Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 V 172



Urteilskopf

135 V 172

23. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. EXFOUR
Familienausgleichskasse und Mitb. gegen Kanton Luzern (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_366/2008 vom 1. April 2009

Regeste

Art. 3 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG; § 18 des Gesetzes des Kantons
Luzern vom 8. September 2008 über die Familienzulagen (FamZG/LU);
Lastenausgleich.
Die Beiträge, welche gestützt auf Art. 11 ff. FamZG erhoben werden, dürfen
nicht dazu dienen, auf kantonalem Recht beruhende Familienzulagen für
(nichtlandwirtschaftliche) Selbstständigerwerbende im Rahmen eines allfälligen
Lastenausgleichs nach Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG mitzufinanzieren (E. 6).

Regeste

Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 17 Abs. 2 lit. f und k FamZG; § 20 Abs. 4 Satz 2 des
Gesetzes des Kantons Luzern vom 8. September 2008 über die Familienzulagen
(FamZG/LU); administrative Massnahme.
Die Kantone können Massnahmen bei nicht rechtzeitiger Einreichung der
erforderlichen Angaben für einen allfälligen Lastenausgleich nach Art. 17 Abs.
2 lit. k FamZG vorsehen; sie sind dabei nicht an die Mahn- und
Verzugszinsordnung der AHV gebunden. Der Zuschlag von 50 % gemäss § 20 Abs. 4
FamZG/LU ist nicht verhältnismässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 BV (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 173

BGE 135 V 172 S. 173
Die Beschwerden werden teilweise gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

5. Das angefochtene kantonale Familienzulagengesetz (Gesetz vom 8. September
2008 über die Familienzulagen [FamZG/LU; SRL 885]) stützt sich auf das
Bundesgesetz vom 24. März 2006 über die
BGE 135 V 172 S. 174
Familienzulagen (FamZG; SR 836.2). Dessen Vorgaben sind gemäss Art. 191 BV für
das Bundesgericht verbindlich, selbst wenn sie verfassungswidrig sein sollten.
Dies wirkt sich auf die Überprüfungsbefugnis in Bezug auf die nachgelagerten
Regelungen insofern aus, als auch sie als massgeblich zu gelten haben, soweit
darin lediglich eine Verfassungsverletzung übernommen wird, die sich bereits
aus dem Bundesgesetz selber ergibt (BGE 130 I 26 E. 2.2 S. 32 mit Hinweisen).
Als Ausfluss von Art. 191 BV kann das Bundesgericht einen kantonalen Hoheitsakt
nicht aufheben, soweit dessen Inhalt durch ein Bundesgesetz vorgegeben bzw.
abgedeckt ist, namentlich dann nicht, wenn der Bundesgesetzgeber eine Materie
an die Kantone delegiert und ihnen vorgegeben hat, wie sie diese zu regeln
haben. Der Zusammenhang zwischen der kantonalen und der bundesgesetzlichen
Regelung muss dabei zwingend oder zumindest sehr eng sein. Soweit die Kantone
frei sind, eigene Regelungen zu schaffen, unterliegt das kantonale Recht
uneingeschränkt der Verfassungsgerichtsbarkeit, selbst wenn es gleich lautet
wie parallele Regelungen im Bundesrecht (BGE 130 I 26 E. 2.2.2 S. 33 mit
Hinweisen).

6. Die Beschwerdeführer rügen die Einführung eines Lastenausgleichs im Rahmen
des kantonalen Familienzulagengesetzes, konkret die Verwendung der
Arbeitgeberbeiträge u.a. für den Lastenausgleich (§ 18 FamZG/LU).

6.1 § 18 FamZG/LU lautet: "Die Beiträge der Arbeitgeber und der
Selbständigerwerbenden sowie die Erträge aus Anlagen dürfen nur zur
Finanzierung der Familienzulagen, zur Deckung der angemessenen
Verwaltungskosten, zur Äufnung der Schwankungsreserven und für allfällige
Zahlungen in den Lastenausgleich verwendet werden." Diesbezüglich rügen die
Beschwerdeführer einerseits, es bestehe keine (bundes-)gesetzliche Grundlage
für die Einführung eines Lastenausgleichs; andererseits machen sie geltend, die
Beiträge an die Familienausgleichskassen seien nur für die Finanzierung der
Zulagen und der Verwaltungskosten sowie zur Äufnung der Schwankungsreserve,
nicht aber für den Lastenausgleich zu verwenden.

6.2

6.2.1 Das Bundesgesetz über die Familienzulagen geht auf die parlamentarische
Initiative Fankhauser zurück, welche für jedes Kind eine Kinderzulage und einen
gesamtschweizerischen Lastenausgleich forderte (vgl. etwa Bericht der
Kommission für soziale
BGE 135 V 172 S. 175
Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 20. November 1998, BBl 1999
3222 Ziff. 11 [nachfolgend: Bericht]). Im Rahmen der parlamentarischen Beratung
wurde auf die Einführung eines nationalen Lastenausgleichs verzichtet, da man
dies als nicht vereinbar mit den grossen Freiheiten hielt, welche den Kantonen
bei der Ausgestaltung der Finanzierung der Familienzulagen zukommen sollte; aus
diesem Grund sah bereits der Entwurf von 1998 vor, dass die Kantone einen
kantonalen Lastenausgleich einführen können (vgl. Bericht, BBl 1999 3234 Ziff.
22 zu Art. 16 E-FamZG). Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG ermächtigt nunmehr die
Kantone, einen Lastenausgleich zwischen den Kassen einzuführen. Damit besteht
eine genügende bundesrechtliche Grundlage für den in § 18 erwähnten
Lastenausgleich gemäss § 19 ff. FamZG/LU.

6.2.2 Die Einführung eines kantonalen Lastenausgleichs widerspricht Art. 15
FamZG nicht. Diese Norm berechtigt die Familienausgleichskassen, die
Familienzulagen zuzusprechen und auszurichten, die Beiträge im Rahmen der
kantonalen Ordnung festzusetzen und zu erheben sowie Verfügungen und
Einspracheentscheide zu erlassen. Die Einzelheiten der mit Art. 15 FamZG den
Familienausgleichskassen zugewiesenen Aufgaben regelt der Kanton gestützt auf
Art. 17 FamZG (vgl. dazu AB 2005 S 720). Entgegen der in den Beschwerden zum
Ausdruck kommenden Selbsteinschätzung vertreten die
Verbandsfamilienausgleichskassen weder die Berufsverbände noch die Arbeitgeber
und verfolgen auch nicht deren Interessen. Obwohl sie von Berufsverbänden
gegründet wurden, sind sie von diesen losgelöste und unabhängige
Sozialversicherungsträger und keine privaten Unternehmen (vgl. dazu HELEN
MONIOUDIS, Die Organisation ausgewählter Sozialversicherungszweige und die
rechtliche Stellung der Sozialversicherungsträger, 2003, S. 179). Die
Familienzulagen gemäss FamZG sind denn auch nicht (mehr) eine blosse
Lohnzulage, sondern - vergleichbar mit der obligatorischen beruflichen
Unfallversicherung (Art. 91 Abs. 1 UVG [SR 832.20]) - ein fast ausschliesslich
(vgl. Art. 17 Abs. 2 lit. j FamZG) von Arbeitgeberseite finanzierter
Bundessozialversicherungszweig. So unterstellt Art. 1 FamZG die Familienzulagen
dem ATSG (SR 830.1; vgl. dazu auch KIESER/SANER, Bundesgesetz über die
Familienzulagen [FamZG] - Eine kritische Würdigung, SZS 2007 S. 419). Im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen wurde auch auf den durch das FamZG veränderten
Charakter der Familienzulagen hingewiesen (vgl. etwa AB 2005 S 722). Aufgabe
der
BGE 135 V 172 S. 176
Verbandsfamilienausgleichskassen ist es somit, in unabhängiger Weise das
massgebende kantonale und Bundessozialversicherungsrecht umzusetzen, nicht
jedoch die Interessen ihrer Gründerverbände oder deren Mitglieder zu vertreten.
Es kann nicht angehen, dass eine sozialversicherungsrechtliche
Durchführungsstelle, auch wenn sie privatrechtlich organisiert ist, einseitige
Interessen verfolgt; vielmehr hat sie im Rahmen ihres staatlichen Handelns die
Anliegen der Allgemeinheit wahrzunehmen (vgl. dazu YVO HANGARTNER, in: Die
schweizerische Bundesverfassung, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2008,
N. 30 zu Art. 5 BV).

6.2.3 Die Einführung des kantonalen Lastenausgleichs stellt insbesondere keinen
Verstoss gegen Art. 15 Abs. 3 FamZG dar, gemäss welchem die
Familienausgleichskassen für das finanzielle Gleichgewicht durch Äufnung einer
angemessenen Schwankungsreserve sorgen. Denn die Schwankungsreserve im Sinne
dieser Bestimmung bezweckt nur den Ausgleich von Schwankungen innerhalb
derselben Familienausgleichskasse, nicht jedoch den Ausgleich der
ungleichmässig verteilten Lasten unter allen im Kanton zugelassenen
Familienausgleichskassen. Die Solidargemeinschaft umfasst denn auch nicht bloss
alle bei einer Familienausgleichskasse angeschlossenen Arbeitgeber, sondern
alle in demselben Kanton tätigen Familienausgleichskassen, so dass zur
gleichmässigen Risikoverteilung innerhalb eines Kantons ein kantonaler
Lastenausgleich nötig ist. Die im Rahmen des Lastenausgleichs entrichteten
Zahlungen dienen demnach der Finanzierung von Familienzulagen, welche durch
andere Familienausgleichskassen desselben Kantons ausgerichtet wurden. Art. 16
Abs. 1 FamZG beauftragt die Kantone denn auch, die Finanzierung der
Familienzulagen zu regeln und ermächtigt sie in Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG,
einen allfälligen Lastenausgleich zwischen den Kassen vorzusehen. Zudem sieht
Art. 13 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen
(Familienzulagenverordnung, FamZV; SR 836.21) gestützt auf Art. 15 Abs. 1 lit.
b und Abs. 3 FamZG explizit vor, dass die Familienausgleichskassen durch die
Beiträge, die Erträge und Bezüge aus der Schwankungsreserve sowie die Zahlungen
aus einem allfälligen kantonalen Lastenausgleich finanziert werden.

6.2.4 Schliesslich können die Beschwerdeführer auch aus einem Vergleich mit der
Regelung im Rahmen der AHV nichts zu ihren Gunsten ableiten, kennt doch diese
nicht nur einen kantonalen, sondern einen gesamtschweizerischen
Lastenausgleich, welcher über den
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AHV-Ausgleichsfonds erfolgt (Art. 107 ff. AHVG). Das FamZG schreibt den
Kantonen denn auch nicht vor, sie hätten sich in dieser Frage an das System der
AHV zu halten. Vielmehr statuiert Art. 25 FamZG die sinngemässe Anwendung von
AHV-Recht nur in bestimmten Fällen (Bearbeiten von Personendaten,
Datenbekanntgabe, Haftung der Arbeitgeber, Verrechnung sowie die Höhe der
Verzugs- und Vergütungszinsen; vgl. Zusatzbericht der Kommission für soziale
Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 8. September 2004, BBl 2004
6911 Ziff. 3.2.6 [nachfolgend: Zusatzbericht]). Angesichts des weiten
Ermessensspielraums der Kantone bei der Festlegung von Organisation und
Finanzierung (Zusatzbericht, BBl 2004 6900 Ziff. 3.1; AB 2005 N 265 und 336;
vgl. auch Erläuternder Bericht des Eidg. Departements des Innern [EDI] zum
Entwurf der FamZV, S. 1, und MAIA JAGGI, Ab nächstem Jahr gelten in der ganzen
Schweiz einheitliche Regelungen für die Familienzulagen, Soziale Sicherheit
2008 S. 78 sowie KIESER/SANER, a.a.O., S. 420) sind sie somit frei, ob sie
einen Lastenausgleich vorsehen und wie sie diesen ausgestalten wollen. Wie
bereits erwähnt (E 6.2.1), wollte der Bundesgesetzgeber auch bei den
Familienzulagen einen gesamtschweizerischen Lastenausgleich einführen, doch
sollte er nicht unnötig die bisherigen kantonalen Kompetenzen beschneiden (vgl.
etwa Zusatzbericht, BBl 2004 6899 Ziff. 2.2.3). Davon wurde in der Folge
abgesehen. Immerhin hält der Bundesrat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom
10. November 2004 fest (BBl 2004 6944 Ziff. 2.3): "Im Übrigen werden
Finanzierung, Organisation und Aufsicht über die Familienausgleichskassen den
Kantonen überlassen, die auch einen Lastenausgleich einführen können. Der
Bundesrat hält diese Lösung für sinnvoll, denn sie erlaubt es den Kantonen,
diese Bereiche mit Rücksicht auf ihre bestehenden Regelungen selber
auszugestalten." Um die Solidarität und einen Lastenausgleich dennoch soweit
als möglich zu fördern, sah der Bundesgesetzgeber immerhin die Anschlusspflicht
aller Arbeitgeber vor (vgl. Art. 12 Abs. 1 FamZG und Zusatzbericht, BBl 2004
6898 Ziff. 2.2.1).

6.3

6.3.1 Der ursprüngliche Entwurf zum Bundesgesetz über die Familienzulagen
erfasste - dem Leitsatz der Parlamentarischen Initiative (Ein Kind, eine
Zulage) folgend - auch die Selbstständigerwerbenden (Bericht, BBl 1999 3234
Ziff. 22 zu Art. 17 ff. E-FamZG, und Zusatzbericht, BBl 2004 6906 Ziff.
3.2.3.1). Auf Bestreben des
BGE 135 V 172 S. 178
Ständerates hin wurden sie schliesslich dem FamZG nicht unterstellt (vgl. AB
2005 S 718 und AB 2006 S 98 sowie AB 2006 N 245 f.).
Gemäss Art. 3 Abs. 2 FamZG können die Kantone höhere Kinder- und
Ausbildungszulagen sowie Geburts- und Adoptionszulagen vorsehen; auf diese
Zulagen finden ebenfalls die Bestimmungen des FamZG Anwendung. Andere als die
genannten Leistungen müssen ausserhalb dieser Familienzulagenordnung geregelt
und finanziert werden (vgl. auch Zusatzbericht, BBl 2004 6902 Ziff. 3.2.2, und
AB 2005 S 714).

6.3.2 Nach dem Gesagten können die Kantone Familienzulagen für
Selbstständigerwerbende vorsehen. Da die Selbstständigerwerbenden jedoch nicht
dem FamZG unterstellt sind, handelt es sich bei ihrem Anspruch auf
Familienzulagen um rein kantonales Sozialversicherungsrecht, welcher ausserhalb
der Familienzulagenordnung gemäss FamZG zu regeln und zu finanzieren ist (vgl.
dazu auch Protokoll der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des
Ständerates vom 23. Januar 2006, S. 8; AB 2006 S 99 sowie Erläuternder Bericht
des EDI zum Entwurf der FamZV, S. 16). Da die Selbstständigerwerbenden somit
nicht Teil der Solidargemeinschaft im Rahmen des FamZG und des darauf
beruhenden kantonalen Rechts sind, können sie auch nicht in den Lastenausgleich
im Sinne von Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG miteinbezogen werden. Demnach dürfen -
entgegen den Absichten des Kantons Luzern (vgl. Botschaft des Regierungsrates
an den Kantonsrat vom 22. April 2008 zum Entwurf eines neuen Gesetzes über die
Familienzulagen, S. 15, sowie explizit in § 20 Abs. 2 FamZG/LU) - die gestützt
auf das FamZG und das darauf beruhende kantonale Recht bei den Arbeitgebern
erhobenen Beiträge nicht über den Lastenausgleich zur Finanzierung der
Familienzulagen für Selbstständigerwerbende verwendet werden. Diese von den
Arbeitgebern auf der AHV-pflichtigen Lohnsumme ihrer Arbeitnehmenden erhobenen
Beiträge dürfen nur zur Finanzierung der im FamZG vorgesehenen Leistungen an
Arbeitnehmende eingesetzt werden. Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG ist keine
gesetzliche Grundlage für den Lastenausgleich zwischen bundesrechtlich
vorgesehenen Zulagen im Rahmen des Systems des FamZG und auf bloss kantonalem
Recht beruhenden Zulagen für Selbstständigerwerbende, welche ausserhalb dieses
Systems stehen. Somit ist die in § 18 erwähnte, vom Regierungsrat vorgesehene
und vom Kantonsrat mit § 19 ff. FamZG/LU festgesetzte
BGE 135 V 172 S. 179
Querfinanzierung der Zulagen Selbstständigerwerbender mittels des auf Art. 17
Abs. 2 lit. k FamZG beruhenden Lastenausgleichs bundesrechtswidrig.

6.3.3 Dass die Verwendung von Arbeitgeberbeiträgen gemäss FamZG zur
Finanzierung der Zulagen an Selbstständigerwerbende im Rahmen eines
innerkantonalen Lastenausgleichs unzulässig ist, ergibt sich auch aus der
Systematik des Bundesgesetzes: Im 3. Kapitel regelt das FamZG die von ihm
vorgesehenen Familienzulagenordnungen. Es sind dies im 1. Abschnitt jene der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichtlandwirtschaftlicher Berufe (Art. 11
bis 17), im 2. Abschnitt jene der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft (Art.
18) und im 3. Abschnitt jene der Nichterwerbstätigen (Art. 19 bis 21). Die in
Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG vorgesehene Kompetenz der Kantone zur Einführung
eines Lastenausgleichs beschränkt sich somit auf die Familienzulagenordnung des
1. Abschnitts, welche gemäss ihrem Titel ausdrücklich nur Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nichtlandwirtschaftlicher Berufe umfasst. So wird denn auch die
Finanzierung der Zulagen der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft und der
Nichterwerbstätigen unabhängig von jener der nichtlandwirtschaftlichen
Arbeitnehmenden geregelt (Art. 18 ff. des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952 über
die Familienzulagen in der Landwirtschaft [FLG; SR 836.1]; Art. 20 FamZG).
Allein schon aus systematischen Gründen ist somit Art. 17 Abs. 2 lit. k FamZG
keine genügende gesetzliche Grundlage für einen (innerkantonalen)
Lastenausgleich, welcher eine Solidargemeinschaft von Arbeitgebern/
Arbeitnehmenden und den Selbstständigerwerbenden vorsieht.

6.4

6.4.1 Nach der Rechtsprechung wird eine kantonalrechtliche, dem Bundesrecht
widersprechende Norm im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nur aufgehoben,
wenn eine bundesrechtskonforme Auslegung schlicht unmöglich ist; dabei werden
auch die Erklärungen der Behörden zur künftigen Rechtsanwendung berücksichtigt
(AEMISEGGER/SCHERRER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 68
zu Art. 82 BGG).

6.4.2 § 18 FamZG/LU steht zwar bei einer Umsetzung im Sinne des Regierungs- und
Kantonsrates nicht in Einklang mit dem Bundesrecht, doch ist eine
bundesrechtskonforme Auslegung in dem Sinne möglich, als der Kanton Luzern den
in § 19 ff. FamZG/LU
BGE 135 V 172 S. 180
vorgesehenen Lastenausgleich derart durchführt, dass er die für diesen
Lastenausgleich massgebende Solidargemeinschaft auf die Arbeitgeber beschränkt
resp. bei der Ermittlung des durchschnittlichen Risikosatzes aller
Familienausgleichskassen gemäss § 20 Abs. 2 FamZG/LU ein allfälliges Defizit
aus der Jahresrechnung der Familienzulagen an die Selbstständigerwerbenden
ausser Acht lässt und so verhindert, dass von den Arbeitgebern auf der
AHV-pflichtigen Lohnsumme der Arbeitnehmenden entrichtete Beiträge zur
Finanzierung von Familienzulagen für Selbstständigerwerbende verwendet werden.
Dies bedingt, dass separate Rechnungen für die Zulagen nach FamZG und für jene
nach rein kantonalem Recht (hier der Selbstständigerwerbenden) geführt werden
und nicht wie vorgesehen eine Querfinanzierung erfolgt. Ob der Kanton
berechtigt ist, die am Lastenausgleich beteiligten Familienausgleichskassen im
Rahmen einer vom FamZG unabhängigen gesetzlichen Regelung zur Finanzierung der
Zulagen an die Selbstständigerwerbenden zu verpflichten, kann vorliegend
offenbleiben, da der diesbezügliche § 17 Abs. 3 FamZG/LU nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens bildet.

7. Die Beschwerdeführer rügen auch das in § 20 Abs. 4 FamZG/LU vorgesehene
Verfahren, welches bei nicht rechtzeitiger Einreichung der für die Durchführung
des Lastenausgleichs notwendigen Daten Anwendung finden soll.

7.1 § 20 Abs. 4 FamZG/LU lautet: "Die Familienausgleichskassen haben der
Geschäftsstelle der kantonalen Aufsichtskommission bis spätestens am 31. März
des folgenden Jahres die AHV-pflichtigen Lohnsummen und die ausbezahlten
Familienzulagen zu melden. Erfolgt die Meldung nicht termingerecht, werden für
die Berechnung des Lastenausgleichs die AHV-pflichtige Lohnsumme des Vorjahres
mit einem Zuschlag von 50 Prozent und die ausbezahlten Familienzulagen des
Vorjahres verwendet." Die Beschwerdeführer rügen den in Satz 2 dieser
Bestimmung vorgesehenen Zuschlag von 50 % als unverhältnismässig und machen
geltend, der Kanton überschreite mit der vorgesehenen Regelung die ihm
zustehende Legiferierungskompetenz und habe sich an die Mahn- und
Verzugszinsordnung in der AHV zu halten.

7.2

7.2.1 Nach Art. 17 Abs. 2 lit. f FamZG regeln die Kantone die Aufgaben und
Pflichten der Familienausgleichskassen und
BGE 135 V 172 S. 181
Arbeitgeber. Die Kantone haben somit das administrative Verfahren zur korrekten
Durchführung des Familienzulagengesetzes zu bestimmen. Dies beinhaltet auch das
Setzen von Fristen und Festlegen von Massnahmen zur Durchsetzung dieser
Fristen; den Kantonen kommt dabei ein weiter Ermessensspielraum zu
(Zusatzbericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des
Nationalrates vom 8. September 2004, BBl 2004 6900 Ziff. 3.1; AB 2005 N 265 und
336; vgl. auch Erläuternder Bericht des EDI zum Entwurf der FamZV, S. 1; JAGGI,
a.a.O., S. 78 sowie KIESER/SANER, a.a.O., S. 420). Damit besteht eine
gesetzliche Grundlage für das Vorsehen von Sanktionen bei nicht rechtzeitiger
Einreichung der notwendigen Unterlagen.

7.2.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, die Kantone hätten in dieser Frage
das gestützt auf Art. 14 Abs. 4 AHVG in Art. 34a, 38 und 41^bis AHVV (SR
831.101) vorgesehene Verfahren mit Nachfristen, Mahngebühren, Verzugszinsen und
- als ultima ratio - Ermessenseinschätzung zu übernehmen. Es ist indessen nicht
zwingend, dass der Kanton die Mahn- und Verzugszinsordnung der AHV auch für den
Bereich der Familienzulagen anwendet. Zwar sah Art. 30 des Entwurfs von 1998
noch die Übernahme des AHVG vor, soweit das FamZG nichts Abweichendes regelt
(vgl. Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des
Nationalrates vom 20. November 1998, BBl 1999 3235 Ziff. 22 zu Art. 30
E-FamZG). Art. 25 FamZG statuiert dagegen die sinngemässe Anwendung von
AHV-Recht nur in explizit erwähnten Fällen (Bearbeiten von Personendaten,
Datenbekanntgabe, Haftung der Arbeitgeber, Verrechnung sowie die Höhe der
Verzugs- und Vergütungszinsen; vgl. etwa Zusatzbericht der Kommission für
soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 8. September 2004, BBl
2004 6911 Ziff. 3.2.6 sowie vorne E. 6.2.4). Angesichts des weiten Spielraums,
den der Bundesgesetzgeber den Kantonen in Fragen der Finanzierung und
Organisation geben wollte, sind die Kantone demnach frei, eine andere Lösung
vorzusehen, auch wenn grundsätzlich eine Anlehnung an die AHV als wünschbar
erachtet wurde (vgl. Zusatzbericht der Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit des Nationalrates vom 8. September 2004, BBl 2004 6909 Ziff. 3.2.3.1
sowie AB 2005 S 721). In diesem Zusammenhang ist zudem festzuhalten, dass Art.
1 FamZG - mit zwei Ausnahmen - die analoge Anwendung des ATSG vorsieht.
BGE 135 V 172 S. 182

7.3

7.3.1 Zu prüfen bleibt demnach, ob die vom Kanton Luzern vorgesehene Regelung
bundesrechtskonform ist. Die Beschwerdeführer bringen insbesondere vor, der
Zuschlag von 50 % sei unverhältnismässig.

7.3.2 Die Verhältnismässigkeit nach Art. 5 Abs. 2 BV ist kein
verfassungsmässiges Recht, sondern lediglich ein verfassungsmässiges Prinzip.
Es kann auch bezüglich kantonalem Recht selbstständig geltend gemacht werden.
Ausserhalb von Grundrechtseingriffen erfolgt vor Bundesgericht im Rahmen von
Art. 95 lit. a BGG jedoch lediglich eine Prüfung auf Willkür (BGE 134 I 153 E.
4 S. 156, Urteile 2C_81/2008 vom 21. November 2008 E. 5.1 und 2C_444/2007 vom
4. April 2008 E. 2.2). Das Bundesgericht auferlegt sich nach ständiger Praxis
bei der abstrakten Normenkontrolle aus föderalistischen Gründen im Rahmen der
Kognition eine gewisse Zurückhaltung (AEMISEGGER/SCHERRER, a.a.O., N. 66 zu
Art. 82 BGG).

7.3.3 Art. 5 Abs. 2 BV besagt, dass staatliches Handeln im öffentlichen
Interesse liegen und verhältnismässig sein muss. Dies gilt nicht nur für die
Arbeit der Verwaltung (rechtsanwendendes Organ), sondern auch für die Tätigkeit
der rechtsetzenden Organe (Parlament und Stimmvolk; vgl. dazu HANGARTNER,
a.a.O., N. 3 zu Art. 5 BV). Staatliches Handeln ist verhältnismässig, wenn es
erforderlich, die vorgesehene Massnahme zur Erreichung des Ziels geeignet ist
und das gewählte Mittel nicht in einem Missverhältnis zu anderen zu beachtenden
Interessen steht (HANGARTNER, a.a.O., N. 36 ff. zu Art. 5 BV).

7.3.4 Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass der kantonale Gesetzgeber ein
Verfahren bei nicht rechtzeitiger Mitteilung der für den Lastenausgleich
notwendigen Angaben festlegen muss. Die strittige Regelung ist somit
erforderlich. Die Verwendung der Vorjahreszahlen sowie der Zuschlag von 50 %
sind auch geeignet, die Familienausgleichskassen anzuhalten, diese Angaben
rechtzeitig zu liefern. Hingegen steht der Zuschlag von 50 % in einem
Missverhältnis zu den übrigen zu berücksichtigenden Interessen. Einerseits
stellt dieser Zuschlag von 50 % bei der AHV-pflichtigen Lohnsumme keine
Entschädigung für die durch die nicht rechtzeitige Einreichung der Angaben
entstandenen Umtriebe, sondern de facto eine Busse dar. Denn nach allgemeiner
Lebenserfahrung ist es nicht möglich, dass sich die AHV-pflichtige Lohnsumme
einer
BGE 135 V 172 S. 183
Familienausgleichskasse innert eines Jahres um die Hälfte erhöht, die
ausgerichteten Zulagen aber gleich bleiben.
Dieses Missverhältnis der Regelung zeigt sich auch bei Betrachtung der
masslichen Auswirkungen: Gemäss dem in der Botschaft des Regierungsrates vom
22. April 2008 auf S. 21 dargelegten Modell für den Lastenausgleich bewegen
sich bei Zugrundelegung der Zahlen von 2006 die von den
Familienausgleichskassen geschuldeten Ausgleichszahlungen zwischen Fr. 27'731.-
und Fr. 930'600.-; erhöht sich nun für die Ermittlung des individuellen
Risikosatzes das Total der AHV-pflichtigen Lohnsumme um 50 %, ergibt sich bei
gleich bleibendem Total der ausgerichteten Zulagen eine um diese 50 % höhere
geschuldete Ausgleichszahlung. Das kann bei Ausgleichszahlungen im genannten
Rahmen einen fünf- oder sechsstelligen Betrag ausmachen. Derartige Beträge
stehen jedoch in einem krassen Missverhältnis zu den infolge der verspäteten
Mitteilung entstandenen Umtriebe. Andererseits werden die Zahlen des
Lastenausgleichs auch bei Nachlieferung der nötigen Daten nicht nachträglich
angepasst, so dass der für das jeweilige Jahr geltende, infolge des fiktiven
Zuschlags von 50 % bei der AHV-pflichtigen Lohnsumme verzerrte und damit
verfälschte Lastenausgleich weiter bestehen bleibt.
Weiter fällt auf, dass § 20 Abs. 4 Satz 2 FamZG/LU keinerlei Ausnahmen zulässt
und keine dem Einzelfall angepasste Handhabung erlaubt. Daran ändert auch der
Umstand nichts, dass die Verwendung der Vorjahreszahlen mit einem Zuschlag von
50 % bei der AHV-pflichtigen Lohnsumme jeweils nur für ein Jahr gilt. Ebenso
unbehelflich ist die Berufung auf den analogen Zuschlag von 50 % in Art. 14^bis
Abs. 1 AHVG; denn dort wird mit diesem Zuschlag ein strafrechtlich relevantes
Verhalten (Schwarzarbeit) sanktioniert (vgl. Art. 14^bis Abs. 2 AHVG), welches
keineswegs vergleichbar ist mit der hier strittigen unterlassenen rechtzeitigen
Einreichung notwendiger Angaben.
Ein Blick in andere kantonale Regelungen zeigt, dass die übrigen Kantone,
welche einen kantonalen Lastenausgleich kennen, keine speziellen Massnahmen zur
Sicherstellung der rechtzeitigen Mitteilung zur Durchführung des
Lastenausgleichs vorsehen. Einzig im Kanton Solothurn wird auf die nicht
rechtzeitige Einreichung der erforderlichen Angaben Bezug genommen, spezielle
Massnahmen gegenüber der fehlbaren Familienausgleichskasse werden indessen
BGE 135 V 172 S. 184
nicht vorgesehen (§ 60^bis der Sozialverordnung vom 29. Oktober 2007; BGS
831.2). Zudem erklärt § 76^bis Abs. 1 lit. b des Sozialgesetzes vom 27. August
2008 (BGS 831.1) bezüglich der Beiträge im Verfahren des Lastenausgleichs
ausdrücklich das AHV-Recht für anwendbar. Einige Kantone halten bezüglich der
Mitwirkungspflichten und Auskünfte explizit eine sinngemässe Anwendung des AHVG
(und teilweise des FamZG oder ATSG) fest (Schaffhausen, Schwyz, Uri; wohl auch
Basel-Landschaft), während andere bei fehlender Regelung im kantonalen
Familienzulagengesetz ganz allgemein oder für bestimmte Fragen die sinngemässe
Anwendung des AHVG statuieren (Genf, Graubünden, Jura, Nid- und Obwalden).
Nach dem Gesagten ist der Zuschlag von 50 % zur AHV-pflichtigen Lohnsumme in §
20 Abs. 4 Satz 2 FamZG/LU nicht verhältnismässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 BV.
Seine Anwendung ist für die Durchsetzung des gewünschten Erfolges nicht nötig,
führt zu einem verzerrten Ergebnis, wirkt sich auf die Rechtsunterworfenen
völlig unverhältnismässig aus und ist daher willkürlich.

7.4 Wie bereits in E. 6.4 dargelegt, erfolgt eine Aufhebung einer kantonalen
Norm im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nur, wenn eine rechtskonforme
Auslegung schlicht nicht möglich ist. Im hier zu beurteilenden Fall ist
angesichts des eindeutigen Wortlauts, welcher keinen Spielraum für mildere
Massnahmen belässt, keine bundesrechtskonforme Auslegung möglich. § 20 Abs. 4
Satz 2 FamZG/LU ist demnach aufzuheben, soweit er einen Zuschlag von 50 % zur
AHV-pflichtigen Lohnsumme vorsieht.