Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 359



Urteilskopf

136 II 359

31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Bundesamt für Raumentwicklung gegen X., Gemeinderat Kriens und Dienststelle
Raumentwicklung, Wirtschaftsförderung und Geoinformation des Kantons Luzern
(Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_556/2009 vom 23. April 2010

Regeste

Behördenbeschwerde (Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG); zulässige Begehren.
Das Beschwerderecht der Bundesbehörden ist abstrakter und autonomer Natur.
Diese können sich erstmals vor Bundesgericht am Verfahren beteiligen und neue,
im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht streitige, Begehren stellen. Die
beschwerdeberechtigte Bundesbehörde kann insbesondere auch eine reformatio in
peius der erstinstanzlichen Verfügung beantragen (E. 1.2).

Regeste

Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands.
Formell rechtswidrige Bauten, die auch nachträglich nicht legalisiert werden
können, müssen grundsätzlich beseitigt werden (E. 6).
Prüfung, ob dem vollständigen Abbruch Gründe des Vertrauensschutzes (E. 7), der
Verwirkung (E. 8), der Verhältnismässigkeit (E. 9) oder der Rechtsgleichheit
(E. 10) entgegenstehen; dies ist zu verneinen.
Keine Verwirkung der Befugnis der Behörden, den Abbruch anzuordnen, wenn die
vor über 30 Jahren errichtete illegale Baute laufend ausgebaut und vergrössert
worden ist (E. 8.3).

Sachverhalt ab Seite 360

BGE 136 II 359 S. 360

A. X. ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 5228 (früher Nr. 1848), GB Kriens, das
ausserhalb der Bauzone im Krienser Hochwald auf der Krienseregg liegt. Er hat
das Grundstück am 3. Januar 1972 von seinem Vater erworben.
Das Gelände ist Teil des Schutzperimeters der Schutzverordnung Krienser
Hochwald vom 29. Juni 2000 (nachfolgend: SchutzV). Die Parzelle Nr. 5228 liegt
teilweise in der Zone "Wald ohne Bewirtschaftung", in welcher sämtliche
Nutzungen land- und waldwirtschaftlicher Art, Erholungs-, Sportaktivitäten und
dergleichen verboten sind (Art. 9 SchutzV). Der südliche Bereich des
Grundstücks liegt in der Zone "Mahd", in welcher alle landwirtschaftlichen
Nutzungsarten untersagt sind, ausgenommen das Mähen (Art. 10 SchutzV). Zudem
befindet sich das Grundstück im Perimeter des Furenmooses, eines Hochmoors von
nationaler Bedeutung (Objekt Nr. 417 gemäss Anhang 1 der Verordnung vom 21.
Januar 1991 über den Schutz der Hoch- und Übergangsmoore von nationaler
Bedeutung [Hochmoorverordnung; SR 451.32]).
BGE 136 II 359 S. 361

B. Auf der Parzelle befand sich gemäss Bauanzeige vom 7. August 1967 früher
eine Holzbaracke auf Zementsockel, die 3 m lang, 2,5 m breit und 2,5 m hoch
war. Mit den Jahren wurde die Baracke verschiedentlich vergrössert und
abgeändert; die Baute weist heute eine Länge von 9,15 m, eine Breite von 5,2 m
und eine Höhe von 5 m auf und wird als Ferien- und Wochenendhaus benutzt. Im
Jahre 1990 wurde ein Anbau von 4x4x4 m als Unterstand für einen Forsttraktor
bewilligt. Weiter befinden sich auf dem Grundstück ein Holzunterstand
(bestehend aus zwei massiven Hütten mit Blechdach und Abschlussblachen), ein
Unterstand für einen Forsttraktor mit einer Fläche von 36 m^2 und ein Torbogen.
Zudem wurde der Boden mit Asphalt und anderen Materialien befestigt und ein
Teil des Grundstücks eingezäunt.
Nach wiederholten Aufforderungen der Gemeinde reichte X. am 20. September 2006
ein nachträgliches Baugesuch für die bisher nicht bewilligten Bauten und
Anlagen ein. Dagegen erhoben Pro Natura und ihre Sektion Pro Natura Luzern
Einsprache.
Mit Entscheid vom 12. März 2008 verweigerte die Dienststelle Raumentwicklung,
Wirtschaftsförderung und Geoinformation des Kantons Luzern (RAWI) die
raumplanungs- und waldrechtlichen Ausnahme- und Sonderbewilligungen für die
verschiedenen baulichen Massnahmen. Der Gemeinderat Kriens wies das Baugesuch
am 24. September 2008 ab und verpflichtete den Eigentümer, folgende Bauten und
Anlagen abzubrechen (Disp.-Ziff. 4):
- Anbau
- Unterstand Forsttraktor
- Torbogen
- Holzunterstand
- Asphaltierung Vorplatz
- Bodenbefestigungen mit Granit, Betonsteinen, Kies (im Plan vom 19. August
2008 gelb eingefärbte Fläche).
Auf den Abbruch folgender Bauten und Anlagen wurde verzichtet (Disp.-Ziff. 6):
- Haus mit Dachaufbau und Schlepplukarne,
- Maschendrahtzaun,
- Kiesbelag auf der Ost- und Südseite des Hauses (blau eingefärbte Fläche
gemäss Plan vom 19. August 2008).

C. Gegen diese Verfügung erhob X. Beschwerde ans Verwaltungsgericht Luzern. Er
beantragte die Aufhebung des Entscheids der
BGE 136 II 359 S. 362
Dienststelle RAWI und des Gemeinderats Kriens (mit Ausnahme von Disp.-Ziff. 6).
Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Bauten und Anlagen auf dem
Grundstück (mit Ausnahme des im Jahre 1990 bewilligten Anbaus) nie bewilligt
worden waren und eine Baubewilligung auch nicht nachträglich erteilt werden
könne. Das Verwaltungsgericht bestätigte die von der Gemeinde erlassene
Wiederherstellungsverfügung, mit Ausnahme des Abbruchbefehls für den Anbau.
Zwar diene der Anbau heute nicht mehr als Garage, sondern als Wohnraum, obwohl
im Bewilligungsentscheid ausdrücklich festgehalten worden sei, dass die Garage
nicht zweckentfremdet werden dürfe, insbesondere nicht für Wohnzwecke. Zur
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands genüge es aber, den Anbau wieder
in eine Garage umzubauen und umzunutzen.
Das Verwaltungsgericht hiess daher die Beschwerde am 19. November 2009 in dem
Sinne teilweise gut, als in Bezug auf den Anbau anstelle des Abbruchs die
Wiederherstellung der am 5. September 1990 bewilligten Nutzung (Garage für
einen Forsttraktor) angeordnet werde. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

D. Gegen die Entscheide des Verwaltungsgerichts und des Gemeinderats erhob das
Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) am 22. Dezember 2009 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht. Es beantragt den
Abbruch sämtlicher Bauten und Anlagen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Gegen den angefochtenen, kantonal letztinstanzlichen Entscheid steht die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich offen (Art.
82 ff. BGG).

1.1 Das ARE ist nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG und Art. 48 Abs. 4 der
Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000 (RPV; SR 700.1) zur Beschwerde ans
Bundesgericht legitimiert, um die öffentlichen Interessen, insbesondere an der
richtigen und rechtsgleichen Anwendung des Bundesrechts, zu wahren.

1.2 Nach der Rechtsprechung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 103
lit. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über
BGE 136 II 359 S. 363
die Organisation der Bundesrechtspflege (OG) war die beschwerdeberechtigte
Bundesbehörde auch berechtigt, eine reformatio in peius zu beantragen (BGE 102
Ib 282 E. 2-4 S. 286 ff.; BGE 113 Ib 219 E. 1c S. 222; Urteil 1A.17/2004 vom
19. Mai 2004 E. 1.2, in: ZBl 106/2005 S. 384), und zwar ungeachtet der
entsprechenden kantonalen Verfahrensvorschriften. Das Bundesgericht ging davon
aus, dass die Behördenbeschwerde des Bundes als Mittel der Bundesaufsicht ihres
Gehalts entleert würde, wenn der Streitgegenstand für das Verfahren vor
Bundesgericht bereits im kantonalen Verfahren eingeschränkt würde.
Diese Praxis ist auch unter der Geltung des BGG beizubehalten.
Der Gesetzgeber hat in Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG die bisherige Regelung von
Art. 103 lit. b OG übernommen. In der Botschaft (vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4330 zu Art. 84 E-BGG) wird dazu
ausgeführt, lit. a wolle die einheitliche Anwendung des Bundesrechts
sicherstellen. Die Bundesverwaltung könne "wie bisher" von ihrem
Beschwerderecht in den Fällen Gebrauch machen, die ihren spezifischen
Aufgabenbereich betreffen.
Das Beschwerderecht der Bundesbehörden gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG ist
abstrakter und autonomer Natur (BGE 135 II 338 E. 1.2.1 S. 341 f.). Die
Legitimationsvoraussetzungen von Art. 89 Abs. 1 BGG sind nicht anwendbar. Dies
gilt insbesondere auch für die Voraussetzung der Beteiligung am
vorinstanzlichen Verfahren im Sinne von Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG. Das ARE kann
beim Bundesgericht somit auch Beschwerde führen, wenn es sich nicht am
vorinstanzlichen Verfahren beteiligt hat (Urteile des Bundesgerichts 1C_254/
2009 vom 25. September 2009 E. 1.3; 1C_397/2007 / 1C_427/2007 vom 27. Mai 2008
E. 1.3; BERNHARD WALDMANN, Die Beschwerdebefugnis ohne Kenntnis des
Beschwerdeobjekts, Baurecht 2009 S. 72; ALAIN WURZBURGER, in: Commentaire de la
LTF, 2009, N. 45 zu Art. 89 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz
[BGG], 2007, N. 43 zu Art. 89 BGG). Die Bundesbehörden sind daher nicht an
Einschränkungen des Streitgegenstands im kantonalen Beschwerdeverfahren
gebunden, sondern können im Rahmen ihres Beschwerderechts neue Begehren stellen
(BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 14
zu Art. 111 BGG), insbesondere auch eine reformatio in peius beantragen (BGE
113 Ib 219 E. 1c S. 222).
BGE 136 II 359 S. 364
Zwar sind die zuständigen Bundesbehörden gestützt auf Art. 111 Abs. 2 BGG (vgl.
auch Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG [SR 700]) berechtigt, am kantonalen Verfahren
teilzunehmen (BGE 135 II 338 E. 2.1 S. 344). Den beschwerdeberechtigten
Bundesbehörden, werden aber nur letztinstanzliche kantonale Entscheide eröffnet
(vgl. Art. 1 lit. c und Art. 2 lit. d der Verordnung vom 8. November 2008 über
die Eröffnung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten [SR 173.110.47]). In aller Regel
erfahren sie erst nach dem Urteil der letzten kantonalen Instanz vom Inhalt des
erstinstanzlichen Entscheids. Um ihre Aufsichtsfunktion wahrzunehmen, müssen
sie die Möglichkeit haben, eine Korrektur des erst instanzlichen Entscheids zu
verlangen, soweit dieser Bundesrecht verletzt. Dies schliesst die Überprüfung
von Fragestellungen mit ein, die im kantonalen Verfahren nicht umstritten
waren.

1.3 Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde einzutreten, auch soweit die
Abänderung der erstinstanzlichen Verfügung des Gemeinderats zulasten des
Beschwerdegegners verlangt wird.
Dem Grundstückseigentümer ist hierzu im bundesgerichtlichen Verfahren das
rechtliche Gehör zu gewähren. Ihm ist es daher - analog Art. 99 Abs. 1 BGG -
gestattet, auch neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen, zu denen erst die
neuen Begehren des ARE Anlass geben.
(...)

6. Der Anordnung der Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands kommt
massgebendes Gewicht für den ordnungsgemässen Vollzug des Raumplanungsrechts zu
(Urteil 1C_397/2007 / 1C_427/2007 vom 27. Mai 2008 E. 3.4, in: URP 2008 S. 590,
RDAF 2009 I S. 521). Werden illegal errichtete, dem RPG widersprechende Bauten
nicht beseitigt, sondern auf unabsehbare Zeit geduldet, so wird der Grundsatz
der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet in Frage gestellt und rechtswidriges
Verhalten belohnt. Formell rechtswidrige Bauten, die auch nachträglich nicht
legalisiert werden können, müssen daher grundsätzlich beseitigt werden (PETER
HÄNNI, Der Abbruch von Bauten und Anlagen, Baurecht 2005 S. 153; MARIE-FRANCE
RAVEL, Illegale Bauten: was tun? Rechtsprechung und Praxis, Raum & Umwelt 2004
S. 29 f. und 35). Davon geht auch § 209 des Luzerner Planungs- und Baugesetzes
vom 7. März 1989 (PBG/LU; SRL 735) aus, der den Gemeinderat verpflichtet, für
die Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands zu sorgen (Abs. 2).
BGE 136 II 359 S. 365
Die Anordnung des Abbruchs bereits erstellter Bauten kann jedoch nach den
allgemeinen Prinzipien des Verfassungs- und Verwaltungsrechts (ganz oder
teilweise) ausgeschlossen sein (BGE 111 Ib 213 E. 6 S. 221; BGE 108 Ia 216 E. 4
S. 217; je mit Hinweisen). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands unverhältnismässig wäre. Überdies
können Gründe des Vertrauensschutzes der Wiederherstellung entgegenstehen, oder
diese kann aufgrund des Zeitablaufs verwirkt sein.

7. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verwirkt der Anspruch der
Behörden auf Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands im Interesse der
Rechtssicherheit grundsätzlich nach 30 Jahren, sofern der Kanton keine kürzeren
Verwirkungsfristen vorsieht. Kürzere Verwirkungsfristen können sich jedoch aus
Gründen des Vertrauensschutzes ergeben.

7.1 Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Baupolizeibehörden zwar vor
Ablauf der 30-jährigen Frist einschreiten, den baurechtswidrigen Zustand aber
über Jahre hinaus duldeten, obschon ihnen die Gesetzwidrigkeit bekannt war oder
sie diese bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätten kennen müssen (BGE 132 II
21 E. 6.3 S. 39; BGE 107 Ia 121 E. 1c S. 124; Urteil 1P.768/2000 vom 19.
September 2001 E. 3a, in: ZBl 103/2002 S. 188, Pra 2002 Nr. 3 S. 9, RDAF 2003 I
S. 395).
Darauf kann sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung aber nur berufen,
wer selbst im guten Glauben gehandelt hat (BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39), d.h.
angenommen hat und (unter Anwendung zumutbarer Sorgfalt) annehmen durfte, die
von ihm ausgeübte Nutzung sei rechtmässig bzw. stehe mit der Baubewilligung in
Einklang (BGE 132 II 21 E. 6 S. 35; BGE 111 Ib 213 E. 6a S. 221 ff.; Urteil
1P.768/2000 vom 19. September 2001 E. 4c, in: ZBl 103/2002 S. 188, Pra 2002 Nr.
3 S. 9, RDAF 2003 I S. 395).
Dies ist vorliegend klarerweise nicht der Fall: Schon die ursprüngliche
Waldhütte war vom Vater des Beschwerdegegners ohne Baubewilligung errichtet und
vergrössert worden. In der Folge wurde sie vom Beschwerdegegner weiter
vergrössert und ausgebaut, obwohl er von der Gemeinde immer wieder auf die
Unrechtmässigkeit seines Tuns hingewiesen wurde: Bereits 1973 wurde er vom
Kreisforstamt aufgefordert, die Hütte zu entfernen. 1974 wurde die
nachträgliche Baubewilligung verweigert, wobei ausgeführt wurde, dass das Haus
dem Raumplanungs-, dem Naturschutz- und dem Waldrecht
BGE 136 II 359 S. 366
widerspreche. 1986 wurde die Einstellung jeglicher Bauarbeiten verfügt, auch
innerhalb der Hütte, und Strafanzeige beim Amtsstatthalter erstattet. 1987 wies
der Gemeindeammann den Beschwerdegegner darauf hin, falls keine Baubewilligung
für das Ferienhaus aufgefunden werde, sehe sich die Gemeinde gezwungen, das
Baubewilligungsverfahren für die gesamte Baute, mit allen seinen Folgen bei
einer negativen Beurteilung für die gesamte Baute, einzuleiten.
Die einzige Baubewilligung, die je erteilt wurde, betrifft die Garage für die
Unterstellung eines Forsttraktors. Aus der Bewilligung geht klar hervor, dass
sie nur für die Garage erteilt wurde und keine nachträgliche Bewilligung des
Ferienhauses beinhaltet. Auch dieser Anbau wurde in der Folge - entgegen dem
ausdrücklichen Zweckentfremdungsverbot in der Baubewilligung - zu Wohnzwecken
genutzt.

7.2 Der Beschwerdegegner wusste somit, dass sein Ferienhaus formell und
materiell baurechtswidrig war. Er durfte das Verhalten der Behörden, welche die
1973 ausgesprochene Abbruchanordnung des Kreisforstamts nicht durchsetzten und
keine neue Abbruchverfügung erliessen, deshalb nicht als nachträgliche
Legalisierung seines Bauvorhabens verstehen, sondern allenfalls als Duldung auf
Zusehen hin.
Dies gilt auch, soweit das Grundstück 1976 an die Abwasserkanalisation
angeschlossen wurde. Ob dieser Anschluss zu Recht erfolgte, ist vorliegend
nicht zu prüfen. Aus den vom Beschwerdegegner eingereichten Unterlagen ergibt
sich, dass der Anschluss allein aus gewässerschutzrechtlichen Gründen erfolgte,
für alle im Krienser Hochwald befindlichen Bauten, unabhängig von ihrer
raumplanungs- und baurechtlichen Beurteilung. Insofern durften der Anschluss
und der Beitragsbescheid von den betroffenen Grundstückseigentümern nicht als
nachträgliche Legalisierung aller bestehenden Bauten verstanden werden. Dies
gilt erst recht für den Beschwerdegegner, dem erst kurz vor dem Anschluss an
die Kanalisation die nachträgliche Baubewilligung für die bestehende Baute
verweigert worden war.
Der Auszug aus dem Gemeindeprotokoll 1982, als der Gemeinderat Kriens auf den
Erlass eines Abbruchbefehls verzichtete, wurde dem Beschwerdegegner, soweit
ersichtlich, nicht zugestellt, und konnte schon deshalb keinen
Vertrauenstatbestand begründen. Im Übrigen ergibt sich auch aus diesem Auszug
kein definitiver Verzicht auf Wiederherstellungsmassnahmen für alle Zukunft,
sondern lediglich die Notwendigkeit eines koordinierten Vorgehens, unter
BGE 136 II 359 S. 367
Berücksichtigung aller unrechtmässigen Bauten im Gebiet des Krienser Hochwalds.
Schliesslich ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdegegner im Vertrauen
auf diesen Gemeinderatsbeschluss Dispositionen getroffen hätte: Der
Beschwerdegegner hat die baulichen Dispositionen, die bei der Kontrolle 1982
festgestellt worden waren, gerade nicht gestützt auf behördliches Verhalten
bzw. Verfügungen getroffen.

7.3 Nach dem Gesagten stehen somit Gründe des Vertrauensschutzes der
Wiederherstellung nicht entgegen.

8. Näher zu prüfen ist dagegen die Verwirkung. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ist die Befugnis der Behörden, den Abbruch eines
baugesetzwidrigen Gebäudes oder Gebäudeteils anzuordnen, grundsätzlich auf 30
Jahren beschränkt (BGE 132 II 21 E. 6.3 S. 39; BGE 107 Ia 121 E. 1a S. 123).
Diese Praxis beruht auf dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit wie auch auf
praktischen Überlegungen (Schwierigkeit der Abklärung der tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnisse vor über 30 Jahren). Die Frist von 30 Jahren wurde in
Anlehnung an die ausserordentliche Ersitzung von Grundeigentum gemäss Art. 662
ZGB festgelegt.

8.1 Dieser Grundsatz wurde zunächst für das Forstrecht entwickelt (vgl. BGE 105
Ib 265), und in BGE 107 Ia 121 auf den Abbruch einer Baute innerhalb der
Bauzone übertragen (Galerie von 21 m^2 in einem Wohnzimmer). Ob diese
Rechtsprechung unverändert auf Bauten ausserhalb der Bauzone übertragen werden
kann (vgl. dazu CHRISTOPH DE QUERVAIN, Verjähren die Ansprüche auf
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands generell nach 30 Jahren?, Raum &
Umwelt 2004 S. 51 f.), hat das Bundesgericht bisher offengelassen (vgl. BGE 132
II 21 E. 6.3 S. 39). Die Frage braucht auch im vorliegenden Fall nicht
entschieden zu werden.

8.2 Fraglich erscheint weiter, ob die 30-jährige Frist auch dann gilt, wenn die
Behörden nicht einfach untätig geblieben sind, sondern - wie im vorliegenden
Fall - immer wieder Verfügungen ergingen (Abbruchanordnung 1973, Verweigerung
der nachträglichen Baubewilligung 1974, Anordnung des Baustopps und
Strafanzeige an den Amtsstatthalter 1986; Aufforderung zur Einreichung eines
nachträglichen Baugesuchs 1987 etc.), jedoch kein Abbruchbefehl erlassen bzw.
durchgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die
ausserordentliche Ersitzung gemäss Art. 662 ZGB einen 30-jährigen
"unangefochtenen" Besitz als Eigentümer
BGE 136 II 359 S. 368
voraussetzt. Auch diese Frage kann vorliegend offenbleiben, weil sich der
Beschwerdegegner aus einem anderen Grund nicht auf Verwirkung berufen kann.

8.3 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beginnt die Verwirkungsfrist
erst mit der Fertigstellung des Gebäudes oder des streitigen Gebäudeteils zu
laufen (BGE 107 Ia 121 E. 1b S. 124). Im vorliegenden Fall wurde die illegal
errichtete Waldhütte vom Beschwerdegegner (einem Schreinermeister) laufend
ausgebaut und vergrössert. Wie die in den Akten liegenden Fotos (aus den Jahren
1977 bis 2002) und die Pläne der Baugesuche 1973, BGE 107 Ia 1987 und 2006
zeigen, entwickelte sich die Baute von einer einfachen Holzbaracke zu einem
komfortablen Ferienhaus. In einem solchen Fall ist es praktisch unmöglich, den
Zustand von vor 30 Jahren zu eruieren.
Dies zeigt der vorliegende Fall deutlich. Wenn überhaupt, so käme eine
"Ersitzung" allenfalls für die - vermutlich Ende der 60er Jahre - erstellte
Hütte mit 3 m Länge, 2,5 m Breite und 2,5 m Höhe in Betracht. Diese ist durch
Fotos und durch das nachträgliche Baugesuch 1974 dokumentiert und bestand
während längerer Zeit. Auf dem ersten Foto der Gemeinde vom 15. Juli 1977 ist
ein einfacher Holzbau auf Punktfundamenten mit Wellblechdach zu sehen. Ein
Vergleich mit den Aufnahmen aus den Jahren 1981-1985 zeigt, dass diese Hütte
(zumindest äusserlich) unverändert bis Anfang der 80er Jahre bestand, dagegen
ab 1981 laufend verändert und erweitert wurde. Das heute bestehende Haus hat
mit der ursprünglichen Holzhütte praktisch nichts mehr gemein. Die Baute aus
den 60er Jahren existiert heute nicht mehr und kann schon aus diesem Grund
nicht mehr abgebrochen werden. Der vom ARE verlangte Abbruchbefehl betrifft
somit im Wesentlichen die seit 1980 kontinuierlich entstandene neue
Bausubstanz. Diesbezüglich ist keine Verwirkung eingetreten.

9. Das öffentliche Interesse an der vollständigen Wiederherstellung des
rechtmässigen Zustands ist erheblich: Der rechtswidrige Bau verletzt nicht nur
das für die Raumplanung grundlegende Prinzip der Trennung von Bau- und
Nichtbauzone, sondern befindet sich im Perimeter eines Hochmoors von nationaler
Bedeutung und im Perimeter der Schutzverordnung Krienser Hochwald vom 29. Juni
2000, d.h. in einer besonders sensiblen und schutzwürdigen Umgebung, in der
Bauten jeder Art verboten sind (vgl. Art. 5 lit. b Hochmoorverordnung), und
auch keine Erholungs-, Sportaktivitäten und
BGE 136 II 359 S. 369
dergleichen zulässig sind (Art. 9 SchutzV). Der Fortbestand eines Ferien- und
Wochenendhauses in dieser Umgebung widerspricht somit diametral den
Schutzzielen. Hinzu kommt, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass der
Bestand der Anlage zu unzulässigen Erweiterungen und Ergänzungen offenbar
geradezu einlädt (Urteil 1A.17/2004 vom 19. Mai 2004 E. 3.2, in: ZBl 106/2005
S. 384, RDAF 2006 I S. 626).
Bei dieser Sachlage kann offenbleiben, ob die streitige Baute auch auf
Waldareal steht (wovon das RAWI ausgeht) oder "nur" im Waldabstand (wovon bei
der Bewilligung des Anbaus 1990 ausgegangen wurde).
Die genannten öffentlichen Interessen überwiegen deutlich die privaten
Interessen des Beschwerdegegners. Zwar werden mit dem Abbruch (für den
Beschwerdegegner) bedeutende Vermögenswerte vernichtet. Der Beschwerdegegner
hat diese Investitionen jedoch in Kenntnis ihrer Rechtswidrigkeit getätigt und
damit auf eigenes Risiko gehandelt. Überdies hat er seit über 30 Jahren von der
rechtswidrigen Situation profitiert, indem er sein Grundstück zu Wohn- und
Erholungszwecken nutzen konnte. Er hat aber keinen Anspruch darauf, diese
rechtswidrige, dem Raumplanungsrecht widersprechende Wohnnutzung auch in
Zukunft fortzusetzen (vgl. Urteil 1C_408/ 2009 vom 11. Februar 2010 E. 4.3).

10. Schliesslich steht auch der Grundsatz der Rechtsgleichheit dem Abbruch der
Wohnbaute nicht entgegen. Der Beschwerdegegner macht zwar geltend, es bestünden
insgesamt 280 Bauten im Krienser Hochwald, davon vier in unmittelbarer Umgebung
seines Grundstücks, ebenfalls im Hochmoorperimeter. Er legt aber nicht dar,
dass diese Bauten in tatsächlicher und rechtlicher Sicht mit der seinigen
vergleichbar sind, d.h., dass es sich um formell und materiell rechtswidrige
Bauten handelt, die bösgläubig erstellt und fortlaufend ausgebaut und erweitert
worden sind. Sofern dies der Fall sein sollte, wird es Sache der Gemeinde sein,
auch in diesen Fällen die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands
anzuordnen.
Es kann daher offenbleiben, ob das Bundesgericht bei einer Beschwerde des ARE,
die im Interesse der Durchsetzung des Bundesrechts erhoben wird, überhaupt an
eine allfällige bundesrechtswidrige Praxis der Gemeinde und/oder des Kantons
gebunden sein kann (vgl. BGE 122 II 446 E. 4a S. 452).