Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 534



Urteilskopf

136 III 534

78. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Bank X. und
Y. AG gegen Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_421/2010 vom 22. Oktober 2010

Regeste

Abtretung von Rechtsansprüchen nach Art. 260 Abs. 1 SchKG.
Über den von mehreren Abtretungsgläubigern eingeklagten Anspruch der Masse kann
nur einheitlich entschieden werden (E. 2).
Der Vorschlag der Konkursverwaltung an die Gläubiger, auf die Geltendmachung
eines Anspruchs durch die Masse zu verzichten, und die Aufforderung, für den
Fall des Verzichts die Abtretung zu verlangen, können im gleichen Rundschreiben
Platz finden (E. 3 und 4).

Sachverhalt ab Seite 534

BGE 136 III 534 S. 534

A. Am 13. Mai 2008 erhob die Bank X. beim Bezirksgericht Visp Klage gegen Z.
und verlangte die Bezahlung von Fr. 241'297.80 nebst Zinsen. Am 19. Mai 2008
reichte die Y. AG beim Bezirksgericht ebenfalls Klage gegen Z. ein und
verlangte die Bezahlung von Fr. 19'234.- nebst Zinsen. Beide Klägerinnen machen
eine Forderung aus einem Beratungsverhältnis geltend, welche ihnen im Konkurs
über A. nach Art. 260 SchKG abgetreten wurde.

B. Nach Vereinigung der Klagen und Beweisaufnahme durch das Bezirksgericht
wurden die Akten am 21. Oktober 2009 zwecks Schlussverhandlung und Urteil an
das Kantonsgericht des Kantons Wallis gesandt. Vor dem Kantonsgericht stellten
die Bank X. und die Y. AG das Rechtsbegehren, dass Z. ihnen Fr. 241'297.80 zu
bezahlen habe; weiter habe Z. ihnen einen (näher bezeichneten) Verzugszins zu
bezahlen. Mit Urteil vom 16. April 2010 trat das Kantonsgericht infolge
fehlender Prozessführungsbefugnis auf die Klagen nicht ein.
BGE 136 III 534 S. 535

C. Mit Eingabe vom 2. Juni 2010 führen die Bank X. und die Y. AG Beschwerde in
Zivilsachen. Die Beschwerdeführerinnen (1 und 2) beantragen dem Bundesgericht,
das Urteil des Walliser Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung zurückzuweisen. Sodann ("sekundär") verlangen sie, dass Z. zur
Bezahlung der im kantonalen Verfahren bezeichneten Forderungen verpflichtet
werde.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Das Kantonsgericht ist auf die Klagen der Beschwerdeführerinnen zufolge
fehlenden Prozessführungsrechts nicht eingetreten. Mit Bezug auf die Klage der
Beschwerdeführerin 2 hat es festgehalten, dass diese selbst im Falle des
Eintretens abzuweisen wäre, da sie keine Tatsachenbehauptungen vorgebracht habe
und sich nicht auf diejenigen der Beschwerdeführerin 1 berufen könne. Zu prüfen
ist, ob der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen
beruht, die anzufechten sind (BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120).

2.1 Die Beschwerdeführerinnen haben die gleiche, nach Art. 260 SchKG
abgetretene Forderung (Inventaranspruch Nr. 116) eingeklagt. Die beiden
Abtretungsgläubigerinnen stellen - wie die Vorinstanz festgehalten hat - eine
(uneigentliche) notwendige Streitgenossenschaft dar (BGE 121 III 488 E. 2c S.
492). Wohl verlangt die Rechtsprechung von den Abtretungsgläubigern keine
einheitliche Prozessführung (BGE 121 III 488 E. 2e S. 494). Über den
eingeklagten Anspruch der Masse kann jedoch nur einheitlich entschieden werden
(BGE 121 III 488 E. 2b S. 492). Daher ist nicht denkbar, dass für einen Teil
der Abtretungsgläubiger aufgrund ihrer Behauptungen, Bestreitungen und
Beweisanträge die Klage geschützt, gegenüber einem anderen Teil aber aufgrund
fehlender Behauptungen die Klage abgewiesen würde (LEUENBERGER, Die
Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger nach Art. 260 SchKG, in:
Festschrift Karl Spühler, 2005, S. 202).

2.2 Vorliegend hat das Kantonsgericht in der Eventualbegründung die Klage der
Beschwerdeführerin 2 (mangels Tatsachenbehauptungen) abgewiesen; die Klage der
Beschwerdeführerin 1 hat sie jedoch in der Sache nicht weiter beurteilt. Vor
dem Hintergrund, dass nur ein einheitliches Urteil ergehen kann, weist das
angefochtene Urteil
BGE 136 III 534 S. 536
demnach keine selbständig tragende Begründung über den eingeklagten Anspruch
auf. Es genügt, wenn die Beschwerdeführerinnen sich gegen die Verweigerung der
Prozessführung wenden. Auf ihre Kritik gegen die angeblich unzureichend
begründete Klage der Beschwerdeführerin 2 ist nicht einzugehen.

3. Das Kantonsgericht hat das Prozessführungsrecht der Beschwerdeführerinnen
als Abtretungsgläubigerinnen verneint mit der Begründung, dass die Abtretung
gemäss Art. 260 SchKG nichtig sei. Die Konkursverwaltung habe den
Konkursgläubigern im Gläubigerzirkular vom 26. März 2008 Frist angesetzt, um
zur Frage des Verzichts auf Geltendmachung des Inventaranspruchs Nr. 116 durch
die Konkursverwaltung Stellung zu nehmen, und ihnen gleichzeitig Frist
angesetzt, um die Abtretung des betreffenden Anspruchs zu verlangen. Damit habe
sie die Abtretung vor Vorliegen eines Verzichtsbeschlusses offeriert, was die
Nichtigkeit der Abtretung zur Folge habe, so dass auf die Klagen nicht
eingetreten werden könne.
Die Beschwerdeführerinnen halten demgegenüber fest, es sei nicht gesetzwidrig,
wenn die Konkursverwaltung den Gläubigern im gleichen Zirkular den Verzicht der
Geltendmachung eines Anspruchs durch die Masse vorschlage und die
Abtretungsofferte unterbreite. Gestützt auf die gültige Abtretung müsse das
Kantonsgericht auf die Klagen eintreten.

4. Anlass zur vorliegenden Beschwerde geben die Abtretungsverfügungen gemäss
Art. 260 SchKG, auf welche die Beschwerdeführerinnen als Klägerinnen ihre
Prozessbefugnis stützen. Es ist unbestritten, dass das Konkursamt des Bezirks
Visp als Konkursverwaltung in dem im summarischen Verfahren durchgeführten
Konkurs über A. den Beschwerdeführerinnen am 15. April 2008 die Forderung
Inventar-Nr. 116 nach Art. 260 SchKG abgetreten hat. Nach dem Sachverhalt hatte
das Konkursamt den Konkursgläubigern mit Schreiben vom 26. März 2008 das
Folgende mitgeteilt:
"Wir beantragen den Konkursgläubigern, auf die Durchsetzung der sub Nr. 116 im
Inventar aufgeführten Forderung gegen Dr. Z., Visp, durch die Masse zu
verzichten und auch diesen Anspruch den Gläubigern im Sinne von Art. 260 SchKG
zur Abtretung zu offerieren. Einsprachen und Abtretungsbegehren sind innert 10
Tagen ab Zustellung des vorliegenden Zirkularschreibens schriftlich an das
Konkursamt Visp zu richten."
Umstritten ist, ob das Kantonsgericht die Abtretungen an die
Beschwerdeführerinnen als unwirksam betrachten durfte.
BGE 136 III 534 S. 537

4.1 Die Abtretung an einzelne Konkursgläubiger setzt den Verzicht der
Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung der abzutretenden
Rechtsansprüche voraus (Art. 260 Abs. 1 SchKG). Wird der Konkurs - wie hier -
im summarischen Verfahren durchgeführt und daher in der Regel keine
Gläubigerversammlung einberufen (Art. 231 Abs. 3 Ziff. 1 SchKG), wird der
Beschluss über den Verzicht grundsätzlich auf dem Zirkularweg oder durch
Publikation herbeigeführt (BGE 134 III 75 E. 2.3 S. 78). Der Verzicht ist
zwingende Voraussetzung für eine gültige Abtretung: Eine Abtretung oder
Abtretungsofferte, die vor einem gültigen Verzichtsbeschluss an einzelne
Gläubiger erfolgt, ist nichtig (BGE 79 III 6 E. 2 S. 12; zuletzt: BGE 134 III
75 E. 2.3 S. 78). Die Nichtigkeit ist auch im Abtretungsprozess von Amtes wegen
zu beachten (BERTI, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, Bd. III, 1998, N. 22 zu Art. 260 SchKG).

4.2 Im konkreten Fall ist das Kantonsgericht zum Ergebnis gelangt, das
Konkursamt habe die Abtretung des Anspruchs Nr. 116 offeriert, bevor ein
gültiger Verzichtsbeschluss vorgelegen habe. Diese Auffassung ist nicht
haltbar. Das Konkursamt hat im Gläubigerzirkular vom 26. März 2008 ausdrücklich
den Antrag an die Gläubiger gestellt, auf die Geltendmachung des Anspruchs Nr.
116 durch die Masse zu verzichten. Wohl trifft zu, dass das Konkursamt die
Abtretung des Anspruchs nicht ausdrücklich für den Fall vorbehalten hat, dass
die Gläubigergesamtheit auf die Geltendmachung verzichtet. Im gleichen
Gläubigerzirkular hat sich das Konkursamt für andere Forderungen (mit dem
Hinweis "Sofern nicht die Mehrheit ...") präziser geäussert. Aus dem Hinweis
auf die Möglichkeit zur "Einsprache" gegen das Vorgehen der Konkursverwaltung
(Verzicht auf Geltendmachung) geht jedoch hinreichend hervor, dass die
Abtretung nur für den Fall offeriert wurde, dass die Gläubiger sich für den
Verzicht der Geltendmachung durch die Masse aussprechen. Aus dem
Gläubigerzirkular vom 26. März 2008 kann nicht abgeleitet werden, die Abtretung
des Anspruchs Nr. 116 werde ohne Verzichtsbeschluss vorgenommen. Sodann steht
nach dem angefochtenen Entscheid nicht in Frage, dass die Abtretungsverfügungen
vom 15. April 2008 - wie diese bescheinigen (Formular 7K) - erlassen wurden,
nachdem die Mehrheit der Gläubiger auf die Geltendmachung tatsächlich
verzichtet hat. Insoweit kann von Nichtigkeit der Abtretung nicht gesprochen
werden.
BGE 136 III 534 S. 538

4.3 Das Kantonsgericht hat sich weiter gefragt, ob überhaupt als Zustimmung zum
Verzicht gelten könne, wenn das Konkursamt von den Gläubigern verlangt, gegen
den beantragten Verzicht Einsprache zu erheben. Diese Bedenken sind
unbegründet. Entscheidend ist, dass den Gläubigern vor der Abtretung streitiger
Ansprüche die Gelegenheit geboten wird, sich darüber zu äussern, ob auf deren
Realisierung durch die Masse selbst verzichtet werden soll (BGE 102 III 78 E.
3b S. 82). Für den Verzicht ist die Stimmenmehrheit der Gläubiger massgebend,
wobei Stillschweigen als Zustimmung zum Vorschlag der Konkursverwaltung gilt
(BGE 75 III 14 E. 2 S. 17; JEANNERET/CARRON, in: Commentaire romand, Poursuite
et faillite, 2005, N. 13 zu Art. 260 SchKG). Wie das Kantonsgericht durchaus
richtig ausgeführt hat und dargelegt wurde, erfolgt die Abtretung in zwei
Schritten: Zunächst erfolgt der Vorschlag auf Verzicht der Geltendmachung eines
Anspruchs durch die Masse, und im Fall, dass der Verzicht erfolgt, wird der
Anspruch den Gläubigern zur Abtretung offeriert. Entgegen der Meinung des
Kantonsgerichts schliesst dies jedoch nicht aus, dass die Aufforderung an die
Gläubiger, eventuell Abtretungsbegehren zu stellen, im gleichen Rundschreiben
Platz finden kann. Dies hat das Bundesgericht bereits in einem Urteil aus dem
Jahre 1951 erklärt (BGE 77 III 79 E. 3 S. 85) und wird in der Lehre bestätigt
(GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, Bd. III, 2001, N. 47 a.E. zu Art. 260 SchKG; SCHLAEPFER, Abtretung
streitiger Rechtsansprüche im Konkurs, 1990, S. 83 und 86). Nach dem
Dargelegten ist mit Art. 22 bzw. Art. 260 Abs. 1 SchKG nicht vereinbar, wenn
das Kantonsgericht die Nichtigkeit der Abtretungen festgestellt und die
Prozessführungsbefugnis der Beschwerdeführerinnen verneint hat. Ihre Rüge ist
begründet.

4.4 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich die Prüfung der weiteren Rügen, wie die
Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) und des
Willkürverbotes (Art. 9 BV), soweit den Vorbringen überhaupt eine eigenständige
Bedeutung zukommt.