
betrifft dagegen die materielle Beurteilung.
Ist das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer 4 bis 8 nach dem Gesagten zu
bejahen, so kann offenbleiben, wie es sich diesbezüglich mit den übrigen
Beschwerdeführern verhält.

1.4 Die Vereinbarung kann nicht mit einem kantonalen Rechtsmittel angefochten
werden (vgl. Art. 87 Abs. 1 BGG; KÖLZ/BOSSHART/RÖHL, Kommentar zum
Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl. 1999, N. 24 zu § 20
und N. 38 f. zu § 82 VRG). Weder die Oberstaatsanwaltschaft noch der
Regierungsrat vertreten denn auch die Auffassung, dass der kantonale
Rechtsmittelweg nicht erschöpft wurde.

2.

2.1 Ob die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein X.
nichtig ist, beurteilt sich einerseits nach ihrem Inhalt (E. 2.2-2.5 hiernach)
und andererseits danach, ob eine
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hinreichende gesetzliche Grundlage für ihren Abschluss bestand (E. 2.6
hiernach), wobei diese beiden Fragen zusammenhängen.

2.2 Die Beschwerdeführer argumentieren, selbst wenn man davon ausgehe, dass die
Vereinbarung nicht im Widerspruch zu Art. 115 StGB stehe, seien die in ihr
enthaltenen Vorschriften unzulässig. In Art. 115 StGB werde die Beteiligung am
Suizid abschliessend geregelt. Zudem verstiessen Ziff. 6.2 und 6.7 der
Vereinbarung gegen Art. 44 Abs. 2 der Verordnung vom 29. Mai 1996 über die
Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (BetmV; SR 812.121.1). Auch würden
die gesetzlichen Bestimmungen über die ärztliche Betreuung und Kontrolle nicht
eingehalten.

2.3

2.3.1 Gemäss Art. 123 Abs. 1 BV ist die Gesetzgebung auf dem Gebiet des
Strafrechts Sache des Bundes. Der Bund hat von dieser Kompetenz mit Erlass des
Strafgesetzbuchs Gebrauch gemacht. Art. 335 StGB macht zwar einen Vorbehalt im
Bereich des Übertretungsstrafrechts (Abs. 1) und ermächtigt die Kantone,
Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit
Sanktionen zu bedrohen (Abs. 2). Vorliegend geht es jedoch weder um das eine
noch um das andere.

2.3.2 Die Strafuntersuchungsbehörden werden durch die Vereinbarung verbindlich
angewiesen, wie sie nach einer gewährten Suizidhilfe vorzugehen haben (Ziff.
5.2 der Vereinbarung). Die Adressaten der Vereinbarung können grundsätzlich
damit rechnen, dass bei deren Befolgung keine Meldung an die zuständigen
Behörden erfolgt und dass gegen sie kein Strafverfahren eröffnet wird (Ziff.
10.2 der Vereinbarung).
In materieller Hinsicht regelt die Vereinbarung unter anderem, unter welchen
Voraussetzungen Suizidbeihilfe geleistet werden darf. So ist diese nur dann zu
gewähren, wenn der Suizidwunsch aus einem schweren, krankheitsbedingten Leiden
heraus entstanden ist. Fachpersonen oder Personen der Suizidhilfeorganisation
müssen zusammen mit der suizidwilligen Person mögliche Alternativen zum Suizid
wie medizinische Behandlung, Therapie (insbesondere Palliativtherapie) und
Sozialhilfe abklären und dem Wunsch der suizidwilligen Person entsprechend
ausschöpfen. Bei psychisch gesunden Personen ist die Urteilsfähigkeit bezogen
auf den Suizidwunsch durch die Suizidhelfer und die mit der suizidwilligen
Person befassten Ärzte in der Regel mittels wiederholter, länger dauernder und
BGE 136 II 415 S. 420
im Abstand mehrerer Wochen geführter persönlicher Gespräche zu klären. Dabei
sind Lebenssituation, Umfeld und Lebensgeschichte anzusprechen. Ist die
Suizidalität Ausdruck oder Symptom einer psychischen Krankheit, so darf gemäss
der Vereinbarung grundsätzlich keine Suizidhilfe gewährt werden. Psychisch
kranke Personen können laut der Vereinbarung bezüglich ihres Sterbewunsches
jedoch durchaus urteilsfähig sein, wobei eine solche Annahme äusserste
Zurückhaltung gebiete. Es wird deshalb ein entsprechendes psychiatrisches
Fachgutachten gefordert. Die Vereinbarung regelt weiter die Voraussetzungen von
Suizidbeihilfe für Personen mit fortschreitender Demenz und besondere Fälle
(geplante Doppelsuizide und suizidwillige junge Personen), zudem enthält sie
Bestimmungen über die Autonomie, Wohlerwogenheit und Konstanz des
Suizidentscheids (zum Ganzen: Ziff. 4 der Vereinbarung).

2.3.3 Art. 115 StGB enthält in Bezug auf den Tatbestand der Beihilfe zum
Selbstmord eine abschliessende Regelung (CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Basler
Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 2 zu Art. 115 StGB). Nach
dieser Bestimmung macht sich (nur) strafbar, wer aus selbstsüchtigen
Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder dazu Hilfe leistet. Ihrer
Einführung lag der Gedanke zu Grunde, dass nicht bestraft werden soll, wer
durch freundschaftliche Motive veranlasst ist, namentlich wer aus reinem
Mitleid oder Mitgefühl, im reinen Interesse des Suizidwilligen handelt
(CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, Selbstsüchtige Beweggründe bei der Verleitung und
Beihilfe zum Selbstmord [Art. 115 StGB], in: Sicherheitsfragen der Sterbehilfe,
2008, S. 100 ff.; PETRA VENETZ, Suizidhilfeorganisationen und Strafrecht, 2008,
S. 108 ff.). An den Fall einer Tätigkeit im Rahmen einer organisierten
Suizidhilfe dachte der (historische) Gesetzgeber nicht.

2.3.4 In ihrer Gesamtheit bedeuten die Bestimmungen der Vereinbarung eine
Präzisierung von Art. 115 StGB. Das gilt namentlich hinsichtlich der
kumulativen Voraussetzungen für die organisierte Suizidbeihilfe, bei deren
Erfüllung keine Meldung erstattet wird, was auf die Statuierung eines
Rechtfertigungsgrunds hinausläuft. Besonders deutlich kommt dies bei der
Suizidhilfe an psychisch kranken Personen und solchen mit fortschreitender
Demenz zum Ausdruck (Ziff. 4.4.2 und 4.4.3 der Vereinbarung); mithin in einem
Bereich, wo die Meinungen in der Lehre bezüglich der Urteilsfähigkeit der
betroffenen Personen auseinandergehen (VLADETA AJDACIC-GROSS, Fakten über
Suizid: Begriffe, Zahlen, Theorien, ph akzente
BGE 136 II 415 S. 421
2007 Nr. 3 S. 4; EBNER/KURT, Suizidbeihilfe bei Psychischkranken,
Schweizerische Ärztezeitung 86/2005 S. 880 ff.; GERHARD EBNER, Assistierter
Suizid bei psychisch Kranken - eine Gratwanderung?, in: Sicherheitsfragen der
Sterbehilfe, 2008, S. 245 ff.; CÉCILE ERNST, Assistierter Suizid in den
Stadtzürcher Alters- und Krankenheimen, Schweizerische Ärztezeitung 82/2001 S.
293 ff.; FREI/SCHENKER/FINZEN/HOFFMANN-RICHTER, Beihilfe zum Suizid bei
psychisch Kranken, Der Nervenarzt 11/1999 S. 1014 ff.; MARIO GMÜR,
Suizidbeihilfe und Urteilsfähigkeit aus psychiatrischer Sicht, Schweizerische
Ärztezeitung 89/2008 S. 1 ff.; DANIEL HELL, Ergebnisse der Suizidforschung, in:
Beihilfe zum Suizid in der Schweiz, 2006, S. 24; JEAN MARTIN, Suizidbeihilfe
und "Lebensmüdigkeit", Schweizerische Ärztezeitung 89/2008 S. 2098; Nationale
Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Thesen über Suizidbeihilfe vom 15.
September 2004, Ziff. 4; FRANK PETERMANN, Demenz-Erkrankungen und
Selbstbestimmung - ein Widerspruch in sich?, in: Sicherheitsfragen der
Sterbehilfe, 2008, S. 153 ff., insb. 167 ff.; MARTIN SCHUBARTH, Assistierter
Suizid und Tötung auf Verlangen, ZStrR 127/2009 S. 3 ff.; JOHANN FRIEDRICH
SPITTLER, Urteilsfähigkeit zum Suizid - eine neurologisch-psychiatrische Sicht,
in: Sterbehilfe, 2006, S. 99 ff.; VENETZ, a.a.O., S. 147 ff.). Erkenntnisse der
Suizidforschung und die Erfahrungen von Fachpersonen zeigen, dass der
Suizidwunsch regelmässig Ausdruck einer existentiellen Krisensituation ist und
kaum Zeugnis eines in sich abgeklärten und gefestigten Willens. Bekannt ist
zudem die Labilität des Todeswunsches, gerade auch bei Schwerkranken. Zudem
scheint das Sterben-Wollen wesentlich von Schmerzen, von depressiven Symptomen
und der erlebten Qualität der Pflege abhängig zu sein, aber auch von der
Furcht, im Stich gelassen zu werden und andern zur Last zu fallen, schliesslich
von der Sorge um die finanziellen Folgen der Pflege (REGINA KIENER,
Organisierte Suizidhilfe zwischen Selbstbestimmungsrecht und staatlichen
Schutzpflichten, ZSR 129/2010 I S. 271 ff. mit Hinweisen). Damit erscheint
fraglich, ob die Urteilsfähigkeit bezüglich des Sterben-Wollens das
ausschlaggebende Kriterium für die Bejahung eines autonomen Sterbewunsches sein
kann. Es drängt sich auf, die Beantwortung derartiger Fragen und die
Umschreibung allfälliger Rechtfertigungsgründe für die sogenannte organisierte
Sterbehilfe dem Bundesgesetzgeber vorzubehalten.

2.3.5 Das Bundesgericht hat sich in BGE 133 I 58 mit der Frage
auseinandergesetzt, ob das Tötungsmittel Natrium-Pentobarbital
BGE 136 II 415 S. 422
einem Sterbewilligen nach dem Betäubungsmittel- und dem Heilmittelrecht ohne
ärztliche Verschreibung abgegeben werden kann. Dabei hat es unter Hinweis auf
ethische, rechtliche und medizinische Stellungnahmen in der Literatur
ausgeführt, dass unterschieden werde zwischen dem Sterbewunsch als Ausdruck
einer therapierbaren psychischen Störung und dem wohlerwogenen und dauerhaften
Entscheid einer urteilsfähigen Person. In letzterem Fall dürfe "unter
Umständen" auch psychisch Kranken Natrium-Pentobarbital verschrieben werden
(a.a.O., E. 6.3.5.1 S. 74 f. mit Hinweisen). Vorausgesetzt sei ein
psychiatrisches Fachgutachten, was wiederum nur als sichergestellt erscheine,
wenn an der ärztlichen Verschreibungspflicht festgehalten und die Verantwortung
nicht (allein) in die Hände privater Sterbehilfeorganisationen gelegt werde
(a.a.O., E. 6.3.5.2 S. 75 mit Hinweisen). Mit diesen Ausführungen hat sich das
Bundesgericht allerdings weder in abschliessender Weise noch im
strafrechtlichen Kontext mit den Voraussetzungen der straffreien organisierten
Suizidbeihilfe bei psychisch kranken Personen auseinandergesetzt.
In einem einzigen Fall musste sich das Bundesgericht bisher mit der
strafrechtlichen Seite der Suizidbeihilfe befassen. Es bestätigte dabei ein
kantonales Urteil, welches einen sogenannten "Sterbebegleiter" wegen
vorsätzlicher Tötung verurteilt hatte. Dieser hatte in Kauf genommen, auf den
Todeswunsch einer urteilsunfähigen Person abzustellen (Urteil 6B_48/2009 vom
11. Juni 2009 insbesondere E. 5.3.2).

2.3.6 Entgegen der Meinung der Beschwerdegegner trifft somit nicht zu, dass die
Bestimmungen der Vereinbarung ausschliesslich deklaratorischer Natur sind und
lediglich wiedergeben, was bereits in der Gesetzgebung (Art. 115 StGB) und der
dazugehörigen Rechtsprechung festgehalten ist (wie dies in BGE 98 Ia 508 E. 3a
S. 512 f. der Fall war). Dass die Praxis auch ohne die umstrittene Präzisierung
von Art. 115 StGB, allein auf dem Wege der Auslegung (namentlich gestützt auf
Literaturmeinungen oder Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften) zu gleichen oder ähnlichen Resultaten gelangen
könnte, ist irrelevant. Ebenso wenig ist entscheidend, ob eine detailliertere
Regelung der (organisierten) Suizidhilfe wünschbar oder nützlich wäre (vgl. zum
eingeleiteten Gesetzgebungsverfahren http://www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/
gesellschaft/gesetzgebung/sterbehilfe.html [besucht am 13. August 2010]; vgl.
weiter etwa FRANK PETERMANN,
BGE 136 II 415 S. 423
Rechtliche Überlegungen zur Problematik der Rezeptierung und Verfügbarkeit von
Natrium-Pentobarbital, AJP 2006 S. 447 ff.; MARTIN SCHUBARTH, a.a.O., S. 3 ff.;
Urteil 2C_839/2008 vom 1. April 2009 E. 3.2.2 mit Hinweisen).

2.4 Für die Verschreibung von Natrium-Pentobarbital gilt Art. 44 BetmV (vgl.
Art. 3 lit. b BetmV und Anhang b zur Verordnung vom 12. Dezember 1996 des
Schweizerischen Heilmittelinstituts über die Betäubungsmittel und psychotropen
Stoffe [BetmV-Swissmedic; SR 812.121.2]; Art. 2 Abs. 1^bis BetmG [SR 812.121];
BGE 133 I 58 E. 4 mit Hinweisen; PETERMANN, a.a.O., S. 443). Dessen Abs. 2
sieht vor, dass die verschriebene Menge nicht über den Bedarf für die
Behandlung während eines Monats hinausgehen darf. Wenn es die Umstände
rechtfertigen und unter Einhaltung der Bestimmungen von Art. 11 BetmG kann die
Dauer für die Behandlung auf höchstens sechs Monate verlängert werden. Der
verschreibende Arzt hat in diesem Fall die genaue Dauer der Behandlung auf dem
Rezept anzugeben. Nach Ablauf dieser Dauer ist ein neues Rezept auszustellen.
Art. 44 Abs. 2 BetmV regelt die zeitliche Gültigkeit von Verschreibungen
abschliessend und lässt keinen Raum für weitergehende Regelungen. Indem die
Vereinbarung in Ziff. 6.2 und 6.7 vorsieht, dass das Rezept für den Bezug von
Natrium-Pentobarbital maximal sechs Monate gültig bleibt und die
Geschäftsstelle des Vereins X. das nicht verwendete Natrium-Pentobarbital
unmittelbar nach Durchführung der Suizidbegleitung, spätestens jedoch sechs
Monate nach Ausstellung des Rezeptes an die Bezugsapotheke abgibt, verletzt sie
diese Bestimmung.
Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob darüber hinaus gesetzliche
Bestimmungen über die ärztliche Betreuung und Kontrolle nicht eingehalten
werden, wie dies die Beschwerdeführer behaupten.

2.5

2.5.1 Anzufügen ist, dass die umstrittene Vereinbarung in verschiedener
Hinsicht auch mit dem Verfahrensrecht nicht vereinbar ist. Sie steht namentlich
nicht in Einklang mit der am 1. Januar 2011 in Kraft tretenden Schweizerischen
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; BBl 2007 6977). Gemäss deren
Art. 309 Abs. 1 lit. a eröffnet die Staatsanwaltschaft unter anderem dann eine
Untersuchung, wenn sich aus Informationen und Berichten der Polizei, aus der
Strafanzeige oder aus ihren eigenen Feststellungen ein
BGE 136 II 415 S. 424
hinreichender Tatverdacht ergibt. Sie eröffnet die Untersuchung mit einer
Verfügung (Abs. 3), es sei denn, dass sie sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung
oder einen Strafbefehl erlässt (Abs. 4). Eine Nichtanhandnahmeverfügung ergeht
gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO dann, wenn aufgrund der Strafanzeige oder des
Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die
Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a),
Verfahrenshindernisse bestehen (lit. b) oder aus den in Art. 8 StPO genannten
Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c). Die Einstellung
des Verfahrens verfügt die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 319 Abs. 1 StPO
insbesondere dann, wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b) oder
Rechtfertigungsgründe einen Straftatbestand unanwendbar machen (lit. c). Weder
zu einer Eröffnungs- noch zu einer Nichtanhandnahmeverfügung, sondern zu einer
informellen Erledigung kommt es, wenn die Polizei von der Berichterstattung an
die Staatsanwaltschaft absehen kann. Dies ist gemäss Art. 307 Abs. 4 StPO der
Fall, wenn zu weiteren Schritten der Staatsanwaltschaft offensichtlich kein
Anlass besteht und keine Zwangsmassnahmen oder andere formalisierte
Ermittlungshandlungen durchgeführt worden sind.
Die Adressaten der Vereinbarung können grundsätzlich damit rechnen, dass bei
deren Befolgung keine Meldung an die zuständigen Behörden erfolgt und dass
gegen sie kein Strafverfahren eröffnet wird (Ziff. 10.2 der Vereinbarung). Zwar
ist die zur Freigabe des Leichnams zuständige Staatsanwaltschaft zu orientieren
(Ziff. 5.2.4), was aber nicht mit der Meldung gemäss Ziff. 10.2 zu verwechseln
ist. Dies bedeutet, dass bei Einhaltung der Vereinbarung, insbesondere der
Regelungen gemäss Ziff. 4 (Voraussetzungen der Suizidhilfe) und Ziff. 5 (Ablauf
der Suizidhilfe) von vornherein kein Strafverfahren eröffnet wird. Namentlich
in Fällen, wo eine psychisch kranke Person oder eine Person mit
fortschreitender Demenz als urteilsfähig begutachtet wurde (Ziff. 4.4.2 und
4.4.3), wird kein Untersuchungsverfahren eröffnet, geschweige denn der
Tatbestand von Art. 115 StGB richterlich geprüft, es sei denn, es bestünden
Unklarheiten beziehungsweise Anhaltspunkte einer Straftat (Ziff. 5.2.4 und
10.2). Das ist aber bei Einhalten der Vereinbarung nach dem Gesagten gerade
nicht der Fall. Bei psychisch Kranken sieht die Vereinbarung vor, dass ein
psychiatrisches Gutachten die Urteilsfähigkeit im Hinblick auf den Sterbewunsch
bestätigt (Ziff. 4.4.2). Für Personen mit fortschreitender Demenz ist
vorgesehen, dass zwei Ärzte, wovon einer der für die Rezeptausstellung
verantwortliche Arzt ist, die Urteilsfähigkeit beurteilen, wobei in der Regel
ein
BGE 136 II 415 S. 425
fachärztliches Gutachten zu erstellen ist (Ziff. 4.4.3). Dabei ist zu vermuten,
dass Suizidwillige beziehungsweise Sterbehilfeorganisationen keine Ärzte
mandatieren, von denen anzunehmen ist, dass sie gegenüber der Urteilsfähigkeit
zum Suizid bereiter Personen grundsätzlich kritisch eingestellt sind. Hinzu
kommt, dass die in der Literatur umstrittene Frage, ob und gegebenenfalls unter
welchen Umständen in solchen Fällen von Urteilsfähigkeit überhaupt die Rede
sein kann, höchstrichterlich noch nie geprüft werden musste.

2.5.2 Weiter fällt auf, dass die Vereinbarung auch von der ansonsten gültigen
Weisung der Oberstaatsanwaltschaft betreffend Abklärungen von
ausserordentlichen Todesfällen abweicht, wozu auch assistierte Suizide gehören
(http://www.staatsanwaltschaften.zh.ch/Diverses/Weisungen.shtml, Ziff. 33.2
[besucht am 13. August 2010]). Während diese Weisungen vorsehen, dass solche
Fälle in einem besonderen Verfahren geführt werden und in der Regel durch den
Staatsanwalt vor Ort zu leiten sind, gilt diese Ordnung nach der Vereinbarung
gerade nicht. Gemäss dieser rücken in der Regel die Polizei und der Amtsarzt
aus, die Staatsanwaltschaft dagegen nur, wenn sich hinsichtlich Todesursache
und Todesart Unklarheiten beziehungsweise Anhaltspunkte für eine Straftat
ergeben.

2.6

2.6.1 Das Legalitätsprinzip erfordert, dass der verwaltungsrechtliche Vertrag
zwei Voraussetzungen erfüllt. Zunächst muss eine kompetenzgemäss erlassene
Rechtsnorm den Vertrag vorsehen, dafür Raum lassen oder ihn jedenfalls nicht
ausdrücklich ausschliessen. Weiter muss der Vertrag nach Sinn und Zweck der
gesetzlichen Regelung, die er im Einzelfall konkretisiert, die geeignetere
Handlungsform sein als die Verfügung. Der Vertragsinhalt darf nicht gegen eine
gültige Rechtsnorm verstossen und muss auf einem generell-abstrakten, genügend
bestimmten Rechtssatz beruhen, der in Form eines Gesetzes erlassen worden sein
muss, wenn es sich um eine wichtige Regelung handelt. Die Anforderungen an die
Bestimmtheit des Rechtssatzes sind geringer als bei Verfügungen, sofern das
Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit wegen der Zustimmung zur
Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses durch die Privaten als geringfügig
erscheint. Auch die Grundlage im Gesetz kann bei Verträgen im Allgemeinen
schmaler sein als bei Verfügungen, weil staatliche Eingriffe in die Rechte der
Privaten weniger intensiv und damit weniger wichtig sind, wenn die Betroffenen
ihnen zustimmen (BGE 136 I 142 E. 4.1 S. 146 f.; BGE 105 Ia 207 E. 2a S. 209;
je mit Hinweisen).
BGE 136 II 415 S. 426

2.6.2 Angesichts der Bedeutung des Regelungsinhalts (vgl. dazu auch E. 3.2
hiernach) ist vorliegend eine klare gesetzliche Grundlage erforderlich. Eine
derartige Grundlage besteht jedoch nicht, insbesondere sieht weder das
Strafgesetzbuch noch das Strafprozessrecht den Abschluss vertraglicher
Vereinbarungen der Strafverfolgungsbehörden mit Privaten vor. Darüber hinaus
verstösst die Vereinbarung zwischen der Oberstaatsanwaltschaft und dem Verein
X. nach den vorangehenden Ausführungen sowohl gegen das Strafrecht wie auch
gegen das Betäubungsmittelrecht. Es ist damit von vornherein ausgeschlossen, in
diesem Bereich verwaltungsvertragliche Regelungen zu vereinbaren.

3.

3.1 Zusammenfassend ergibt sich, dass die angefochtene Vereinbarung
rechtswidrig ist. Sie entbehrt einer gesetzlichen Grundlage und verstösst
darüber hinaus gegen das materielle Strafrecht und das Betäubungsmittelrecht.
Zudem bestehen Abweichungen von der am 1. Januar 2011 in Kraft tretenden
Schweizerischen Strafprozessordnung und den Weisungen der
Oberstaatsanwaltschaft betreffend Abklärungen von ausserordentlichen
Todesfällen.

3.2 Der Mangel, mit dem die Vereinbarung aufgrund dessen behaftet ist, ist
nicht nur offensichtlich, sondern auch gravierend. Dabei fällt ins Gewicht,
dass sowohl das Recht auf Leben wie auch die persönliche Freiheit in einem
zentralen Bereich betroffen sind (Art. 10 Abs. 1 und 2 BV, Art. 2 und 8 EMRK).
Das Recht auf Leben bildet als fundamentales Grundrecht Ausgangspunkt und
Voraussetzung für alle anderen Grundrechte. Es gehört unbestritten zu den
zwingenden Normen des Völkerrechts und den notstandsfesten Garantien der EMRK
(Art. 139 Abs. 2 und Art. 194 Abs. 2 BV, Art. 53 und 64 des Wiener
Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [SR 0.111], Art. 15
EMRK). Zudem erscheint die Vereinbarung der Rechtssicherheit abträglich, zumal
sowohl für den Verein X. wie auch für Dritte nicht klar sein dürfte, ob und
inwieweit sie sich bei einer allfälligen Abweichung vom geltenden Recht auf die
von der Staatsanwaltschaft abgegebenen Erklärungen verlassen dürfen. Aus
alledem folgt, dass die Vereinbarung - unbesehen ihrer rechtlichen
Qualifikation (vgl. E. 1.1 hiervor) - nichtig ist (vgl. Urteil 2C_164/2009 vom
13. August 2009 E. 8.1, in: RDAF 2009 II p. 531; BGE 135 I 28 E. 5 S. 36; BGE
134 I 125 E. 2.1 S. 128 f.; BGE 129 I 402 E. 2 S. 404 f.; je mit Hinweisen).

3.3 Schliesslich fragt sich, ob die Nichtigkeitsfolge die Vereinbarung
insgesamt oder nur einzelne ihrer Teile trifft. Mehrere
BGE 136 II 415 S. 427
Bestimmungen, so etwa jene über die Rechtsform der Vereinigung(Ziff. 3.1), die
finanzielle Transparenz und namentlich die Buchführung (Ziff. 3.2.3 und 3.2.4),
erscheinen unbedenklich und wurden in der Beschwerdeschrift auch nicht
kritisiert. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Verein X. nur bereit war, die
Vereinbarung als Ganzes zu unterzeichnen. Zudem ist nicht zu übersehen, dass
dieVereinbarung in ihrem wesentlichen Gehalt bundesrechtswidrig ist. Es
rechtfertigt sich daher, sie gesamthaft als nichtig zu bezeichnen (vgl. Urteil
1P.274/1988 vom 26. Oktober 1988 E. 3a, nicht publ. in: BGE 114 Ia 452). Die
Nichtigkeit ist zudem im Dispositiv festzustellen (BGE 132 II 342 E. 2.3 S. 349
mit Hinweisen).

3.4 Inwiefern die weiteren von den Beschwerdeführern vorgetragenen Rügen
begründet sind, kann bei diesem Ergebnis offengelassen werden.