Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 294



Urteilskopf

136 III 294

44. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B. gegen K.
Krankenkasse (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_277/2010 vom 14. Juni 2010

Regeste

Art. 174 SchKG; Konkurshinderungsgründe; Befristung.
Konkurshinderungsgründe müssen sich innert der Rechtsmittelfrist verwirklicht
haben und geltend gemacht werden (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 294

BGE 136 III 294 S. 294
In der Betreibung für Prämienforderungen von Fr. 858.80 nebst Zins und Kosten
stellte die K. Krankenkasse als Gläubigerin das Konkursbegehren gegen B. als
Schuldnerin und als im Handelsregister eingetragene Inhaberin einer
Einzelfirma. Das Bezirksgericht eröffnete den Konkurs. B. gelangte an das
Obergericht des Kantons Zürich, das ihren Rekurs abwies. Das Obergericht hielt
dafür, ein nach Ablauf der Rekursfrist eingetretener Konkurshinderungsgrund
könne nicht berücksichtigt werden. Da diese Frist am 30. November 2009
abgelaufen sei, B. den Betrag von Fr. 1'120.- aber erst am 4. Dezember 2009
hinterlegt habe, erweise sich die Aufhebung der Konkurseröffnung als
unzulässig. Das Bundesgericht weist die von B. (Beschwerdeführerin) dagegen
erhobene Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Nach dem Wortlaut von Art. 174 Abs. 2 SchKG setzt die Aufhebung der
Konkurseröffnung voraus, dass "mit der Einlegung des Rechtsmittels" ("en
déposant le recours"; "impugnando la decisione") die Zahlungsfähigkeit
glaubhaft zu machen und ein "inzwischen" ("depuis lors"; "nel frattempo")
eingetretener Konkurshinderungsgrund gemäss Ziff. 1-3 durch Urkunden zu
beweisen ist.

3.1 Gestützt auf den Gesetzeswortlaut hat das Bundesgericht unter Hinweis auf
die Lehre festgehalten, dass das Gesetz mit der Umschreibung "mit der Einlegung
des Rechtsmittels" selber eine zeitliche Schranke für das Beibringen von
Unterlagen setzt, die die
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Zahlungsfähigkeit belegen. Das Gesetz geht davon aus, dass der Konkurseröffnung
ein längeres Betreibungsverfahren vorausgegangen ist, in dessen Verlauf sich
der Konkursit über seine finanziellen Verhältnisse Klarheit verschaffen konnte
und musste. Werden daher innert Frist keine Unterlagen vorgelegt, besteht
grundsätzlich kein Grund für Weiterungen. Insbesondere besteht kein Raum für
weitergehende kantonale Regelungen (Urteil 5A_80/2007 vom 4. September 2007 E.
5.2 mit Hinweis auf JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 4. Aufl. 1997/99, N. 12 und 14 zu Art.
174 SchKG; JÜRGEN BRÖNNIMANN, Novenrecht und Weiterziehung [...] gemäss Art.
174 E SchKG, in: Festschrift Walder, 1994, S. 442, 448 und 451; GIROUD, in:
Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 1998, N.
19 und 26 zu Art. 174 SchKG). Das Bundesgericht hat dabei nicht übersehen, dass
kantonale Gerichte es mitunter zulassen, Unterlagen sogar nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist nachzureichen, und dass sie dazu eine Nachfrist ansetzen
(zit. Urteil 5A_80/2007 E. 5.2 mit Hinweis auf GIROUD, a.a.O., N. 26 zu Art.
174 SchKG). Es hat dazu festgehalten, dass die fragliche kantonale Praxis dem
Gesetzestext widerspricht und dass aus Art. 174 SchKG keine Verpflichtung der
oberen kantonalen Gerichte abgeleitet werden kann, Vorbringen nach Ablauf der
Rechtsmittelfrist zu berücksichtigen oder eine Nachfrist anzusetzen (Urteile
5P.146/2004 vom 14. Mai 2004 E. 2, 5P.178/2005 vom 11. Juli 2005 E. 2.2.1 und
5P.456/2005 vom 17. Februar 2006 E. 4.1).

3.2 Für die Konkurshinderungsgründe gemäss Art. 174 Abs. 2 Ziff. 1-3 SchKG muss
folgerichtig gelten, was für das Beibringen der Urkunden zu ihrem Beweis gilt.
Konkurshinderungsgründe sind gemäss Art. 174 SchKG nur zu berücksichtigen, wenn
sie sich innert der Rechtsmittelfrist verwirklicht haben und geltend gemacht
werden (ADRIAN STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs, Ergänzungsband, 2005, N. 20 ff. zu Art. 174 SchKG; PIERRE-ROBERT
GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, Bd. III, 2001, N. 47 zu Art. 174 SchKG, und Poursuite pour dettes,
faillite et concordat, 4. Aufl. 2005, N. 1466 S. 279; COMETTA, in: Commentaire
romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 6 zu Art. 174 SchKG; vgl. auch
PIERRE-YVES BOSSHARD, Le recours contre le jugement de faillite, JdT 158/2010
II S. 113, S. 125 f., und MAGDALENA RUTZ, Weiterziehung des Konkursdekretes,
in: Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, Festschrift 75 Jahre Konferenz der
Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, 2000, S. 343 ff., S. 348; so auch
ausdrücklich für neue
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Tatsachen gemäss Art. 174 Abs. 1 SchKG: Urteil 5P.263/2003 vom 25. August 2003
E. 3.3.1).

3.3 Gemäss den verbindlichen und unangefochtenen Feststellungen des
Obergerichts ist die Rechtsmittelfrist von zehn Tagen am 30. November 2009
abgelaufen, die Hinterlegung im Sinne von Art. 174 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG aber
erst am 4. Dezember 2009 erfolgt. Der Konkurshinderungsgrund hat sich somit
nach Ablauf der Rechtsmittelfrist verwirklicht und war deshalb unbeachtlich.
Die Vorbringen der Beschwerdeführerin geben keinen Anlass, die Rechtsprechung
zu überprüfen. Namentlich das gerügte Verbot des überspitzten Formalismus
vermag eine Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut nicht zu begründen. Mit Blick
auf die in E. 3.1 genannten Gründe und unter Berücksichtigung, dass der
Gesetzgeber für Entscheide, die vom Konkursgericht getroffen werden, ein
summarisches Verfahren vorsieht (Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG), erscheint es
als sachlich und durch schutzwürdige Interessen gerechtfertigt, dass nach
Ablauf der Rechtsmittelfrist eingetretene Konkurshinderungsgründe unbeachtlich
bleiben. Bei diesem Ergebnis ist die weitere Voraussetzung nicht zu prüfen,
wonach zusätzlich die Zahlungsfähigkeit glaubhaft gemacht werden muss. Eine
Verletzung von Art. 174 SchKG kann dem Obergericht nicht vorgeworfen werden.