Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 490



Urteilskopf

136 III 490

70. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
sowie Betreibungsamt Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_783/2009 vom 5. August 2010

Regeste

Art. 97 und 116 SchKG; Umfang der Pfändung; Verwertungsbegehren.
Nachträgliche Wertsteigerungen des Pfändungsguts bilden keinen Grund, die
erfolgte Pfändung herabzusetzen (E. 4.4).
Ein Verwertungsbegehren darf nicht mit einer Bedingung verknüpft werden.
Insbesondere ist es unzulässig, im Verwertungsbegehren um Aufschub der
Verwertung zu ersuchen (E. 4.6).

Sachverhalt ab Seite 490

BGE 136 III 490 S. 490

A. Y. (Beschwerdegegner) ist einziger Aktionär der A. AG in Liquidation. Über
die A. AG war am 17. Oktober 2005 der Konkurs eröffnet und das Konkursamt B.
mit der Durchführung des Verfahrens betraut worden.
In der gegen Y. geführten Betreibung Nr. 1 vollzog das Betreibungsamt Z. am 14.
und 17. November 2008 auf Verlangen von X. (Beschwerdeführer) die Nachpfändung
Nr. 2. Das Betreibungsamt pfändete dabei sämtliche Aktien und Ansprüche
resultierend aus den Aktien der A. AG in Liquidation (Einteilung: 200
Namenaktien zu Fr. 100.- und 90 Namenaktien zu Fr. 10'000.-) und schätzte ihren
Wert nach Rücksprache mit dem Konkursamt B. auf Fr. 500'000.- entsprechend dem
damals erwarteten Konkursüberschuss.
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B. Y. erhob am 6. Januar 2009 Beschwerde an das Bezirksgericht Dietikon als
untere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen und rügte
sinngemäss eine Überpfändung.
Das Konkursamt B. führte am 16. März 2009 in einer Stellungnahme an das
Bezirksgericht aus, dass seine ursprüngliche Schätzung auf der Annahme
basierte, der Erlös der in der Konkursmasse befindlichen Liegenschaft C. werde
nur Fr. 5'000'000.- betragen. Gestützt auf die neue Annahme, dass die
Liegenschaft C. gemäss einer Offerte einen Erlös von Fr. 6'250'000.- einbringen
werde, die Zinsansprüche der Gläubiger aber höher als erwartet ausfallen
würden, sei von einem Konkursüberschuss zugunsten der Aktionäre von Fr.
800'000.- bis Fr. 1'200'000.- auszugehen. Am 13. Mai 2009 wurde die
Liegenschaft C. zum Preis von Fr. 6'800'000.- der D. GmbH zu Eigentum
übertragen.
Am 2. Juli 2009 wies das Bezirksgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf
eintrat.

C. Am 14. Juli 2009 erhob Y. Rekurs an das Obergericht des Kantons Zürich als
obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen. Am 3.
November 2009 setzte das Obergericht die Pfändung herab auf 70 Namenaktien zu
Fr. 100.- und 35 Namenaktien zu Fr. 10'000.- der A. AG in Liquidation und
sämtliche daraus resultierende Ansprüche.

D. Gegen diesen Beschluss hat X. am 20. November 2009 Beschwerde in Zivilsachen
erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und dass von
der Herabsetzung der Pfändung Nr. 2 vom 14. und 17. November 2008 in der
Betreibung Nr. 1 des Betreibungsamtes Z. abzusehen sei.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Bei der Beurteilung, ob eine Überpfändung vorliegt, ist das Obergericht
gestützt auf die Bewertung des Konkursamtes vom 16. März 2009 und den
inzwischen erfolgten Verkauf der Liegenschaft C. (vgl. oben lit. B) von einem
zu erwartenden Konkursüberschuss (und damit einem Aktienwert) von mindestens
Fr. 1'350'000.- ausgegangen. Für die Bewertung der Aktien sei unabhängig davon,
ob die Gesellschaft liquidiert werde oder ein Konkurswiderruf erfolge, vom
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Liquidationswert auszugehen, da die Gesellschaft einzig Barvermögen halte. Weil
die Forderung des Beschwerdeführers sich per 14. November 2008 mit Zins und
Kosten auf Fr. 415'000.- belaufen habe bzw. der Beschwerdegegner von einer
Forderung von Fr. 430'666.30 ausgehe, liege angesichts des Aktienwerts von
mindestens Fr. 1'350'000.- eine Überpfändung vor. Auf die Kritik des
Beschwerdeführers an dieser Bewertungsmethode bzw. ihrem Ergebnis braucht nicht
näher eingegangen zu werden, da seine Beschwerde bereits aus einem anderen
Grund gutzuheissen ist.

4.2 Gemäss Art. 97 Abs. 2 SchKG wird nicht mehr gepfändet als nötig ist, um die
pfändenden Gläubiger für ihre Forderungen samt Zinsen und Kosten zu
befriedigen. Die Schätzung der gepfändeten Gegenstände obliegt dem
Betreibungsbeamten, welcher nötigenfalls Sachverständige beiziehen kann (Art.
97 Abs. 1 SchKG). Vorliegend haben zwei seit der Pfändung eingetretene Umstände
das Obergericht veranlasst, die Pfändung herabzusetzen: Einerseits die neue
Schätzung des im Konkurs der A. AG in Liquidation erwarteten Überschusses,
welche durch das Konkursamt B. im Rahmen der Vernehmlassung zum
Beschwerdeverfahren im Schreiben vom 16. März 2009 abgegeben worden ist,
andererseits der effektiv vollzogene Verkauf der Liegenschaft C. zum Preis von
Fr. 6'800'000.-. Es geht also nicht darum, ob die Pfändung sämtlicher Aktien
der A. AG in Liquidation gemessen an der ursprünglichen Bewertung übermässig
erscheint. Dies wäre angesichts des damaligen Schätzwertes von Fr. 500'000.-,
welcher einer Forderung von - je nach Angaben - Fr. 415'000.- bzw. Fr.
430'666.30 gegenüberstand, und unter Berücksichtigung der bestehenden
Bewertungsunsicherheiten nicht anzunehmen. Dass diese erste Schätzung aus
damaliger Warte unzutreffend gewesen wäre, hat die Vorinstanz denn auch weder
festgestellt noch ergibt sich solches aus dem genannten Schreiben vom 16. März
2009. Hingegen wirft die zu beurteilende Konstellation die Frage auf, ob nach
der Pfändung eingetretene Umstände überhaupt Anlass bilden können, die Pfändung
herabzusetzen.

4.3 Gegebenenfalls könnte einer Wertänderung mit einer neuen Schätzung durch
Sachverständige Rechnung getragen werden, und zwar in analoger Anwendung von
Art. 9 Abs. 2 der Verordnung des Bundesgerichts vom 23. April 1920 über die
Zwangsverwertung von Grundstücken (VZG; SR 281.42) auch bei Fahrnis, wenn
anerkannte Schätzungskriterien bestehen (BGE 114 III 29 E. 3c S. 30 mit
Hinweisen). Solche Kriterien fehlen allerdings bei nicht kotierten Aktien (BG
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E BGE 101 III 32 E. 2b und c S. 34 f.), weshalb eine Neuschätzung vorliegend
nicht in Betracht kommt. Zudem mangelte es gemäss Feststellung des Obergerichts
bereits an einem entsprechenden, rechtzeitig erhobenen Antrag.

4.4 Es bleibt die Frage, ob die ausserhalb einer formellen Neuschätzung
festgestellten veränderten Umstände eine Herabsetzung der Pfändung
rechtfertigen können.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vermögen Abzahlungen an die
Betreibungsforderung keine verhältnismässige Freigabe eines Teils der
gepfändeten Gegenstände herbeizuführen (BGE 68 III 69 S. 71 f.; 25 I 141 E. 3
S. 145). In allgemeiner Weise hat das Bundesgericht in BGE 48 III 198 E. 3 S.
199 f. festgehalten, dass nach der Pfändung bzw. dem Arrestvollzug eingetretene
Umstände wie die Schuldminderung, die Verringerung einer hypothekarischen
Belastung oder der Wertanstieg der arrestierten oder gepfändeten Vermögenswerte
nicht zu berücksichtigen seien. Stellt sich die Pfändung hingegen als übersetzt
heraus, weil geltend gemachte Drittansprüche im Widerspruchsverfahren
erfolgreich bestritten wurden, so berechtigt dies zu einer Herabsetzung der
Pfändung (BGE 68 III 69 S. 71).
An der Rechtsprechung, dass nachträgliche Wertänderungen der gepfändeten
Gegenstände keine Entlassung aus der Pfändung zu begründen vermögen, ist aus
mehreren Gründen festzuhalten. Die blosse Wertänderung ist zunächst nicht mit
dem zulasten des Ansprechers verlaufenen Widerspruchsverfahren vergleichbar. Im
Letzteren wird der Umfang des Pfändungsgutes festgelegt. Zu einer Überpfändung
kann es dann kommen, wenn mehrere Drittansprüche im Raum stehen und sich der
Pfändungsbeamte veranlasst sieht, so viel zu pfänden, dass die
Betreibungsforderungen auch bei Erfolg der einen oder andern Drittansprache
gedeckt sind. Stellt sich nach Durchlaufen der Widerspruchsverfahren eine
Überpfändung heraus, rechtfertigt sich umgekehrt eine entsprechende Reduktion
der Pfändung. Allerdings sollte diese Lage gar nicht erst eintreten, hat doch
das Bundesgericht im Rahmen des Arrests entschieden, dass das Bestehen von
Drittansprachen nicht rechtfertigt, zusätzliche Gegenstände zu verarrestieren,
sondern nur, allenfalls andere Objekte zu blockieren (BGE 120 III 49 E. 2a S.
51). Im Unterschied zu dieser Situation geht es im zu beurteilenden Fall aber
nicht um die Festlegung des Pfändungsguts, sondern darum, dass diesem durch
veränderte Umstände ein höherer Wert zukommt.
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Dafür, dass Wertsteigerungen im Laufe des Verfahrens nicht zu einer
Herabsetzung der Pfändung berechtigen, sprechen Rechtssicherheits- und
Praktikabilitätserwägungen (zu Letzteren vgl. BGE 136 II 113 E. 3.3.4 S. 119
mit Hinweisen). Das Pfändungs- und Verwertungsverfahren soll innerhalb
bestimmter Fristen abgewickelt werden (Art. 116 Abs. 1 und Art. 122 Abs. 1
SchKG). Gäbe eine Wertsteigerung grundsätzlich Anspruch auf entsprechende
Herabsetzung der Pfändung, bestünde die Gefahr, die Verwertung durch solche
Nebenverfahren auf Anpassung der Pfändung über Gebühr zu verzögern. Dieser
Nachteil würde nicht automatisch durch ein materiell gerechteres Ergebnis der
Pfändung aufgewogen. Zum einen ist die Bewertung je nach Objekt von vornherein
mit mehr oder weniger grosser Unsicherheit behaftet, so dass die Behauptung
einer eingetretenen Werterhöhung diesen allenfalls bereits anlässlich der
Pfändung aufgeworfenen Punkt erneut zum Prozessthema machen würde, ohne Gewähr
für eine höhere Genauigkeit in der Bewertung zu bieten. Zum andern sind
allfällige Schwankungen - selbst wenn sie mit hinreichender Sicherheit
festgestellt werden könnten - je nach Marktlage und Objekt mehr oder weniger
häufig und fallen mehr oder weniger heftig aus. Insbesondere könnte nach einer
vorübergehenden Wertsteigerung auch ein Wertverlust eintreten. Hätte in einer
solchen Situation bereits eine Herabsetzung der Pfändung stattgefunden, müsste
das Betreibungsamt dies durch eine Nachpfändung wiederum korrigieren. Der
Rechtssicherheit und dem schnellen Ablauf des Verfahrens ist somit besser
gedient, wenn Wertsteigerungen - und zwar unabhängig vom in Frage stehenden
Objekt - unberücksichtigt bleiben und keinen Anlass zur Anpassung der Pfändung
bilden. Dabei kann es grundsätzlich keinen Unterschied ausmachen, ob die
nachträgliche Wertsteigerung ausserhalb eines Beschwerdeverfahrens bekannt
wird, oder - wie hier - zufällig während eines hängigen Verfahrens. Eine
Entlassung aus dem Pfändungsbeschlag bei Zustimmung der pfändenden Gläubiger
ist dadurch nicht ausgeschlossen (vgl. JAEGER UND ANDERE, Das Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG], 5. Aufl. 2006, N. 16 zu Art. 97 SchKG).

4.5 Die Vorinstanz hat zur Begründung der Pfändungsherabsetzung ausgeführt,
dass der Beschwerdegegner bei einer übermässigen Pfändung einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil erleiden könnte. Der Beschwerdeführer habe nämlich im
April 2009 das Verwertungsbegehren zur Versteigerung der Aktien ohne Aufschub
gestellt. Es
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liege auf der Hand, dass die Versteigerung von Aktien einer nicht kotierten
Einpersonengesellschaft in Liquidation wohl kaum auf Publikumsinteresse stossen
würde. Die Befürchtung des Beschwerdegegners sei deshalb berechtigt, dass der
Beschwerdeführer in der Verwertung die Aktien der A. AG in Liquidation billig
zu erwerben gedenke und damit nach Abschluss des Konkursverfahrens über die A.
AG in Liquidation den ganzen Konkursüberschuss einheimsen könnte.

4.6 Diese Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen. Allfällige Pläne des
Betreibungsgläubigers hinsichtlich seines Vorgehens während der Versteigerung
spielen für die Beurteilung, ob eine Überpfändung vorliegt bzw. ob
nachträgliche Wertsteigerungen zu einer Herabsetzung der Pfändung führen
können, keine Rolle. Das Mass der Pfändung wird durch den Betreibungsbeamten
festgelegt (Art. 97 Abs. 1 SchKG) und ist nicht von allfälligen Absichten des
Gläubigers abhängig. Dem Beschwerdeführer kann auch nicht etwa Rechtsmissbrauch
vorgeworfen werden, weil er rund sechs Monate nach der Pfändung ein
Verwertungsbegehren gestellt hat, ohne dieses unter den Vorbehalt zu stellen,
zunächst den Abschluss des Konkursverfahrens über die A. AG in Liquidation
abzuwarten. Dem Gläubiger steht es frei, zu einem beliebigen Zeitpunkt
innerhalb der Einjahresfrist von Art. 116 Abs. 1 SchKG das Verwertungsbegehren
zu stellen; eine Bedingung anzubringen, ist dabei unzulässig (BGE 94 III 78 E.
2 S. 79 f.). Ein Verwertungsbegehren, in welchem um Aufschub der Verwertung
ersucht wird, gilt deshalb als nicht gestellt (FREY, in: Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 1998, N. 20 zu Art. 116
SchKG; vgl. auch BGE 95 III 16 E. 1 S. 18). Im Übrigen ist völlig ungewiss, ob
die Versteigerung tatsächlich auf kein Interesse stossen wird. Bei der
Verwertung von Aktien einer Gesellschaft, deren Liquidation einen erheblichen
Überschuss erwarten lässt, kann jedenfalls nicht unbesehen unterstellt werden,
dass sich keine anderen Bieter als der Gläubiger selber finden werden. Das
Betreibungsamt hat die Verwertung so zu organisieren, dass ein möglichst hoher
Erlös erzielt wird und so auch eine allfällige, seit der Pfändung eingetretene
Wertsteigerung im Verwertungsergebnis ihren Niederschlag findet. Auf diese
Weise sollte der Schuldner durch die Nichtherabsetzung keinen bleibenden
Nachteil erleiden. Ein allfälliger Überschuss aus der Verwertung kommt ihm
zugute; bei Pfändung mehrerer Objekte kann gegebenenfalls bereits die
Verwertung nach Deckung der Betreibungsforderungen eingestellt werden (Art. 119
Abs. 2 SchKG).
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4.7 Folglich erweist sich die Beschwerde als begründet. Der angefochtene
Beschluss ist aufzuheben und von einer Herabsetzung der Nachpfändung Nr. 2 in
der Betreibung Nr. 1 des Betreibungsamtes Z. ist abzusehen.