Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 33



Urteilskopf

136 II 33

4. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG
gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
2C_268/2009 vom 8. Oktober 2009

Regeste

Art. 4a Abs. 1 und 2 VStG; Art. 659 Abs. 1 und 2 OR; Verrechnungssteuerpflicht
beim Eigenerwerb vinkulierter Namenaktien.
Art. 4a Abs. 1 VStG sieht beim Erwerb eigener Aktien die sofortige Besteuerung
vor, falls der Rahmen von Art. 659 OR nicht eingehalten ist; Art. 4a Abs. 2
VStG erfasst jene Fälle, in denen die Beteiligungsrechte handelsrechtlich
konform gehalten werden, nach Ablauf der Haltedauer von sechs Jahren indessen
dennoch verrechnungssteuerrechtlich erfasst werden sollen. Für vinkulierte
Namenaktien im Eigenbestand, die handelsrechtlich von maximal 20 auf 10 Prozent
des Aktienkapitals zu reduzieren sind, gelangen die zweiten zehn Prozent
bereits nach Ablauf der handelsrechtlichen Frist von zwei Jahren gemäss Art.
659 Abs. 2 OR zur Besteuerung (E. 2 und 3).

Sachverhalt ab Seite 34

BGE 136 II 33 S. 34
Die X. AG ist auf dem Geld- und Kapitalmarkt sowie in damit verwandten
Bereichen als Vermittlerin tätig. Ihr Aktienkapital beträgt Fr. 1,5 Mio. (1'500
Namenaktien à je Fr. 1'000.-). Es ist vollständig liberiert. Die
Übertragbarkeit der Aktien ist nach Massgabe der Statuten beschränkt. Die X. AG
besass am 31. Dezember 2000 50 eigene Aktien; im März 2001 erwarb sie weitere
275 hinzu, worauf sie in der Jahresrechnung per 31. Dezember 2001 325 eigene
Papiere auswies (21,67 % des Aktienkapitals). Im März 2002 veräusserte sie 125
Aktien, womit sie Ende 2002 noch deren 200 (13,33 % des Aktienkapitals) besass.
Am 30. März 2003 befanden sich noch 190 eigene Aktien in ihrem Besitz (12,66 %
des Aktienkapitals). Ende 2003 verfügte die X. AG noch über 185 Aktien, welche
sie per Ende 2005 auf 70 reduzierte.
Am 2. Mai 2005 teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) der X. AG mit,
dass per 30. März 2003 eine Verrechnungssteuerforderung von Fr. 60'200.- aus
einer Teilliquidation entstanden sei, da sie zu diesem Zeitpunkt die 10
%-Limite von eigenen Aktien für eine Dauer von zwei Jahren überschritten habe
(Art. 4a Abs. 1 [in der Fassung vom 10. Oktober 1997] des Bundesgesetzes vom
13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer [VStG; SR 642.21] in
BGE 136 II 33 S. 35
Verbindung mit Art. 659 Abs. 2 OR [in der Fassung vom 4. Oktober 1991]). Die
Eidgenössische Steuerverwaltung bestätigte ihre Forderung am 13. Juni 2005 und
23. Mai 2007 (Einspracheentscheid).
Mit Urteil vom 19. März 2009 wies das Bundesverwaltungsgericht die von der X.
AG hiergegen eingereichte Beschwerde ab. Es begründete seinen Entscheid im
Wesentlichen damit, dass sich aus dem Verweis in Art. 4a Abs. 1 VStG auf Art.
659 Abs. 1 und 2 OR eine Art "Teilliquidationsfiktion" ergebe, weshalb nicht
mehr zu prüfen sei, ob das Vorgehen tatsächlich zu einer Entreicherung der
Gesellschaft geführt habe. Die Überschreitung des handelsrechtlich Zulässigen
beim Rückkauf der eigenen Aktien der X. AG ergebe sich aus ihrer Jahresrechnung
bzw. den Anhängen dazu; die Vorinstanz habe deshalb zum Schluss kommen dürfen
und müssen, dass die Gesellschaft zumindest in der Zeitspanne vom 30. März 2001
bis zum 30. März 2003 gegen die handelsrechtlichen Vorschriften verstossen habe
und insofern verrechnungssteuerpflichtig geworden sei.
Das Bundesgericht weist die von der X. AG hiergegen gerichtete Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Der Bund erhebt gestützt auf Art. 132 Abs. 2 BV unter anderem eine
Verrechnungssteuer auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens (Art. 1 Abs. 1
VStG) und insbesondere auf Zinsen, Renten, Gewinnanteilen und sonstigen
Erträgen der von einem Inländer ausgegebenen Aktien (Art. 4 Abs. 1 lit. b
VStG). Der Erwerb eigener Beteiligungsrechte galt bis zur
Unternehmenssteuerreform von 1997 als verrechnungssteuerpflichtige direkte
Teilliquidation, soweit damit im Hinblick auf eine beabsichtigte
Kapitalherabsetzung über den Nennwert der Titel hinaus eine Entreicherung der
Gesellschaft (Ausschüttung von Reserven einschliesslich zurückbehaltener
Gewinne) verbunden war (vgl. zum Begriff der Teilliquidation auch: MARKUS
REICH, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2a: Bundesgesetz
über die direkte Bundessteuer, 2. Aufl. 2008, N. 87 ff. zu Art. 20 DBG). Den
bestehenden Beweisschwierigkeiten bei "verkappten" Teilliquidationen, d.h.
solchen, bei denen die Gesellschaft darauf verzichtet, das in der Bilanz
ausgewiesene Kapital ihrem Rückkauf entsprechend auf den de facto reduzierten
Stand herabzusetzen, trug die Praxis mit der Einführung von Haltefristen
Rechnung: Die Eidgenössische Steuerverwaltung behandelte den Erwerb eigener
Beteiligungsrechte verrechnungssteuerrechtlich als Teilliquidation,
BGE 136 II 33 S. 36
wenn diese nicht innert Jahresfrist mindestens zum Anschaffungspreis wieder
veräussert wurden. Im Jahre 1995 dehnte sie den Zeitraum auf zwei Jahre aus;
bei Publikumsgesellschaften, die regelmässig mit eigenen Beteiligungsrechten
handelten und während mehreren aufeinanderfolgenden Jahren eine derartige
Bilanzposition auswiesen, sah sie zudem von der Besteuerung ab, falls gestützt
auf den Anhang zur Bilanz ein tatsächlicher Handel nachgewiesen war (vgl. BBl
1997 II 1164 Ziff. 251 S. 1197 f.; Kreisschreiben der Eidgenössischen
Steuerverwaltung [KS EStV] Nr. 25: Direkte Bundessteuer, Besteuerung
kollektiver Kapitalanlagen und ihrer Anleger, Ziff. 2.2; CONRAD STOCKAR,
Gesetzliche Regelung des Erwerbs eigener Aktien, in: ASA 66 S. 685 ff.; VON AH/
DUSS, in: Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bd. II/2: Bundesgesetz
über die Verrechnungssteuer, 2005, N. 8 ff. zu Art. 4a VStG).

2.2

2.2.1 Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform von 1997 regelte der Gesetzgeber
die Problematik der verrechnungssteuerrechtlichen Folgen des Erwerbs eigener
Beteiligungsrechte neu: Nach Art. 4a VStG unterliegt seither die Differenz
zwischen dem Erwerbspreis und dem einbezahlten Nennwert der eigenen
Beteiligungsrechte der Verrechnungssteuer, falls eine Gesellschaft sie gestützt
auf einen Beschluss über die Herabsetzung des Kapitals oder im Hinblick auf
eine Herabsetzung ihres Kapitals erwirbt; dasselbe gilt, "soweit der Erwerb
eigener Beteiligungsrechte den Rahmen von Art. 659 oder 783 des
Obligationenrechts überschreitet" (Art. 4a Abs. 1 VStG). Erwirbt die
Gesellschaft im Rahmen von Art. 659 (bzw. Art. 783) des Obligationenrechts
eigene Beteiligungsrechte, ohne anschliessend ihr Kapital herabzusetzen, gilt
Art. 4a Absatz 1 VStG, "wenn die Gesellschaft oder die Genossenschaft diese
Beteiligungsrechte nicht innerhalb von sechs Jahren wieder veräussert" und
damit einen negotiablen Gegenwert realisiert (Art. 4a Abs. 2 VStG; STOCKAR,
a.a.O., S. 687 f.; REICH, a.a.O., N. 87 ff. zu Art. 20 DBG). Nach Art. 659 OR
darf eine Gesellschaft eigene Aktien erwerben, wenn frei verwendbares
Eigenkapital in der Höhe der dafür nötigen Mittel vorhanden ist und der gesamte
Nennwert dieser Aktien 10 Prozent des Aktienkapitals nicht übersteigt (Abs. 1).
Werden im Zusammenhang mit einer Übertragungsbeschränkung Namenaktien erworben,
so beträgt die Höchstgrenze 20 Prozent. Die über 10 Prozent des Aktienkapitals
hinaus erworbenen Aktien sind in diesem Fall innert zweier Jahre zu veräussern
oder durch eine Kapitalherabsetzung zu vernichten (Abs. 2).
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2.2.2 Beim Rückkauf eigener Beteiligungsrechte bestehen steuerrechtlich demnach
zwei unterschiedlich geregelte Situationen: Der Erwerb eigener
Beteiligungsrechte stellt immer eine unmittelbare bzw. unbedingte
Teilliquidation dar, falls die Gesellschaft die Beteiligungsrechte zum Zweck
der (zivilrechtlichen) Kapitalherabsetzung zurückkauft oder die prozentual
zulässigen Limiten von Art. 659 Abs. 1 und 2 OR überschreitet, d.h. mehr als 10
Prozent und bei vinkulierten Namenaktien mehr als 20 Prozent der
Beteiligungsrechte kauft (Art. 4a Abs. 1 VStG; JAUSSI/GHIELMETTI, Die eidg.
Verrechnungssteuer, 2007, S. 41; VON AH/DUSS, a.a.O, N. 28 ff. zu Art. 4a
VStG). Was diese Werte übersteigt, löst unverzüglich, d.h. bereits im Zeitpunkt
des Rückkaufs, die Steuerfolgen einer Teilliquidation aus (KS EStV Nr. 5:
Unternehmenssteuerreform 1997 - Neuregelung des Erwerbs eigener
Beteiligungsrechte, Ziff. 2.1). Eine mittel bare bzw. suspensiv bedingte
Teilliquidation liegt vor, falls die zurückkaufende Gesellschaft oder
Genossenschaft zwar die Prozentlimiten von Art. 659 OR respektiert, die
Beteiligungsrechte jedoch nicht innerhalb der steuerlich zulässigen
Haltefristen wieder veräussert (VON AH/DUSS, a.a.O., N. 50 ff. zu Art. 4a
VStG). Diese betragen nach Ansicht der Eidgenössischen Steuerverwaltung für die
ersten 10 Prozent der zurückgekauften Beteiligungsrechte sechs Jahre und bei
vinkulierten Aktien für den Anteil von 10 bis 20 Prozent zwei Jahre. Zu den
vinkulierten Namenaktien hält das Kreisschreiben Nr. 5 als Konsequenz hieraus
fest, dass deren Rückkauf im Zusammenhang mit einer Kapitalherabsetzung immer
zur Besteuerung nach Art. 4a Abs. 1 VStG führe. Komme es zu keiner
Kapitalherabsetzung, unterliege der Erwerb der ersten zehn Prozent der Regelung
von Art. 4a Abs. 2 VStG, womit eine Besteuerung erst nach Ablauf der Haltefrist
von sechs Jahren vorzunehmen sei. Für den Erwerb weiterer vinkulierter
Namenaktien gelte es hingegen zu unterscheiden: Die zweiten zehn Prozent
gelangten nach Ablauf der zweijährigen Frist gemäss Art. 659 Abs. 2 OR zur
Besteuerung, während bei jedem Erwerb, der 20 Prozent übersteige, unverzüglich,
d.h. bereits im Zeitpunkt des Rückkaufs, gestützt auf Art. 4a Abs. 1 VStG die
Verrechnungssteuer geschuldet sei (Ziff. 2.1).

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie am 30. März 2003 über 190
eigene vinkulierte Aktien (12,66 % des Aktienkapitals) verfügt und damit nicht
innerhalb der nach Art. 659 Abs. 2 OR gebotenen zwei Jahren (ab März 2001)
ihren Eigenbestand auf
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weniger als 10 Prozent reduziert hat. Sie macht indessen geltend, für die
Praxis der EStV, dass zwischen 10 und 20 Prozent der im Eigenbestand gehaltenen
vinkulierten Aktien die obligationenrechtliche Haltefrist von zwei Jahren
gelte, fehle eine gesetzliche Grundlage. Wortlaut und Systematik von Art. 4a
VStG zeigten klar, dass mit "Rahmen von Art. 659 OR" (nur) die quantitativen
Schranken beim Erwerb der eigenen Aktien gemeint seien, d.h. die 10 %- bzw. die
20 %-Schranke. Würden diese Quoten eingehalten, gelte Art. 4a Abs. 2 VStG. Die
Limitierung auf die aktienrechtliche Zweijahresfrist zum Abbau der
selbstgehaltenen vinkulierten Namenaktien auf 10 Prozent lasse sich Art. 4a
Abs. 2 VStG nicht entnehmen. Aus den Materialien ergäben sich keine Hinweise
darauf, dass steuerrechtlich diesbezüglich ein Unterschied zwischen den
"normalen" Aktien und den vinkulierten Namenaktien gemacht werden sollte. Die
Länge der Haltefrist von sechs Jahren beruhe auf praktischen und
wirtschaftlichen Erwägungen. Da sich weder im Wortlaut von Art. 4a VStG noch in
den Materialien ein Hinweis auf die handelsrechtliche Zweijahresfrist finde,
sei diese vom Normzweck nicht gedeckt. Der Steuergesetzgeber habe autonom -
ohne Rückgriff auf das Zivilrecht - entschieden, wann von einer
Teilliquidationsfiktion auszugehen sei, solange sich der Bestand an eigenen
Aktien innerhalb der aktienrechtlichen Quoten bewege. Die für Steuerzwecke
massgebliche Haltefrist sei mithin "abschliessend" in Art. 4a Abs. 2 VStG
geregelt.

3.2

3.2.1 Die Argumentation überzeugt nicht: Zwar wird - wie das Bundesgericht
bereits ausgeführt hat (Urteil 2A.9/2005 vom 27. Oktober 2005 E. 2.2, in: RDAF
2008 II 266 ff.) - die undifferenzierte steuerliche "Teilliquidations- bzw.
Entreicherungsfiktion" von Art. 4a Abs. 1 VStG (bzw. von Art. 20 Abs. 1 lit. c
des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR
642.11]) in der Doktrin kritisiert, doch hat der Gesetzgeber das Überschreiten
der obligationenrechtlichen Obergrenzen "als unbedingten
Teilliquidationstatbestand" gesetzlich verankert (VON AH/DUSS, a.a.O., N. 39 zu
Art. 4a VStG; vgl. zu den Kritiken: VON AH/DUSS, a.a.O., N. 28 ff. zu Art. 4a
VStG; BUCHSER/JAUSSI, Zivil- und steuerrechtliche Probleme beim direkten und
indirekten Rückkauf eigener Aktien, in: ASA 70 S. 619 ff., insbesondere S. 642
ff.). Er hat bei der steuerrechtlichen Regelung des Erwerbs eigener Aktien, der
aus seiner Sicht immer eine "Entreicherung der AG" bewirkt (Botschaft vom 26.
März 1997 zur Reform der Unternehmensbesteuerung 1997, BBl 1997 II
BGE 136 II 33 S. 39
1164 ff., 1197 Ziff. 251), eine einfache Lösung angestrebt, die den
Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung trägt, gleichzeitig aber auch dem
Interesse der Steuerbehörden an einem effizienten Vollzug entgegenkommt. Der
Gesetzgeber hat es in diesem Rahmen - abweichend von gewissen Vorschlägen im
Vernehmlassungsverfahren - abgelehnt, auf die Motive für den Rückkauf
abzustellen, da dies mit "heiklen Abgrenzungsfragen" verbunden wäre, den
Vollzug "sehr aufwendig" gestalten würde und der Rechtssicherheit nicht
dienlich erschiene (vgl. BBl 1997 II 1198 Ziff. 251). Bei der Anwendung von
Art. 4a VStG ist deshalb nicht noch einmal zu prüfen, ob das gewählte Vorgehen
wirtschaftlich tatsächlich zu einer Entreicherung der Gesellschaft führt und
aus welchen Gründen es zum Rückkauf der eigenen Aktien gekommen ist (Urteil
2A.9/2005 vom 27. Oktober 2005 E. 2.2, in: RDAF 2008 II S. 266 ff.).

3.2.2 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin regelt Art. 4a Abs. 1 VStG
die verrechnungssteuerrechtliche Rechtsfolge aller Tatbestände, bei denen die
handelsrechtlichen Vorgaben von Art. 659 OR nicht eingehalten sind, da die
Gesellschaft mit dem Rückkauf der eigenen Aktien - so der Bundesrat in seiner
Botschaft - nichts erwirbt, "das nicht schon ihr gehörte" (BBl 1997 1197 Ziff.
251). Die Bestimmung erfasst nicht nur den Erwerb der eigenen Papiere, sondern
auch deren anschliessendes Halten. Ein Verstoss gegen die entsprechenden
Vorgaben löst die (unwiderlegbare) steuerrechtliche Fiktion der Teilliquidation
aus. Der Verweis in Absatz 2 von Art. 4a VStG, wonach Absatz 1 "sinngemäss"
gilt, verdeutlicht das Prinzip von Grundsatz und Ausnahme: Absatz 1 sieht die
sofortige Besteuerung vor, falls der Rahmen von Art. 659 OR nicht eingehalten
ist; Absatz 2 erfasst jene Fälle, in denen der Erwerb der eigenen Aktien zwar
handelsrechtlich korrekt erfolgt ist und die Titel auch handelsrechtskonform
gehalten werden, es - in Abweichung vom OR - nach Ablauf der 6-jährigen
Haltedauer dennoch zur Besteuerung kommen soll (so auch PETER BÖCKLI, Schweizer
Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 4 N. 322 und 326; JAUSSI/GHIELMETTI, a.a.O., S.
41 f. und 100 f.; OBERSON/MERLINO, Le traitement fiscal du rachat par une
société de ses propres actions, in: Journée 1999 de droit bancaire et
financier, 2000, S. 77 ff., dort S. 84 f.).

3.2.3 Die verrechnungssteuerrechtliche Regelung in Art. 4a VStG verweist
generell auf Art. 659 OR, somit auch auf die dort verankerte Pflicht, die über
10 Prozent des Aktienkapitals hinaus erworbenen eigenen Aktien mit
Übertragungsbeschränkungen innert zweier
BGE 136 II 33 S. 40
Jahre zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten. Für die von
der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, Art. 4a VStG verweise nur
teilweise, nämlich bezüglich der Quoten, nicht jedoch bezüglich des in Art. 659
Abs. 2 Satz 2 OR vorgesehenen Abbaus, auf die handelsrechtliche Regelung,
bestehen keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut von Art. 4a VStG spricht eher
hiergegen. Zwar vertreten VON AH/DUSS die Ansicht, dass Art. 4a Abs. 2 VStG die
Zweijahresfrist nicht erwähne und gerade nicht auf Art. 659 Abs. 2 OR verweise,
woraus sie ableiten, dass deren Verletzung keinen suspensiv bedingten
Teilliquidationstatbestand bilde, weshalb ausschliesslich die sechsjährige
Haltefrist zur Anwendung komme (a.a.O., N. 54 zu Art. 4a VStG). Die
Argumentation ist indessen nicht zwingend: Indem der Gesetzgeber generell auf
Art. 659 OR verwiesen hat, ist vielmehr davon auszugehen, dass er damit auch
dessen Satz 2 von Absatz 2 in die steuerrechtliche Gesetzgebung einbezogen und
zu deren Bestandteil gemacht hat. Hätte der Gesetzgeber in diesem Punkt
abweichend von der handelsrechtlichen Regelung entscheiden wollen, hätte er
dies ausdrücklich so formuliert, nachdem er grundsätzlich davon ausgegangen
ist, dass aus steuerrechtlicher Sicht jeder Rückkauf eigener Aktien eine
Entreicherung der Gesellschaft und steuerrechtlich dementsprechend eine
Teilliquidation darstellt (vgl. BBl 1997 1197 Ziff. 251). Trotz der von der
Beschwerdeführerin beanstandeten Regelung im Kreisschreiben Nr. 5 der
Eidgenössischen Steuerverwaltung hat der Gesetzgeber im Rahmen der Anpassung
von Art. 4a VStG bei der Revision des GmbH-Rechts vom 16. Dezember 2005 (in
Kraft seit 1. Januar 2008) denn auch keine Veranlassung gesehen, hinsichtlich
der verrechnungssteuerrechtlichen Konsequenzen bei der Missachtung der
Rückführungspflicht auf 10 % die Praxis der Steuerverwaltung zu korrigieren
(vgl. BBl 2002 3148 ff., 3183 Ziff. 2.1.1.13).

3.2.4 Für deren kritisierte Auslegung sprechen neben dem Wortlaut, der
Systematik und der Entstehungsgeschichte auch Sinn und Zweck der Regelung sowie
die Einheitlichkeit der Rechtsordnung: Art. 4a VStG erfasst grundsätzlich
verrechnungssteuerrechtlich die Teilliquidation im Zeitpunkt der effektiven
Entreicherung der Gesellschaft, d.h. beim Erwerb der eigenen Aktien. Sofern
handelsrechtlich grosszügigere Regeln bestehen, sollen diese auch
verrechnungssteuerrechtlich gelten. Sind deren Voraussetzungen nicht mehr
erfüllt, treten die verrechnungssteuerrechtlichen Folgen - bis zur
Wiederherstellung des handelsrechtlich Gebotenen - sofort ein (Abs. 1).
BGE 136 II 33 S. 41
Es entspricht nicht dem Zweck von Art. 4a VStG, einen handelsrechtswidrigen
Sachverhalt, der ohne Sonderreglung eine unmittelbare steuerrechtliche
Teilliquidation auslösen würde, trotz ausdrücklichen Hinweises auf die
Regelungen in Art. 659 bzw. Art. 783 OR fortgelten und während zusätzlicher 4
Jahre ohne steuerrechtliche Konsequenzen zu lassen. Hieran ändert nichts, dass
Art. 659 OR handelsrechtlich lediglich als Ordnungsvorschrift gilt und seine
Verletzung in der Praxis oft sanktionslos bleibt bzw. lediglich
haftungsrechtliche Folgen seitens des Verwaltungsrats nach sich zieht (vgl.
MYRIAM SENN, Gesellschaftsrecht, 2001, S. 164; RITA TRIGO TRINDADE, in:
Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, Tercier/Amstutz [Hrsg.],
2008, N. 26 zu Art. 659-659a OR). Art. 4aVStG lehnt sich mit dem Hinweis auf
Art. 659 OR umfassend an die handelsrechtlichen Bestimmungen an und verankert
nicht in Abweichung von diesen eine steuerrechtlich günstigere eigene Regelung.
Im Umfang, in dem die Beschwerdeführerin nach zwei Jahren ihre zurückgekauften
vinkulierten Namenaktien über 10 Prozent des Aktienkapitals nicht weiter
veräussert hat, schuldet sie deshalb hierauf die von ihr eingeforderte
Verrechnungssteuer (vgl. auch BÖCKLI, a.a.O., § 4 N. 322; BUCHSER/JAUSSI,
a.a.O., S. 648).