Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 305



Urteilskopf

136 III 305

46. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B.X. gegen
C.Y.-X. und D.Z.-X. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_536/2009 vom 3. März 2010

Regeste

Herabsetzung bei Verfügungen unter Lebenden (Art. 522 Abs. 1 und Art. 527 ZGB).
Hat der Erblasser einzelnen seiner Nachkommen Darlehen gewährt mit der
ausdrücklichen Erklärung, diese seien nicht zu verzinsen, ist in dieser
Unentgeltlichkeit keine der Herabsetzung unterliegende Zuwendung im Sinne von
Art. 527 Abs. 1 ZGB zu erblicken (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 305

BGE 136 III 305 S. 305
C.Y.-X., B.X. und D.Z.-X. sind die Kinder der Eheleute E.X. und F.X.-R. E.X.
verstarb im März 1993 und F.X.-R. (im Folgenden: Erblasserin) im März 2002.
Mit Vertrag vom 7. April 1989 hatte die Erblasserin den beiden Töchtern C.Y.-X.
und D.Z.-X. zum Preis von Fr. 870'000.- ein Grundstück verkauft. Für den
Teilbetrag von Fr. 370'000.- hatte sie den Käuferinnen ein unverzinsliches
Darlehen, fällig bei ihrem Ableben, gewährt. Für ein weiteres den Töchtern
verkauftes Grundstück wurde
BGE 136 III 305 S. 306
gemäss Vertrag vom 12. Dezember 1989 ein Preis von Fr. 69'030.- vereinbart,
wofür die Erblasserin (für den ganzen Betrag) wiederum ein unverzinsliches
Darlehen gewährte, das mit ihrem Ableben fällig werden sollte. Durch einen
zweiten Vertrag vom 12. Dezember 1989 verkaufte die Erblasserin ihren Töchtern
ein drittes Grundstück, wobei diese zur Tilgung des Kaufpreises von Fr.
1'254'860.- von der Erblasserin abermals ein unverzinsliches Darlehen, fällig
im Zeitpunkt ihres Todes, gewährt erhielten. Insgesamt hatte die Erblasserin
C.Y.-X. und D.Z.-X. somit unverzinsliche Darlehen in der Höhe von Fr.
1'693'890.- ausgerichtet.
B.X. erhob mit Eingabe vom 27. März 2003 beim Kantonsgericht des Kantons Zug
Klage gegen seine beiden Schwestern C.Y.-X. und D.Z.-X. und verlangte, den
Nachlass der Mutter und seinen Erbteil daran festzustellen; zur Nachlassmasse
seien sämtliche lebzeitigen Zuwendungen der Erblasserin an C.Y.-X. und D.Z.-X.
und deren Ehemänner und Kinder hinzuzurechnen.
In teilweiser Gutheissung der Klage stellte das Kantonsgericht mit Urteil vom
23. April 2008 fest, dass der strittige Nachlass Fr. 3'943'241.45 betrage und
B.X. als pflichtteilsberechtigtem Erben ein Anteil von Fr. 985'810.35 zustehe.
Bei der Ermittlung des als Nachlass festgestellten Betrags berücksichtigte das
Kantonsgericht unter anderem Zinsen (von 5 %) auf den den Töchtern im
Zusammenhang mit den Grundstückkäufen gewährten Darlehen.
C.Y.-X. und D.Z.-X. gelangten an das Obergericht (Zivilrechtliche Abteilung),
das am 9. Juni 2009 die Berufung teilweise guthiess und feststellte, dass der
Nachlass Fr. 2'888'724.95 und der Pflichtteil von B.X. Fr. 722'181.25 betrügen.
Das Obergericht reduzierte den von der ersten Instanz errechneten Betrag mit
der Begründung, für die C.Y.-X. und D.Z.-X. gewährten Darlehen seien keine
Zinsen zu veranschlagen.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 17. August 2009 beantragt B.X. unter anderem,
festzustellen, dass der Wert des mütterlichen Nachlasses Fr. 3'513'181.60,
zuzüglich Verzugszinsen von 5 % auf den von der Erblasserin den Miterbinnen
gewährten Darlehen von insgesamt Fr. 1'693'890.- seit 27. März 2003, betrage.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

BGE 136 III 305 S. 307
Aus den Erwägungen:

3. Falls der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten hat, können die
Erben, die nicht dem Werte nach ihren Pflichtteil erhalten, die Herabsetzung
der Verfügung auf das erlaubte Mass verlangen (Art. 522 Abs. 1 ZGB). Wie die
Verfügungen von Todes wegen unterliegen nach Art. 527 ZGB der Herabsetzung
unter anderem die Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Heiratsgut,
Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung
unterworfen sind (Ziff. 1), sowie die Entäusserung von Vermögenswerten, die der
Erblasser offenbar zum Zweck der Umgehung der Verfügungsbeschränkung
vorgenommen hat (Ziff. 4).

3.1 Unter "Zuwendung" kann in einem obligationenrechtlichen Sinn jede Handlung
verstanden werden, durch die eine Person einer anderen einen Vermögensvorteil
verschafft. Die Zuwendung kann sich aus einem Vermögensopfer oder aus einer
Arbeitsleistung ergeben (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen
Obligationenrechts, Bd. I, 3. Aufl. 1979, S. 198 f.). In Art. 527 Ziff. 1 ZGB
wird ausdrücklich (nur) der Begriff "Vermögensabtretung" verwendet. Es
rechtfertigt sich unter diesen Umständen, der erbrechtlichen Herabsetzung
einzig Tatbestände zu unterstellen, die auf einem Vermögensopfer beruhen. Die
Zuwendung besteht entweder in der Übertragung eines Rechts oder im Verzicht auf
ein solches. Rein wirtschaftlich betrachtet, kann der Verzicht auf das
Entstehen eines Rechts - wie etwa auf Zinse - zum gleichen Ergebnis führen wie
der Verzicht auf ein Recht. Das bedeutet jedoch nicht schon, dass die beiden
Tatbestände aus erbrechtlicher Sicht gleich zu behandeln wären. So ist darauf
hinzuweisen, dass beispielsweise bei der mit der Herabsetzung verwandten
Ausgleichung (Art. 626 ff. ZGB) der Betrag sich nach der Natur der Zuwendung
bemisst: Bei einem Geldbetrag in Landeswährung bleibt es beim Nominalwert und
ist genau der zugewendete Betrag zum Nachlass hinzuzurechnen, unabhängig davon,
wie der Empfänger das Geld angelegt hat. Demgegenüber trägt der Empfänger im
Falle der Zuwendung eines Gegenstandes oder eines bestimmten Rechts in dem
Sinne Nutzen und Gefahr von Wertschwankungen, dass bei einer Wertsteigerung der
höhere Wert, bei einer Verminderung lediglich der niedrigere Wert zu
berücksichtigen ist (Urteil des Bundesgerichts 5A_477/2008 vom 11. August 2009
E. 4; vgl. auch PETER WEIMAR, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 36 f. zu Art.
475 ZGB). Das schweizerische Erbrecht kennt
BGE 136 III 305 S. 308
mithin nicht eine absolute Gleichstellung der Erben. Erfasst werden auch bei
der Herabsetzung zur Absicherung der Pflichtteile grundsätzlich nur bestimmte
lebzeitige Vorgänge, und es ist deshalb angebracht, nur eigentliche
Entäusserungen Art. 527 Ziff. 1 bis 3 ZGB zu unterstellen.

3.2

3.2.1 Der wirtschaftliche Vorteil, den die Beschwerdegegnerinnen aus den ihnen
in Verbindung mit den Grundstückkäufen gewährten Darlehen gezogen haben, geht
nicht darauf zurück, dass die Erblasserin auf ein Recht verzichtet hätte: Wie
auch das Obergericht festhält, bestimmt Art. 313 Abs. 1 OR, Darlehen seien im
gewöhnlichen Verkehr nur dann verzinslich, wenn es so verabredet sei. Zins ist
in diesen Fällen mit anderen Worten keine gesetzliche Folge des Darlehens und
bedarf einer vertraglichen Abmachung. Aus der angeführten Bestimmung ergibt
sich zudem, dass Unentgeltlichkeit zu vermuten ist (PETER HIGI, Zürcher
Kommentar, 3. Aufl. 2003, N. 6 zu Art. 313 OR).

3.2.2 Nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz wurde für die
fraglichen Darlehen von Anfang an ausdrücklich die Unentgeltlichkeit
vereinbart. Es ist demnach nicht so, dass die Erblasserin mit einer
entsprechenden Vereinbarung zunächst einen Anspruch auf Zinsen erworben hätte,
auf deren Einforderung sie nachträglich verzichtet hätte. Die Erblasserin hat
einen Zinsanspruch vielmehr gar nicht erst entstehen lassen. Insoweit ist nach
dem Gesagten keine Zuwendung im Sinne des Herabsetzungstatbestands von Art. 527
Abs. 1 ZGB vorhanden, die zu einer Hinzurechnung eines über die Nominalsummen
der Darlehen hinausgehenden Betrags führen würde.

3.2.3 Den Darlegungen des Obergerichts zur Höhe bzw. zum Charakter von
Darlehenszinsen, die einzusetzen seien, ist nach dem Ausgeführten die Grundlage
entzogen. Die vorinstanzliche Auffassung zu diesem Punkt ist daher nicht näher
zu erörtern. Festgehalten sei lediglich, dass das Obergericht verkennt, dass
das unentgeltliche Einräumen von Vorteilen - unabhängig von deren
wirtschaftlicher Bedeutung - für sich allein noch keine Zuwendung im hier
einschlägigen Sinne darstellt.

3.3 Sodann widerspricht der Beschwerdeführer der vorinstanzlichen Feststellung,
die Erblasserin habe keine verpönten Entäusserungsabsichten gehabt: Mit den
unentgeltlichen Zuwendungen an die
BGE 136 III 305 S. 309
Beschwerdegegnerinnen in Form von Zinsausfall habe die Erblasserin sich ihres
Vermögens offensichtlich zum Zweck der Umgehung der Verfügungsbeschränkung,
d.h. zur Schmälerung seines Pflichtteils, entäussert; die strittige Zuwendung
sei daher auch gestützt auf Art. 527 Ziff. 4 ZGB herabzusetzen.
Die Absicht einer Person lässt sich unmittelbar nur durch deren Aussagen und
daneben bloss durch Schlussfolgerungen aus dem äusseren Verhalten der
fraglichen Person und aus den äusseren Gegebenheiten, die auf sie eingewirkt
haben, ermitteln. Es geht mithin um eine Frage tatsächlicher Natur (vgl. BGE
134 III 452 E. 4.1 S. 456). Was der Beschwerdeführer zu den Umständen der
strittigen Zuwendungen vorträgt, ist rein appellatorischer Natur und deshalb
nicht geeignet, die obergerichtliche Annahme, die Erblasserin habe keine
Absicht gehabt, den Beschwerdegegnerinnen einen unentgeltlichen Vorteil zu
verschaffen und ihn zu schädigen, als willkürlich erscheinen zu lassen. Damit
ist durch den Verzicht der Erblasserin auf Darlehenszinsen auch der
Herabsetzungstatbestand von Art. 527 Ziff. 4 ZGB nicht erfüllt.