Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 II 187



Urteilskopf

136 II 187

18. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_470/2009 vom 29. Januar 2010

Regeste

Art. 20 Abs. 1 VG; Schadenersatzansprüche der Witwe eines Asbestopfers; Beginn
der absoluten Verwirkung.
Die absolute Verwirkungsfrist von zehn Jahren beginnt entsprechend dem Wortlaut
von Art. 20 Abs. 1 VG mit dem Tag der schädigenden Handlung bzw. Unterlassung
mit der Konsequenz, dass der Schadenersatzanspruch vor Eintritt des Schadens -
hier Ausbruch der Krankheit/Tod - verwirkt sein kann (E. 7). Dem steht Art. 6
Ziff. 1 EMRK nicht entgegen (E. 8.2).

Sachverhalt ab Seite 188

BGE 136 II 187 S. 188

A.

A.a Der 1946 geborene M. sel. absolvierte ab 1962 eine Lehre als
Maschinenschlosser bei der Firma O., welche später von der Firma B. bzw. von
der Firma A. übernommen wurde und schliesslich zur Firma L. AG gehörte. Ab 1965
wurde er in der Maschinenmontage und bei Revisionsarbeiten im In- und Ausland
eingesetzt und kam bei diesen Tätigkeiten mit Asbest in Kontakt. Ab 1978 war er
im Innendienst tätig. Nach eigenen Angaben ist er bei zwei Einsätzen, 1992 in
den USA und 1996 auf Aruba, nochmals mit Asbest in Kontakt gekommen. Im Mai
2004 wurde bei M. sel. ein malignes, asbestinduziertes Pleuramesotheliom
diagnostiziert. Die SUVA anerkannte das Leiden als Berufskrankheit und
erbrachte bis zum Hinschied von M. am 10. November 2005 die gesetzlichen
Leistungen. Zudem richtete sie eine Integritätsentschädigung von 80 % aus.

A.b Mit Schreiben vom 14. November 2005 liess die Witwe H. eine
Genugtuungsforderung von Fr. 50'000.- gegen die SUVA stellen, da diese aus
unerlaubter Handlung infolge Unterlassung solidarisch mit der Arbeitgeberin für
den Tod des Versicherten hafte. Am 6. Oktober 2006 wurde das Begehren ergänzt
und es wurden zusätzlich Genugtuungsforderungen der beiden Töchter des
Verstorbenen sowie Haushaltschaden, Versorgerschaden und Anwaltskosten geltend
gemacht. Nach diversen Abklärungen, namentlich nach Einholung einer
Stellungnahme der Arbeitgeberin vom 16. November 2006 zum Arbeitsplatz des
Verstorbenen, zu seinem Tätigkeitsbereich und seinen Auslandaufenthalten sowie
zu den Sicherheitsanweisungen, wies die SUVA die Schadenersatzforderungen mit
Verfügung vom 16. Oktober 2007 ab.

B. Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher zunächst Schadenersatz für
die Witwe H. sowie für die Töchter C. und N. beantragt worden war, wobei im
Laufe des Verfahrens die Schadenersatzbegehren der beiden Töchter zurückgezogen
wurden, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 8.
April 2009 ab, soweit sie nicht durch Rückzug erledigt war.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt H.
beantragen, die SUVA sei zu verpflichten, ihr Schadenersatz sowie Genugtuung
nach richterlichem Ermessen zu bezahlen und das
BGE 136 II 187 S. 189
Verfahren sei zur Bemessung der Schadenersatzforderung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Die SUVA sei sodann anzuweisen, das Gutachten des Prof. Dr. G.
vom 14. Dezember 1968 sowie das Betriebsdossier Firma A./L. vollumfänglich zu
edieren, wobei das Verfahren für weitere Vorbringen nach Einsicht in das
Betriebsdossier offen zu halten sei.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten
werden könne. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
In einer Stellungnahme zur Vernehmlassung der SUVA lässt H. an ihrem Standpunkt
festhalten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Was die Rechtsgrundlagen für die Frage der Haftung der SUVA anbelangt, sind
SUVA und Vorinstanz bezüglich Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen zu
Recht davon ausgegangen, dass Art. 78 Abs. 2 und 4 des am 1. Januar 2003 in
Kraft getretenen ATSG (SR 830.1) anwendbar ist. Dies entspricht dem allgemeinen
intertemporalrechtlichen Grundsatz, wonach neue Verfahrensbestimmungen unter
Vorbehalt abweichender Übergangsbestimmungen mit dem Tag ihres Inkrafttretens
in der Regel sofort und in vollem Umfang anwendbar sind (BGE 131 V 314 E. 3.3
S. 316 mit Hinweisen). Dieser Grundsatz beruht auf der relativen
Wertneutralität des Prozessrechts und erscheint jedenfalls dann zweckmässig
sowie geboten, wenn mit dem neuen Recht keine grundlegend neue
Verfahrensordnung geschaffen wird, mithin zwischen neuem und altem Recht eine
Kontinuität des verfahrensrechtlichen Systems besteht (vgl. BGE 132 V 93 E. 2.2
S. 96; BGE 112 V 356 E. 4a S. 360; ALFRED KÖLZ, Intertemporales
Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 II S. 222; MEYER/ARNOLD, Intertemporales Recht.
Eine Bestandesaufnahme anhand der Rechtsprechung der beiden
öffentlich-rechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts, ZSR 124/2005 I S. 115 ff., dort S. 135 und 140). Das
trifft im vorliegenden Fall zu. Indem Art. 78 Abs. 2 ATSG die zuständige
Behörde verpflichtet, über streitige "Ersatzforderungen" mittels Verfügung zu
entscheiden und Art. 78 Abs. 4 Satz 1 ATSG für das Beschwerdeverfahren auf die
entsprechenden Bestimmungen des ATSG (Art. 56-62) verweist, knüpfen die neuen,
am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
BGE 136 II 187 S. 190
Verfahrens- und Zuständigkeitsbestimmungen von Art. 78 ATSG an die allgemeine
Verfahrensregelung in Art. 10 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. März 1958 über
die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten
(Verantwortlichkeitsgesetz, VG; SR 170.32) an. Für das
sozialversicherungsrechtliche Haftungsrecht wurde somit mit dem ATSG keine
grundlegend neue Verfahrens- und Zuständigkeitsordnung geschaffen (vgl. SVR
2009 UV Nr. 9 S. 36, 8C_510/2007 E. 3).

3.2 Materiellrechtlich nimmt die Übergangsbestimmung von Art. 82 Abs. 1 ATSG
grundsätzlich die bei seinem Inkrafttreten laufenden Leistungen und
festgesetzten Forderungen von der Anwendbarkeit dieses Gesetzes aus, somit jene
Fälle, in welchen über die Rechte und Pflichten vor dem 1. Januar 2003
rechtskräftig verfügt worden ist. In Bezug auf Leistungen, welche bei
Inkrafttreten des ATSG noch nicht rechtskräftig festgesetzt worden sind, ist
gemäss Rechtsprechung - vorbehältlich der in Art. 82 Abs. 1 ATSG speziell
normierten Tatbestände - von einer echten Lücke auszugehen, welche
grundsätzlich unter Rückgriff auf den (materiell) intertemporal-rechtlichen
Grundsatz auszufüllen ist, wonach in zeitlicher Hinsicht bei einer Änderung der
gesetzlichen Grundlage in der Regel diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
im Zeitraum der Verwirklichung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhaltes in
Kraft standen (vgl. BGE 131 V 425 E. 5 S. 429; siehe auch MEYER/ARNOLD, a.a.O.,
S. 127 ff.). Die streitige Haftung der SUVA ist somit für die Zeit vor
Inkrafttreten des ATSG aufgrund der damals anwendbaren Bestimmungen des VG und
nur für die Zeit ab 1. Januar 2003 nach den Bestimmungen des ATSG zu
beurteilen. Die Unterscheidung ist vorliegend insofern nicht von grosser
Bedeutung, als in der Verantwortlichkeitsbestimmung von Art. 78 ATSG die Art.
3-9, 11, 12, 20 Abs. 1, 21 und 23 VG sinngemäss anwendbar erklärt werden (Art.
78 Abs. 4 ATSG).

4. Der Versicherte ist am 10. November 2005 an den Folgen eines malignen,
asbestinduzierten Pleuramesothelioms, welches die SUVA als Berufskrankheit
anerkannt hatte, verstorben. Streitig und zu prüfen sind Schadenersatz- und
Genugtuungsansprüche der Witwe des Verstorbenen gegenüber der SUVA zufolge
Unterlassung gesetzlich gebotener Schutzpflichten.

4.1 Wie die Vorinstanz dargelegt hat, ist die SUVA eine öffentlich-rechtliche
Anstalt des Bundes mit eigener Rechtspersönlichkeit
BGE 136 II 187 S. 191
(Art. 61 UVG; SR 832.20). Ihre vorliegend zu prüfende Haftung richtet sich -
wie in Erwägung 3.2 hievor ausgeführt - nach den Bestimmungen des VG (bis 31.
Dezember 2002 direkt nach Art. 19 VG und ab 1. Januar 2003 sinngemäss nach
bestimmten Vorschriften des VG gestützt auf den Verweis in Art. 78 ATSG). Für
einem Dritten zugefügten Schaden haftet die SUVA demzufolge nach Massgabe von
Art. 3-6 VG. Es handelt sich dabei gemäss Art. 3 Abs. 1 VG um eine
Kausalhaftung, die kein Verschulden voraussetzt. Für den Anspruch auf
Schadenersatz genügt das Vorliegen eines Schadens, eines widerrechtlichen
Verhaltens und eines Kausalzusammenhangs zwischen den beiden erstgenannten
Voraussetzungen. Wird ein Mensch getötet oder erleidet er eine
Körperverletzung, kann unter Würdigung der besonderen Umstände zusätzlich eine
Genugtuung ausgerichtet werden, falls den fehlbaren Angestellten ein
Verschulden trifft (Art. 6 Abs. 1 VG).

4.2 Auch eine Unterlassung, womit die Beschwerdeführerin ihren Anspruch
begründet, kann widerrechtlich sein, indessen - wie das kantonale Gericht
zutreffend dargelegt hat - nur, wenn eine eigentliche Pflicht der Behörde bzw.
Anstalt zum Handeln bestand. Für Schädigungen infolge einer Unterlassung kann
sich eine Haftpflicht somit nicht aus einer natürlichen Kausalität ergeben,
sondern nur dadurch, dass eine Garantenpflicht verletzt worden ist. Eine solche
kann lediglich durch rechtliche Vorschriften begründet werden (BGE 133 V 14 E.
8.1 S. 19; SVR 2009 UV Nr. 9 S. 39, 8C_510/2007 E. 7.3.1; je mit Hinweisen).
Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen betreffend Zuständigkeit der SUVA
im Rahmen der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten hat die
Vorinstanz korrekt wiedergegeben (Art. 84 und 85 UVG; Art. 47 ff. der
Verordnung vom 19. Dezember 1983 über die Verhütung von Unfällen und
Berufskrankheiten [Verordnung über die Unfallverhütung, VUV; SR 832.30]). Da
sie im vorliegenden Verfahren nicht weiter relevant sind, kann diesbezüglich
auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Präzisierend ist lediglich
darauf hinzuweisen, dass bereits vor Inkrafttreten der VUV am 1. Januar 1984
gestützt auf die (aufgehobene) Verordnung vom 23. Dezember 1960 über die
Verhütung von Berufskrankheiten eine ähnliche, jedoch weniger detaillierte
Regelung galt (vgl. Urteil 2A.402/2000 vom 23. August 2001 E. 3b/bb).

4.3 Die Haftung der SUVA erlischt, wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat,
wenn der Geschädigte sein Begehren auf
BGE 136 II 187 S. 192
Schadenersatz oder Genugtuung nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des
Schadens einreicht, auf alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tage der
schädigenden Handlung (Art. 20 Abs. 1 VG). Bei Unterlassungen ist für den
Fristenlauf der Zeitpunkt der letzten relevanten Unterlassung massgebend
(Urteil 6B_627/2007 vom 11. August 2008 E. 4.4, nicht publ. in: BGE 134 IV 297
). Die relative Frist von einem Jahr seit Kenntnis des Schadens ist mit der
Eingabe vom 14. November 2005 unbestrittenermassen eingehalten. Anknüpfend an
die absolute Frist von zehn Jahren seit dem Tag der schädigenden Handlung
führte das kantonale Gericht aus, zur Beurteilung, ob ein Anspruch aus einem
allfälligen schädigenden Verhalten der Beschwerdegegnerin vorliege, sei
lediglich der Sachverhalt ab 14. November 1995 zu prüfen, wobei es die
Voraussetzungen verneinte. Ein Anspruch aus einem allfälligen schädigenden
Verhalten vor diesem Zeitpunkt, namentlich in den Jahren 1965-1978 (Wechsel in
den Innendienst), in welchen der verstorbene Versicherte bei der Arbeit
asbesthaltigen Substanzen ausgesetzt war, sei verwirkt - so die Vorinstanz.

5. Die Beschwerdeführerin thematisiert aufgrund des Vorfragecharakters der
Verjährungs-/Verwirkungsproblematik in erster Linie die Frage der Verjährung.
Sie macht im Wesentlichen geltend, für den Zeitraum vor 14. November 1995 sei
weder Verjährung noch Verwirkung eingetreten, da eine Schadenersatzforderung
nicht verjähren könne, bevor der Schaden feststehe. Was den Zeitraum ab 14.
November 1995 anbelange, sei der Sachverhalt ungenügend abgeklärt bzw.
unrichtig festgestellt und zu Unrecht eine Sorgfaltspflichtverletzung der
Beschwerdegegnerin verneint worden.

6. Soweit die Beschwerdeführerin zunächst eine Rechtsverletzung darin sieht,
dass die Vorinstanz auf Verwirkung allfälliger Verantwortlichkeitsansprüche und
nicht auf deren Verjährung erkannt hat, ist ihr entgegenzuhalten, dass
Rechtsprechung und herrschende Lehre beim Erlöschen der Haftung gemäss Art. 20
Abs. 1 VG von einer Verwirkung der Ansprüche ausgehen (vgl. BGE 133 V 14 E. 6
S. 18; BGE 126 II 145 E. 2a S. 150; je mit Hinweisen; HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN,
Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 168 f.; PIERRE MOOR, Droit
administratif II, Les actes administratifs et leur contrôle, 2. Aufl. 2002, S.
87 ff. und 714; a.M.: CHRISTINE CHAPPUIS, La péremption en droit de la
responsabilité civile, in: Le temps dans la responsabilité civile, 2007, S. 121
ff.). Die Frist kann somit - im Gegensatz zu einer Verjährungsfrist -
grundsätzlich weder gehemmt oder
BGE 136 II 187 S. 193
unterbrochen noch erstreckt werden und ist stets von Amtes wegen zu
berücksichtigen (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 168; MOOR, a.a.O., S. 88
f.). Auf die Unterscheidung zwischen Verwirkung und Verjährung, welche das
Bundesgericht terminologisch nicht immer einheitlich durchgeführt hat (vgl. BGE
126 II 145 E. 2a S. 150 f. mit Hinweisen), braucht nicht näher eingegangen zu
werden, da die Frist von zehn Jahren vorliegend weder gehemmt oder unterbrochen
noch erstreckt wurde und die Beschwerdegegnerin die Einrede der Verjährung/
Verwirkung erhoben hat. Der Beschwerdeführerin ist insoweit zuzustimmen, als
gemäss Rechtsprechung eine Verwirkungsfrist unter bestimmten Voraussetzungen
wiederhergestellt werden kann, so etwa wenn die berechtigte Person aus
unverschuldeten, unüberwindbaren Gründen verhindert war, den Anspruch
rechtzeitig geltend zu machen. Die Wiederherstellung von Verwirkungsfristen
gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz und berücksichtigt Hinderungsgründe wie
Krankheit, Unfall, Naturkatastrophen, o.Ä. (vgl. BGE 114 V 123 E. 3b S. 124 mit
Hinweisen; ANDRÉ PIERRE HOLZER, Verjährung und Verwirkung der
Leistungsansprüche im Sozialversicherungsrecht, 2005, S. 42 f.; ATTILIO GADOLA,
Verjährung und Verwirkung im öffentlichen Recht, AJP 1995 S. 57; MOOR, a.a.O.,
S. 88 f.; je mit Hinweisen). Ein solcher Grund liegt nicht vor. Die von der
Beschwerdeführerin diesbezüglich geltend gemachte fehlende Kenntnis des
Schadens kann nicht als unüberwindbarer Grund im oben dargelegten Sinne gelten,
betrifft sie doch die eigentliche Frage der Verwirkung selber, nicht bloss
deren Geltendmachung, und würde die Anerkennung eines solchen Grundes dem Zweck
der absoluten Verwirkung - dem Erlöschen der Haftung zehn Jahre nach dem Tag
der schädigenden Handlung - zuwiderlaufen.

7. Zu prüfen ist sodann die Grundsatzfrage, ob gestützt auf Art. 78 ATSG bzw.
Art. 19 VG geltend gemachte Verantwortlichkeitsansprüche erlöschen können,
bevor der Schaden überhaupt eingetreten ist.

7.1 Gemäss Art. 20 Abs. 1 VG, auf welchen Art. 78 ATSG verweist, erlischt die
Haftung des Bundes, wenn der Geschädigte sein Begehren auf Schadenersatz oder
Genugtuung nicht innert eines Jahres seit Kenntnis des Schadens einreicht, auf
alle Fälle nach zehn Jahren seit dem Tag der schädigenden Handlung des Beamten.
Der Wortlaut dieser Bestimmung ist klar und entspricht sowohl der französischen
wie auch der italienischen Fassung (französische Fassung: "La responsabilité de
la Confédération s'éteint si le lésé n'introduit
BGE 136 II 187 S. 194
pas sa demande de dommages-intérêts ou d'indemnité à titre de réparation morale
dans l'année à compter du jour où il a eu connaissance du dommage, et en tout
cas dans les dix ans à compter de l'acte dommageable du fonctionnaire.";
italienische Fassung: "La responsabilità della Confederazione si estingue, se
il danneggiato non domanda il risarcimento, o l'indennità pecuniaria a titolo
di riparazione, nel termine di un anno dal giorno in cui conobbe il danno e, in
ogni caso, nel termine di dieci anni dal giorno in cui il funzionario commise
l'atto che l'ha cagionato."). Während die relative Frist von einem Jahr an die
Kenntnis des Schadens anknüpft, läuft die absolute Frist von zehn Jahren ab dem
Tag der schädigenden Handlung und somit unabhängig vom Zeitpunkt des
Schadenseintritts.

7.2 Die Beschwerdeführerin rügt die Anwendung dieser Bestimmung gemäss
Wortlaut, weil dadurch eine Schadenersatzforderung durch Zeitablauf untergehen
könne, bevor der Schaden überhaupt entstehe und feststehe, was in verschiedener
Hinsicht eine Rechtsverletzung darstelle.

7.3 Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut. Das Gesetz muss in erster
Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und
den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen
Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom
Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut allein die Norm
darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte
Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge,
ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das
Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich
ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu
unterstellen (BGE 134 V 170 E. 4.1 S. 174 mit Hinweis).

7.4 Art. 20 Abs. 1 VG regelt im Abschnitt "Verjährung und Verwirkung" das
Erlöschen der Haftung des Bundes bzw. mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben des
Bundes betrauter Organisationen durch Zeitablauf ab dem Tag der schädigenden
Handlung. Der Rechtsgrund dieser Bestimmung liegt - wie bei Verjährungs- und
Verwirkungsregelungen im Allgemeinen - gemäss Rechtsprechung und herrschender
Lehre im öffentlichen Interesse, in erster Linie in der Wahrung von
Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Weiter wird dadurch dem Umstand Rechnung
getragen, dass Zeitablauf die
BGE 136 II 187 S. 195
Verhältnisse verdunkelt und dadurch der Beweis erschwert wird. Das
Rechtsinstitut schützt schliesslich den Schuldner vor Ansprüchen aus lange
zurückliegender Zeit (vgl. GADOLA, a.a.O., S. 48; HOLZER, a.a.O., S. 12 ff. und
34 ff.; je mit Hinweisen). Zu Diskussionen Anlass gegeben hat diese Regelung
bei Spätschäden, d.h. in Fällen, bei denen der Schaden erst später als zehn
Jahre nach der schädigenden Handlung bzw. Unterlassung eintritt und somit der
Schadenersatzanspruch bereits erloschen ist. Namentlich hingewiesen wird in
diesem Zusammenhang auf die Asbestopfer, bei welchen zufolge der sehr langen
Latenzzeit der Ausbruch der Krankheit bzw. der Tod erst nach Ablauf von zehn
Jahren nach der Asbestexposition eintritt. Diese Konstellation findet sich
nicht nur bei den vorliegend streitigen Schadenersatz- und
Genugtuungsansprüchen gegenüber der SUVA nach Verantwortlichkeitsgesetz,
sondern auch bei Ansprüchen aus Strafrecht, aus Opferhilfe sowie aus
unerlaubter Handlung. Im Folgenden wird die jeweilige Rechtsprechung
aufgezeigt:

7.4.1 Bezüglich Anwendung von Art. 20 Abs. 1 VG hat das Bundesgericht in Fällen
um Haftungsansprüche gegen die Eidgenossenschaft aus Handlungen der Grenzorgane
während des Zweiten Weltkriegs sowie wegen rechtswidriger Einflussnahme der
Staatsschutzbehörden auf die Arbeitgeberin entschieden, dass die absolute
Verwirkung eintreten kann, bevor die geschädigte Person ihre Ersatzansprüche
kennt. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass Ausgangspunkt der
subsidiären absoluten Verjährung oder Verwirkung von zehn Jahren eben die
unerlaubte Handlung im weiteren Sinn ist, d.h. das schädigende Verhalten,
welches eine Rechtsgutsverletzung nach sich zieht, und zwar unabhängig davon,
ob die geschädigte Person vom Verhalten, vom verursachten Schaden oder der
Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis hat (BGE 126 II 145 E. 2b S. 151; Urteil
2A.288/1996 vom 25. Februar 1997 E. 3b).

7.4.2 Im Strafrecht hat das Bundesgericht in BGE 134 IV 297 im Rahmen eines
Strafverfahrens wegen Tötung und Körperverletzung im Zusammenhang mit
Asbestexposition die bisherige Rechtsprechung, gemäss welcher die Verjährung
nach Art. 98 lit. a StGB bzw. aArt. 71 Abs. 1 StGB mit dem Tag beginnt, an dem
der Täter die strafbare Handlung bzw. Tätigkeit ausführt, und somit für den
Beginn des Fristenlaufs der Zeitpunkt des tatbestandsmässigen Verhaltens, nicht
der Eintritt des allenfalls zur Vollendung des Delikts erforderlichen Erfolgs
massgebend ist, einer Überprüfung unterzogen. Es wies bei der Gesetzesauslegung
zunächst darauf hin, dass
BGE 136 II 187 S. 196
sich der Wortlaut der Bestimmung über den Beginn der Verjährung in sämtlichen
drei Sprachen auf die Tätigkeit, nicht auf das Delikt insgesamt und auch nicht
auf den Erfolg bezieht. Dies, so das Bundesgericht, werde auch bestätigt durch
die Entstehungsgeschichte der Regelung, da mit der Verabschiedung des neuen
Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 13. Dezember 2002 kein Zweifel daran
bestehen könne, dass der Gesetzgeber auch unter Berücksichtigung des Umstandes,
dass Straftaten verjährt sein können, bevor der Straftatbestand erfüllt ist,
die Tathandlung und nicht den Erfolg für den Verjährungsbeginn als massgebend
erachtet habe. Es setzte sich sodann mit der Frage auseinander, ob die
wörtliche Auslegung des Gesetzes der aus der ratio legis abzuleitenden Funktion
der Verjährung widerspreche. Unter diesem Gesichtspunkt führte das
Bundesgericht im Wesentlichen aus, es entspreche in unserem Rechtskreis
allgemeiner Überzeugung, dass Straftaten nach gewisser Zeit nicht mehr verfolgt
werden sollen. Nach Ablauf einer gewissen Zeit erscheine eine Bestrafung weder
als kriminalpolitisch notwendig noch als gerecht. Das Bedürfnis nach Ausgleich
begangenen Unrechts durch Verhängung einer Strafe schwinde mit der Zeit und
damit auch die dadurch angestrebte Bewährung der Rechtsordnung wie auch die
Notwendigkeit spezialpräventiver Einwirkung auf den Täter. Des weiteren
gewichtete das Bundesgericht die mit dem Zeitablauf zunehmenden
Beweisschwierigkeiten sowie das Gebot der Verfahrensökonomie in dem Sinne, als
sich die Strafverfolgungsbehörden angesichts der beschränkten Ressourcen auf
die strafrechtliche Verarbeitung von Fällen konzentrieren können, bei denen
noch eine realistische Aussicht auf Aufklärung besteht. Eine Auseinandersetzung
mit diesen Argumenten führte das Bundesgericht zum Schluss, es widerspreche der
Ratio der Verjährung nicht, diese nicht erst ab Erfolg, sondern schon mit der
Tathandlung laufen zu lassen. Die Anknüpfung der Verjährung an das
Handlungsunrecht, so schliesslich das Bundesgericht, beruhe auf sachlichen
Gründen und halte damit auch den Anforderungen einer verfassungs- und
konventionskonformen Auslegung stand. Es bestätigte somit die bisherige
strafrechtliche Rechtsprechung mit der Konsequenz, dass Straftaten verjährt
sein können, bevor der Erfolg eingetreten ist (zum Ganzen: BGE 134 IV 297 mit
Hinweisen auf Judikatur und Literatur).

7.4.3 Im Bereich der Opferhilfe befasste sich das Bundesgericht in BGE 134 II
308 im Rahmen der Beschwerde eines Asbestopfers bzw. dessen Witwe mit der
Frage, ob sich der zeitliche
BGE 136 II 187 S. 197
Geltungsbereich der Art. 11-17 OHG (SR 312.5) über die Entschädigung und
Genugtuung bei fahrlässigen Erfolgsdelikten mit grossem zeitlichem Abstand der
Tathandlung zum Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs auch auf
Angelegenheiten erstrecke, bei welchen das strafbare Verhalten vor
Inkrafttreten dieser opferhilferechtlichen Bestimmungen stattfand, der
strafrechtlich relevante Erfolg aber erst nach dem Inkrafttreten des OHG
eintrat. Das Bundesgericht legte zunächst dar, dass Art. 12 Abs. 3 OHV (SR
312.51), gemäss welchem die erwähnten Bestimmungen des Opferhilfegesetzes nur
für Straftaten gelten, welche nach Inkrafttreten des OHG per 1. Januar 1993
begangen wurden, auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage in Art. 19 Abs.
2 OHG beruht. Zu prüfen sei jedoch im Hinblick auf die erst rund 40 Jahre nach
der geltend gemachten Asbestexposition aufgetretene schwere Erkrankung, so das
Bundesgericht, in welchem Zeitpunkt die mutmassliche Straftat im Sinne von Art.
12 Abs. 3 OHV "begangen" worden sei, und dabei namentlich die Frage, ob im
Sinne der im Strafrecht vorherrschenden täterbezogenen Betrachtungsweise
lediglich der Zeitpunkt des tatbestandsmässigen Verhaltens und nicht derjenige
des Eintritts des zur Vollendung eines Delikts erforderlichen Erfolgs
massgebend sei. Unter Berücksichtigung der in Erwägung 7.3 hievor dargelegten
Auslegungskriterien führte das Bundesgericht aus, Zweck des OHG sei die
Gewährleistung von wirksamer Hilfe an Opfer von Straftaten und die Verbesserung
ihrer Rechtsstellung mittels Beratung, Schutz des Opfers und seiner Rechte im
Strafverfahren sowie Entschädigung und Genugtuung. Die Opferhilfeleistungen, so
das Gericht, knüpfen an das Vorliegen einer Straftat an, wozu das Vorliegen der
objektiven Tatbestandsmerkmale gehöre. Dementsprechend erhalte gemäss Art. 1
Abs. 1 OHG jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen,
sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden sei
(Opfer), Hilfe nach dem Opferhilfegesetz. Anders als im Strafrecht ergebe sich
aus dem Regelungszweck und der gesetzlichen Umschreibung des Geltungsbereichs
des OHG somit ein opferbezogener Ansatz. Aus dieser Sichtweise in Verbindung
mit dem in Art. 5 Abs. 3 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben habe das
Bundesgericht bereits früher entschieden, dass ein Opfer die massgebende
Schädigung bzw. Verletzung erkennen können müsse, bevor es sich auf das
Vorliegen einer Straftat im Sinne des OHG berufen könne. Diese Rechtsprechung
habe Eingang in Art. 25 Abs. 1 des revidierten, am 1. Januar 2009 in Kraft
BGE 136 II 187 S. 198
getretenen Opferhilfegesetzes gefunden, wonach ein Gesuch um Entschädigung und
Genugtuung innert fünf Jahren nach der Straftat oder nach Kenntnis der Straftat
einzureichen sei, andernfalls die Ansprüche verwirkten. Da das Opferhilferecht
insgesamt von einer opferbezogenen Betrachtungsweise beherrscht werde, sei auch
der zeitliche Geltungsbereich aus der Opferperspektive zu beurteilen. Beim
vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt, bei welchem das angeblich als
fahrlässige Körperverletzung einzustufende Verhalten in einer Verletzung von
Sorgfaltspflichten durch den Arbeitgeber in den Jahren 1963-1967 bestehen soll
und die aus der Sorgfaltswidrigkeit abgeleitete Erkrankung im Jahr 2006
festgestellt wurde, kann laut Bundesgericht aus der im Opferhilferecht
massgebenden Opferperspektive bei Beendigung des sorgfaltswidrigen Verhaltens
noch nicht von der Begehung einer Straftat im Sinne des OHG gesprochen werden,
solange kein tatbestandsmässiger Erfolg vorliegt. Bezüglich des zeitlichen
Geltungsbereichs im Sinne von Art. 12 Abs. 3 OHV gehöre zur Begehung einer
Straftat nicht bloss das fahrlässige Verhalten als Ursache des
Erfolgseintritts, sondern massgebend sei vielmehr der Eintritt des
tatbestandsmässigen Erfolgs solchen Verhaltens. Das sich durch dieses
Auslegungsergebnis zeigende unterschiedliche Verständnis der "Begehung einer
Straftat" nach Art. 12 Abs. 3 OHV und der "Ausführung der strafbaren Tätigkeit"
bei den Verjährungsregeln von Art. 98 StGB liegt, so das Bundesgericht, in den
nicht identischen Zielsetzungen des OHG und der Verjährungsbestimmungen des
StGB begründet. Zur Erreichung des Ziels des Opferhilferechts werde in
verschiedener Hinsicht von strafrechtlichen Grundsätzen abgewichen, sei es doch
beispielsweise auch gerechtfertigt, das Vorliegen einer Straftat im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 OHG zu bejahen, obwohl der Täter wegen der strafrechtlichen
Verjährungsregeln vom Strafrichter nicht mehr verurteilt werden könne (zum
Ganzen: BGE 134 II 308 mit Hinweisen auf Judikatur und Literatur).

7.4.4 Was schliesslich den Bereich des ausservertraglichen Haftpflichtrechts
anbelangt, verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung gemäss Art.
60 Abs. 1 OR in einem Jahr von dem Tag hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom
Schaden und von der Person des Haftpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit
dem Ablauf von zehn Jahren, vom Tag der schädigenden Handlung an gerechnet. Das
Bundesgericht geht in konstanter Rechtsprechung davon aus, dass der Beginn der
Zehnjahresfrist vom
BGE 136 II 187 S. 199
Schadenseintritt und von der Kenntnis des Schadens durch die geschädigte Person
unabhängig ist und einzig der Zeitpunkt des den Schaden verursachenden
Verhaltens massgeblich ist (BGE 127 III 257 E. 2b/aa S. 259; BGE 126 II 145 E.
2b S. 151; je mit Hinweisen; Urteil 2C.3/2005vom 10. Januar 2007 E. 4.1). Dies
hat zur Folge, dass im Bereich desausservertraglichen Haftpflichtrechts gemäss
Bundesgericht und herrschender Lehre eine Ersatzforderung verjähren kann, bevor
die geschädigte Person ihren Schaden wahrgenommen hat. Wie die
Beschwerdeführerin darlegt, wird dies in der Lehre teilweise
kritisiert,namentlich in Fällen, bei denen der Schaden zeitverzögert eintritt
(vgl. FRANZ WERRO, in: Commentaire romand, Code des obligations,Bd. I, 2003, N.
25 zu Art. 60 OR; PASCAL PICHONNAZ, La prescriptionde l'action en
dommages-intérêts: Un besoin de réforme, in: Le temps dans la responsabilité
civile, 2007, S. 89 ff.). Mehrheitlich wird indessen darauf hingewiesen, dass
diese Konsequenz - trotzmöglicherweise auftretenden unbilligen Härten in
Einzelfällen - im Interesse der Rechtssicherheit in Kauf genommen werde (vgl.
ROBERT K. DÄPPEN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 2007, N. 9 zu
Art. 60 OR; ROLAND BREHM, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2006, N. 64 zu Art. 60 OR;
HEINZ REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 4. Aufl. 2008, Rz. 1630 ff.).
Zur Begründung wird etwa ausgeführt, dass ein Beginn der Zehnjahresfrist in
zeitlich unbeschränkter Weise erst bei Kenntnisnahme von Schaden und
Ersatzpflichtigem durch den Geschädigten zu einer kaum
vertretbarenVerschlechterung der Schuldnerstellung und zu möglicherweise
jahrelang andauernder Rechtsunsicherheit führen würde, was mit dem
Zweckgedanken des Verjährungsinstitutes kaum vereinbar wäre(vgl. REY, a.a.O.,
Rz. 1630). Selbst wenn teilweise die Idee, den Schadenseintritt als Fristbeginn
zu nehmen, im Rahmen einer teleologischen Auslegung begrüsst wird, geht die
herrschende Lehre davon aus, dass dies mit der heutigen gesetzlichen Regelung
nicht vereinbar wäre (vgl. BREHM, a.a.O., N. 64a zu Art. 60 OR; DÄPPEN, a.a.O.,
N. 9 zu Art. 60 OR). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zur
Zeit aufgrund einer angenommenen Motion (07.3763) eine Gesetzesänderung zur
Verlängerung der Verjährungsfristen im Haftpflichtrecht vorbereitet wird. Damit
soll gewährleistet werden, dass Opfer auch bei Spätschäden
Schadenersatzansprüche geltend machen können, wobei namentlich auf die
Asbestfälle hingewiesen wird, bei welchen Schadenersatzansprüche verjähren
können, bevor das Opfer den erlittenen Schaden überhaupt bemerkt.
BGE 136 II 187 S. 200

7.5 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass gemäss konstanter
Rechtsprechung sowohl bei Haftungsansprüchen nach VG, wie auch im Bereich des
Strafrechts und des ausservertraglichen Haftpflichtrechts für den Beginn der
Frist der absoluten Verjährung/Verwirkung entsprechend dem Wortlaut der
jeweiligen Bestimmung auf den Zeitpunkt der schädigenden Handlung, nicht auf
denjenigen des Eintritts des Schadens bzw. Erfolgs abgestellt wird mit der
Konsequenz, dass ein Anspruch vor Kenntnis des Schadens verjährt/verwirkt sein
kann. Dies lässt sich damit begründen, dass der Wortlaut der entsprechenden
Bestimmungen von deren ratio legis, nämlich vor allem Wahrung von
Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, Berücksichtigung der durch Zeitablauf
eintretenden Verdunkelung der Verhältnisse und Erschwerung des Beweises sowie
schliesslich auch Schuldnerschutz vor Ansprüchen aus lange zurückliegender
Zeit, gedeckt ist. Am klarsten ergibt sich dies im Bereich des Strafrechts
einerseits aus der in Erwägung 7.4.2 hievor erwähnten täterspezifischen
Betrachtungsweise, anderseits aus den in Erwägung 7.4 dargelegten Rechtsgründen
der Verjährung/Verwirkung allgemein. Diese Rechtsgründe gelten nicht nur im
Bereich des Strafrechts, sondern auch im Bereich der Schadenersatz- und
Genugtuungsansprüche aus Verantwortlichkeitsgesetz oder aus ausservertraglichem
Haftpflichtrecht. Davon abweichend wird lediglich im Bereich der Opferhilfe
nicht der Zeitpunkt der schädigenden Handlung, sondern der Eintritt des
tatbestandsmässigen Erfolgs als massgebend erachtet. Dies liegt jedoch in der
ratio legis des Opferhilfegesetzes begründet, nämlich in der Unterstützung und
im Schutz des Opfers, was wiederum die opferbezogene Sichtweise im Sinne des
Anknüpfens an den Schadenseintritt bedingt. Einer Abwägung der
gegenüberstehenden Interessen kommt im Gegensatz zu den erwähnten andern
Rechtsgebieten eine weitaus kleinere Bedeutung zu. Wenn zur Zeit aufgrund der
in den letzten Jahren an Aktualität gewonnenen Problematik von Spätschäden
zufolge Asbestexposition - ebenfalls im Sinne einer stärker opferbezogenen
Betrachtungsweise - eine Gesetzesrevision zur Verlängerung der
Verjährungsfristen im ausservertraglichen Haftpflichtrecht vorbereitet wird,
ist dies eine politische Entscheidung, welche der Gesetzgeber zu treffen hat.

8. Es bleibt schliesslich zu prüfen, ob der Berücksichtigung der
Verwirkungsfrist von zehn Jahren ab dem Tag der schädigenden Handlung, wie sie
Art. 20 Abs. 1 VG vorsieht, im vorliegenden Fall Rechtssätze des
internationalen oder schweizerischen Rechts
BGE 136 II 187 S. 201
entgegenstehen, die es gebieten, dem Zeitablauf keine Rechnung zu tragen (vgl.
BGE 126 II 145 E. 3 S. 152).

8.1 Der Zeitablauf als Hinderungsgrund für die Durchsetzbarkeit bzw. als
Untergangsgrund für einen Anspruch gilt unter dem allgemeinen Vorbehalt von
Treu und Glauben (GADOLA, a.a.O., S. 55; MOOR, a.a.O., S. 83 Ziff. 1.3.1 und S.
89 Ziff. 1.3.2). Die Beschwerdeführerin ruft den Grundsatz von Treu und
Glauben, welcher ein loyales und vertrauenswürdiges Verhalten im Rechtsverkehr
gebietet, lediglich im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Frist an.
Dass die fehlende Kenntnis des Schadens nicht als unverschuldeter,
unüberwindbarer Grund der verspäteten Geltendmachung des Anspruchs und somit
als Wiederherstellungsgrund der Verwirkungsfrist gelten kann, wurde in Erwägung
6 hievor dargelegt. Eine anderweitige Verletzung des Grundsatzes von Treu und
Glauben wird nicht geltend gemacht und ist auch aus den Akten nicht
ersichtlich. Namentlich liegt kein Verhalten des Schuldners vor, welches den
Gläubiger bzw. die Gläubigerin von der rechtzeitigen Geltendmachung des
Anspruchs abgehalten hätte, sondern ist die Frist ohne Zutun des Schuldners
unbenutzt verstrichen (vgl. BGE 126 II 145 E. 3b/aa S. 153).

8.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Eintritt von Verjährung/
Verwirkung des Schadenersatzanspruchs vor Kenntnis des Schadens verstosse gegen
den Grundsatz des fairen Verfahrens und des freien Zugangs zum Gericht gemäss
Art. 6 EMRK. Diese Frage wurde in BGE 134 IV 297 E. 4.3.5 S. 305 f.
angesprochen, jedoch nicht näher geprüft, da weder zivilrechtliche Ansprüche
noch die Stichhaltigkeit der gegen eine Person gerichteten strafrechtlichen
Anklage zu prüfen waren.

8.2.1 Gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über
Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen
oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem
unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen
Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird (Satz
1). Von dieser Konventionsbestimmung werden nicht nur zivilrechtliche
Streitigkeiten im eigentlichen Sinne erfasst, sondern auch Verwaltungsakte
hoheitlich handelnder Behörden, die massgeblich in private Rechtspositionen
eingreifen. In diesem Sinne als zivilrechtlich gelten unter anderem auch
Schadenersatzforderungen
BGE 136 II 187 S. 202
gegenüber dem Gemeinwesen (vgl. BGE 134 I 331 E. 2.1 S. 332; 130 I 388 E. 5.1
S. 394 und E. 5.3 S. 397; FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 15
f. zu Art. 6 EMRK; MARK VILLIGER, Handbuch der Europäischen
Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl. 1999, N. 385 zu Art. 6 EMRK; JENS
MEYER-LADEWIG, Europäische Menschenrechtskonvention, Handkommentar, 2. Aufl.
2006, N. 8 zu Art. 6 EMRK). Bei der vorliegenden Staatshaftungsstreitigkeit
handelt es sich somit um eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 6
EMRK, bei welcher der Zugang zu einem Gericht zu gewähren ist. Selbst der durch
die Konventionsbestimmung gewährte Zugang gilt indessen nicht voraussetzungslos
und absolut. Vielmehr kann er an sachliche Bedingungen geknüpft werden.
Einschränkungen müssen jedoch einen rechtmässigen Zweck verfolgen und dürfen im
Hinblick auf den zu erreichenden Zweck nicht unverhältnismässig sein. Sie
dürfen nicht so weit gehen, dass sie das Recht auf Zugang zum Gericht seiner
Substanz entleeren (Urteil des EGMR Stubbings et al. gegen Vereinigtes
Königreich vom 22. Oktober 1996, Recueil CourEDH 1996-IV S. 1487 Ziff. 50).Als
nicht grundsätzlich konventionswidrig gelten beispielsweise
Substantiierungsanforderungen, ein Anwaltszwang mit der Möglichkeit der
unentgeltlichen Rechtspflege, Form- und Fristvorschriften usw. (vgl. FROWEIN/
PEUKERT, a.a.O., N. 64 ff. zu Art. 6 EMRK; VILLIGER, a.a.O., N. 432 zu Art. 6
EMRK; MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 20 ff. zu Art. 6 EMRK).

8.2.2 Was die vorliegend zur Diskussion stehenden Vorschriften betreffend
Verjährung/Verwirkung anbelangt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das
Verjährungsrecht einen bedeutsamen Bestandteil moderner Rechtsordnungen
darstellt und dass - soweit ersichtlich - in sämtlichen europäischen Staaten
die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche aus
Gründen der Rechtssicherheit befristet ist (vgl. REINHARD ZIMMERMANN, "... ut
sit finis litium", Grundlinien eines modernen Verjährungsrechts auf
rechtsvergleichender Grundlage, Juristen Zeitung 2000 S. 853 ff.). Die
Verwirkung der geltend gemachten Schadenersatzforderung ist sodann nicht
unverhältnismässig, da das schweizerische System Asbestopfern und ihren
überlebenden Angehörigen über das Unfallversicherungsrecht in Form von
Pflegeleistungen, Rentenleistungen sowie Integritätsentschädigung - unabhängig
von der Verwirkungsfrist für Verantwortlichkeitsansprüche gemäss Art. 20 Abs. 1
VG - eine sachgerechte Entschädigung bietet. Eine Verletzung von Art. 6 EMRK
ist somit nicht auszumachen.
BGE 136 II 187 S. 203

8.3 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Berücksichtigung der
Verwirkungsfrist von zehn Jahren ab dem Tag der schädigenden Handlung auch
keine Rechtssätze des internationalen oder schweizerischen Rechts
entgegenstehen. Die Vorinstanz ist somit zu Recht zum Schluss gekommen, dass
eine allfällige Haftung der SUVA für schädigende Handlungen oder Unterlassungen
vor dem 14. November 1995 erloschen ist.