Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 V 412



Urteilskopf

135 V 412

48. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilungi.S. A. gegen Alba
Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
8C_784/2008 vom 11. September 2009

Regeste

Art. 97 und 105 Abs. 3 BGG; eingeschränkte Kognition bei der Prüfung der
Versicherungsdeckung in der obligatorischen Unfallversicherung.
Im Streit, ob für ein Unfallereignis Versicherungsdeckung besteht, kommt die
Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 3 (i.V.m. Art. 97 Abs. 2) BGG ungeachtet
dessen, dass von der Beurteilung der Streitfrage auch Ansprüche auf
Geldleistungen der obligatorischen Unfallversicherung abhängen können, nicht
zur Anwendung. Das Bundesgericht kann somit die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen nur im Rahmen von Art. 105 Abs. 1 und 2 (i.V.m. Art.
97 Abs. 1) BGG überprüfen (E. 1.2).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 413

BGE 135 V 412 S. 413
Aus den Erwägungen:

1.

1.2

1.2.1 Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG), und es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
Diese Einschränkungen der Rüge- und Überprüfungsbefugnis gelten nicht bei
Beschwerden, welche sich gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder
Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung richten.
Hier kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 97 Abs. 2 BGG) und ist das
Bundesgericht nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden
(Art. 105 Abs. 3 BGG).
BGE 135 V 412 S. 414

1.2.2 Im vorliegenden Fall beantragt der Beschwerdeführer, die Alba Allgemeine
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Alba) sei zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu erbringen. Der Wortlaut
des Antrags umfasst auch Geldleistungen, zumindest in Form von Taggeld. Es
fragt sich daher, ob die Regelung über die freie Kognition des Bundesgerichts
gemäss Art. 105 Abs. 3 i.V.m. Art. 97 Abs. 2 BGG zur Anwendung gelangt. Das
trifft nicht zu. Die Alba hat ihre Leistungspflicht generell mit der Begründung
verneint, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt des Unfalls vom 25. Januar 2003
nicht bei ihr versichert gewesen. Das kantonale Gericht hat dies bestätigt.
Gegenstand des angefochtenen Entscheids bildet einzig diese Frage der
Versicherungsdeckung bei der Alba. Damit ist auch der letztinstanzliche
Prüfungsgegenstand umschrieben. Bejaht das Bundesgericht abweichend von der
Vorinstanz die Versicherungsdeckung bei der Alba, kann dies zwar - bei
Erfüllung der weiteren versicherungsmässigen Voraussetzungen - einen Anspruch
auf Leistungen der Unfallversicherung nach sich ziehen. Dabei kann es sich auch
um Geldleistungen handeln. Dies ändert aber nichts daran, dass es hier nur um
die Frage der Versicherungsdeckung bei der Alba geht. Ob Versicherungsdeckung
besteht, ist - als Vorfrage zu prüfende - Voraussetzung jedes
Leistungsanspruchs, welcher gegenüber einem Unfallversicherer (oder einem
anderen Versicherer) geltend gemacht wird, unabhängig davon, ob es sich nun um
Geld- oder um Sachleistungen handelt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der
Gesetzgeber die Geldleistungen der Militär- und Unfallversicherung
kognitionsmässig auch bei dieser Vorfrage anders als die übrigen vom
Bundesgericht zu beurteilenden Versicherungsmaterien behandeln wollte. Das
stünde auch dem Ausnahmecharakter entgegen, der Art. 105 Abs. 3 BGG (und
entsprechend Art. 97 Abs. 2 BGG) zukommt (vgl. ULRICH MEYER, in: Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 46 zu Art. 105 BGG; MARKUS SCHOTT,
ebd., N. 28 zu Art. 97 BGG; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz, Seiler/
von Werdt/Güngerich, 2007, N. 27 zu Art. 97 BGG; URSPRUNG/FLEISCHANDERL, Die
Kognition des Eidg. Versicherungsgerichts nach dem neuen Bundesgesetz über das
Bundesgericht [BGG], in: Festschrift 100 Jahre Aargauischer Anwaltsverband,
2005, S. 423) und nach einer restriktiven Interpretation ruft (BERNARD CORBOZ,
in: Commentaire de la LTF, 2009, N. 67 zu Art. 105 BGG). Soweit die Frage der
BGE 135 V 412 S. 415
Versicherungsdeckung von Sachverhaltsfeststellungen abhängt, gilt daher die
eingeschränkte Kognition.