Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 V 13



Urteilskopf

135 V 13

2. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. C. gegen
Pensionskasse der Stadt Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_476/2008 vom 21. November 2008

Regeste

Art. 23 lit. a und Art. 26 Abs. 1, Art. 30c Abs. 1 und 2 BVG bzw. Art. 331e
Abs. 1 und 2 OR; Art. 30d Abs. 3 lit. b BVG; Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 2
und 3 FZG; Eintritt des Vorsorgefalles Invalidität, Zulässigkeit der
Ausrichtung und der Rückerstattung eines Vorbezuges zur Förderung des
Wohneigentums und einer Austrittsleistung. Bis zum Eintritt des Vorsorgefalles
Invalidität (welcher zeitlich übereinstimmt mit der Entstehung des Anspruchs
auf Invalidenleistungen [E. 2.6]) ist ein Vorbezug zur Förderung des
Wohneigentums zulässig (E. 2.1-2.8). Eine Rückzahlung des Vorbezuges nach
Eintritt des Vorsorgefalles Invalidität ist ausgeschlossen (E. 2.9).
Rechtmässig erfolgt ist eine Austrittsleistung auch dann, wenn sich im
Nachhinein ergibt, dass diese nicht hätte überwiesen werden dürfen, weil der
Vorsorgefall Invalidität bereits vorher eingetreten war (E. 3.1-3.5). Eine
Rückerstattung der Austrittsleistung ist auch nach Eintritt des Vorsorgefalles
Invalidität zulässig (E. 3.6).

Sachverhalt ab Seite 14

BGE 135 V 13 S. 14

A. Die 1963 geborene C. war bei der Stadt Luzern tätig und bei der städtischen
Pensionskasse (im Folgenden: PKSL) berufsvorsorgeversichert. Ab 10. Mai 2002
war sie zeitweise zu 50 % und zeitweise zu 100 % arbeitsunfähig. Mit Wirkung
auf den 30. Juni 2003 endeten ihr Arbeitsverhältnis und die
Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers.
Am 3. März 2003 kaufte C. eine Eigentumswohnung. Zur Finanzierung des
Wohnungskaufs ersuchte sie die PKSL mit Antrag vom 15. April 2003 (Valuta 30.
April 2003) um einen Vorbezug von Fr. 48'000.- (sog. Vorbezug zur Förderung des
Wohneigentums [WEF]). Die PKSL richtete ihr diesen Betrag mit Valuta 30. April
2003 aus (Vorbezugsvertrag und Zahlungsauftrag vom 16. April 2003). Zudem
verpfändete C. mit Pfandvertrag vom 26. Februar 2003 ihre Freizügigkeits- und
Vorsorgeleistungen gegenüber der PKSL an die Bank X.
Mit Wirkung auf den 30. Juni 2003 (Ende des Arbeitsverhältnisses) trat C. aus
der PKSL aus; diese errechnete eine Austrittsleistung von Fr. 28'834.50 und
überwies diesen Betrag am 12. August 2003 mit Valuta 13. August 2003 auf ein
Freizügigkeitskonto bei der Bank Y. Wegen Verpfändung ging der Betrag in der
Folge an die Bank X. über.
Mit Verfügungen vom 25. November 2003 und 14. Januar 2004 sprach die IV-Stelle
Luzern C. eine ganze Invalidenrente ab 1. Mai 2003 zu. Am 13. Februar 2004
setzte sodann die PKSL für C. eine Invalidenrente von Fr. 1'012.50 pro Monat ab
1. Juli 2003 fest, da gemäss Reglement der PKSL der Rentenanspruch bis zum Ende
der Lohnfortzahlung ruht.
BGE 135 V 13 S. 15

B. Nachdem C. von der PKSL erfolglos eine Rückabwicklung des Vorbezugs verlangt
hatte, erhob sie am 20. Juli 2005 beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Klage gegen die PKSL mit dem (gemäss Replik modifizierten) Antrag, die PKSL sei
zu verurteilen, ihr ab 1. Mai 2003 eine Invalidenrente von Fr. 1'707.- pro
Monat auszurichten; eventualiter sei festzustellen, dass die PKSL für den durch
den Vorbezug von Fr. 48'000.- bzw. durch die zu Unrecht erfolgte Ausrichtung
der Freizügigkeits- bzw. Austrittsleistung von Fr. 28'834.50 entstandenen
Schaden hafte. Mit Entscheid vom 7. Mai 2008 wies das Verwaltungsgericht die
Klage ab.

C. C. erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und die PKSL zu verpflichten,
ihr ab 1. April 2003 eine Invalidenrente von Fr. 1'707.- pro Monat
auszurichten. Eventualiter sei die Sache zum Entscheid über die Rechtmässigkeit
der am 12. August 2003 geleisteten Freizügigkeits- bzw. Austrittsleistung von
Fr. 20'482.- (recte: Fr. 28'834.50) und zum Neuentscheid über die Höhe der
geschuldeten Vorsorgeleistungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die PKSL
beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen; eventualiter sei die Versicherte zur
Rückerstattung des Vorbezugs von Fr. 48'000.- zuzüglich Zins und die PKSL zur
Ausrichtung einer Rente von Fr. 1'448.- pro Monat zu verurteilen, falls das
Gericht die Beschwerde mit Bezug auf den Vorbezug gutheisse. Falls das Gericht
sie in Bezug auf die Freizügigkeitsleistung gutheisse, sei die Versicherte zur
Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung von Fr. 28'834.50 zuzüglich Zins und
die PKSL zu einer Rente von monatlich Fr. 1'272.- zu verurteilen. Falls das
Gericht die Beschwerde in beiden Punkten gutheisse, sei die Versicherte zur
Rückerstattung von Vorbezug und Freizügigkeitsleistung zuzüglich Zins und die
PKSL zur Zahlung einer Rente von monatlich Fr. 1'707.- zu verurteilen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
In dem vom Bundesgericht angeordneten zweiten Schriftenwechsel modifiziert C.
ihr Eventualbegehren dahin, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts sowie
die Freizügigkeitsleistung und der WEF-Vorbezug aufzuheben seien und die Sache
zum Neuentscheid über die Höhe der geschuldeten Vorsorgeleistungen sowie zur
Festlegung der sich aus der Rückabwicklung der nach Eintritt des versicherten
Invaliditätsrisikos erfolgten Reduktion des Deckungskapitals ergebenden
Konsequenzen an die Vorinstanz zurückzuweisen
BGE 135 V 13 S. 16
sei. Die PKSL hält an ihren Anträgen fest und beantragt, auf die
Eventualbegehren der Versicherten nicht einzutreten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Zu prüfen ist zunächst die Frage nach der Rechtmässigkeit des Vorbezugs.

2.1 Die Beschwerdeführerin hält den Vorbezug für rechtswidrig, weil er zu einem
Zeitpunkt erfolgt sei, da der Vorsorgefall Invalidität bereits eingetreten war.
Die Beschwerdegegnerin vertritt demgegenüber den Standpunkt, der Vorbezug sei
bis zum Eintritt des Vorsorgefalls Invalidität möglich, worunter der Beginn des
Rentenanspruchs zu verstehen sei. Mit der gleichen Begründung hat auch die
Vorinstanz die Ausrichtung des Vorbezugs als rechtens betrachtet.

2.2 Der Versicherte kann gemäss Art. 30c Abs. 1 und 2 BVG (SR 831.40) bzw. Art.
331e Abs. 1 und 2 OR bis drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs auf
Altersleistungen einen Vorbezug für Wohneigentum zum eigenen Bedarf geltend
machen. Bis zum 50. Altersjahr darf ein Betrag bis zur Höhe der
Freizügigkeitsleistung bezogen werden, danach höchstens die
Freizügigkeitsleistung, auf die im 50. Altersjahr Anspruch bestanden hätte,
oder die Hälfte der Freizügigkeitsleistung im Zeitpunkt des Bezugs.

2.3 Das Gesetz äussert sich nicht ausdrücklich dazu, ob ein Vorbezug auch nach
Eintritt der Invalidität möglich ist. Eine Antwort darauf ergibt sich aber
implizit daraus, dass der beziehbare Betrag durch die Höhe der
Freizügigkeitsleistung begrenzt ist. Der Vorbezug setzt somit den Bestand einer
Freizügigkeitsleistung voraus. Der Vorbezug ist dadurch direkt an die Regelung
über die Freizügigkeit gebunden. Da ein Anspruch auf Austrittsleistung nur
besteht, soweit noch kein Vorsorgefall eingetreten ist (Art. 2 Abs. 1 FZG [SR
831.42]), ist auch ein Vorbezug nicht mehr möglich, soweit ein Vorsorgefall
eingetreten ist, denn damit wird das Freizügigkeitskapital in Deckungskapital
für die Rentenleistung umgewandelt (BGE 130 V 191 E. 3.2 S. 194; MARKUS MOSER,
Die Anforderungen des neuen Wohneigentumsförderungsgesetzes, SZS 1995 S. 200
ff., 202 f.; RIEMER/RIEMER-KAFKA, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der
Schweiz, 2. Aufl. 2006, S. 147 f. Rz. 144; HANS-ULRICH STAUFFER, Verpfändung
und Vorbezug für Wohneigentum
BGE 135 V 13 S. 17
Fragen und Probleme in der Abwicklung, in: Aktuelle Fragen der beruflichen
Vorsorge, 2008, S. 27 ff., 44 f.; ISABELLE VETTER-SCHREIBER, Berufliche
Vorsorge, 2005, S. 113).

2.4 Umstritten ist, wann der Vorsorgefall Invalidität eingetreten ist.
Vorinstanz und Beschwerdegegnerin gehen davon aus, dass dies der Beginn des
Anspruchs auf Invalidenleistungen ist. Die Beschwerdeführerin will demgegenüber
auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit abstellen, die zur Invalidität geführt
hat (Art. 23 lit. a BVG).

2.5 Das Bundesgericht bzw. das damalige Eidg. Versicherungsgericht hat
verschiedentlich im Zusammenhang mit Art. 23 BVG ausgeführt, das versicherte
Ereignis falle zeitlich zusammen mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren
Ursache zur Invalidität führt (vgl. BGE 118 V 35 E. 2b/aa S. 39 und weitere
Entscheide). Dementsprechend hat es im Urteil B 88/03 vom 28. Mai 2004, auf
welches sich die Beschwerdeführerin beruft, entschieden, dass ein Anspruch auf
Freizügigkeitsleistung nicht mehr besteht, sobald diese Arbeitsunfähigkeit
eingetreten ist (wobei im damals zu beurteilenden Fall auch der Eintritt der
Invalidität auf einen Zeitpunkt vor Auflösung des Vorsorgeverhältnisses fiel,
so dass die Frage letztlich nicht streitentscheidend war).

2.6 Die berufliche Vorsorge versichert die Risiken Alter, Tod und Invalidität
(Art. 1 Abs. 1 BVG). Die Arbeitsunfähigkeit als solche ist kein in der
beruflichen Vorsorge versichertes Risiko; der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität führt, ist nur gemäss Art. 23 BVG massgebend für
die Frage der zeitlichen Dauer der Versicherungsdeckung: Ist die
Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Zugehörigkeit zu einer
Vorsorgeeinrichtung eingetreten, so bleibt diese leistungspflichtig, auch wenn
die Invalidität erst nach Beendigung des Vorsorgeverhältnisses eingetreten ist;
die Leistungspflicht als solche entsteht jedoch nur und erst mit dem Eintritt
der Invalidität, nicht bereits mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Diese
kann daher nicht als Vorsorgefall betrachtet werden. Das Bundesgericht hat in
BGE 134 V 28 klargestellt, dass die erwähnten früheren Entscheide die Begriffe
des Eintritts der Invalidität und der Arbeitsunfähigkeit vermischt haben, und
dass nach richtiger Betrachtung der Vorsorgefall erst mit dem effektiven
Eintritt des versicherten Ereignisses eintritt, und zwar nicht nur im Todes-
(E. 3.2 S. 30 f.), sondern auch im Invaliditätsfall (E. 3.4.2
BGE 135 V 13 S. 18
S. 32). Der Eintritt des Vorsorgefalls Invalidität stimmt daher zeitlich
überein mit der Entstehung des Anspruchs auf Invalidenleistungen (Art. 26 Abs.
1 BVG). Bis zu diesem Zeitpunkt ist ein Vorbezug zulässig.

2.7 Eine andere Lösung drängt sich auch im Hinblick auf den Vorsorgezweck (Art.
113 Abs. 2 lit. a BV; Art. 1 Abs. 1 BVG) nicht auf: Die Regelungen über den
Vorbezug zum Erwerb von Wohneigentum beruhen auf der Überlegung, dass eigenes
Wohneigentum wie eine Rente eine Vorsorgefunktion hat (BGE 130 V 191 E. 3.1 S.
194). Die Beschwerdeführerin konnte mit Hilfe des Vorbezugs eine Wohnung
erwerben; ohne diese Möglichkeit hätte sie das erforderliche Kapital
anderweitig beschaffen müssen und jetzt dafür Zinsen zu bezahlen. Der Vorbezug
erlaubt ihr eine Zinseinsparung, welcher, wie einer Rente, Vorsorgefunktion
zukommt. Der Vorbezug kann gegenüber einer (höheren) Rente für die versicherte
Person je nach den konkreten Umständen günstiger oder ungünstiger sein, was
aber im Wesen einer Versicherung liegt und für sich allein keine andere Lösung
nahelegt. Entgegen der Auffassung des BSV in den Mitteilungen über die
berufliche Vorsorge Nr. 32 vom 21. April 1995, Ziff. 188.2 S. 6, sowie Nr. 55
vom 30. November 2000, S. 11 f. (http://www.sozialversicherungen.admin.ch;
ebenso STAUFFER, Berufliche Vorsorge, 2005, S. 362 Rz. 974) besteht auch kein
Anlass, den Vorbezug bereits bei einer bevorstehenden Invalidität zu
verunmöglichen. Dafür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Solange der
Vorsorgefall nicht eingetreten ist, ist das Freizügigkeitskapital noch nicht in
Deckungskapital umgewandelt (vgl. vorne E. 2.3) und steht damit für einen
Vorbezug zur Verfügung. Die versicherte Person kann auch angesichts einer
bevorstehenden Invalidität selber beurteilen, ob ihr ein Vorbezug und ein
dadurch ermöglichter Erwerb von Wohneigentum oder eine höhere Rente mehr dient.
Schliesslich ist in aller Regel auch höchst unklar, von welchem Zeitpunkt an
eine Invalidität als bevorstehend betrachtet werden kann; die Auffassung des
BSV würde damit zu einer gravierenden Rechtsunsicherheit führen. Dasselbe würde
gelten, wenn im Sinne der Beschwerdeführerin auf den Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 23 lit. a BVG abgestellt würde. Denn ob eine
Arbeitsunfähigkeit ohne Folgen vorübergeht oder später einmal zu einer
Invalidität führen wird, kann in der Regel nicht im Voraus beurteilt werden.
BGE 135 V 13 S. 19

2.8 In casu ist die rentenbegründende Invalidität am 1. Mai 2003 eingetreten.
Der am 16. April 2003 mit Valuta 30. April 2003 ausbezahlte Vorbezug erfolgte
somit vor Eintritt des Vorsorgefalls und war rechtmässig. Dementsprechend
reduzierte sich das der Rentenberechnung zugrunde liegende Altersguthaben (Art.
24 Abs. 3 BVG), weshalb die PKSL die Rente mit Recht reduziert hat. Die
Beschwerde ist insoweit unbegründet.

2.9 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass gemäss Art. 30d Abs. 3 lit.
b BVG (e contrario) eine Rückzahlung des Vorbezugs nach Eintritt des
Vorsorgefalls nicht mehr möglich ist. Dies entspricht dem allgemeinen
Grundsatz, wonach eine Versicherung nur vor Eintritt des versicherten
Ereignisses abgeschlossen werden kann. Die Beschwerdeführerin kann daher nicht
mehr durch Rückzahlung des Vorbezugs ihre Rente erhöhen.

3. Zu prüfen ist weiter die per 13. August 2003 erfolgte Auszahlung des
Freizügigkeitsguthabens.

3.1 Unbegründet ist das Eventualbegehren der Beschwerdeführerin, die Sache sei
zum Entscheid über die Rechtmässigkeit der Austrittsleistung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Denn entgegen der Darstellung in der Beschwerde hat sich das
kantonale Gericht klar zur Rechtmässigkeit derselben geäussert. Zu prüfen ist,
ob es sie zu Recht bejaht hat.

3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, die PKSL habe frühestens am 25. November 2003
(Zeitpunkt der ersten Rentenverfügung der IV) vom Rentenanspruch der
Beschwerdeführerin erfahren und sei daher im August 2003 berechtigt gewesen,
die Austrittsleistung zu überweisen. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber
geltend, die spätere Kenntnis ändere nichts daran, dass sie die
Vorsorgeeinrichtung nach Eintritt des Vorsorgefalls nicht hätte verlassen
können, weshalb die Ausrichtung der Freizügigkeitsleistung annulliert und
rückgängig gemacht werden müsse. Die Beschwerdegegnerin bringt vor, sie sei
gemäss Art. 2 FZG und nach ihrem Reglement verpflichtet gewesen, die
Austrittsleistung zu überweisen. Zwar hätte die Beschwerdeführerin infolge
Invalidität keinen Anspruch auf eine Austrittsleistung gehabt; es komme aber
oft vor, dass eine Vorsorgeeinrichtung die Freizügigkeitsleistung in Unkenntnis
ihrer späteren Leistungspflicht ausrichte. Diesen Sachverhalt regelten die
Spezialbestimmungen der Art. 3 Abs. 2 und 3 FZG, an welche sie sich im
vorliegenden Fall gehalten habe.
BGE 135 V 13 S. 20

3.3 Gemäss Art. 2 Abs. 1 FZG entsteht der Anspruch auf Austrittsleistung, wenn
der Versicherte die Vorsorgeeinrichtung verlässt, bevor der Vorsorgefall
eingetreten ist. Er kann somit nicht mehr entstehen, wenn der Vorsorgefall
eingetreten ist. Wie vorne ausgeführt (E. 2.8), trat der Vorsorgefall
Invalidität am 1. Mai 2003 ein (woran der Aufschub der Rentenzahlung infolge
Lohnfortzahlung nichts ändert: BGE 129 V 15 E. 5b S. 25 f.), mithin vor dem
Austritt der Versicherten aus der Beschwerdegegnerin. Retrospektiv betrachtet
hätte somit die Austrittsleistung nicht ausbezahlt werden sollen.
Dementsprechend wäre die Rente heute höher.

3.4 Trotzdem kann der Beschwerdegegnerin nicht vorgeworfen werden, sie habe die
Austrittsleistung zu Unrecht erbracht. Die Austrittsleistung wird mit dem
Austritt aus der Vorsorgeeinrichtung fällig; von diesem Zeitpunkt an ist ein
Verzugszins geschuldet (Art. 2 Abs. 3 FZG in der hier anwendbaren, bis 31.
Dezember 2004 in Kraft gewesenen Fassung). Das Gesetz geht somit davon aus,
dass die Vorsorgeeinrichtung die Freizügigkeitsleistung nach dem Austritt rasch
überweisen muss. Die Beschwerdegegnerin hat sich an diese gesetzliche
Verpflichtung gehalten und demnach nicht rechtswidrig gehandelt. Dass sich im
Nachhinein herausgestellt hat, dass der Vorsorgefall bereits früher eingetreten
ist, ändert daran nichts. Die Absätze 2 und 3 von Art. 3 FZG enthalten für
derartige Fälle eine sachgerechte Lösung. Die Austrittsleistung ist
grundsätzlich an die frühere Vorsorgeeinrichtung zurückzuerstatten (Abs. 2).
Diese wie auch der Versicherte werden damit so gestellt, wie wenn der Eintritt
des Vorsorgefalls von Anfang an bekannt gewesen wäre: Der Versicherte erhält
die Rente in der ihm zustehenden Höhe, die Vorsorgeeinrichtung verfügt über das
dazu notwendige Deckungskapital. Nun kann es aber vorkommen, dass die
Austrittsleistung aus irgendeinem Grunde nicht zurückerstattet wird; in diesem
Fall kann die frühere Vorsorgeeinrichtung ihre Leistung entsprechend kürzen
(Abs. 3). Zwar erfasst Art. 3 FZG seinem Wortlaut nach nur den Fall des
Übertritts in eine neue Vorsorgeeinrichtung. Er muss aber angesichts der
funktionellen Gleichgerichtetheit von Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtung
(Urteil 9C_790/2007 vom 5. Juni 2008 E. 5) gleichermassen gelten, wenn die
Austrittsleistung nicht an eine neue Vorsorge-, sondern an eine
Freizügigkeitseinrichtung (Art. 4 FZG; Art. 10 FZV [SR 831.425]) übertragen
wurde (so implizit auch bereits Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts B 55/01
vom 16. Oktober 2002). Sodann gelten Art. 3 Abs. 2 und 3 FZG nicht nur dann,
BGE 135 V 13 S. 21
wenn der Vorsorgefall nach dem Eintritt des Freizügigkeitsfalls eintritt und
sich nachträglich zeigt, dass trotzdem (aufgrund von Art. 23 BVG) noch die
frühere Vorsorgeeinrichtung leistungspflichtig ist, sondern auch dann, wenn
sich nachträglich erweist, dass der Vorsorgefall bereits vor dem
Freizügigkeitsfall eingetreten ist: Dieser Gesetzessinn ergibt sich aus dem
klaren Wortlaut, der auf die Leistungspflicht nach Erbringen der
Austrittsleistung abstellt; er ist auch systemkonform und erlaubt eine
sachgerechte Lösung. Das Eidg. Versicherungsgericht hat denn auch im Urteil B
20/98 vom 14. August 1998 E. 2c, 3b und 3c, in: SZS 2000 S. 65, ohne weiteres
Art. 3 Abs. 2 FZG als anwendbar erklärt auf einen Versicherten, bei welchem
sich nach Auszahlung der Austrittsleistung erwies, dass bereits vor dem
Freizügigkeitsfall ein Vorsorgefall eingetreten war.

3.5 Die Beschwerdegegnerin hat demnach mit der Auszahlung des
Freizügigkeitsguthabens rechtmässig gehandelt. Es ist auch unbestritten, dass
die in Art. 3 Abs. 2 FZG vorgesehene Rückerstattung der Austrittsleistung
bisher nicht erfolgt ist. Demgemäss war die Beschwerdegegnerin gemäss Art. 3
Abs. 3 FZG berechtigt, die Invalidenrente entsprechend zu kürzen.

3.6 Ein nachträglicher Verzicht auf diese Kürzung (bzw. die Ausrichtung einer
höheren Rente) wäre nur denkbar, wenn die Austrittsleistung gemäss Art. 3 Abs.
2 FZG zurückerstattet würde. Es fragt sich, ob eine solche Rückerstattung
möglich wäre.

3.6.1 Indem die Beschwerdeführerin ausführt, sie werde eine solche
Rückerstattung leisten, geht sie ohne weiteres von deren Zulässigkeit aus. Die
Vorinstanz hat dazu erwogen, die Freizügigkeitsleistung könne infolge ihrer
Beanspruchung als Pfand nicht mehr zurückgefordert werden; es sei allenfalls
Sache der Beschwerdeführerin, ihre verpfändete Freizügigkeitsleistung
auszulösen, womit ihre monatliche Rente entsprechend erhöht werden könnte. Die
Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass die Freizügigkeitsleistung verwertet
sei und nicht mehr bestehe, weshalb die Versicherte neues Geld in die
berufliche Vorsorge einbringen müsste, was sie nur durch Beitragszahlungen,
Einkäufe und Rückerstattung von WEF-Vorbezügen oder scheidungsrechtlichen
Leistungen tun könnte. All diese Möglichkeiten bestünden aber nicht mehr,
nachdem der Vorsorgefall eingetreten sei; die Beschwerdeführerin könne also die
verwertete Freizügigkeitsleistung nicht mehr ersetzen.

3.6.2 Die Beteiligten gehen davon aus, dass die Freizügigkeitseinrichtung,
welcher die Austrittsleistung übertragen wurde, diese nicht
BGE 135 V 13 S. 22
zurückerstattet, weil der entsprechende Betrag inzwischen von der
pfandberechtigten Bank beansprucht worden ist. Die Beschwerdeführerin will aber
offensichtlich die Freizügigkeitsleistung aus eigenen Mitteln oder durch
Verrechnung mit ausstehenden Rentenleistungen rückerstatten. Es fragt sich, ob
dies zulässig ist.

3.6.3 Art. 3 Abs. 2 FZG sagt nicht ausdrücklich, wer die Austrittsleistung
zurückzuerstatten hat. Im Normalfall wird die Leistung von demjenigen
zurückerstattet, der sie erhalten hat, d.h. von der neuen Vorsorgeeinrichtung
(Art. 3 Abs. 1 FZG), allenfalls der Auffangeinrichtung (Art. 4 Abs. 2 FZG;
Urteil B 20/98 vom 14. August 1998 E. 3c, in: SZS 2000 S. 65) oder einer
Freizügigkeitseinrichtung (Art. 4 Abs. 1 FZG; Art. 10 FZV). Indessen ist nicht
ausgeschlossen, dass die Rückerstattung auch durch andere Personen, namentlich
durch den Versicherten selber, erbracht werden kann. Eine Schuld muss nur dann
persönlich erfüllt werden, wenn es bei der Leistung auf die Persönlichkeit des
Schuldners ankommt (Art. 68 OR), was bei Geldleistungen im Allgemeinen nicht
der Fall ist (ROLF H. WEBER, in: Berner Kommentar, 2. Aufl. 2005, N. 31 zu Art.
68 OR). Für die frühere Vorsorgeeinrichtung kann es weder rechtlich noch
versicherungstechnisch eine Rolle spielen, wer die Austrittsleistung
zurückerstattet. Erhält sie den erforderlichen (vgl. Art. 4 FZV) Betrag zurück,
ist sie versicherungstechnisch so gestellt, wie sie es richtigerweise zur
Deckung ihrer Leistungspflicht sein muss.

3.6.4 Im Unterschied zur Rechtslage beim Vorbezug (vorne E. 2.9) ist sodann die
Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung nach Art. 3 Abs. 2 FZG auch nach
Eintritt des Vorsorgefalls noch möglich, ansonsten diese Bestimmung toter
Buchstabe bliebe; denn die darin enthaltene Tatbestandsvoraussetzung, dass die
frühere Vorsorgeeinrichtung Hinterlassenen- oder Invalidenleistungen erbringen
muss, setzt gerade voraus, dass ein Vorsorgefall eingetreten ist. Zudem wird
hier nicht gewissermassen nach Eintritt des versicherten Risikos eine
Versicherung abgeschlossen. Es wird einzig die Situation wieder hergestellt,
die aus der Optik der früheren Vorsorgeeinrichtung wie auch des Versicherten
richtigerweise im Zeitpunkt des Austritts bestanden hätte, wenn die
Leistungspflicht bereits damals bekannt gewesen wäre (vgl. vorne E. 3.3): Die
Vorsorgeeinrichtung erhält das Deckungskapital, das notwendig ist, um die
geschuldeten Leistungen zu erbringen (Urteil B 20/98 vom 14. August 1998 E. 3c,
in: SZS 2000 S. 65).
BGE 135 V 13 S. 23

3.6.5 Die Beschwerdeführerin hat nicht beantragt, sie sei - im Gegenzug zur
Zusprechung einer höheren Rente - zur Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung
zu verpflichten (siehe nicht publ. E. 1.4.3). Sie kann deshalb im
bundesgerichtlichen Urteil dazu nicht verpflichtet werden (Art. 107 Abs. 1
BGG). Da ihr die höhere Rente nur zuzusprechen wäre, wenn die Rückerstattung
geleistet würde, hat sie darauf ohne diese Rückerstattung auch keinen Anspruch,
weshalb der Hauptantrag der Beschwerdeführerin unbegründet ist. Ebenso wenig
ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, weil ein entsprechendes
Begehren bereits dort nicht gestellt worden ist (siehe nicht publ. E. 1.4.2 in
fine). Die Beschwerde ist daher dispositivmässig abzuweisen. Immerhin ist aber
festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin befugt ist, der Beschwerdegegnerin
die Austrittsleistung zurückzuerstatten, was zu einer entsprechend höheren
Rente führen würde.