Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 274



Urteilskopf

136 II 274

25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn gegen Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St.
Niklaus, A. und B.X. sowie Steueramt des Kantons Solothurn (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_372/2009 vom 14. April 2010

Regeste

Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d BGG (i.V.m. Art. 73 Abs. 2 StHG);
Beschwerdebefugnis einer Gemeinde betreffend Entscheide über das
Hauptsteuerdomizil eines Einwohners.
Die Beschwerdebefugnis einer Gemeinde gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG
i.V.m. Art. 73 Abs. 2 StHG setzt in jedem Fall eine ausdrückliche
materiellrechtliche Ermächtigung voraus. Wo eine kantonale Steuer
Streitgegenstand bildet, ist für die Bejahung der Beschwerdebefugnis sodann
erforderlich, dass der Gemeinde bei der Erhebung dieser Steuer besondere
Kompetenzen bzw. ein eigener Anwendungsspielraum zukommt (E. 3).
Auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG kann sich ein
Gemeinwesen berufen, wenn es durch den angefochtenen Entscheid gleich oder
ähnlich wie ein Privater betroffen ist. Diese Voraussetzung darf nur restriktiv
bejaht werden, wenn ein Gemeinwesen mit einer Beschwerde hoheitliche,
insbesondere fiskalische Interessen durchsetzen will (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 275

BGE 136 II 274 S. 275

A. Die Ehegatten A. und B.X. wohnten seit 1993 in einem Eigenheim in der Stadt
Solothurn. Im Jahr 2006 erwarb B.X. in der Gemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus/SO
zusätzlich eine geräumige Attikawohnung. In der Folge pendelten die Eheleute X.
zwischen der Stadt Solothurn und dem rund anderthalb Kilometer entfernten
Feldbrunnen-St. Niklaus hin und her. Ende 2006 deponierten die Eheleute X. auch
ihre Schriften in Feldbrunnen-St. Niklaus. Der
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Freundes- und Bekanntenkreis sowie die Freizeitaktivitäten der
Steuerpflichtigen änderten sich durch den Kauf der nahegelegenen
Eigentumswohnung kaum.
Mit Verfügung vom 21. Mai 2007 erkannte das Kantonale Steueramt Solothurn, das
Hauptsteuerdomizil für die Steuerperiode 2006 befinde sich in der Stadt
Solothurn. Diese Verfügung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.
Am 15. Februar 2008 verlangte die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus die
Feststellung, dass sich das Hauptsteuerdomizil der Eheleute X. für die
Steuerperiode 2007 in ihrer Gemeinde befinde. Eventuell sei ein alternierender
steuerrechtlicher Wohnsitz zwischen der Stadt Solothurn und ihrer Gemeinde
anzunehmen. Mit Verfügung vom 14. Mai 2008 erkannte das kantonale Steueramt
Solothurn indessen, das Hauptsteuerdomizil der Eheleute X. befinde sich auch
für die Steuerperiode 2007 in der Stadt Solothurn.

B. Gegen diese Verfügung erhob die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus
Einsprache, welche vom Kantonalen Steueramt am 22. September 2008 abgewiesen
wurde. In der Folge rekurrierte die Einwohnergemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus
beim Steuergericht des Kantons Solothurn. Dieses hiess den Rekurs mit Entscheid
vom 23. März 2009 gut und erkannte betreffend die Steuerperiode 2007 auf ein
alternierendes Steuerdomizil von A. und B.X.: Das Steuergericht schloss auf
eine je hälftige Besteuerung durch die Stadt Solothurn und die Gemeinde
Feldbrunnen-St. Niklaus.

C. Mit Eingabe vom 5. Juni 2009 führt die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht. Sie
beantragt, es sei das Urteil des Steuergerichtes aufzuheben und festzustellen,
dass sich das Hauptsteuerdomizil von A. und B.X. für die Steuerperiode 2007 in
der Stadt Solothurn befand. (...)
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Nach Art. 89 Abs. 2 lit. d BGG sind Personen, Organisationen und Behörden
zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten befugt, wenn ihnen ein
Bundesgesetz dieses Recht einräumt.
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3.1 Gemäss Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die
Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14)
unterliegen kantonal letztinstanzliche Entscheide, die eine in den Titeln 2-5
und 6 Kapitel 1 dieses Gesetzes geregelte Materie betreffen, nach Massgabe des
Bundesgerichtsgesetzes der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
an das Bundesgericht. Die Beschwerdebefugnis steht gemäss Art. 73 Abs. 2 StHG
den Steuerpflichtigen, der nach kantonalem Recht zuständigen Behörde und der
Eidgenössischen Steuerverwaltung zu.

3.2 Gemäss § 249^bis des Gesetzes des Kantons Solothurn vom 1. Dezember 1985
über die Staats- und Gemeindesteuern (StG/SO; BGS 614.11) sind für die Folgen
des Beginns, der Änderung und des Endes der subjektiven Steuerpflicht für die
Gemeindesteuern die Bestimmungen des StHG und die bundesrechtlichen Grundsätze
über das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung sinngemäss anzuwenden.
Die Steuerausscheidung zwischen verschiedenen solothurnischen Gemeinden wird
auf der Grundlage der Staatssteuerveranlagung vorgenommen und richtet sich im
Wesentlichen ebenfalls nach den Grundsätzen des Bundesrechts über das Verbot
der interkantonalen Doppelbesteuerung (§ 250 StG/SO).

3.3 Bei Fragen um die subjektive Steuerpflicht besteht sowohl im Allgemeinen
als auch im vorliegenden, konkreten Fall zumindest ein formaler Bezug zum
Doppelbesteuerungs- und zum Steuerharmonisierungsrecht. Überdies sind die
Fragen bezüglich der subjektiven Steuerpflicht im zweiten Titel des
Steuerharmonisierungsgesetzes geregelt und betreffen mithin einen
harmonisierten Bereich. Aus diesen Gründen steht nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung in solchen Angelegenheiten die Beschwerde gemäss Art. 73 StHG
offen (BGE 134 I 303 E. 1.2 S. 305 f.) und es sind die in Art. 73 Abs. 2 StHG
genannten Personen und Behörden zur Beschwerdeführung legitimiert. Abzuklären
bleibt, ob die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn von dieser Bestimmung
erfasst wird.

3.4 Damit eine Gemeinde nach Art. 73 Abs. 2 StHG zur Beschwerde befugt ist,
bedarf es in jedem Fall einer ausdrücklichen materiellrechtlichen Ermächtigung
(BGE 131 II 753 E. 4.2 S. 757; BGE 127 II 32 E. 2c S. 37). Im Weiteren fällt
die Legitimation der Gemeinde bei einer kantonalen Steuer nur in Betracht, wenn
der Gemeinde besondere Kompetenzen bzw. ein eigener Anwendungsspielraum zukommt
BGE 136 II 274 S. 278
(Urteil 2P.204/2006 vom 21. Mai 2007 E. 5.3, 6 und 7). Bejaht wurde dies etwa
bei der Erhebung der kantonalen Grundstückgewinnsteuer durch die Gemeinde im
Kanton Zürich (Urteil 2C_776/2009 vom 25. Februar 2010). Vorliegend fehlt es
bereits an einer Ermächtigung im kantonalen Recht: Dieses räumt den beteiligten
Gemeinden zwar namentlich die Befugnis ein, gegen Einspracheentscheide über die
Veranlagung und gegen Entscheide der kantonalen Steuerbehörden über die
Steuerausscheidung Rekurs beim kantonalen Steuergericht zu erheben (§ 160 Abs.
1 und § 251 Abs. 3 StG/SO). Zur Beschwerde an das Bundesgericht erklärt es aber
(nebst dem Steuerpflichtigen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung) nur das
Kantonale Steueramt als befugt (§ 164^bis StG/SO). Die Beschwerdelegitimation
der Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. d
BGG (i.V.m. Art. 73 Abs. 2 StHG) scheidet somit aus.

4. Die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn beruft sich sodann auf die
allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG, wonach zur Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt ist, wer vor der
Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme
erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt
ist und überdies ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung
hat.

4.1 Die allgemeine Beschwerdebefugnis ist auf Privatpersonen zugeschnitten; sie
bezweckt in erster Linie den Schutz des Bürgers gegen fehlerhafte
Verwaltungsakte und nicht den Schutz des Gemeinwesens (BGE 133 II 400 E. 2.4.2
S. 406 f.). Verwaltungsverbände (Bund, Kantone, Gemeinden etc.) sind deshalb
vorab dann zur Beschwerde an das Bundesgericht ermächtigt, wenn sie sich auf
eine der in Art. 89 Abs. 2 lit. a-d BGG umschriebenen besonderen
Legitimationsklauseln berufen können (vgl. E. 3 hiervor; BGE 134 II 45 E. 2 S.
46 ff.; BGE 133 II 409 E. 1.3 S. 413 f.). Auf die allgemeine Beschwerdebefugnis
von Art. 89 Abs. 1 BGG kann sich das Gemeinwesen zudem dann stützen, wenn es
durch den angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater
betroffen ist (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 46 f; BGE 133 II 400 E. 2.4.2 S. 406
f. mit Hinweisen). Das ist hier indessen nicht der Fall.

4.2 Unbestrittenermassen berührt der angefochtene Entscheid die
Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn in ihren fiskalischen
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Interessen. Jedoch handelt es sich hierbei nur um eine Betroffenheit in ihrer
Eigenschaft als Hoheitsträgerin.
Zwar kann ein Gemeinwesen in bestimmten Fällen auch in hoheitlichen Interessen
derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse
im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG ausgeht (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 46 f.; zur
Heranziehung der früheren Praxis bei der Auslegung BGE 133 II 400 E. 2.4.1 S.
405 f.): Bei Eingriffen in spezifische eigene Sachanliegen wird die
Beschwerdebefugnis des Gemeinwesens etwa dann bejaht, wenn ein Hoheitsakt
wesentliche öffentliche Interessen in einem Politikbereich betrifft, der ihm
zur Regelung zugewiesen ist (BGE 135 II 12 E. 1.2 S. 15 f.). Bejaht wurde das
schutzwürdige Interesse sodann bei wichtigen vermögensrechtlichen Interessen
wie dem interkommunalen Finanzausgleich, der für den Handlungsspielraum einer
Gemeinde von zentraler Bedeutung ist (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 46 f.), bei
namhaften Subventionsbeträgen (BGE 122 II 382 E. 2b S. 383 f.), wenn das
Gemeinwesen in seiner Funktion als lohnzahlungspflichtiger öffentlicher
Arbeitgeber berührt ist (BGE 124 II 409 E. 1e S. 417 f.) oder wenn das
kantonale Recht der Gemeinde den gesamten Ertrag einer Spezialsteuer überlässt
und ihr besondere Kompetenzen bei deren Erhebung zuweist, wie es in einigen
Kantonen bei der Grundstückgewinnsteuer vorgesehen ist (Urteil 2P.204/2006 vom
21. Mai 2007 E. 6; vgl. im Übrigen die Beispielkataloge bei SEILER UND ANDERE,
Bundesgerichtsgesetz, 2007, N. 35 f. zu Art. 89 BGG; BERNHARD WALDMANN, in:
Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 43 f. zu Art. 89 BGG;
WURZBURGER, in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 40 ff. zu Art. 89 BGG).
Generell gilt jedoch, dass Gemeinwesen, wenn sie die Durchsetzung hoheitlicher
Anliegen anstreben, nur restriktiv gestützt auf die allgemeine
Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerdeführung zugelassen
werden dürfen (BGE 135 I 43 E. 1.3 S. 46 f.). Das allgemeine Interesse an der
richtigen Rechtsanwendung oder der Einbezug in das Verfahren als Mitbetroffener
oder -adressat reicht hierfür nicht aus (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 46 f. mit
Hinweisen). Ebenso wenig genügt das blosse Interesse an der Optimierung des
Steuerertrages, um der Gemeinde ein hinreichendes Schutzinteresse zuzugestehen
(Urteil 2P.204/2006 vom 21. Mai 2007 E. 5.2 und 7): In Steuerangelegenheiten,
insbesondere im harmonisierten Bereich der direkten Steuern, hat der
Gesetzgeber bereits durch die
BGE 136 II 274 S. 280
Bezeichnung der beschwerdeberechtigten Behörden im Sinne von Art. 89 Abs. 2
lit. d BGG dafür gesorgt, dass das Gemeinwesen den öffentlichen Interessen wenn
nötig auf dem Beschwerdeweg Nachachtung verschaffen kann (vgl. E. 3 und 4.1
hiervor; Art. 73 Abs. 2 StHG und Art. 146 DBG [SR 642.11]). Das allgemeine
Beschwerderecht des Gemeinwesens i.S. von Art. 89 Abs. 1 BGG erscheint daher in
solchen Fällen entbehrlich und scheidet regelmässig aus. Eine generell
restriktive Handhabung der Legitimationspraxis bezüglich des bloss in
fiskalischen Interessen betroffenen Gemeinwesens drängt sich auch deshalb auf,
weil jedermann, dem die Beschwerdeberechtigung vor Bundesgericht zusteht,
bereits unterinstanzlich Gelegenheit zur Ausübung der Verfahrensrechte erhalten
muss (Art. 111 Abs. 1 BGG; vgl. DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral,
Commentaire, 2008, N. 3045 f.): Wollte man jede Betroffenheit in fiskalischen
Interessen genügen lassen, um die Beschwerdeberechtigung eines Gemeinwesens zu
bejahen, würde dadurch der Verfahrensablauf vor den Vorinstanzen über Gebühr
erschwert. Im Regelfall muss es deshalb in Fiskalsachen mit der
Beschwerdeberechtigung der vom Bundesgesetzgeber als vertretungsbefugt
bezeichneten Behörden (Art. 89 Abs. 2 BGG) sein Bewenden haben.

4.3 Vorliegend geht es in der Sache um die innerkantonale Festlegung des
Steuerwohnsitzes der Pflichtigen und daran anknüpfend um die Steuerausscheidung
zwischen zwei Gemeinden. Die dazu massgebenden Vorschriften finden sich nicht
im kommunalen, sondern ausschliesslich im übergeordneten Recht. Den betroffenen
Gemeinden steht keine Regelungsbefugnis zu. Sie sind durch den Entscheid bloss
in fiskalischen Interessen betroffen, und zwar nicht etwa als Hauptadressat
(Steuerpflichtiger) oder zentral, sondern als Mitadressaten (Interessierte).
Gemäss den obenstehenden Erwägungen berührt der angefochtene Entscheid die
Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn in ihren hoheitlichen Interessen nicht so
qualifiziert bzw. so intensiv, dass ihr das allgemeine Beschwerderecht gemäss
Art. 89 Abs. 1 BGG zustehen würde.