Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 510



Urteilskopf

136 III 510

73. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
Gewerkschaft X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_187/2010 vom 6. September 2010

Regeste

Art. 330a Abs. 1 OR; Arbeitszeugnis; Krankheit.
In einem Arbeitszeugnis gemäss Art. 330a Abs. 1 OR ist eine Krankheit des
Arbeitnehmers namentlich zu erwähnen, wenn sie seine Eignung zur Erfüllung der
bisherigen Aufgabe in Frage stellte und damit einen sachlichen Grund für die
Auflösung des Arbeitsverhältnisses bildete (E. 4.1). Diese Voraussetzung ist
gegeben, wenn ein Arbeitnehmer zufolge Krankheit während mehr als eines Jahres
seine bisherige Tätigkeit nicht ausüben konnte und bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht absehbar war, ob und wann er dazu wieder in der Lage
sein wird (E. 4.4).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 511

BGE 136 III 510 S. 511
Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Der Arbeitnehmer kann jederzeit vom Arbeitgeber ein Zeugnis verlangen, das
sich nicht nur über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern auch
über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht (Art. 330a Abs. 1 OR). Ein
solches qualifiziertes Zeugnis bzw. Vollzeugnis soll einerseits das berufliche
Fortkommen des Arbeitnehmers fördern und deshalb wohlwollend formuliert werden.
Andererseits soll es künftigen Arbeitgebern ein möglichst getreues Abbild von
Tätigkeit, Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers geben, weshalb es
grundsätzlich wahr und vollständig zu sein hat (BGE 129 III 177 E. 3.2; Urteil
4A_432/2009 vom 10. November 2009 E. 3.1 mit Hinweisen). Ein qualifiziertes
Zeugnis darf und muss daher bezüglich der Leistungen des Arbeitnehmers auch
negative Tatsachen erwähnen, soweit diese für seine Gesamtbeurteilung erheblich
sind (STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag, 6. Aufl. 2006, N. 3 zu Art. 330a OR;
vgl. auch Urteil 4C.129/2003 vom 5. September 2003 E. 6.1). Dies trifft auf
eine Krankheit zu, die einen erheblichen Einfluss auf Leistung oder Verhalten
des Arbeitnehmers hatte oder die Eignung zur Erfüllung der bisherigen Aufgaben
in Frage stellte und damit einen sachlichen Grund zur Auflösung des
Arbeitsverhältnisses bildete (vgl. Urteil des Arbeitsgerichts Zürich
BGE 136 III 510 S. 512
vom 9. September 2003, in: Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR]
2004 S. 598 f.; PHILIPPE CARRUZZO, Le contrat individuel de travail, 2009, S.
401; STREIFF/VON KAENEL, a.a.O., N. 3 zu Art. 330a OR; SUSANNE JANSSEN, Die
Zeugnispflicht des Arbeitgebers, 1996, S. 126 f.; PHILIPPE CARRUZZO, Les
conséquences de l'empêchement non fautif de travailler: questions choisies, SJ
130/2008 II S. 327 ff. und 330). Eine geheilte Krankheit, welche die
Beurteilung der Leistung und des Verhaltens nicht beeinträchtigt, darf dagegen
nicht erwähnt werden (JANSSEN, a.a.O., S. 127). Längere Arbeitsunterbrüche sind
- auch wenn sie krankheitsbedingt waren - in einem qualifizierten Zeugnis zu
erwähnen, wenn sie im Verhältnis zur gesamten Vertragsdauer erheblich ins
Gewicht fallen und daher ohne Erwähnung bezüglich der erworbenen
Berufserfahrung ein falscher Eindruck entstünde (JANSSEN, a.a.O., S. 125; vgl.
auch SCHÖNENBERGER/STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, Bd. V/2c, 3. Aufl. 1996,
N. 13 zu Art. 330a OR). Massgebend sind die Umstände des Einzelfalls (vgl.
JANSSEN, a.a.O., S. 125 f. Fn. 274, die eine Faustregel, wonach nur
Unterbrechungen von mehr als der Hälfte der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu
erwähnen seien, ablehnt).

4.2 Das Obergericht erblickte den Grund der Kündigung in der langdauernden
Krankheit bzw. in der Annahme der Beschwerdegegnerin, dass der Beschwerdeführer
seit Januar 2008 wieder arbeitsfähig sei. Nachdem im Arbeitszeugnis das Ende
des Arbeitsverhältnisses auf den 31. Januar 2009 festgelegt worden sei, habe
der Beschwerdeführer zuvor beinahe 1 1/2 Jahre nicht mehr als Regionalsekretär
gearbeitet, weshalb gemäss dem Antrag der Beschwerdegegnerin im Zeugnis zu
erwähnen sei, dass der Beschwerdeführer wegen gesundheitlicher Probleme seine
Funktion als Regionalsekretär seit dem 24. August 2007 nicht mehr wahrnehmen
konnte.

4.3 Der Beschwerdeführer rügt, die Annahme des Obergerichts, die
Beschwerdegegnerin habe ihm aufgrund seiner Krankheit gekündigt, sei
offensichtlich unrichtig. Gemäss dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 19.
Mai 2008 sei nicht die Erkrankung Grund für die Kündigung gewesen, sondern die
(falsche) Annahme der Beschwerdegegnerin, der Beschwerdeführer habe seine
vertraglichen Pflichten, insbesondere seine Treuepflicht, verletzt. Stehe fest,
dass die Kündigung nicht auf seine Krankheit zurückzuführen sei, dürfe diese
gemäss dem Prinzip der wohlwollenden Formulierung nicht im Arbeitszeugnis
erwähnt werden. Da anzunehmen sei, der Beschwerdeführer werde bei einem
künftigen Arbeitgeber nicht erneut erkranken, sei für
BGE 136 III 510 S. 513
diesen einzig von Interesse, dass der Beschwerdeführer während der Dauer der
Krankheit keine beruflichen Erfahrungen sammeln konnte. Diesem
Informationsbedürfnis könne jedoch in einer für den Beschwerdeführer
schonenderen Weise entsprochen werden, wenn im Arbeitszeugnis ab Dezember 2007
eine Anstellung von 50 % genannt werde. Die Erwähnung seiner Krankheit im
Arbeitszeugnis verstosse demnach gegen Art. 330a OR.

4.4 Der Beschwerdeführer war während mehr als einem Jahr krankheitshalber
unfähig, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses war nicht absehbar, ob und wann er dazu wieder in der Lage
sein wird, weshalb die Krankheit seine weitere Eignung zur Ausübung der
bisherigen Tätigkeit erheblich in Frage stellte. Unter diesen Umständen bildete
die Krankheit einen berechtigten Kündigungsgrund. Demnach war die
Beschwerdegegnerin unabhängig davon, ob sie die Kündigung auf Grund der
Krankheit aussprach, gehalten, diese in einem qualifizierten Arbeitszeugnis zu
erwähnen. Damit ist eine Verletzung von Art. 330a OR zu verneinen, ohne dass
der subjektive Kündigungsgrund bzw. die entsprechende Rüge des
Beschwerdeführers geprüft werden müsste. Nicht entscheiderheblich ist auch, ob
die Erwähnung der Krankheit sich allenfalls hätte rechtfertigen können, weil
sonst bezüglich der Berufserfahrung ein falsches Bild entstanden wäre.