Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 474



Urteilskopf

136 III 474

68. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X.
Gesellschaft für Schutzmarkenverwertung gegen Eidgenössisches Institut für
Geistiges Eigentum (IGE) (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_302/2010 vom 22. September 2010

Regeste

Art. 2 lit. d MSchG; Schutzverweigerung gegenüber der international
registrierten Wort-/Bildmarke "Madonna" wegen Sittenwidrigkeit.
Tatbestand der Sittenwidrigkeit bei Benutzung eines religiösen Namens oder
Symbols als Marke (E. 3). Bestimmung des massgeblichen Verkehrskreises, aus
dessen Sicht die Beurteilung zu erfolgen hat, und Berücksichtigung
ausländischer Registrierungen des Zeichens (E. 4 und 6.3). Das Zeichen
"Madonna" ist vom Markenschutz auszuschliessen, weil seine markenmässige
Kommerzialisierung geeignet ist, die religiösen Gefühle der katholischen
Christen im italienischsprachigen Teil der Schweiz zu verletzen (E. 5 und 6).

Sachverhalt ab Seite 475

BGE 136 III 474 S. 475

A. Gestützt auf eine deutsche Basiseintragung vom 22. April 2004 wurde die
Wort-/Bildmarke IR 123 456 "Madonna" (fig.) am 15. Dezember 2004 unter anderem
mit Schutzanspruch für die Schweiz im internationalen Register eingetragen und
am 25. August 2005 von der Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle
dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) mitgeteilt. Die Marke
hat folgendes Erscheinungsbild mit dem Farbanspruch dunkelrot und silbergrau:
[displayimage]
Sie ist für folgende Waren registriert:
Klasse 3:
Savons; parfumerie, huiles essentielles, cosmétiques, lotions pour les cheveux.
Klasse 9:
Appareils et instruments de conduction, de commutation, de transformation, de
stockage, de régulation ou de commande de l'électricité; appareils
d'enregistrement, de transmission ou de reproduction du son ou des images;
machines à calculer, équipements de traitement de données et ordinateurs;
lunettes et lunettes de soleil, étuis à lunettes.
Klasse 14:
Métaux précieux et leurs alliages et produits en ces matières ou en plaqué non
compris dans d'autres classes; joaillerie, bijouterie, pierres précieuses;
horlogerie et instruments chronométriques.
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Klasse 18:
Cuir et imitations du cuir et produits en ces matières, non compris dans
d'autres classes; malles et sacs de voyage; parapluies; parasols et cannes;
sacs de plage.
Klasse 20:
Meubles, miroirs, cadres; produits (non compris dans d'autres classes) en bois,
liège, roseau, jonc, osier, corne, os, ivoire, baleine, écaille, ambre, nacre,
écume de mer, succédanés de toutes ces matières ou en matières plastiques.
Klasse 21:
Ustensiles et récipients pour le ménage ou la cuisine (ni en métaux précieux,
ni en plaqué); peignes et éponges; brosses (à l'exception des pinceaux); verre
brut ou mi-ouvré (à l'exception du verre de construction); verrerie, porcelaine
et faïence non comprises dans d'autres classes.
Klasse 24:
Tissus et produits textiles non compris dans d'autres classes; couvertures de
lit et de table.
Klasse 25:
Vêtements pour hommes, femmes et enfants; chaussures, couvre-chefs, tricots
(vêtements); ceintures (vêtements).
Klasse 26:
Dentelles et broderies, rubans et lacets; boutons, crochets et oeillets,
épingles et aiguilles; fleurs artificielles; articles décoratifs pour la
chevelure.
Klasse 28:
Jeux et jouets; articles de gymnastique et de sport non compris dans d'autres
classes; décorations pour arbres de Noël.
Am 24. August 2006 eröffnete das IGE der X. Gesellschaft für
Schutzmarkenverwertung (Beschwerdeführerin) einen Refus provisoire total (sur
motifs absolus). Zur Begründung führte es an, dass das Zeichen "Madonna" als
italienisches Wort die Jungfrau Maria und Mutter Jesu bezeichne und daher
geeignet sei, die religiösen Gefühle der Konsumenten zu verletzen, die einer
christlichen Glaubensgemeinschaft angehören. Aufgrund dieses Umstandes sei das
Zeichen als gegen die guten Sitten verstossend einzustufen und die
Schutzgewährung daher zu verweigern.

B. Dem folgte ein eingehender Schriftenwechsel, in dem die Beschwerdeführerin
verschiedene Argumente ins Feld führte, namentlich dass das Wort "Madonna"
vielfältige andere Bedeutungen habe (zum Beispiel als Vorname oder als
Bezeichnung von Maria mit dem Jesuskind in der darstellenden und bildenden
Kunst), dass im
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schweizerischen Markenregister diverse Eintragungen für vergleichbare Waren
bestünden, welche die Worte "Madonna", "Christ", "Maria" oder "Mönch"
enthielten, und dass sich die schweizerischen Konsumenten an die Verknüpfung
von Mode mit dem Wort "Madonna" gewöhnt hätten.
Mit Verfügung vom 13. März 2008 bestätigte das IGE seinen Refus provisoire
total, da die Verwendung des Wortes "Madonna" als Marke einen Teil der
christlichen Bevölkerung der Schweiz in ihren religiösen Gefühlen verletzen
könne.
Eine von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Beschwerde wies das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 12. April 2010 ab.

C. Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. April 2010 aufzuheben und das IGE
anzuweisen, der internationalen Registrierung Nr. 123 456 den Schutz in der
Schweiz für sämtliche beanspruchten Waren zu erteilen und gegenüber der
internationalen Behörde WIPO die Aufhebung des Schutzverweigerungsbescheides
mitzuteilen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. (...)

2.2 Gemäss der Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums,
revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (PVUe; SR 0.232.04) ist eine
Schutzverweigerung unter anderem dann statthaft, wenn die Marke gegen die guten
Sitten oder gegen die öffentliche Ordnung verstösst, wobei eine Marke nicht
schon deshalb als gegen die öffentliche Ordnung verstossend angesehen werden
kann, weil sie einer Vorschrift des Markenrechts nicht entspricht, es sei denn,
dass diese Bestimmung selbst die öffentliche Ordnung betrifft (Art. 6^quinquies
lit. B Ziff. 3 PVUe). Nach Art. 2 lit. d MSchG (SR 232.11) sind Zeichen, die
gegen die öffentliche Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht
verstossen, vom Markenschutz ausgeschlossen.

3. Sittenwidrigkeit liegt nach der Rechtsprechung zu Art. 20 OR vor, wenn gegen
die herrschende Moral, d.h. gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder die der
Gesamtrechtsordnung immanenten ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe
verstossen wird (BGE 132 III 455
BGE 136 III 474 S. 478
E. 4.1 S. 458). Als sittenwidrig gelten Zeichen, die geeignet sind, das
sozialethische, moralische, religiöse oder kulturelle Empfinden breiter
Bevölkerungskreise zu verletzen, wobei auch auf in der Schweiz lebende
Minoritäten Rücksicht zu nehmen ist. Sittenwidrig sind zum Beispiel Zeichen mit
rassistischem, religionsfeindlichem oder das religiöse Empfinden verletzendem
oder sexuell anstössigem Inhalt (MICHAEL NOTH, in: Markenschutzgesetz, Noth/
Bühler/Thouvenin [Hrsg.], 2009, N. 24 zu Art. 2 lit. d MSchG; EUGEN MARBACH,
Markenrecht, in: SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, Rz. 666 ff.; LUCAS DAVID, in:
Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, Muster- und Modellgesetz, 2. Aufl. 1999,
N. 73 zu Art. 2 MSchG; MATHIS BERGER, Sittenwidrige Zeichen sind nicht
schutzfähig, in: sic! Sondernummer 2005, 125 Jahre Markenhinterlegung, S. 41
ff., 43; CHRISTOPH WILLI, MSchG, Kommentar [...] 2002, N. 262 zu Art. 2 MSchG).
Die Anstössigkeit kann dabei nicht nur im Inhalt des Zeichens liegen (so aber
BERGER, a.a.O., S. 43). Insbesondere bei Zeichen mit religiöser Bedeutung ist
der Aussagegehalt des Zeichens an sich nicht anstössig. Im Gegenteil, religiöse
Namen und Symbole sind regelmässig ethisch hoch besetzt. Sittenwidrig ist hier
nicht der Inhalt, sondern die Wahl des Zeichens zur kommerziellen Nutzung
(MARBACH, a.a.O., Rz. 663 und Fn. 869; NOTH, a.a.O., N. 24 zu Art. 2 lit. d
MSchG). Der Grund für den Ausschluss vom Markenschutz solcher Zeichen liegt
darin, dass ihre markenmässige Kommerzialisierung eine Verletzung des
religiösen Empfindens der betroffenen Religionsangehörigen bewirken kann.
Insofern ist der Beschwerdeführerin zwar zuzustimmen, dass von einer Verletzung
des religiösen Empfindens nicht abstrahiert werden kann. Dies hat aber entgegen
dem Vorwurf der Beschwerdeführerin auch die Vorinstanz nicht verkannt, hielt
sie doch fest, dass es darauf ankomme, ob die Angehörigen der betroffenen
Religion in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden können, und prüfte sie in
der Folge, ob die konkret streitbetroffene Bezeichnung "Madonna" bei einer
markenmässigen Verwendung geeignet ist, das religiöse Empfinden zu verletzen.

4. Die Vorinstanz untersuchte zunächst, aus der Sicht welchen massgeblichen
Adressatenkreises das Vorliegen des absoluten Ausschlussgrundes nach Art. 2
lit. d MSchG zu beurteilen sei. Dabei erwog sie, im Rahmen von Art. 2 lit. d
MSchG sei nicht auf das Verständnis der Abnehmer im Sinne eines
Verkehrskreises, sondern auf dasjenige der allgemeinen Öffentlichkeit bzw.
"weiter Volkskreise" abzustellen. Zu berücksichtigen seien auch Minderheiten.
Allerdings könne
BGE 136 III 474 S. 479
das Empfinden übertrieben empfindlicher Randgruppen, beispielsweise religiöser
Fanatiker, nicht massgebend sein. Vielmehr komme es auf die Sichtweise des
Durchschnittsangehörigen der entsprechenden Bevölkerungsgruppe (bzw.
Minderheit) an.

4.1 Die Beschwerdeführerin wendet ein, die massgebenden Verkehrskreise seien
aufgrund der beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu bestimmen. Die
Beurteilung eines Zeichens aus der Sicht "weiter Volkskreise" sei unzulässig,
denn das Markenrecht verbiete sittenwidrige Zeichen nur im Zusammenhang mit
spezifischen Waren und Dienstleistungen, nicht aber abstrakt ohne Bezug zu
irgendwelchen Produkten. Auch Art. 2 lit. d MSchG müsse produktespezifisch
angewendet werden, was die Tatsache belege, dass gewisse Produkte wie
alkoholische Getränke oder sogar Körper- und Schönheitspflegemittel mit
Heiligennamen bezeichnet werden könnten, ohne dass die Zeichen als sittenwidrig
qualifiziert würden. Weiter rügt sie, ein absoluter Ausschlussgrund müsse sich
bei einem "erheblichen Teil" der massgebenden Verkehrskreise manifestieren. Die
Registrierung dürfe nur versagt werden, wenn das Zeichen von erheblichen Teilen
der breiten Bevölkerung, die "Madonna" als religiöses Symbol für die Mutter
Jesu verstehen, als sittenwidrig aufgefasst werde, weil es sie in ihren
religiösen Gefühlen verletze. Das sei in casu zu verneinen. Die Anzahl
Katholiken, welche die Bedeutung von "Madonna" kenne, entspreche nicht
"erheblichen Teilen" der schweizerischen Bevölkerung.

4.2 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie lässt den unterschiedlichen
Normzweck der Ausschlussgründe nach Art. 2 lit. a und Art. 2 lit. d MSchG
ausser Acht. Der Ausschluss von Zeichen mit Gemeingutcharakter will verhindern,
dass Zeichen eingetragen werden, denen die erforderliche Kennzeichnungs- und
Unterscheidungskraft abgeht, und ferner, dass Zeichen monopolisiert werden, die
für den Wirtschaftsverkehr unentbehrlich sind. Diesem Zweck entsprechend ist
der Ausschlussgrund nach Art. 2 lit. a MSchG im Hinblick auf die beanspruchten
Waren und Dienstleistungen zu beurteilen (BGE 134 III 314 E. 2.3.3 S. 321, BGE
131 III 547 E. 2.3 S. 551; BGE 131 III 121 E. 4.4 S. 130, BGE 131 III 495 E. 5
S. 503). Demgegenüber bezweckt Art. 2 lit. d MSchG, den politischen und
sozialen Frieden zu gewährleisten, indem Zeichen vom Markenschutz
ausgeschlossen werden, die gegen die Rechtsordnung - d.h. die öffentliche
Ordnung, die guten Sitten oder geltendes Recht - verstossen (NOTH, a.a.O., N. 1
zu Art. 2 lit. d MSchG; BERGER, a.a.O., S. 42).
BGE 136 III 474 S. 480
Zu den ethischen Grundwerten, die zur Vermeidung von Sittenwidrigkeit zu
respektieren sind (BGE 132 III 455 E. 4.1 S. 458), zählt insbesondere auch die
Glaubens- und Gewissensfreiheit nach Art. 15 BV. Unter deren Schutz stehen
nicht nur die traditionellen Glaubensformen der christlich-abendländischen
Kirchen und Religionsgemeinschaften, sondern alle Religionen, unabhängig von
ihrer quantitativen Verbreitung in der Schweiz (BGE 134 I 49 E. 2.3 S. 51).
Daraus ergibt sich, dass entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin nicht
verlangt werden kann, dass ein "erheblicher Teil" der Bevölkerung betroffen
ist, ansonsten der Respekt vor dem religiösen Empfinden von Minderheiten
unterlaufen würde. Andererseits hat die Vorinstanz den massgebenden
Adressatenkreis zutreffend dahingehend eingeschränkt, dass es auf die Sicht des
durchschnittlichen Angehörigen der entsprechenden Religionsgemeinschaft
ankommt, womit extreme Sensibilitäten unberücksichtigt bleiben (NOTH, a.a.O.,
N. 7 f. zu Art. 2 lit. d MSchG; WILLI, a.a.O., N. 263 zu Art. 2 MSchG;
teilweise abweichend BERGER, a.a.O., S. 44 f.).
Unzutreffend ist die Ansicht der Beschwerdeführerin auch, soweit sie meint, die
Beurteilung der Sittenwidrigkeit müsse stets im Hinblick auf die beanspruchten
Waren und Dienstleistungen erfolgen. Aus dem dargestellten Schutzzweck von Art.
2 lit. d MSchG ergibt sich, dass Zeichen, denen nach dem Verständnis der
betroffenen Religionsgemeinschaft ein wichtiger religiöser Sinngehalt zukommt,
unabhängig von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen vom Markenschutz
auszuschliessen sind, bzw. sie sind in Bezug auf alle Waren und
Dienstleistungen als sittenwidrig zu beurteilen. Denn allein schon die
Zuerkennung eines Ausschliesslichkeitsrechts für die kommerzielle Verwendung
des Zeichens ist geeignet, das religiöse Empfinden der Angehörigen der
betroffenen Religionsgemeinschaft zu verletzen und den sozialen Frieden zu
gefährden (so auch NOTH, a.a.O., N. 13 zu Art. 2 lit. d MSchG). Ausnahmsweise
können die beanspruchten Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden, wenn
geltend gemacht wird, die kommerzielle Verwendung des Zeichens sei durch
Gewöhnung allgemein akzeptiert, wie dies im von der Beschwerdeführerin
genannten Beispiel der (historisch begründeten) Verwendung von Heiligennamen
für alkoholische Getränke zutrifft (vgl. dazu BERGER, a.a.O., S. 45). Als
weitere mögliche Ausnahme führt das IGE die Situation an, dass das Zeichen
ausschliesslich für Waren oder Dienstleistungen mit klarem religiösem Bezug
verwendet werden soll (Richtlinien in Markensachen des IGE
BGE 136 III 474 S. 481
vom 1. Januar 2010, Ziff. 6 S. 102). Beide Ausnahmekonstellationen sind
vorliegend nicht gegeben.

4.3 Demnach ergibt sich, dass die Vorinstanz zutreffend auf die katholischen
Christen als massgebenden Adressatenkreis abstellte und auch zu Recht
unabhängig von den beanspruchten Waren und Dienstleistungen prüfte, ob das
Zeichen "Madonna" für diese eine derart wichtige religiöse Bedeutung hat, dass
es vom Markenschutz auszuschliessen ist. Dabei durfte sie sich auf die
Katholiken im italienischsprachigen Teil der Schweiz beschränken, da es genügt,
wenn ein Zeichen in einem einzigen Sprachgebiet der Schweiz als gegen die guten
Sitten verstossend empfunden wird (DAVID, a.a.O., N. 76 zu Art. 2 MSchG;
BERGER, a.a.O., S. 44; betreffend den beschreibenden Charakter eines Zeichens:
BGE 131 III 495 E. 5 S. 503).

5. Weiter befasste sich die Vorinstanz mit dem Sinngehalt des Zeichens
"Madonna" in den Landessprachen Italienisch, Französisch und Deutsch. Sie wies
anhand verschiedener Wörterbücher und Quellen nach, dass das Wort "Madonna" im
Italienischen primär Maria von Nazareth, also die Mutter Jesu, bezeichnet.
Ebenso steht im Deutschen "Madonna" für Maria, die Mutter Jesu. In zweiter
Linie ist darunter eine künstlerische Mariendarstellung zu verstehen.
Französisch sprechende Konsumenten verstehen unter "madone" die Darstellung der
Jungfrau Maria in der Kunst. Zur Bezeichnung bzw. Anrufung Marias ist im
Französischen der Begriff "la sainte vierge" gebräuchlich. Jedenfalls die
schweizerischen Konsumenten italienischer Muttersprache würden das Wort
"Madonna" in erster Linie als religiöse Bezeichnung, nämlich als Anrufung der
Mutter Jesu, verwenden.
Weiter stellte die Vorinstanz fest, dass die Marienverehrung für die
Angehörigen der römisch-katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert
besitzt. Im italienischen Sprachgebiet der Schweiz seien nach der Volkszählung
2000 75 % Katholiken. Auch in den deutschsprechenden Teilen der Schweiz fänden
sich Orte, an denen Maria in Gestalt einer Madonna verehrt werde (so zum
Beispiel die Schwarze Madonna von Einsiedeln, die Schwarze Madonna von Iddaberg
im Toggenburg, die Schwarze Madonna von Pelagiberg und die Madonna von Balm in
der Wallfahrtskirche Oberdorf/SO).
Der Umstand, dass Maria nicht Teil der im Christentum zentralen Trinität sei,
ändere nichts an der Schutzwürdigkeit. Madonna werde täglich in Gebeten von
Tausenden angerufen, weshalb ihr in den
BGE 136 III 474 S. 482
katholischen Kirchen durch spezielle Altäre ein besonderer Platz eingeräumt
werde. Die intensive Madonnenverehrung, die über die Verehrung gewisser
Heiliger deutlich hinausgehe, lege eine zentrale Rolle der Madonna für die
Mehrheit der der katholischen Kirche zugehörigen Christen nahe.
Mit Blick auf ihre bedeutende Rolle in der Religionsausübung der Katholiken sei
eine markenmässige Kommerzialisierung der Bezeichnung "Madonna" geeignet, die
religiösen Gefühle der katholischen Christen zu verletzen. Ihre Eintragung in
das Markenregister müsse daher wegen Sittenwidrigkeit verweigert werden.

6. Dieser Beurteilung der Vorinstanz ist beizupflichten. Was die
Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht:

6.1 Zunächst ist unerheblich, ob es sich bei "Madonna", was die
Beschwerdeführerin bestreitet, um ein Symbol handelt. Denn nicht allein die
markenmässige Kommerzialisierung eines religiösen Symbols kann sittenwidrig
sein, sondern auch eine Bezeichnung für eine religiös verehrte Persönlichkeit
oder Gottheit. Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass Maria, die Mutter
Jesu, jedenfalls bei den italienischsprachigen Angehörigen der katholischen
Kirche unter der Bezeichnung "Madonna" eine intensive religiöse Verehrung
erfährt und im täglichen Gebet angerufen wird. Das Wort "Madonna" wird mithin
von einem überwiegenden Teil der katholischen Christen in der
italienischsprachigen Schweiz für die Invokation (religiös-ehrerbietige
Anrufung) der Mutter Jesu verwendet. Zu Recht hielt die Vorinstanz fest, dass
solche Ausdrücke zur Invokation zentraler religiöser Figuren vom Markenschutz
auszuschliessen sind. Dass das Wort "Madonna" in der Bibel nicht vorkommt und
auch kein Begriff der katholischen Glaubenslehre ist, ändert nichts an der
Schutzwürdigkeit dieser im praktizierten religiösen Leben verwendeten
Bezeichnung.

6.2 Ebenso wenig drängt sich eine andere Beurteilung auf, weil das Wort
"Madonna" auch in nicht religiösem Zusammenhang verwendet wird und noch weitere
Bedeutungen aufweist, wie namentlich in der Kunst die Bedeutung von
Mariendarstellungen oder als Name und insbesondere als Name einer weltberühmten
amerikanischen Popsängerin. Für den Ausschlussgrund der Sittenwidrigkeit genügt
es, wenn dem Zeichen in einem von mehreren Sinngehalten, der nicht geradezu im
Hintergrund steht, religiöse Bedeutung zukommt und es in dieser Bedeutung
geeignet ist, bei einer markenmässigen
BGE 136 III 474 S. 483
Kom merzialisierung das religiöse Empfinden der betroffenen
Religionsangehörigen zu verletzen. Die weiteren Sinngehalte des Wortes
"Madonna" sind zu schwach, als dass sie die primäre Bedeutung als Anrufung der
Mutter Jesu verdrängen würden. Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat,
kommt "Madonna" als Name in der Schweiz nur selten vor. Der Sinngehalt in der
Kunst ist eng mit dem religiösen verknüpft, so dass er jedenfalls in der
italienischen Sprache kaum als eigenständiger Sinngehalt wahrgenommen wird. Die
Bedeutung als Benennung der bekannten Pop-Sängerin Madonna mag zwar -
gegenwärtig - bei zahlreichen Personen relativ naheliegen, besitzt aber dennoch
keinen derartigen Stellenwert, dass sie den religiösen Sinngehalt, insbesondere
in der italienischsprachigen Schweiz, in den Hintergrund treten liesse.

6.3 Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, bei der Beurteilung der
Sittenwidrigkeit durch die Verletzung des religiösen Empfindens müsse die
betroffene Religionsgemeinschaft und deren Empfinden im Ganzen betrachtet
werden. Es dürfe nicht nur eine isolierte Schweizer Sichtweise greifen. In
anderen Ländern mit wesentlich höherem Anteil der katholischen Bevölkerung als
in der Schweiz, wie Italien, Spanien und Portugal, sei die Marke eingetragen
worden. Überdies seien die Katholiken in diesen Ländern strenggläubiger als die
Schweizer Katholiken. Die Sittenwidrigkeit des Zeichens "Madonna" sei dort
offenbar nicht empfunden worden, was als Indiz bei der Beurteilung nach dem
MSchG zu berücksichtigen sei. Die Vorinstanz habe sich mit der Rechtsfrage der
heranzuziehenden Verkehrskreise und mit den Eintragungen und der Benutzung in
anderen Ländern fehlerhaft auseinandergesetzt.
Dem kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
besteht aufgrund einer ausländischen Eintragung kein Anspruch auf Eintragung in
der Schweiz und haben ausländische Entscheide keine präjudizielle Wirkung.
Immerhin darf der Umstand, dass ein Zeichen im Ausland eingetragen wurde,
mitberücksichtigt werden (so betreffend Beurteilung des Gemeingutcharakters
eines Zeichens). Jedes Land prüft die Schutzfähigkeit einer Marke nach seiner
eigenen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verkehrsanschauung. Dabei verfügen die
einzelnen Länder über einen grossen Ermessensspielraum und ihre Beurteilung
kann demnach unterschiedlich ausfallen (BGE 135 III 416 E. 2.1; BGE 130 III 113
E. 3.2 S. 118 f.; BGE 129 III 225 E. 5.5 S. 229). Letzteres gilt namentlich
auch für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Zeichens. Die
BGE 136 III 474 S. 484
Beschwer deführerin beruft sich auf die Auffassung von MICHAEL NOTH, wonach die
Eintragung und Benutzung des fraglichen Zeichens in einem anderen Land für die
Beurteilung nach dem MSchG Indizwirkung haben kann, wenn zu erwarten ist, dass
jener ausländische Verkehr die Sittenwidrigkeit ähnlich oder sogar stärker
empfindet (NOTH, a.a.O., N. 16 zu Art. 2 lit. d MSchG). Auch dieser Autor räumt
aber ein, dass die besonderen Umstände im Ausland zu berücksichtigen seien. Das
religiöse Empfinden des in der Schweiz lebenden Anteils einer bestimmten
Religionsgruppe muss angesichts der verschiedenen Verhältnisse nicht mit
demjenigen des in anderen Ländern lebenden Anteils übereinstimmen. Bei
Wortmarken spielt überdies das unterschiedliche Sprachverständnis eine Rolle.
Auch kann die Beurteilungspraxis der ausländischen Markenbehörden im Rahmen des
den einzelnen Ländern zustehenden grossen Ermessensspielraums erheblich
differieren. Es ist daher äusserst heikel, von ausländischen Eintragungen auf
die angebliche Toleranz der ausländischen Religionsangehörigen zu schliessen
und daraus wiederum Rückschlüsse in Bezug auf das religiöse Empfinden in der
Schweiz ziehen zu wollen. Ausländischen Eintragungen kann daher im Bereich der
Sittenwidrigkeit kaum Indizwirkung zugestanden werden. Abzustellen ist vielmehr
allein auf das Empfinden der betroffenen Kreise in der Schweiz (DAVID, a.a.O.,
N. 76 zu Art. 2 MSchG; vgl. auch Richtlinien in Markensache des IGE vom 1.
Januar 2010, Ziff. 3.9 S. 64, wonach betreffend das Schutzhindernis des
Verstosses gegen die guten Sitten ausländische Eintragungen gänzlich
unbeachtlich sind, auch als Indiz). Im Übrigen ist es eine blosse, durch nichts
belegte Behauptung, dass die Katholiken in Italien, Spanien und Portugal
strenggläubiger seien als die Schweizer Katholiken.
Die Vorinstanz hat daher kein Recht verletzt, indem sie dafürhielt, die
Beschwerdeführerin könne aus den ausländischen Voreintragungen nichts zu ihren
Gunsten ableiten.

6.4 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz sodann vor, ihre Ausführungen
zu den in der Schweiz registrierten "Christ"-Marken rechtsfehlerhaft gewürdigt
zu haben, indem sie diese nicht zur Beurteilung des religiösen Empfindens
herangezogen, sondern eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes geprüft
habe. Eine solche habe die Beschwerdeführerin indes nicht geltend gemacht. Auch
in Bezug auf die schweizerische Eintragung Nr. 573 405 des Wort-/Bildzeichens "
MA DONNA" habe sie sich nicht auf Gleichbehandlung berufen, sondern auf diese
Markeneintragung lediglich
BGE 136 III 474 S. 485
hingewiesen, damit sie als Indiz bei der Beurteilung des religiösen Empfindens
berücksichtigt werde.
Ob die Beschwerdeführerin die besagten Schweizer Markeneintragungen bloss als
Hinweis für die Beurteilung des religiösen Empfindens erwähnte oder
Gleichbehandlung verlangte, kann dahingestellt bleiben. Die Vorinstanz hat
jedenfalls die entscheidenden - und von der Beschwerdeführerin nicht
widerlegten - Unterschiede jener Eintragungen zum vorliegend streitigen Zeichen
herausgearbeitet und damit klargestellt, dass jene Eintragungen keine andere
Bewertung der Sittenwidrigkeit des vorliegend streitigen Zeichens erheischen.
Insofern ist dem Anliegen der Beschwerdeführerin, jene Eintragungen seien bei
der Beurteilung des religiösen Empfindens zu berücksichtigen, Genüge getan. Die
Vorinstanz hat jene Eintragungen gewürdigt, wenn sie auch materiell nicht die
gleichen Schlüsse daraus zog wie die Beschwerdeführerin.

6.5 Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich als rechtsfehlerhaft, dass die
Vorinstanz die Regel, dass Zweifelsfälle einzutragen sind (vgl. dazu BGE 135
III 359 E. 2.5.3 mit Hinweisen), bei öffentlichen Interessen - wie
Irreführungsgefahr oder Sittenwidrigkeit - für nicht anwendbar hält.
Die Rüge ist unbegründet. Die Auffassung der Vorinstanz stützt sich auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach der Zivilprozess für die Durchsetzung
öffentlicher Interessen - wie Schutz des Publikums vor Täuschung - wenig
geeignet ist, weshalb ihnen auch in Grenzfällen bereits im Eintragungsverfahren
Nachachtung zu verschaffen ist (Urteil 4A.5/1994 vom 2. August 1994 E. 5, in:
PMMBl 1994 I S. 76). Dies gilt nicht nur bei Irreführungsgefahr, sondern auch
wenn die Rechts-, Sitten- oder Ordnungswidrigkeit eines Zeichens in Frage
steht, da es auch hier um öffentliche Interessen geht. Die Zweifelsfallregel
greift daher in diesen Fällen nicht (entsprechend lauten die Richtlinien in
Markensachen des IGE vom 1. Januar 2010, Ziff. 3.7 S. 62; ebenso MARBACH,
a.a.O., Rz. 240; a.M. NOTH, a.a.O., N. 17 zu Art. 2 lit. d MSchG).
Im Übrigen teilt das Bundesgericht die Beurteilung der Vorinstanz, dass kein
Grenzfall vorliegt, weshalb ohnehin kein Raum für eine Eintragung im
Zweifelsfall bestanden hätte.

6.6 Zusammenfassend hat die Vorinstanz Art. 2 lit. d MSchG nicht verletzt,
indem sie die Wort-/Bildmarke IR 123 456 "Madonna" als sittenwidrig im Sinne
dieser Bestimmung beurteilte und der Marke daher den Schutz in der Schweiz
versagte.