Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 V 201



Urteilskopf

135 V 201

26. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
8C_502/2007 vom 26. März 2009

Regeste

Art. 8, 17 und 53 ATSG; Art. 28 IVG; Auswirkungen der Rechtsprechung zur
somatoformen Schmerzstörung (BGE 130 V 352) auf laufende Renten.
Eine rechtskräftige Verfügung über eine Dauerleistung ist nur ausnahmsweise zu
Ungunsten der versicherten Person an eine geänderte Gerichtspraxis anzupassen.
Eine Ausnahme setzt zunächst voraus, dass die neue Praxis eine allgemeine
Verbreitung erfährt. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die frühere Praxis
nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als in
stossender Weise privilegiert erscheinen, oder dass sich die damalige
Leistungszusprechung aus Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr
vertreten lässt (E. 6, insbesondere E. 6.4).
Die mit BGE 130 V 352 begründete Rechtsprechung bildet keinen Grund für die
Herabsetzung oder Aufhebung einer laufenden Rente unter dem Titel der Anpassung
an geänderte Rechtsgrundlagen (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 202

BGE 135 V 201 S. 202

A. Mit Verfügung vom 14. Februar 2003 sprach die Sozialversicherungsanstalt des
Kantons Zürich, IV-Stelle, der 1965 geborenen S. für die Zeit ab 1. Oktober
1999 eine ganze Rente zu. Sie stützte sich dabei insbesondere auf ein Gutachten
des medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002. Der ermittelte
Invaliditätsgrad betrug 100 %.
Im Rahmen einer Rentenrevision holte die IV-Stelle Berichte von Dr. med. R.,
Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 13. Dezember 2004 und Dr. med.
H., Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 26. März 2005 ein. Ausserdem nahm
sie ein dem Unfallversicherer erstattetes Gutachten des ärztlichen
Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 zu den Akten. Anschliessend
setzte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. Juli 2005 die laufende ganze Rente
mit Wirkung ab 1. September 2005 auf eine halbe Rente herab. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 fest.
BGE 135 V 201 S. 203

B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 5. Juni 2007).

C. S. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem
Rechtsbegehren, es sei ihr - in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids und
des Einspracheentscheids - ab 1. September 2005 weiterhin eine ganze Rente
auszurichten; eventuell sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und
anschliessenden Neubeurteilung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Im gleichen Sinn äussert
sich das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV).
Mit ergänzender Stellungnahme vom 24. Januar 2008 bekräftigt die
Beschwerdeführerin ihren Standpunkt.

D. Das Bundesgericht hat am 26. März 2009 eine publikumsöffentliche Beratung
durchgeführt.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Bei der Zusprechung einer ganzen Rente auf der Basis eines
Invaliditätsgrades von 100 % durch die Verfügung vom 14. Februar 2003 stützte
sich die IV-Stelle in medizinischer Hinsicht auf das Gutachten des
medizinischen Zentrums X. vom 15. April 2002. Dieses enthält insbesondere die
Diagnosen eines chronifizierten lumbovertebralen und lumbospondylogenen
Schmerzsyndroms, einer Fibromyalgie sowie einer schweren somatoformen
Schmerzstörung im Sinne generalisierter (über den lumbosakralen Übergang und
die Fibromyalgie hinausgehender) Schmerzausbreitung. Der Versicherten wird eine
Arbeitsunfähigkeit von 100 % in der angestammten Tätigkeit als Krankenpflegerin
wie auch in jeder anderen Tätigkeit attestiert.

4.2 Die Verfügung vom 7. Juli 2005 und der sie bestätigende Einspracheentscheid
vom 6. Februar 2006 basieren in medizinischer Hinsicht auf dem Gutachten des
ärztlichen Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005. Dieses nennt als
Diagnosen mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit einerseits ein linksbetontes,
mässig ausgeprägtes Lumbovertebralsyndrom und andererseits eine anhaltende
somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) mit leichter depressiver
Begleitstörung (ICD-10: F33.0). Aus psychiatrischer Sicht beziffern die
Gutachter die Arbeitsfähigkeit in einer den somatischen Leiden angepassten
Tätigkeit auf 80 %.
BGE 135 V 201 S. 204

4.3 Die Vorinstanz hält fest, zwischen dem Erlass der Verfügung vom 14. Februar
2003 und dem Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 habe sich der
Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht erheblich verändert. Die
unterschiedlichen Aussagen zur Arbeitsfähigkeit im Gutachten des medizinischen
Zentrums X. vom 15. April 2002 einerseits und im Gutachten des ärztlichen
Begutachtungsinstituts A. vom 25. Januar 2005 andererseits beruhten vielmehr
auf einer abweichenden Einschätzung des gleichgebliebenen Sachverhalts. Diese
Feststellung ist tatsächlicher Natur (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398; Urteil
des ehemaligen Eidg. Versicherungsgerichts I 692/06 vom 19. Dezember 2006 E.
3.1) und damit für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich. Sie lässt sich
nicht als offensichtlich unrichtig bezeichnen. Ebenso wenig beruht sie auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG. Für die Beurteilung der
Beschwerde ist damit von einer gegenüber der seinerzeitigen
Leistungszusprechung aus medizinischer Sicht im Wesentlichen unverändert
gebliebenen Situation auszugehen. Ebenso wenig enthält der kantonale Entscheid
Hinweise darauf, dass sich der rechtlich relevante Sachverhalt in anderer Weise
verändert haben könnte. Die Vorinstanz hat den die Rente herabsetzenden
Einspracheentscheid vom 6. Februar 2006 vielmehr mit einer Begründung
bestätigt, welche rechtlicher Natur ist.

5.

5.1 Ein Konflikt zwischen der aktuellen Rechtslage und einer früher erlassenen,
in formelle Rechtskraft erwachsenen Verfügung über eine Dauerleistung kann in
vier Konstellationen entstehen (BGE 127 V 10 E. 4b S. 13 f.; BGE 115 V 308 E.
4a S. 312 ff.; URS MÜLLER, Die materiellen Voraussetzungen der Rentenrevision
in der Invalidenversicherung, 2003, S. 91 ff.; RUDOLF RÜEDI, Die
Verfügungsanpassung als Grundfigur von Invalidenrentenrevisionen, in: Die
Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, 1999, S. 9 ff., 12 f.;
ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Instrumente zur Korrektur der
Sozialversicherungsverfügung, in: Verfahrensfragen in der Sozialversicherung,
1996, S. 263 ff., 277 ff.; ULRICH MEYER-BLASER, Die Abänderung formell
rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen in der Sozialversicherung, ZBl 95/1994
S. 337 ff., 348 ff.): Eine fehlerhafte Sachverhaltsfeststellung (anfängliche
tatsächliche Unrichtigkeit) lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen durch
eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG [SR 830.1]) korrigieren. Tritt
nach dem Erlass einer ursprünglich fehlerfreien Verfügung
BGE 135 V 201 S. 205
eine anspruchsrelevante Änderung des Sachverhalts ein (nachträgliche
tatsächliche Unrichtigkeit), hat gegebenenfalls eine Anpassung im Rahmen einer
Rentenrevision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG stattzufinden. Falls die Verfügung auf
einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht (anfängliche rechtliche
Unrichtigkeit), ist ein Rückkommen unter dem Titel der Wiedererwägung (Art. 53
Abs. 2 ATSG) zu prüfen. Nicht gesetzlich geregelt ist der Tatbestand der
nachträglichen rechtlichen Unrichtigkeit infolge einer nach dem
Verfügungserlass eintretenden Änderung der massgebenden Rechtsgrundlagen (dazu
E. 6 hiernach).

5.2 Eine anfängliche tatsächliche Unrichtigkeit der Verfügung vom 14. Februar
2003 steht nicht zur Diskussion. Dasselbe gilt - mangels einer erheblichen
Veränderung des rechtserheblichen Sachverhalts - für eine Rentenrevision nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG. Ebenso wenig bildet die Rechtsprechung zur somatoformen
Schmerzstörung (BGE 130 V 352) Anlass für eine wiedererwägungsweise Abänderung
der Rentenverfügung (SVR 2008 IV Nr. 5 S. 12, I 138/07 E. 4). Zu prüfen bleibt
damit, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, einzig eine Anpassung der
formell rechtskräftigen Verfügung vom 14. Februar 2003 unter dem Gesichtspunkt
einer zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderung. Eine solche erblickt das
kantonale Gericht in der mit BGE 130 V 352 begründeten Rechtsprechung zur
invalidisierenden Wirkung einer somatoformen Schmerzstörung.

6.

6.1

6.1.1 Nach der Rechtsprechung zum Sozialversicherungsrecht sind ursprünglich
fehlerfreie Verfügungen über Dauerleistungen unter Vorbehalt anders lautender
Übergangsbestimmungen sowie allfälliger wohlerworbener Rechte grundsätzlich an
Änderungen der Rechtslage anzupassen, welche aus einem Eingriff des
Gesetzgebers resultieren (BGE 121 V 157 E. 4a S. 161 f.). Demgegenüber bildet
eine geänderte Gerichts- oder Verwaltungspraxis im Prinzip keinen Anlass, in
eine laufende, auf einer formell rechtskräftigen Verfügung beruhende
Dauerleistung einzugreifen (BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 121 V 157 E. 4a S.
162; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132; BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; BGE 115 V 308 E.
4a/dd S. 314; BGE 112 V 371 E. 2b S. 372 f.; Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar
2008 E. 3.2 am Ende). Sie kann aber ausnahmsweise zur Abänderung einer
rechtskräftigen Verfügung (mit Wirkung für die Zukunft) führen, wenn die neue
Praxis in einem solchen Masse allgemeine Verbreitung
BGE 135 V 201 S. 206
erfährt, dass ihre Nichtbefolgung als Verstoss gegen das Gleichheitsgebot
erschiene, insbesondere wenn die alte Praxis nur in Bezug auf eine einzige
versicherte Person oder eine geringe Zahl von Versicherten beibehalten würde (
BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 121 V 157 E. 4a S. 162; BGE 120 V 128 E. 3c S.
132; BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; BGE 115 V 308 E. 4a/dd S. 314; BGE 112 V 387
E. 3c S. 394; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Ein solches Vorgehen
drängt sich namentlich dann auf, wenn das Festhalten an der ursprünglichen
Verfügung aus Sicht der neuen Rechtspraxis schlechterdings nicht mehr
vertretbar ist und diese eine so allgemeine Verbreitung findet, dass ihre
Nichtbeachtung in einem einzelnen Fall als dessen stossende Privilegierung
(oder Diskriminierung) und als Verletzung des Gleichbehandlungsgebots erscheint
(SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 S. 173, I 382/94 E. 4a).

6.1.2 Obwohl das Bundesgericht im Bereich des Sozialversicherungsrechts nicht
selten seine Rechtsprechung durch Präzisierung oder Änderung fortentwickelt,
wurde es vergleichsweise selten mit der Frage der Anwendung der neuen
Rechtsprechung auf rechtskräftig zugesprochene, laufende Dauerleistungen
befasst. Wenn sich die Frage doch stellte, wurde sie wie folgt entschieden:

6.1.2.1 In Anwendung der dargelegten Grundsätze hat das Eidg.
Versicherungsgericht verschiedentlich die Anpassung einer rechtskräftigen
Verfügung über eine Dauerleistung an eine zwischenzeitlich geänderte, für die
betroffene Person günstigere Gerichts- oder Verwaltungspraxis zugelassen. So
hielt das Gericht in BGE 121 V 157 E. 4c S. 162 f. fest, eine unter einer
früheren Gerichtspraxis festgelegte Erwerbsunfähigkeitsrente der
Militärversicherung sei an die im Jahr 1984 geänderte Praxis anzupassen, welche
die kumulative Entschädigung von Erwerbsunfähigkeit und Integritätsverlust
zulässt. Die gegenteilige Lösung schaffe krasse Ungleichheiten. Ebenfalls
bejaht wurde die Anwendbarkeit einer neuen Verwaltungspraxis, welche in
bestimmten Fällen einen zuvor nicht anerkannten Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung entstehen liess, auf bereits rechtskräftig
entschiedene Fälle (SVR 2001 IV Nr. 4 S. 9, C 222/99 E. 4). Im gleichen Sinne
entschied das Gericht im Zusammenhang mit der zunächst verneinten, später
jedoch bejahten (BGE 119 V 171) unmittelbaren Anwendbarkeit der
internationalrechtlichen Bestimmungen über die eingeschränkte Zulässigkeit
einer Leistungskürzung wegen Selbstverschuldens (BGE 120 V 128 E. 4 S. 132 f.;
BGE 119 V 410 E. 3c S. 413 f.; SVR 1995 IV Nr. 60 S. 171 und 173, I 382/94 E.
4).
BGE 135 V 201 S. 207
Zu Lasten des betroffenen Versicherten schützte das Eidg. Versicherungsgericht
die Anpassung einer Integritätsrente, deren Berechnung noch auf einer früheren,
mit den Urteilen EVGE 1966 S. 148 und EVGE 1968 S. 88 als unzutreffend
qualifizierten Praxis basierte, an die neu massgebenden Grundsätze (BGE 112 V
387 E. 3c S. 394, bestätigt in BGE 115 V 308 ff.).

6.1.2.2 Abgelehnt hat es die Rechtsprechung, eine formell rechtskräftige
Verfügung mit Blick auf die Urteile über die Rundung des Invaliditätsgrades zu
Lasten der versicherten Person abzuändern (Urteil 9C_439/2007 vom 28. Februar
2008 bezüglich BGE 130 V 121; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 16/02
vom 21. März 2002 bezüglich BGE 127 V 129). In den Urteilen des Eidg.
Versicherungsgerichts U 102/89 vom 5. März 1990 E. 5c, nicht publ. in: BGE 116
V 62, und U 114/90 vom 16. März 1992 E. 3d, lehnte es das Gericht ebenfalls ab,
infolge der mit BGE 115 V 133 präzisierten Rechtsprechung zum adäquaten
Kausalzusammenhang bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall auf
rechtskräftige Verfügungen zurückzukommen. Im Urteil M 13/89 vom 30. Oktober
1989 entschied das Eidg. Versicherungsgericht, die in BGE 112 V 387 bejahte
Zulässigkeit einer Anpassung beziehe sich nur auf reine Integritätsrenten,
nicht dagegen auf so genannte gemischte Renten. Ein Eingriff in ein
Dauerrechtsverhältnis zu Lasten der versicherten Person gestützt auf eine neue
Rechtspraxis komme nur in Betracht, wenn es besonders krasse, stossende
Leistungszusprachen zu korrigieren gelte.

6.1.3 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Rechtsprechung den
Grundsatz, wonach eine Praxisänderung keine Änderung formell rechtskräftiger
Verfügungen über eine Dauerleistung rechtfertigt, in Bezug auf Anpassungen zu
Ungunsten der Versicherten kaum je durchbricht. Wo eine derartige Herabsetzung
vorgenommen wurde (BGE 112 V 387, bestätigt in BGE 115 V 308), betonte das
Gericht, es handle sich - angesichts des der früheren Praxis zugrunde liegenden
sachfremden Kriteriums - um eine Ausnahmesituation, welche eine besondere
Lösung erfordere (BGE 115 V 308 E. 4b S. 316; vgl. auch BGE 121 V 157 E. 4b S.
162). Zu Gunsten der Versicherten liess das Gericht demgegenüber in einzelnen
Fällen eine Anpassung unter weniger strengen Voraussetzungen zu (BGE 107 V 153
E. 3 S. 157; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 9 und 10, C 222/99 E. 3b; vgl. auch BGE 129
V 200 E. 1.2 S. 203 oben; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132).
BGE 135 V 201 S. 208

6.2 Nach der Praxis der öffentlichrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts
ist der Widerruf von Verfügungen über Dauerrechtsverhältnisse wegen unrichtiger
Sachverhaltsfeststellung, fehlerhafter Rechtsanwendung oder nachträglicher
Änderung der Sach- oder Rechtslage zulässig, sofern wichtige öffentliche
Interessen berührt sind (BGE 127 II 306 E. 7a S. 314; Urteil 1A_229/2008 vom
18. August 2008 E. 4.2). Fehlen positivrechtliche Bestimmungen über die
Möglichkeit der Änderung einer Verfügung, so ist über diese anhand einer
Interessenabwägung zu befinden, bei welcher das Interesse an der richtigen
Anwendung des objektiven Rechts dem Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem
Vertrauensschutz gegenüberzustellen ist (BGE 127 II 306 E. 7a S. 314; BGE 121
II 273 E. 1a/aa; BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 256; BGE 103 Ib 241 E. 3b S. 244;
HÄFELIN/MÜLLER/ Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 207
Ziff. 997a; TOBIAS JAAG, Staats- und Verwaltungsrecht des Kantons Zürich, 3.
Aufl. 2005, S. 130 Ziff. 1914; PIERRE MOOR, Droit administratif II, Les actes
administratifs et leur contrôle, 2. Aufl. 2002, S. 338; BLAISE KNAPP, Précis de
droit administratif, 4. Aufl. 1991, S. 270 Ziff. 1271 und S. 272 Ziff. 1282;
RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband,
1990, Nr. 45 S. 138 f.; FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, 1986, S. 307 ff.). Eine
blosse Praxisänderung kann dort Anlass zur Umgestaltung von dauernden
Rechtsverhältnissen geben, wo besonders wichtige öffentliche Interessen, wie
Polizeigüter, auf dem Spiele stehen (BGE 127 II 306 E. 7a S. 313; BGE 106 Ib
252 E. 2b S. 256; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140; GYGI, a.a.O., S. 310, mit
weiteren Hinweisen). Konkret erklärte das Gericht - letztlich allerdings primär
gestützt auf eine Änderung des positiven Rechts - die Anpassung der
Genehmigungsverfügung für das Betriebsreglement eines Flugfeldes zu Lasten der
Betreiberin für zulässig (BGE 127 II 306 E. 7c S. 315 f.). Im gleichen Sinn
entschied es bezüglich des Entzugs eines Kollektivfahrzeugausweises für
Motorfahrzeughändler aufgrund einer geänderten, sachgerechten, strengeren
Handhabung der Bewilligungsvoraussetzungen (BGE 106 Ib 252 E. 2b S. 255 f.).

6.3 Im Schrifttum hat die unter E. 6.1 hiervor zitierte
sozialversicherungsrechtliche Praxis unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen:

6.3.1 Mehrheitlich wird die Rechtsprechung ohne inhaltliche Stellungnahme
wiedergegeben (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, a.a.O., S. 207 f. Ziff. 999; TSCHANNEN/
ZIMMERLI, Allgemeines
BGE 135 V 201 S. 209
Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 275 Ziff. 47; MÜLLER, a.a.O., S. 110 Ziff.
404; MOOR, a.a.O., S. 347; RÜEDI, a.a.O., S. 9 ff., 23; MEYER-BLASER, a.a.O.,
S. 337 ff., 350; RHINOW/KRÄHENMANN, a.a.O., S. 140).

6.3.2 Eine Lehrmeinung (UELI KIESER, Das Verwaltungsverfahren in der
Sozialversicherung, 1999, S. 302 f. Ziff. 622 mit Fn. 1729) stimmt der
Rechtsprechung hinsichtlich der Voraussetzungen einer Verfügungsanpassung zu,
verlangt aber bei Änderungen zu Ungunsten der versicherten Person die
Einräumung einer angemessenen Übergangsfrist. Diesen Gesichtspunkt betont auch
BEATRICE WEBER-DÜRLER (Neuere Entwicklungen des Vertrauensschutzes, ZBl 103/
2002 S. 281 ff., 298), wobei gemäss dieser Autorin aus Sicht des
Vertrauensschutzes eine adäquate Übergangsfrist genügt, um die Zulässigkeit der
Aufhebung oder Herabsetzung einer Rente zu begründen.

6.3.3 Andere Autorinnen und Autoren wollen eine Verfügungsanpassung zu
Ungunsten der versicherten Person nur ganz ausnahmsweise zulassen, wenn ein
überwiegendes öffentliches Interesse dies erfordert, wobei sich der Massstab
für die Interessenabwägung an demjenigen zu orientieren habe, welcher für die
Beurteilung einer anfänglichen (rechtlichen) Unrichtigkeit gilt (KNAPP, a.a.O.,
S. 281 f. Ziff. 1344; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 263 ff., 280). Anpassungen zu
Gunsten der versicherten Person sollen dagegen ohne weiteres zulässig sein
(KNAPP, a.a.O., S. 282 Ziff. 1346; RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 280; ebenso MÜLLER,
a.a.O., S. 110 Ziff. 404).

6.3.4 Ein Teil der Lehre hält im Sinne einer Kritik fest, die Praxis zum
Sozialversicherungsrecht lasse eine konkrete Interessenabwägung im Einzelfall
vermissen (so insbesondere PETER SALADIN, Wiedererwägung und Widerruf formell
rechtskräftiger Verfügungen, Die Rechtsprechung des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts im Vergleich zur Praxis des Bundesgerichts in Lausanne,
in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre Eidgenössisches
Versicherungsgericht, 1992, 113 ff., 130; ähnlich KIESER, Die Abänderung der
formell rechtskräftigen Verfügung nach der Rechtsprechung des EVG, SZS 1991 S.
132 ff., 141 mit weiteren Hinweisen in Fn. 64). Eine neuere, sich auf die
vorliegende Problematik beziehende Publikation (BRUNNER/BIRKHÄUSER, Somatoforme
Schmerzstörung - Gedanken zur Rechtsprechung und deren Folgen für die Praxis,
insbesondere mit Blick auf die Rentenrevision, BJM 2007 S. 169 ff., 202) knüpft
an die durch die Rechtsprechung
BGE 135 V 201 S. 210
entwickelten Voraussetzungen an, verlangt aber darüber hinaus eine sorgfältige
Güterabwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der rechtsgleichen
Anwendung des Rechts und denjenigen der Rentenbezüger an der weiteren
Ausrichtung der einmal zugesprochenen Rente. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob
die Anpassung der Rente verhältnismässig ist.

6.4 Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und - bei Anpassungen zu Lasten der
versicherten Person - des Vertrauens auf die Weitergewährung einmal
zugesprochener staatlicher Leistungen können mit dem öffentlichen Interesse an
einer gesetzmässigen und sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung in
ein Spannungsverhältnis treten. Dieser Konflikt ist durch eine wertende
Abwägung der betroffenen Interessen zu lösen (BGE 115 V 308 E. 4b S. 316). Auch
die Gerichtspraxis zum Sozialversicherungsrecht beruht somit letztlich auf
einer Interessenabwägung (in diesem Sinn auch, bezogen auf die Rechtsprechung
zur Wiedererwägung, ANDRÉ GRISEL, L'apport du Tribunal fédéral des assurances
au développement du droit public, in: Mélanges Alexandre Berenstein, 1989, S.
437 ff., 449). Da eine Rechtsprechungsänderung im Sozialversicherungsrecht oft
eine Vielzahl von Fällen beschlägt, welche in Bezug auf die konkreten
Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich gleich gelagert sind, kommt dem Gebot
rechtsgleicher Behandlung der von einer allfälligen Rentenanpassung betroffenen
Personen erhebliches Gewicht zu. Dieser Gesichtspunkt spricht dagegen, in jedem
einzelnen Fall die konkreten, individuellen Auswirkungen einer Anpassung
heranzuziehen. So ist nicht ohne weiteres einzusehen, warum ein Versicherter,
welcher im Vertrauen auf die laufende Rente eine teurere Wohnung gemietet hat
(so das Beispiel bei SALADIN, a.a.O., S. 130), von einer Herabsetzung
ausgenommen werden sollte, während ein sparsamer Versicherter diese hinzunehmen
hätte. Die "typische" sozialversicherungsrechtliche Ausgangslage verlangt
vielmehr eine einheitliche Lösung für alle betroffenen Personen. In diesem
Zusammenhang kommt bei Rentenaufhebungen oder -herabsetzungen, wo zusätzlich
zum Aspekt der Rechtssicherheit auch jener des erweckten Vertrauens eine Rolle
spielt, in aller Regel den für eine Weiterausrichtung sprechenden Aspekten mehr
Gewicht zu als der Gleichbehandlung der Rentenbezüger mit Personen, welche noch
keine Rente beziehen, sondern eine solche erst beantragt haben. Um eine
Anpassung zu rechtfertigen, genügt es - entgegen der auf die verkürzte
Formulierung in BGE 121 V 157
BGE 135 V 201 S. 211
E. 4a S. 162 gestützten Auffassung von BSV und Vorinstanz - nicht, dass die
geänderte Rechtsprechung allgemeine Verbreitung findet, denn dies trifft bei
einer bundesgerichtlichen Praxisänderung im Bereich des
Sozialversicherungsrechts regelmässig zu. Liesse man die allgemeine Verbreitung
genügen, würde daher die Anwendung der neuen Praxis auf laufende, rechtskräftig
festgelegte Dauerleistungen zur Regel. Diese Konsequenz wäre sachlich nicht
gerechtfertigt. Sie entspricht auch nicht der bisherigen Judikatur, welche
durchwegs den Ausnahmecharakter einer derartigen Anpassung betont hat. Um eine
solche zu begründen, müssen zusätzlich zur allgemeinen Verbreitung der neuen
Praxis qualifizierende Elemente gegeben sein, welche deren Nichtanwendung auf
laufende Leistungen unter dem Aspekt der Rechtsgleichheit als stossend
erscheinen liessen. Ein derartiges Element liegt vor, wenn die frühere Praxis
nur noch auf einige wenige Personen Anwendung findet, so dass diese als
privilegiert (oder diskriminiert) erscheinen, sowie wenn sich die damalige
Leistungszusprechung aus der Sicht der neuen Praxis schlechterdings nicht mehr
vertreten lässt (vgl. E. 6.1). Diese Praxis entspricht im Ergebnis weitgehend
jener der öffentlichrechtlichen Abteilungen, welche einen Eingriff in ein
Dauerverhältnis aufgrund einer Praxisänderung nur zulässt, wenn besonders
wichtige öffentliche Interessen betroffen sind (E. 6.2). Es besteht kein
Anlass, die vorstehend zusammengefasste sozialversicherungsrechtliche
Rechtsprechung zu ändern.

7. Im Lichte der dargestellten Grundsätze bleibt zu prüfen, ob das Urteil BGE
130 V 352 eine Herabsetzung oder Aufhebung laufender Renten rechtfertigt,
welche zu einem früheren Zeitpunkt versicherten Personen zugesprochen wurden,
die an einer somatoformen Schmerzstörung leiden.

7.1

7.1.1 Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich bereits in BGE 102 V 165 zur
invalidisierenden Wirkung eines psychischen Gesundheitsschadens geäussert. Wie
das Gericht damals festhielt, gelten Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit,
welche die versicherte Person bei Aufbietung allen guten Willens, Arbeit in
ausreichendem Masse zu verrichten, zu vermeiden vermöchte, nicht als
IV-rechtlich relevant, wobei das Ausmass des Erforderlichen (respektive
Forderbaren) weitgehend objektiv bestimmt werden muss. Es ist somit
festzustellen, ob und in welchem Masse ein Versicherter infolge seines
geistigen Gesundheitsschadens auf dem ihm nach seinen
BGE 135 V 201 S. 212
Fähigkeiten offenstehenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein kann.
Dabei kommt es darauf an, welche Tätigkeit ihm zugemutet werden darf. Zur
Annahme einer durch einen geistigen Gesundheitsschaden verursachten
Erwerbsunfähigkeit genügt es also nicht, dass der Versicherte nicht hinreichend
erwerbstätig ist; entscheidend ist vielmehr, ob anzunehmen sei, die Verwertung
der Arbeitsfähigkeit sei ihm sozial-praktisch nicht mehr zumutbar oder - als
alternative Voraussetzung - sogar für die Gesellschaft untragbar (BGE 102 V 166
f.).

7.1.2 Im Zuge einer in den 90er Jahren einsetzenden Entwicklung hat die
invalidenversicherungsrechtliche Bedeutung somatoformer Schmerzstörungen
deutlich zugenommen (vgl. KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, Im Graubereich zwischen Körper,
Psyche und sozialen Schwierigkeiten, Schweizerische Medizinische Wochenschrift
1997 S. 1380 ff., 1380 f.; PETER ROSATTI, De la sinistrose aux troubles
somatoformes, in: L'expertise médicale, 2002, S. 81 ff., 86). Die entsprechende
Diagnose - namentlich auch jene der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung
(ICD-10: F45.4) - sagt als solche wenig über die Arbeitsfähigkeit der
versicherten Person aus (vgl. BGE 130 V 396 E. 6.2.3 S. 402 mit Hinweisen). Die
psychiatrische Lehre in Deutschland entwickelte jedoch Kriterien für die
Prognosestellung (KLAUS FOERSTER, Begutachtung und Erwerbsfähigkeit bei
Patienten mit psychogenen Störungen, SZS 1996 S. 486 ff., 498) sowie für die
Beurteilung der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit (FOERSTER, Psychiatrische
Begutachtung im Sozialrecht, in: Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. 2000, S.
509, 511; vgl. auch KOPP/WILLI/KLIPSTEIN, a.a.O., S. 1434 f. mit Hinweis auf
die grundlegende Arbeit von WINCKLER und FOERSTER). Die Kriterien wurden durch
die Lehre in das schweizerische Recht eingeführt (HANS-JAKOB MOSIMANN,
Somatoforme Störungen: Gerichte und [psychiatrische] Gutachten, SZS 1999 S. 1
ff. und 105 ff.) und anschliessend durch das Eidg. Versicherungsgericht
übernommen (Urteil I 554/98 vom 19. Januar 2000 E. 2c, auszugsweise in: AHI
2000 S. 149, 152 f.). Diese Rechtsprechung, welche keine Abkehr von den in BGE
102 V 165 formulierten Grundsätzen, sondern deren Anwendung auf die Diagnose
"anhaltende somatoforme Schmerzstörung" darstellt, fand auch Eingang in die
Verwaltungspraxis. Das BSV hielt im IV-Rundschreiben Nr. 180 vom 27. Mai 2003
(Neufassung von Rz. 1017 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit
[KSIH], gültig ab 1. Juli 2003) fest, die somatoforme Schmerzstörung wirke sich
in
BGE 135 V 201 S. 213
der Regel ohne psychiatrische Komorbidität nicht auf die Arbeitsfähigkeit aus;
eine Willensanstrengung zur Verwertung der Arbeitsfähigkeit wäre zumutbar.
Ausschlaggebend sei, ob die versicherte Person aufgrund objektiver Befunde
nicht oder nur in beschränktem Umfang arbeiten könne.

7.1.3 Im durch die Vorinstanz als Praxisänderung qualifizierten, am 12. März
2004 gefällten Urteil BGE 130 V 352 knüpfte das Gericht (Bezug nehmend auf
MEYER-BLASER, Arbeitsunfähigkeit [Art. 6 ATSG], in: Schmerz und
Arbeitsunfähigkeit, 2003, S. 27 ff., 80 ff.) ebenfalls an die
"Foerster-Kriterien" an, wobei deren Bedeutung und Handhabung für die
Beurteilung invalidenversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche genauer
umschrieben wurde (vgl. insbesondere BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354 f.).
Namentlich wurde den begutachtenden Fachpersonen und den Organen der
Rechtsanwendung aufgegeben, die Arbeitsfähigkeit im Einzelfall mit Blick auf
bestimmte Kriterien zu prüfen, um eine einheitlichere und damit rechtsgleichere
Einschätzung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten. Das in der amtlichen
Sammlung publizierte Regest spricht von einer Präzisierung der Rechtsprechung (
BGE 130 V 352). Es kann offenbleiben, ob von einer Präzisierung oder Änderung
der Rechtsprechung auszugehen ist, denn diese Einordnung bleibt ohne Einfluss
auf das Ergebnis.

7.2

7.2.1 Wie aus dem dargestellten Ablauf deutlich wird, hat das Urteil BGE 130 V
352 die Rechtslage nicht in dem Sinne verändert, dass vorher bei
diagnostizierter anhaltender somatoformer Schmerzstörung ohne weiteres eine
Rente zugesprochen wurde, während dies nunmehr ausgeschlossen wäre. Die
damalige Vorinstanz war denn auch (auf der Basis der früheren Praxis) im
konkreten Fall ebenso zur Verneinung des invalidisierenden Charakters der
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung gelangt wie die kantonalen Gerichte in
den weiteren publizierten Urteilen (BGE 130 V 396 und BGE 131 V 49). Die
Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung konnte vor wie auch nach
dem Urteil BGE 130 V 352 sowohl zur Bejahung als auch zur Verneinung eines
Rentenanspruchs führen. Frühere Rentenzusprechungen erscheinen daher aus der
heutigen Perspektive nicht ohne weiteres als rechtswidrig, sachfremd oder
schlechterdings nicht vertretbar. Der Gesichtspunkt der gesetzmässigen und
sachlich vertretbaren Durchführung der Versicherung (vgl. BGE 115 V 308 E. 4b
S. 316) verlangt deshalb nicht, dass laufende Renten angepasst werden.
BGE 135 V 201 S. 214

7.2.2 Unter dem Aspekt des Gleichbehandlungsgebots (Art. 8 Abs. 1 BV) drängt
sich eine gerichtliche Anpassung, wie dargelegt, insbesondere dann auf, wenn
die auf die alte Praxis gestützten Verfügungen nur mehr für einzelne wenige
Versicherte gelten (BGE 129 V 200 E. 1.2 S. 202; BGE 120 V 128 E. 3c S. 132;
BGE 119 V 410 E. 3b S. 413; SVR 2001 ALV Nr. 4 S. 10, C 222/99 E. 3b). Dies
trifft hier nicht zu: Angesichts der hohen Verbreitung der Diagnose "anhaltende
somatoforme Schmerzstörung" seit Anfang der 90er Jahre (E. 7.1.2 hiervor) würde
sich die Frage nach der Anpassung einer überaus grossen Zahl laufender Renten
stellen. Die Verwaltung wäre aufgrund des Rechtsgleichheitsgebots gehalten,
alle derartigen Fälle einer Überprüfung zu unterziehen. Diese könnte sich
inhaltlich nicht auf wenige Gesichtspunkte beschränken, sondern es müssten in
jedem Einzelfall die in BGE 130 V 352 formulierten, differenzierten Kriterien
geprüft werden. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit wäre überdies dem
bisherigen, berechtigterweise erfolgten Rentenbezug und der dadurch
entstandenen Situation angemessen Rechnung zu tragen. In der Lehre wird
diesbezüglich verlangt, es sei eine sorgfältige Güterabwägung vorzunehmen und
auf dieser Basis zu beurteilen, ob eine Anpassung im konkreten Fall als
verhältnismässig erscheint (vgl. BRUNNER/BIRKHÄUSER, a.a.O., S. 202). Zur
Diskussion steht somit die Beurteilung zahlreicher Fälle, welche aufwändige
Überprüfungen erfordert und deren Ergebnis ungewiss ist. Unter diesen Umständen
sind die vorstehend wiedergegebenen (E. 6.4), engen Voraussetzungen für die
Anwendung einer geänderten Praxis auf laufende, rechtskräftig festgelegte
Leistungen durch die Gerichte nicht erfüllt. Dies gilt umso mehr, weil sich mit
Blick auf den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" zusätzlich die Frage stellt,
ob ein allfälliger Rentenentzug mit einem Programm zur Wiedereingliederung der
Betroffenen verbunden werden müsste. In dieser Konstellation wäre es Sache des
Gesetzgebers, die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung laufender Renten -
einschliesslich allfälliger flankierender Massnahmen - vorzusehen und den dafür
geltenden Massstab festzulegen, falls er dies für angezeigt erachten sollte.

7.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 352
keinen hinreichenden Anlass bildet, um unter dem Titel der Anpassung an eine
geänderte Gerichtspraxis auf Renten zurückzukommen, welche zu einem früheren
Zeitpunkt mittels formell rechtskräftiger Verfügung zugesprochen wurden. Die
BGE 135 V 201 S. 215
Beschwerde ist dementsprechend gutzuheissen, und der kantonale Entscheid sowie
der Einspracheentscheid sind aufzuheben. Da sich die gerichtliche Prüfung auf
den Zeitraum bis zum Erlass des Einspracheentscheids vom 6. Februar 2006 zu
beschränken hat (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220), ist nicht zu entscheiden, ob
die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Änderung von Art. 7 Abs. 2 ATSG
allenfalls eine Anpassung laufender Renten rechtfertigt.