Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 136 III 102



Urteilskopf

136 III 102

14. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Sunrise
Communications AG gegen Yello Strom Verwaltungsgesellschaft mbH (Beschwerde in
Zivilsachen)
4A_330/2008 vom 27. Januar 2010

Regeste

Art. 12 und 52 MSchG; markenrechtliche Feststellungsklage; Umfang des
Rechtsschutzinteresses.
Bei einer Klage auf Nichtigerklärung von Marken, die mit Nichtgebrauch und
rechtsmissbräuchlicher Hinterlegung derselben begründet wird, fällt eine
Nichtigerklärung der Marken im ganzen Umfang in Betracht, in dem sich der
Nichtigkeitsgrund als gegeben erweist. Das Feststellungsinteresse des Klägers
darf, um ein solches Urteil zu ermöglichen, nicht auf die gleichen Waren- und
Dienstleistungsklassen beschränkt werden, für die er ein Zeichen im
Markenregister eingetragen hat (E. 3).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 103

BGE 136 III 102 S. 103
Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdeführerin rügt eine bundesrechtswidrige Einschränkung ihres
Feststellungsinteresses durch die Vorinstanz.

3.1 Wer ein rechtliches Interesse nachweist, kann nach Art. 52 MSchG (SR
232.11) vom Richter feststellen lassen, dass ein Recht oder ein
Rechtsverhältnis nach diesem Gesetz besteht oder nicht besteht. Diese
markenrechtliche Feststellungsklage erlaubt in der Form der Löschungs- oder
Nichtigkeitsklage die Nichtigerklärung und Löschung einer Marke aus dem
Markenregister. Das Rechtsschutzinteresse muss erheblich sein (BGE 120 II 144
E. 2a; Urteile 4A_324/2009 vom 8. Oktober 2009 E. 2; 4C.369/2004 vom 25. Januar
2005 E. 2.3, in: sic! 2005 S. 682; LUCAS DAVID, Markenschutzgesetz, Muster- und
Modellgesetz, 2. Aufl. 1999, N. 9 zu Art. 52 MSchG; CHRISTOPH WILLI,
Markenschutzgesetz, MSchG, 2002, N. 6 zu Art. 52 MSchG). Wann ein solches
Interesse gegeben ist, bestimmt das Bundesrecht (BGE 135 III 378 E. 2.2 S. 379
f. mit Hinweisen). Ein Feststellungsinteresse liegt vor, wenn die
Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sind, die Ungewissheit durch die
Feststellung über Bestand und Inhalt des Rechtsverhältnisses beseitigt werden
kann und ihre Fortdauer der Klagepartei nicht zugemutet werden kann, weil sie
sie in ihrer Bewegungsfreiheit behindert (BGE 135 III 378 E. 2.2 S. 380; BGE
123 III 414 E. 7b S. 429; BGE 120 II 144 E. 2; je mit Hinweisen).

3.2 Die Vorinstanz erwog, die Beschwerdegegnerin habe Widersprüche gegen die
beiden Marken der Beschwerdeführerin eingereicht. Zudem verwende die
Beschwerdeführerin ihre allenfalls mit der Marke "Yello" verwechselbare Marke
"Yallo" im Geschäftsverkehr. Diese habe somit grundsätzlich ein rechtlich
geschütztes Interesse an der Nichtigerklärung der Marken der Beschwerdegegnerin
bzw. an den Eventualbegehren. Die Marken CH-Nrn. 535 045 und 537 384 der
Beschwerdeführerin seien für die Klassen 9, 16, 35, 36, 38 und 42 registriert.
Die Beschwerdeführerin habe somit lediglich insoweit ein Rechtsschutzinteresse
an der Nichtigerklärung der Marken der Beschwerdegegnerin, als diese für die
gleichen Klassen registriert seien. Anderes bringe die Beschwerdeführerin denn
auch nicht vor. Sie trat daher auf die Klage insoweit nicht ein, als die Marken
der Beschwerdegegnerin für andere Klassen registriert sind als diejenigen, für
welche die Marken der Beschwerdeführerin eingetragen sind.
BGE 136 III 102 S. 104

3.3 Umstritten ist demnach nicht das Bestehen eines Feststellungsinteresses an
sich, sondern dessen Reichweite bzw. Umfang. Die Beschwerdeführerin ist der
Auffassung, ihr Rechtsschutzinteresse richte sich auf die Nichtigerklärung der
gesamten Marken der Beschwerdegegnerin, soweit diese mit einem
Nichtigkeitsgrund behaftet seien. Sie habe die Nichtigerklärung der Marken der
Beschwerdegegnerin mit dem Nichtgebrauch derselben begründet. Die Berufung auf
Nichtgebrauch setze aber kein besonderes Interesse voraus. Eine Beschränkung
des schutzwürdigen Interesses könnte sich jedenfalls nicht nach Waren- oder
Dienstleistungsklassen richten. Zudem habe sie die Nichtigkeit der
angefochtenen Marken auch mit der fehlenden Gebrauchsabsicht und der
Rechtsmissbräuchlichkeit der Markenhinterlegung begründet. Auch in diesem Fall
sei es nicht zweckmässig, das Feststellungsinteresse auf bestimmte Waren und
Dienstleistungen zu beschränken, da die angefochtenen Marken im ganzen Umfang,
in dem sich der Nichtigkeitsgrund als gegeben erweist, nichtig zu erklären
seien, wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung zeige.
Diese Argumentation ist zutreffend:

3.4 Zur Geltendmachung des Nichtgebrauchs einer Marke im Sinne von Art. 12
MSchG ist grundsätzlich jedermann befugt; ein spezieller Interessennachweis ist
nicht erforderlich, da das allgemeine Interesse, bei der freien Zeichenbildung
nicht durch zufolge Nichtgebrauchs ungültige Marken behindert zu werden, in der
Regel genügt. Ausnahmsweise kann ein Rechtsschutzinteresse an der
Nichtigerklärung jedoch dann fehlen, wenn die Opponentin das fragliche Zeichen
oder ein diesem ähnliches Zeichen schon aus anderen Gründen selbst gar nicht
benutzen kann oder benutzen darf, so dass für sie die Markeneintragung von
vornherein keine weitere Behinderung in der freien Zeichenbildung bewirken
kann. In einem solchen Fall kann der Nichtgebrauch nur geltend gemacht werden,
wenn die Opponentin aufgrund besonderer Umstände dennoch ein schutzwürdiges
Interesse daran hat, ein Wiederaufleben des zufolge Nichtgebrauchs
untergegangenen Markenrechts zu verhindern (BGE 125 III 193 E. 2a S. 206; so
auch WILLI, a.a.O., N. 6 zu Art. 52 MSchG; EUGEN MARBACH, Markenrecht, SIWR,
Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, S. 418 f. Rz. 1418; KARIN BÜRGI LOCATELLI, Der
rechtserhaltende Markengebrauch in der Schweiz, 2008, S. 202; enger DAVID, der
ein schutzwürdiges Interesse demjenigen abspricht, der die angefochtene Marke
tatsächlich nicht gebrauchen kann, weil er sich gar nicht mit Waren und
BGE 136 III 102 S. 105
Dienstleistungen befasst, für welche die angeblich ungebrauchte Marke
beansprucht wird: DAVID, a.a.O., N. 14 zu Art. 12 MSchG und N. 9 zu Art. 52
MSchG; derselbe, Bemerkungen zu BGE 125 III 193, AJP 1999 S. 1483 ff., 1487).
Wie die Beschwerdeführerin zutreffend vorbringt, kann es bezüglich der
Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse keinen Unterschied machen, ob der
Nichtgebrauch einer Marke ausserprozessual geltend gemacht oder im Rahmen einer
Nichtigkeitsklage nach Art. 52 MSchG angerufen wird. Es macht keinen Sinn, das
Interesse an der gerichtlichen Geltendmachung des Nichtgebrauchs enger zu
fassen als dasjenige an der ausserprozessualen Geltendmachung. Eine solche
Differenzierung geht denn auch aus BGE 125 III 193 E. 2a S. 206 nicht hervor.
Es gelten stets die gleichen, relativ geringen Voraussetzungen.
Nach dem Gesagten musste die Beschwerdeführerin kein spezielles Interesse
nachweisen. Sie kann sich grundsätzlich auf ihr allgemeines Interesse stützen,
bei der freien Zeichenbildung nicht durch die von der Beschwerdegegnerin
eingetragenen, angeblich nicht gebrauchten Marken behindert zu werden. Gründe,
aus denen die Beschwerdeführerin das fragliche Zeichen für die strittigen Waren
oder Dienstleistungen nicht benutzen darf oder kann, sind keine festgestellt.
Die Vorinstanz hätte daher das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin
nicht von vornherein auf den Schutzbereich deren eigener Marken beschränken
dürfen.
Dies gilt umso mehr, als die Beschwerdeführerin ihre Klage auf Nichtigerklärung
der Marken der Beschwerdegegnerin auch mit der fehlenden Gebrauchsabsicht bzw.
Rechtsmissbräuchlichkeit der Hinterlegung (Defensivmarken) begründet hat. Der
Richter erklärt die angefochtene Marke in dem Umfang für nichtig, in dem sich
der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund als begründet erweist. Eine Beschränkung
der Nichtigerklärung der angefochtenen Marke auf die "gleichen Klassen", für
welche die Marke des Opponenten eingetragen ist, worauf die Erwägungen der
Vorinstanz hinauslaufen, findet nicht statt. Vielmehr beschlägt die
Nichtigerklärung bei Bejahung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes die
angefochtene Marke im gesamten betroffenen Umfang (vgl. z.B. Urteile 4C.431/
2004 vom 2. März 2005, in: sic! 2005 S. 463 ff.; 4C.82/2007 vom 30. Mai 2008,
teilw. publ. in: sic! 2008 S. 732 ff.; vgl. auch BGE 127 III 160 E. 1a S. 163
f.). Um ein solches Urteil zu ermöglichen, muss im
BGE 136 III 102 S. 106
selben Umfang auch das Rechtsschutzinteresse, sofern es grundsätzlich gegeben
ist, an einer entsprechenden Nichtigkeitsklage bejaht werden. Dies hat die
Vorinstanz verkannt.
Hinzu kommt, dass es ohnehin nicht sachgerecht wäre, eine Einschränkung der
Klagelegitimation nach Klassen gemäss dem Abkommen von Nizza über die
internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung
von Marken, revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 (SR 0.232.112.8),
vorzunehmen, wie dies die Vorinstanz getan hat. Entscheidend könnte bei einer
Einschränkung von vornherein nur der Gebrauch der Marke für gleichartige Waren
oder Dienstleistungen sein. Für die Beurteilung der Gleichartigkeit der Waren
oder Dienstleistungen ist indessen die Klasseneinteilung nach dem
Nizza-Abkommen nicht vorbehaltlos ausschlaggebend (WILLI, a.a.O., N. 54 zu Art.
3 MSchG; BGE 96 II 257 E. 2 S. 260; Urteil 4A_103/2008 vom 7. Juli 2008 E. 8.2,
in: sic! 2008 S. 907 ff.). Auch dies rügt die Beschwerdeführerin zu Recht.

3.5 Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin ändert nichts, dass nach den
Erwägungen des Handelsgerichts (in seinem durch das Kassationsgericht
aufgehobenen Urteil) die Beschwerdeführerin den Nichtgebrauch der Marken
"Yello" der Beschwerdegegnerin nicht glaubhaft machen konnte, sondern vielmehr
die Beschwerdegegnerin deren Gebrauch glaubhaft darlegte, weshalb das
Handelsgericht auf die Vorbringen betreffend fehlende Gebrauchsabsicht und
Defensivmarke nicht einging. Die Frage, ob ein geltend gemachter
Nichtigkeitsgrund zutrifft oder nicht, beschlägt die materielle Beurteilung und
ist für die Frage der Legitimation nicht ausschlaggebend.

3.6 Nichts Anderes ergibt sich sodann aus der von der Vorinstanz erwähnten
Möglichkeit von Teilnichtigkeitsklagen. Wenn ein Nichtigkeitsgrund das
Schutzrecht des Klägers bloss teilweise beschlägt, etwa weil die vom Inhaber
der älteren Marke angefochtene jüngere Marke nur für einen Teil der Warenliste
der älteren Marke täuschender Natur ist, so kann die Feststellung teilweiser
Nichtigkeit verlangt werden bzw. der Richter kann von Amtes wegen auf blosse
Teilnichtigkeit erkennen (DAVID, a.a.O., N. 4 zu Art. 52 MSchG; VON BÜREN/
MARBACH/DUCREY, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2008, S. 197
Rz. 932).
Eine solche Konstellation liegt in casu bezüglich der geltend gemachten
Nichtigkeitsgründe des Nichtgebrauchs bzw. der
BGE 136 III 102 S. 107
fehlenden Gebrauchsabsicht nicht vor. Und betreffend die von der
Beschwerdeführerin vor Handelsgericht eventuell beantragte negative
Feststellung, dass ihre Marken bzw. der Domain-Namen "yallo.ch" die Marken der
Beschwerdegegnerin nicht verletzen, spielt die Frage einer Teilnichtigkeit
selbstredend keine Rolle.