Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 383



Urteilskopf

136 II 383

34. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Kanton
Graubünden gegen X. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_382/2009 vom 5. Mai 2010

Regeste

Art. 89 Abs. 1 BGG; Legitimation einer Kantonsregierung zur Anfechtung eines
Entscheides über kantonale Nachlasssteuern; analoge Anwendung der "Star-Praxis"
auf das Gemeinwesen; Rechtsfolgen der Verletzung der Ausstandspflicht durch
einen kantonalen Richter.
Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens im
Rahmen der allgemeinen Beschwerdelegitimation (Art. 89 Abs. 1 BGG; E. 2.1-2.4).
Der Kanton ist in Bezug auf die umstrittenen Übergangsbestimmungen zu den
kantonalen Nachlasssteuern nicht qualifiziert in eigenen hoheitlichen
Interessen betroffen, da er die Nachlasssteuer im Hauptanwendungsfall gerade
abgeschafft hat (E. 2.5 und 2.6).
Keine analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das Gemeinwesen (E. 3).
Der Umstand, dass am vorinstanzlichen Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der
wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten müssen, kann nicht als derart
schwer wiegend bezeichnet werden, dass er die Nichtigkeit des angefochtenen
Entscheids bewirkt (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 384

BGE 136 II 383 S. 384

A. X. (geb. 1944) zog 1959 von Davos/GR in den Kanton Zürich, wo er seither
wohnhaft und steuerpflichtig ist. Über mehrere Jahre erhielt er von seinem
Vater Y. (geb. 1923), welcher im Kanton Graubünden wohnhaft und steuerpflichtig
ist, diverse Erbvorbezüge in der Höhe von total Fr. 436'000.- (1982: Fr.
180'000.-; 1983/84: Fr. 70'000.-; 1997/98: Fr. 136'000.-; 1999/2000: Fr.
50'000.-). Für diese Zuwendungen leitete die Steuerverwaltung des Kantons
Graubünden mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 das Veranlagungsverfahren ein. Mit
Datum vom 6. November 2008 veranlagte die Steuerverwaltung basierend auf einem
Vorempfangswert von Fr. 436'000.- eine Steuer von Fr. 17'440.-. Die
Steuerverwaltung stützte sich dabei auf die Übergangsbestimmungen im kantonalen
Steuergesetz zur - per 1. Januar 2008 erfolgten - Abschaffung der
Nachlasssteuer für direkte Nachkommen. Gegen diese Veranlagungsverfügung erhob
der Steuerpflichtige Einsprache und machte geltend, die Steuerforderung sei
verjährt. Mit Entscheid vom 15. Januar 2009 wies die Steuerverwaltung die
Einsprache ab und begründete dies damit, dass die Verjährung gemäss den
erwähnten Übergangsbestimmungen erst am 1. Januar 2008 zu laufen begonnen habe.
BGE 136 II 383 S. 385
Dagegen erhob der Steuerpflichtige Beschwerde an das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden und machte wiederum geltend, die umstrittene Nachlasssteuer
sei längst verjährt. Mit Urteil vom 12. Mai 2009 hiess das Verwaltungsgericht
die Beschwerde gut. Zur Begründung brachte es vor, die gesetzliche Grundlage
für die Erhebung der Nachlasssteuer für die direkten Nachkommen sei per 1.
Januar 2008 weggefallen.

B. Mit Eingabe vom 11. Juni 2009 erhebt der Kanton Graubünden, vertreten durch
die Regierung des Kantons Graubünden, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des
vorinstanzlichen Urteils und die Bestätigung des Einspracheentscheids der
Steuerverwaltung. Eventualiter sei das Urteil wegen Verletzung von
Parteirechten aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Zu prüfen ist vorab die Beschwerdelegitimation des Kantons Graubünden. Wenn
ein Kanton als Gemeinwesen als Rechtsmittelkläger handeln will, obliegt seine
prozessuale Vertretung - entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners - in der
Regel dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von
Verfassungs wegen nach aussen vertritt (BGE 135 II 12 E. 1.2.3 S. 16 mit
Hinweis; vgl. auch Art. 42 Abs. 4 KV/GR [SR 131.226]).

2.2 Im vorliegenden Fall stehen kantonale Nachlasssteuern zur Diskussion. Da in
diesem Zusammenhang die Beschwerde nach Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14.
Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und
Gemeinden (StHG; SR 642.14) nicht gegeben ist, weil der angefochtene Entscheid
keine in den Titeln 2-5 und 6 Kapitel 1 StHG geregelte Materie betrifft und
weil auch kein anderes Bundesgesetz die Regierung des Kantons Graubünden zur
Beschwerdeführung ermächtigt, kann sich die Legitimation des Kantons
unbestrittenermassen einzig aus Art. 89 Abs. 1 BGG ergeben.

2.3 Nach dem allgemeinen Beschwerderecht von Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
BGE 136 II 383 S. 386
berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine
Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid
besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder
Änderung hat. Diese Regelung ist zwar in erster Linie auf Privatpersonen
zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es
durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater
betroffen wird. Das ist hier aber nicht der Fall; der Kanton ist durch die
umstrittene Anwendung der Übergangsbestimmungen nicht wie eine Privatperson
betroffen. Der Beschwerdeführer will seine Legitimation zwar aus dem Urteil
(des Bundesgerichts) 2C_792/2008 vom 19. Februar 2009 E. 1.2, in: StE 2009 B
73.14 Nr. 3, ableiten. Dabei verkennt er jedoch, dass sich die hier zu
beurteilende Angelegenheit von der im zitierten Entscheid behandelten
wesentlich unterscheidet: Damals ging es im Rahmen der Nachlassliquidation der
SAirLines um die Zuordnung einer Steuerforderung zu den Masseforderungen oder
aber zu den Nachlassforderungen, womit der Kanton als Steuergläubiger in einer
Gläubigerstellung wie eine Privatperson im Zwangsvollstreckungsverfahren
betroffen war. Vorliegend steht aber nicht eine Gläubigerposition in Frage,
sondern die Betroffenheit in der Steuerhoheit, d.h. in hoheitlichen Interessen.

2.4 Das Gemeinwesen kann in bestimmten Fällen auch in hoheitlichen Interessen
derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse
im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG ausgeht (BGE 135 II 12 E. 1.2.1 S. 15; BGE 134
II 45 E. 2.2.1 S. 47; zur Heranziehung der früheren Praxis bei der Auslegung:
BGE 133 II 400 E. 2.4.1 S. 406). Das kann namentlich bei wichtigen
vermögensrechtlichen Interessen der Fall sein (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47; vgl.
die Beispiele bei HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 35
f. zu Art. 89 BGG; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 43 f. zu Art. 89 BGG; ALAIN WURZBURGER, in:
Commentaire de la LTF, 2009, N. 41 zu Art. 89 BGG). Bei Eingriffen in
spezifische eigene Sachanliegen wird die Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens
bejaht, wenn es in qualifizierter Weise betroffen ist (BGE 135 I 43 E. 1.3 S.
47); dies ist dann anzunehmen, wenn ein Hoheitsakt wesentliche öffentliche
Interessen in einem Politikbereich betrifft, der ihm zur Regelung zugewiesen
wurde (BGE 135 II 12 E. 1.2.2 S. 15 f.). In jedem Fall aber setzt die
Beschwerdebefugnis zur Durchsetzung hoheitlicher Anliegen eine erhebliche
Betroffenheit in wichtigen öffentlichen
BGE 136 II 383 S. 387
Interessen voraus; gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89
Abs. 1 BGG dürfen Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zugelassen
werden (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 47). Das allgemeine Interesse an der richtigen
Rechtsanwendung verschafft dem Gemeinwesen noch keine Beschwerdebefugnis.
Insbesondere ist die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht
berechtigt, gegen den sie desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu
gelangen. Zur Begründung des allgemeinen Beschwerderechts genügt auch nicht
jedes beliebige, mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe direkt oder
indirekt verbundene finanzielle Interesse des Gemeinwesens (BGE 134 II 45 E.
2.2.1 S. 47 mit Hinweisen).

2.5 Eine derartige spezifische und qualifizierte Betroffenheit des Gemeinwesens
ist vorliegend nicht ersichtlich. Zwar geniessen die Kantone bei der Regelung
der Erbschafts- und Schenkungssteuern einen erheblichen Gestaltungsspielraum,
und es kann sich dabei auch um einen namhaften Teil der Staatseinnahmen
handeln. Indessen hat der Kanton Graubünden mit dem Gesetz, dessen
Übergangsbestimmungen hier umstritten sind, die Nachlasssteuer für die
Nachkommen, also im häufigsten und wichtigsten Anwendungsfall, gerade
abgeschafft. Er hat damit kundgetan, dass es sich insoweit um einen
entbehrlichen Teil seiner Gesetzgebung handelt und damit um Einnahmen, auf die
er in Zukunft ganz verzichten kann. Mithin geht es für den Kanton Graubünden
nicht (mehr) um einen wichtigen Regelungsbereich. Hat er aber der
Nachlasssteuer im Hauptanwendungsfall, also für die Nachkommen, selber im
Hinblick auf die Alimentierung der Staatsfinanzen keine Bedeutung mehr
zugemessen, so kann umso mehr auch der diesbezüglichen Übergangsbestimmung
betreffend die noch nicht versteuerten Vorempfänge der Nachkommen keine grosse
Bedeutung mehr zukommen. Der Umstand, dass es sich dabei um die Erfassung von
recht zahlreichen Vorfällen mit einem Steueraufkommen von ca. 30 Mio. Franken
handelt, vermag daran nichts zu ändern. Sind die Einnahmen aus einem bestimmten
Bereich inskünftig überhaupt verzichtbar, so kommt auch den noch nicht
erledigten Fällen aus früheren Jahren einnahmenseitig im Normalfall keine
zentrale Bedeutung zu; spezielle Verhältnisse sind hier vom Kanton nicht
dargetan worden.

2.6 Daraus folgt, dass der Kanton Graubünden durch die Auslegung und Anwendung
der umstrittenen Übergangsbestimmung nicht qualifiziert in eigenen hoheitlichen
Interessen und damit nicht in
BGE 136 II 383 S. 388
schutzwürdigen Interessen im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG betroffen ist. Er
kann in der Sache selber keine Legitimation beanspruchen. Auf die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist insoweit nicht einzutreten.

3.

3.1 Der Beschwerdeführer führt weiter aus, dass - selbst im Falle der
Verneinung der Legitimation in der Sache - praxisgemäss auf die Beschwerde
einzutreten sei, soweit damit die Verletzung von Parteirechten gerügt werde,
deren Missachtung auf eine formelle Rechtsverweigerung hinauslaufe. Der Kanton
Graubünden sei jedenfalls legitimiert, die Verletzung des rechtlichen Gehörs
und die Befangenheit eines Verwaltungsrichters zu rügen.

3.2 Im Ergebnis verlangt der Kanton Graubünden damit die analoge Anwendung der
sogenannten "Star-Praxis" auf das vorliegende Verfahren. Danach kann ein
Beschwerdeführer, der in der Sache selbst nicht zur Beschwerdeführung
berechtigt ist, dem aber im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam, die
Verletzung von Parteirechten rügen, die ihm von Verfassungs wegen zustehen (BGE
114 Ia 307 E. 3c S. 312 f., auch zum Folgenden). Im Vordergrund stehen dabei
Verstösse gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Ausgeschlossen sind aber
Vorbringen, die auf eine Überprüfung des Sachentscheides abzielen oder
hinauslaufen.

3.3 Die "Star-Praxis" wurde unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 16.
Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege
(Bundesrechtspflegegesetz, OG; BS 3 531) zur staatsrechtlichen Beschwerde
entwickelt; sie ermöglichte privaten Beschwerdeführern, die keine materiellen
"rechtlich geschützten Interessen" (vgl. Art. 88 OG und dazu BGE 113 Ia 247 E.
2 S. 249) geltend machen konnten, die Durchsetzung von rechtlich geschützten
Verfahrensinteressen. Bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, zu deren
Ergreifung schon befugt war, wer durch einen Entscheid betroffen war und an
dessen Aufhebung oder Änderung ein schutzwürdiges eigenes (rechtliches oder
auch nur tatsächliches) Interesse geltend machen konnte (Art. 103 lit. a OG;
BGE 98 Ib 63 E. 2c S. 70 f.), erwies sich die "Star-Praxis" aber als
entbehrlich. Dementsprechend hat das Bundesgericht im Bereich des öffentlichen
Rechts nach der Einführung des BGG die "Star-Praxis" übernommen, wo die
Beschwerdeführung vor dem Bundesgericht ein rechtlich geschütztes Interesse
voraussetzt und nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zur
BGE 136 II 383 S. 389
Verfügung steht (Art. 115 lit. b BGG; BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198 f.).
Ausnahmsweise hat es die "Star-Praxis" aber analog angewendet, wenn die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offenstand. Dies war bei
Popularbeschwerdeführern der Fall, die materiell keine hinreichend nahe
Beziehung zur Streitsache aufwiesen, aber vorinstanzlich über besondere
Verfahrensrechte verfügten (so für den Radio- und Fernsehbereich: BGE 135 II
430 E. 3.2 S. 437; vgl. auch schon für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde: BGE
123 II 115 E. 2c S. 120 f.).

3.4 Die "Star-Praxis" wurde jedoch - wie bereits oben erwähnt - im Rahmen der
staatsrechtlichen Beschwerde entwickelt, um den verfahrensrechtlichen
Grundrechtsschutz für private Betroffene, die keine rechtlich geschützten
Interessen geltend machen konnten, zu gewährleisten. Daraus lässt sich indessen
nichts zu Gunsten der am Verfahren beteiligten Gemeinwesen ableiten. Die
Rechtsmittel sind in erster Linie auf die betroffenen Privaten zugeschnitten.
Die Beteiligung des Gemeinwesens am Verfahren ist denn auch nicht umfassender,
sondern von vornherein beschränkter Natur; in öffentlich-rechtlichen Verfahren
ist das Gemeinwesen in der Regel nicht Gegenpartei, sondern bloss als
verfügende Behörde oder als zur Wahrung der öffentlichen Interessen berufene
Instanz dazu befugt, am Verfahren teilzunehmen und - ähnlich einer Partei -
Verfahrensrechte auszuüben. Eine analoge Anwendung der "Star-Praxis" auf das
Gemeinwesen wäre somit nicht sachgemäss. Sie würde auf eine Ausdehnung der
Beschwerdeberechtigung hinauslaufen, die der Bundesgesetzgeber nicht
beabsichtigt hat (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 4329 Ziff. 4.1.3.3.3).
Auf die Verfassungsrügen der Regierung ist daher auch unter diesem
Gesichtswinkel nicht einzutreten.

4. Fragen kann sich bloss noch, ob die von der Regierung des Kantons Graubünden
geltend gemachte Verletzung der Ausstandspflicht die Nichtigkeit des
angefochtenen Entscheids nach sich zieht.

4.1 Die Verletzung der Ausstandsregeln und somit der Garantie des unabhängigen
Richters kann ausnahmsweise, in besonders schwer wiegenden Fällen, die
Nichtigkeit des Entscheids zur Folge haben; die Nichtigkeit ist in solchen
Fällen von Amtes wegen zu beachten und festzustellen. Zu den besonders schwer
wiegenden Fällen ist dabei insbesondere die Verfolgung persönlicher Interessen
zu zählen (BGE 120 IV 226 E. 7b S. 241; vgl. auch BGE 114 Ia 153 E. 3a/bb
BGE 136 II 383 S. 390
S. 156 f.; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006,
N. 971; BREITENMOSER/SPORI FEDAIL, in: VwVG, Praxiskommentar zum Bundesgesetz
über das Verwaltungsverfahren, 2009, N. 104 zu Art. 10 VwVG; PIERRE MOOR, Droit
administratif, Bd. II, 2. Aufl. 2002, S. 316). Selbst bei formell unzulässigen
Beschwerden kann das Bundesgericht, wenn es mit einer nichtigen Verfügung
befasst wird, eingreifen und diese von Amtes wegen aufheben (BGE 94 III 65 E. 2
S. 71; BGE 132 III 539 E. 3 S. 541).

4.2 Am angefochtenen Urteil vom 12. Mai 2009 hat mit Verwaltungsrichter V. ein
Richter mitgewirkt, der offenbar selber ein abgeleitetes persönliches Interesse
an der Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage hatte. Wenn die Vorinstanz der
Sichtweise der kantonalen Behörden gefolgt wäre, müsste Verwaltungsrichter V.
noch nicht abgesteuerte eigene Vorempfänge in beträchtlicher Höhe zur
Versteuerung bringen und einen mutmasslichen Steuerbetrag in der Grössenordnung
von über Fr. 40'000.- entrichten. Mit dem vorinstanzlichen Auslegungsergebnis
fällt die Besteuerung der Vorempfänge von Verwaltungsrichter V. weg. Diese
Vorbringen der Regierung sind unbestritten geblieben.

4.3 Gewiss kann nicht jede denkbare Mitbetroffenheit eines Richters dazu
führen, dass er als befangen und voreingenommen und damit ausstandspflichtig
gelten muss. Ein gewisses indirektes oder abstraktes persönliches Mitinteresse
des mitwirkenden Richters am Ausgang eines Verfahrens muss gerade in
Steuerangelegenheiten, in denen oft Vorschriften auszulegen sind, die eine
Vielzahl oder die meisten Steuerpflichtigen betreffen, in Kauf genommen werden.
Selbst wenn man aber eine gewisse Mitbetroffenheit der Richter in Steuersachen
als systemimmanent und unvermeidlich bezeichnen will und davon ausgeht, ein
Richter könne in der Regel von der eigenen persönlichen Lage abstrahieren und
objektiv urteilen, muss doch in Fällen qualifizierter Betroffenheit durch einen
Entscheid darauf geschlossen werden, dass ein persönliches Interesse des
Richters gegeben ist, das ihn als befangen erscheinen lässt und seine
Mitwirkung bei der Entscheidfindung ausschliesst.

4.4 Vorliegend steht eine solche Betroffenheit zur Diskussion: Der mitwirkende
Verwaltungsrichter V. scheint durch die von der Vorinstanz vorgenommene
Auslegung der Übergangsbestimmung in bedeutendem Mass persönlich betroffen,
weil er offenbar ein Veranlagungsverfahren zu gewärtigen hat, in dem die genau
gleiche
BGE 136 II 383 S. 391
Rechtsfrage zu beantworten ist und die Antwort für ihn - je nach Ergebnis - mit
beträchtlichen Steuerfolgen verbunden ist. In einem solchen Fall, in dem ein
mitwirkender Richter am Ergebnis ein ableitbares und absehbares erhebliches
eigenes Interesse hat, kann dieser Richter nicht mehr als unabhängig
erscheinen. Es muss auf ein persönliches Interesse an der Beurteilung der Sache
geschlossen werden, das ihn beeinflussen könnte und somit in den Ausstand
zwingt. Daraus folgt, dass am vorinstanzlichen Entscheid anscheinend ein
Richter mitgewirkt hat, der wegen Befangenheit hätte in den Ausstand treten
müssen.
Die weiteren Umstände schliessen die Möglichkeit unerlaubter Einflussnahme
nicht aus. So hat die Regierung - wiederum unwidersprochen - darauf
hingewiesen, dass das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis seine
bisherige Praxis bezüglich des Zeitpunkts, in dem die Steuerpflicht für
Vorempfänge entsteht bzw. entstand, geändert hat, was den persönlichen
Interessen von Verwaltungsrichter V. entgegenkam. Das Verwaltungsgericht hat
sein Ergebnis im Weiteren auf Argumente (Wegfall der gesetzlichen Grundlage)
gestützt, die im unterinstanzlichen Verfahren und in den Rechtsschriften gar
nicht vorgebracht worden waren (dort ging es nur um die Verjährung), sondern
erstmals von ihm selber releviert worden sind.

4.5 Allerdings kann der gerügte Mangel - sollte er zutreffen - nicht als derart
schwer wiegend bezeichnet werden, dass er geradezu die Nichtigkeit des
angefochtenen Erkenntnisses bewirken muss (vgl. BGE 133 II 366 E. 3.2 S. 367
mit Hinweis). Für den ausstandspflichtigen Richter ergibt sich kein direkter
persönlicher Vorteil aus dem angefochtenen Urteil, sondern nur ein indirekter,
abgeleiteter. Zudem muss in Steuerfällen, wie in E. 4.3 erwähnt, eine gewisse
Reflexwirkung auf die persönlichen Interessen der mitwirkenden Richter von
vornherein als systemimmanent und unvermeidlich in Kauf genommen werden. Weiter
handelt es sich um eine Steuer, die aufgehoben wurde, weshalb den noch zu
besteuernden Fällen keine besondere Bedeutung für die künftige Rechtsanwendung
mehr zukommen kann. Schliesslich ist es den kantonalen Behörden unbenommen, in
einem weiteren Fall eine neuerliche verwaltungsgerichtliche Beurteilung der
interessierenden Fragestellung (Steuerfreiheit der bis Ende 2007 noch nicht
besteuerten Erbvorbezüge) zu provozieren und dabei zu verlangen, dass
Verwaltungsrichter V. in den Ausstand tritt. Diese Umstände sprechen letztlich
gegen die
BGE 136 II 383 S. 392
Annahme der Nichtigkeit, auch wenn die gerügte persönliche Verflechtung das
Mass des Hinzunehmenden deutlich überschreitet.