Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 I 292



Urteilskopf

135 I 292

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Duss und
Steffen gegen Gemeinde Werthenstein (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
1C_587/2008 / 1C_15/2009 vom 12. August 2009

Regeste

Verletzung der Abstimmungsfreiheit anlässlich einer Gemeindeversammlung; Art.
34 Abs. 2 BV.
Grundzüge der Abstimmungsfreiheit; Beeinträchtigung von behördlicher oder
privater Seite (E. 2).
Die unzutreffende Präsentation eines wesentlichen, erst anlässlich der
Gemeindeversammlung bekanntgemachten Dokuments von privater Seite
beeinträchtigt die Meinungsbildung der Stimmberechtigten und verletzt die
Abstimmungsfreiheit; Aufhebung des Gemeindeversammlungsentscheides (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 292

BGE 135 I 292 S. 292
Die Gemeindeversammlung von Werthenstein genehmigte am 10. Mai 2006 den
Zonenplan Landschaft sowie Änderungen des Zonenplanes Siedlung und des Bau- und
Zonenreglementes. Sie sah von der Aufnahme einer Abbau- und Ablagerungszone im
Gebiet Schwanden ab.
BGE 135 I 292 S. 293
In der Folge wurde die "Gemeindeinitiative zur Sicherung der regionalen
Kiesversorgung" (im Folgenden: Gemeindeinitiative) eingereicht. Diese zielt auf
die Ausscheidung einer Abbau- und Ablagerungszone im Gebiet Schwanden hin. Die
Initiative wurde als gültig erklärt.
Der Gemeinderat von Werthenstein lud mit einer Botschaft auf den 28. April 2008
zur Gemeindeversammlung ein. Traktandum 2 lautete wie folgt:
"Gemeindeinitiative zur Sicherung der regionalen Kiesversorgung;
Grundsatzbeschluss über Annahme oder Ablehnung der Initiative". Der Gemeinderat
erklärte in der Botschaft, die Gemeindeinitiative sei als Wiedererwägungs- oder
Rückkommensinitiative zu behandeln. Würde der Gemeindeinitiative zugestimmt,
müsste an einer weitern Gemeindeversammlung über die Schaffung einer Abbau- und
Ablagerungszone entschieden werden. Bei Ablehnung könne das sistierte
Genehmigungsverfahren vor dem Regierungsrat betreffend die Beschlüsse vom 10.
Mai 2006 fortgesetzt werden. Zurzeit stehe ausschliesslich die
Gemeindeinitiative in Frage.
Die Gemeindeversammlung vom 28. April 2008 stimmte der Gemeindeinitiative in
geheimer Abstimmung mit 201 Ja gegen 179 Nein zu. Dies bedeutet, dass der
Gemeinderat an einer kommenden Gemeindeversammlung das Einzonungsverfahren zum
Beschluss vorlegen wird.
Gegen diesen Beschluss der Gemeindeversammlung erhoben u.a. Erwin Duss und
Hans-Rudolf Steffen beim Regierungsrat erfolglos Beschwerden. In der Folge
haben diese den abschlägigen Regierungsratsentscheid beim Bundesgericht mit
separaten Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82
lit. c BGG angefochten.
Das Bundesgericht heisst die vereinten Beschwerden gut und hebt den
Regierungsratsentscheid und die Abstimmung der Gemeindeversammlung von
Werthenstein über die Gemeindeinitiative auf.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Die in Art. 34 Abs. 2 BV als Grundrecht verankerte Abstimmungsfreiheit gibt
den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck
BGE 135 I 292 S. 294
bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid
gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung
treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die
Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die
Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der
Auseinandersetzung (BGE 132 I 104 E. 3.1 S. 108; BGE 131 I 442 E. 3.1 S. 447;
BGE 130 I 290 E. 3.1 S. 294; Urteil 1C_412/2007 vom 18. Juli 2008 E. 4; je mit
Hinweisen).
Das Ergebnis eines Urnengangs oder einer Abstimmung kann durch eine unzulässige
behördliche Beeinflussung der Stimmberechtigten verfälscht werden. Eine solche
fällt hinsichtlich von amtlichen Abstimmungserläuterungen, von andern amtlichen
Informationen im Vorfeld von Urnengängen oder von Erläuterungen anlässlich von
Gemeindeversammlungen in Betracht (unten E. 4.2). Umgekehrt können nach der
Rechtsprechung auch private Informationen im Vorfeld von Abstimmungen in
unzulässiger Weise die Willensbildung der Stimmberechtigten beeinträchtigen
(unten E. 4.1).
Im vorliegenden Fall beziehen sich die Beschwerdeführer für ihre Rüge der
Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV einerseits auf das Verhalten der Befürworter
der Gemeindeinitiative und deren Präsentation eines Dienstbarkeitsvertrages an
der Gemeindeversammlung, anderseits auf die behördliche Information dazu. In
beiderlei Hinsicht rügen sie Verletzungen der Abstimmungsfreiheit.

3. Stein des Anstosses bildet im vorliegenden Fall der Umstand, dass die
Befürworter der Gemeindeinitiative anlässlich der Gemeindeversammlung vom 28.
April 2008 einen Dienstbarkeitsvertrag von eben diesem Tage präsentierten und
erläuterten. Dieser soll im Falle des Kiesabbaus in den zu schaffenden Zonen
auf lange Zeit eine hinreichende Versorgung der Gemeinde mit Wasser
garantieren. Der Gemeinderat nahm in der Gemeindeversammlung zum Vertrag kurz
Stellung.
Das Thema Wasser hat die Auseinandersetzung um die Schaffung von Kiesabbauzonen
wesentlich geprägt. Im Vorfeld der Gemeindeversammlung vom 10. Mai 2006 wurde
auf die Frage der Sicherung der Trinkwasserversorgung und der Aufhebung von
Schutzzonen hingewiesen. Als Folge der Gemeindeinitiative bildete sich das
überparteiliche Komitee "Wasser ist Gold". Dieses befürchtet im Falle eines
Kiesabbaus negative Auswirkungen für die
BGE 135 I 292 S. 295
Trinkwasserversorgung auf Jahrzehnte hinaus. Vor der Gemeindeversammlung vom
28. April 2008 führte es Informationsveranstaltungen zu diesem Thema durch. In
der Botschaft zuhanden der Stimmberechtigten hielt das Komitee fest, niemand
könne genau vorhersagen, welches die Folgen des Kiesabbaus für die Quellen
seien; zurzeit bestünden keine Verträge für die Sicherung von Ersatzwasser. Die
Sorge um die Wasserversorgung bildete dann - neben den finanziellen Aspekten
und allfälligen Auswirkungen auf den kommunalen Finanzhaushalt - einen
wesentlichen Diskussionspunkt in der Gemeindeversammlung vom 28. April 2008.
Vor diesem Hintergrund war die Ankündigung eines Dienstbarkeits vertrages über
die Lieferung von Trinkwasser zwecks Sicherung der Wasserversorgung bedeutsam
und geeignet, die Willensbildung und -äusserung der Stimmberechtigten
anlässlich der Gemeindeversammlung zu beeinflussen. Unter dem Gesichtswinkel
von Art. 34 Abs. 2 BV gilt es daher zu prüfen, ob die Präsentation des
Dienstbarkeitsvertrages von Seiten der Initianten und durch die Behörden im
Hinblick auf die konkret in Frage stehende Abstimmung über die
Gemeindeinitiative und das Rückkommen auf den Zonenplan die Abstimmungsfreiheit
verletzt hat. Diese Prüfung ist ungeachtet des Umstandes vorzunehmen, dass die
Tragweite der Vereinbarung im Einzelnen erst bei einer allfälligen Ausscheidung
von Abbau- und Ablagerungszonen im vollen Ausmass zu gewichten sein wird.

4.

4.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung können private Informationen im
Vorfeld von Sachabstimmungen in unzulässiger Weise die Willensbildung der
Stimmberechtigten beeinflussen. Von einer unzulässigen Einwirkung wird etwa
dann gesprochen, wenn mittels privater Publikation in einem so späten Zeitpunkt
mit offensichtlich unwahren und irreführenden Angaben in den Abstimmungskampf
eingegriffen wird, dass es den Stimmberechtigten nach den Umständen unmöglich
ist, sich aus anderen Quellen ein zuverlässiges Bild von den tatsächlichen
Verhältnissen zu machen. In Anbetracht der Meinungsäusserungsfreiheit wird eine
derartige Beeinträchtigung nicht leichthin angenommen. Da insbesondere gewisse
übertreibende oder gar unwahre Behauptungen kaum vermieden werden können und
weil den Stimmberechtigten ein Urteil über die bekundeten Meinungen und
Übertreibungen zugetraut werden darf, fällt die Aufhebung einer Abstimmung nur
unter grösster Zurückhaltung und bei ganz schwerwiegenden Verstössen in
Betracht
BGE 135 I 292 S. 296
(BGE 119 Ia 271 E. 3c S. 274 f.; BGE 118 Ia 259 E. 3 S. 262 und 263; Urteil
1C_393/2007 vom 18. Februar 2008 E. 5; je mit Hinweisen).
Ernst Bieri vom Komitee für die Gemeindeinitiative hat den
Dienstbarkeitsvertrag an der Gemeindeversammlung vorgestellt. Er hielt gemäss
Protokoll u.a. das Folgende fest:
"Die Abbaufirma F+M Kies AG werde der Aufforderung zur Verpflichtung von
Ersatzwasser bei einer Aufhebung der Schutzzone um die Aregger-Quelle (...)
nachleben. Heinz Bieri informiert, dass die F+M Kies AG mit heutigem Datum mit
einem Grundeigentümer (...) einen Dienstbarkeitsvertrag betreffend eines
Wasserentnahmerechtes abgeschlossen hat. Es handelt sich dabei um ein
Wasserentnahmerecht mit einer Menge von 800 bis 1'200 Minuten-Litern. Somit ist
das Ersatzwasser für die Gemeindewasserversorgung Werthenstein bei einer
Aufhebung der Wasserschutzzone im Zusammenhang mit der Abbauetappe 3 dinglich
garantiert. Es steht also mehr als genügend Ersatzwasser zur Verfügung; eine
weitere Angstmacherei ist nun völlig fehl am Platz. Der vorerwähnte
Dienstbarkeitsvertrag werde im Grundbuch eingetragen."
"Es handelt sich um Ersatzwasser mit einer Kapazität von 800 bis 1'200
Minuten-Litern. Dieses Ersatzwasser sei vertraglich gesichert; der
Dienstbarkeitsvertrag wird auch im Grundbuch eingetragen."
"Heinz Bieri verweist einmal mehr bezüglich des gesicherten Ersatzwassers auf
den am 28. April 2008 abgeschlossenen Dienstbarkeitsvertrag. Der
Vertragsschluss erfolgte absichtlich erst unmittelbar vor der
Gemeindeversammlung und dies aus einem guten Grund. Denn bei der Suche nach
Ersatzwasser durch die Kiesgrubenbetreiberin im Vorfeld der Gemeindeversammlung
haben Exponenten des Komitees 'Wasser ist Gold' ihre negativen Einflüsse auf
den durch ... kontaktierten Grundeigentümer geltend machen wollen. Aus diesem
Grunde wurde der Name des dienstbarkeitsbelasteten Grundeigentümers bewusst
noch nicht bekannt gemacht. Heinz Bieri bestätigt, dass Ersatzwasser
vertraglich gesichert und somit der Vorwand des Komitees 'Wasser ist Gold'
beseitigt ist."
Bei der Beurteilung dieser Aussagen ist davon auszugehen, dass anlässlich der
Gemeindeversammlung ein - an demselben Tage abgeschlossener und unterzeichneter
- Dienstbarkeitsvertrag zwischen einem Grundeigentümer und der F+M Kies AG
tatsächlich vorlag. Er trägt den Titel "Wasserentnahmerecht" und bezweckt nach
seinem Wortlaut die "Sicherstellung der Wasserversorgung für die Gemeinde
Werthenstein mit hinreichendem Trinkwasser".
In der Diskussion ist ausgeführt worden, dass das Ersatzwasser vertraglich
gesichert sei, aber auch, dass es dinglich garantiert sei und der Vertrag im
Grundbuch eingetragen werde. Mit Blick auf den Abstimmungsgegenstand kann in
dieser Schilderung keine Irreführung
BGE 135 I 292 S. 297
der Stimmberechtigten erblickt werden. Der blosse Dienstbarkeitsvertrag als
solcher entfaltet zwar ohne Grundbucheintrag keine dingliche Wirkung. Es ist
indes hinreichend darauf hingewiesen worden, dass es noch eines Eintrages ins
Grundbuch bedürfe und ein solcher noch ausstehe. Bei dieser Sachlage konnten
sich die Stimmberechtigten insoweit ein hinreichendes Bild über die Sachlage
machen.
Verschiedene Punkte blieben offen oder wurden von den Initianten nicht
angesprochen, wie der Beschwerdeführer 2 ausführt. Zurzeit bestehen die für die
Wasserzuführung erforderlichen Durchleitungsrechte noch nicht; die Frage der
Grundwasserschutzzonen und einer kantonalen Konzession scheinen noch kaum
geklärt; über die technische, betriebliche und wirtschaftliche Machbarkeit
wurden den Stimmberechtigten keine Angaben gemacht, ebenso wenig über die
Wasserqualität.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist der Umstand, dass die Initianten an der
Gemeindeversammlung von der Sicherstellung einer Kapazität von 800 bis 1'200
Minuten-Litern sprachen. Dieses Ersatzwasser sei vertraglich gesichert, die
Verpflichtung erlange mit dem Grundbucheintrag dingliche Wirkung. Bei genauem
Hinsehen schliesst der Dienstbarkeitsvertrag die Gewähr für eine entsprechende
Menge gerade ausdrücklich aus. In Ziff. 4 des Vertrages heisst es: "Der
Grundeigentümer der Parzelle ... übernimmt keine Gewähr für die Ergiebigkeit
der Wasserfassung. Aufgrund der durchgeführten Bohrungen kann mit einer Menge
von 800 bis 1'200 Litern pro Minute gerechnet werden." Bei dieser Sachlage
handelt es sich bei der von Seiten der Exponenten der Gemeindeinitiative
vorgebrachten Zusicherung bestimmter Wassermengen um offensichtlich unwahre und
irreführende Angaben.

4.2 Wie dargelegt, kann das Ergebnis einer Abstimmung durch eine unzulässige
behördliche Beeinflussung der Stimmberechtigten verfälscht werden. Eine solche
fällt auch hinsichtlich von Erläuterungen von Gemeindebehörden anlässlich von
Gemeindeversammlungen in Betracht (vgl. namentlich Urteil 1P.113/2004 E. 4 und
5, in: ZBl 106/2005 S. 246; Urteil 1P.720/1999 vom 16. Februar 2000 E. 2 und
4). Es ist nicht bestritten, dass Gemeindebehörden an Gemeindeversammlungen -
gleich wie in Abstimmungserläuterungen vor Volksabstimmungen - Vorlagen
erklären und zur Annahme oder Ablehnung empfehlen dürfen. Für ihre Beurteilung
und den aus
BGE 135 I 292 S. 298
Art. 34 Abs. 2 BV fliessenden Anforderungen kann auf die Rechtsprechung zu den
Abstimmungserläuterungen abgestellt werden. Danach sind die Behörden zur
Objektivität verpflichtet, sie dürfen Zweck und Tragweite einer Vorlage nicht
falsch darstellen. Die Behörde muss sich nicht mit jeder Einzelheit einer
Vorlage befassen und nicht alle denkbaren Einwendungen, welche gegen eine
Vorlage erhoben werden können, erwähnen. Das Gebot der Sachlichkeit verbietet
indessen, in den Erklärungen für den Entscheid des Stimmbürgers wichtige
Elemente zu unterdrücken oder Argumente von gegnerischen Referendums- oder
Initiativkomitees falsch wiederzugeben (BGE 132 I 104 E. 4 S. 111; BGE 130 I
290 E. 3.2 S. 294; BGE 119 Ia 271 E. 3b S. 273; BGE 112 Ia 129 E. 3b S. 135;
Urteil 1C_412/2007 vom 18. Juli 2008 E. 5 und 6; Urteile 1P.582/2005 vom 20.
April 2006 E. 2, in: ZBl 108/2007 S. 275; 1P.63/1997 vom 18. Juni 1997 E. 4a,
in: ZBl 99/1998 S. 89; 1P. 280/1999 vom 7. Dezember 1999 E. 2a, in: Pra 2000
Nr. 23).
Im vorliegenden Fall sind den Stimmberechtigten von Seiten der Gemeindebehörden
(Gemeinderat bzw. Präsident der Gemeindewasserversorgungskommission) zum
Abstimmungsgegenstand und insbesondere zum Dienstbarkeitsvertrag gemäss
Protokoll die folgenden Informationen zugekommen:
"Gemeinderat Beat Bucheli erläuterte die Vorlage zu Beginn in allgemeiner
Weise. Im Verlaufe der Diskussion hielt er fest, dass das Problem
'Grundwasserschutzzone Bergboden Wolhusen' unabhängig von einem möglichen
Einbezug des Gebietes Schwanden/Obermoss/Sulzig bekannt sei. Weiter führte er
aus: 'Die Existenz eines Dienstbarkeitsvertrages mit der Bestätigung des
Ersatzwassers wird durch den Gemeinderat Werthenstein bestätigt. Der
entsprechende Dienstbarkeitsvertrag wurde am Montagnachmittag, 28. April 2008
dem Gemeinderat ausgehändigt.' Weiter: 'GP Beat Bucheli bestätigt einmal mehr,
dass der Dienstbarkeitsvertrag dem Gemeinderat erst am
Gemeindeversammlungsantrag bekannt geworden ist. Die Firma F+M Kies AG mag wohl
Gründe haben, wieso erst zu diesem Zeitpunkt informiert wurde. Im Übrigen weist
Beat Bucheli darauf hin, dass der Dienstbarkeitsvertrag für die Sicherung des
Ersatzwassers nicht Bestandteil des Gemeindeversammlungsthemas
'Gemeindeinitiative' sei'."
"Werner Imbach schätzt sich als Präsident der
Gemeindewasserversorgungskommission glücklich, wenn das mit dem
Dienstbarkeitsvertrag gesicherte Wasser innerhalb der nächsten 20 bis 30 Jahren
ins Leitungsnetz eingespiesen werden kann."
Die Ausführungen von Gemeindepräsident Bucheli können nicht als irreführend
bezeichnet werden. Der Gemeindepräsident bestätigte
BGE 135 I 292 S. 299
die Existenz eines Dienstbarkeitsvertrages sowie den Umstand, dass dieser
(erst) am Nachmittag den Gemeindebehörden überbracht worden war. Es ist nicht
zu beanstanden, dass dabei von "Bestätigung des Ersatzwassers" die Rede war.
Die Redewendung darf aus dem Zusammenhang heraus als Hinweis auf den Titel des
Vertrages betrachtet werden. Die Aussage kann nicht in dem Sinne verstanden
werden, dass der Gemeindepräsident den Stimmberechtigten die Garantie abgegeben
hätte, mit dem Dienstbarkeitsvertrag sei die Trinkwasserversorgung auch für den
Fall eines Kiesabbaus in jeder Hinsicht tatsächlich und rechtlich gesichert.
Der Verlauf der Verhandlung zeigt vielmehr, dass sich der Gemeindepräsident
weitgehend aus der Diskussion heraushielt, von einer Wertung des
Dienstbarkeitsvertrages absah, dazu nicht eigentlich Position bezog und
zutreffend bemerkte, der Dienstbarkeitsvertrag bilde nicht Gegenstand der
Gemeindeinitiative. Demnach kann nicht gesagt werden, der Gemeindepräsident
habe das Objektivitätsgebot verletzt oder die Abstimmungsvorlage und die
Begleitumstände unsachlich wiedergegeben.
Auch die Aussage von Werner Imbach, des Präsidenten der Ge, kann entgegen der
Auffasder Beschwerdeführer nicht als irreführend bezeichnet werden.Protokoll
kann keineswegs entnommen werden, dass dieser die Wasserversorgung wegen des
ins Spiel gebrachten Vertrages als gesichert bezeichnet hätte. Wie der
Regierungsrat ausgeführt hat, darfdas Votum so verstanden werden, dass dieser
sich glücklich schätzen würde, wenn die Trinkwasserversorgung auf diesem Wege
tatsäfür die nächsten dreissig Jahre gesichert werden könnte.

4.3 Eine gesamthafte Betrachtung der Situation anlässlich der
Gemeindeversammlung zeigt, dass die Initianten der Gemeindeinitiative mit der
Präsentation des Dienstbarkeitsvertrages für eine ausgesprochene Überraschung
sorgten. Der Vertrag, vom Beschwerdeführer 2 verständlicherweise als "deus ex
machina" bezeichnet, ist erst am Nachmittag dem Gemeinderat ausgehändigt und am
Abend den Stimmberechtigten erstmals bekanntgemacht worden. Verschiedene
Stimmberechtigte gaben ihrem Erstaunen über den Zeitpunkt des Abschlusses und
der Präsentation des Vertrages Ausdruck. Es ist mit den Grundzügen der
demokratischen Meinungsbildung zwar vereinbar, einzelne Argumente aus
taktischen Gründen zurückzuhalten und im best erscheinenden Moment in die
Diskussion einzubringen. Das Taktieren findet allerdings seine Grenzen, wo die
BGE 135 I 292 S. 300
Fairness der Auseinandersetzung nicht gewahrt ist und der umfassende Prozess
der Meinungsbildung der Stimmberechtigten beeinträchtigt wird. Das kann
zutreffen, wenn in einem späten Zeitpunkt nicht bloss persönliche Meinungen und
Einschätzungen vorgebracht, sondern massgebliche Dokumente ins Spiel gebracht
werden, die einer Prüfung bedürften. Für behördliche Unterlagen sieht das
Stimmrechtsgesetz vom 25. Oktober 1988 des Kantons Luzern (SRL 10) in § 22 Abs.
1 gar vor, dass die einer Abstimmungsvorlage zugrunde liegenden Akten während
zwei Wochen eingesehen werden können. Im vorliegenden Fall hatten die
Stimmberechtigten in keiner Weise die Möglichkeit, den Dienstbarkeitsvertrag
einzusehen und zu prüfen. Gemäss Protokoll ist der Vertrag nicht vorgelesen
worden. Damit fiel eine zuverlässige Willensbildung von vornherein schwer.
Ausschlaggebendes Gewicht kommt in der vorliegenden Konstellation dem Umstand
zu, dass der für die Abstimmung über die Gemeindeinitiative wichtige
Dienstbarkeitsvertrag, wie oben dargelegt, in einem äusserst späten Zeitpunkt
präsentiert und unzutreffend dargestellt worden ist: Die Aussage über die
Zusicherung bestimmter Wassermengen war offensichtlich unwahr und irreführend.
In der konkreten Situation konnten die Stimmberechtigten die unzutreffenden
Angaben über den Dienstbarkeitsvertrag in keiner Weise mehr überprüfen. Damit
sind sie irregeführt und in ihrer Abstimmungsfreiheit beeinträchtigt worden.
Überdies lässt der Verhandlungsverlauf eine gewisse Verunsicherung erkennen.
Die Ausführungen des Gemeindepräsidenten zeigen, dass der Gemeinderat den
Dienstbarkeitsvertrag offenbar noch nicht prüfen und dessen Tragweite weder im
Hinblick auf die Abstimmung über die Gemeindeinitiative noch mit Bezug auf eine
allfällige Ausscheidung von Abbauzonen abschätzen konnte. Der Gemeindepräsident
war daher nicht in der Lage, die mit der neuen Konstellation konfrontierten
Stimmberechtigten über allfällige Konsequenzen aufzuklären und seiner
Informationspflicht gegenüber den Stimmbürgern in einer der Situation
angemessenen Weise nachzukommen. Von daher hätte geprüft werden können, das
Geschäft bis zur Klärung der neuen Situation auszusetzen.
In Anbetracht all dieser Umstände kann nicht gesagt werden, dass im
vorliegenden Fall der umfassende Prozess der Meinungsbildung der
Stimmberechtigten und die Offenheit der direktdemokratischen Entscheidfindung
gewahrt gewesen sind. Es zeigt sich vielmehr,
BGE 135 I 292 S. 301
dass die Abstimmung über die Gemeindeinitiative unter Umständen erfolgte,
welche es nicht erlaubten, den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig
zu bilden und unverfälscht zum Ausdruck zu bringen und demnach den
demokratischen Mehrheitsentscheid zu legitimieren. Damit erweist sich die Rüge
der Verletzung von Art. 34 Abs. 2 BV als begründet.

4.4 Stellt das Bundesgericht Mängel fest, so hebt es den Urnengang oder die
Abstimmung nur auf, wenn die gerügten Unregelmässigkeiten erheblich sind und
das Ergebnis beeinflusst haben könnten. Die Auswirkungen brauchen von den
Beschwerdeführern nicht nachgewiesen zu werden; vielmehr genügt es, wenn eine
derartige Beeinflussung im Bereiche des Möglichen liegt. Mangels einer
ziffernmässigen Feststellung der Auswirkung eines Verfahrensmangels ist dessen
Einfluss auf das Abstimmungsergebnis nach den gesamten Umständen und
grundsätzlich mit freier Kognition zu beurteilen. Dabei wird namentlich auf die
Schwere des festgestellten Mangels und dessen Bedeutung im Rahmen der gesamten
Abstimmung sowie auf die Grösse des Stimmenunterschiedes abgestellt. Erscheint
die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre,
nach den gesamten Umständen als derart gering, dass sie nicht mehr ernsthaft in
Betracht fällt, so kann von der Aufhebung der Abstimmung abgesehen werden (vgl.
zum Ganzen BGE 132 I 104 E. 3.3 S. 110; BGE 130 I 290 E. 3.4 S. 296; Urteil
1P.582/2005 vom 20. April 2006 E. 2, in: ZBl 108/2007 S. 275; Urteil 1P.113/
2004 vom 25. August 2004 E. 2.2, in: ZBl 106/2005 S. 246).
Der festgestellte Mangel bei der Diskussion und Abstimmung über die
Gemeindeinitiative wiegt schwer und war geeignet, sich auf das Resultat
auszuwirken. Die gesamten Umstände erlaubten es den Stimmberechtigten nicht,
sich in einer den Anforderungen von Art. 34 Abs. 2 BV entsprechenden Weise über
die Tragweite des ins Spiel gebrachten Dienstbarkeitsvertrages eine eigene
korrekte Meinung zu bilden. Der damit eng zusammenhängenden Thematik der Sorge
um Wasser und Wasserversorgung kam grosse Bedeutung zu. Daran ändert der
Umstand nichts, dass auch die finanziellen Auswirkungen eines allfälligen
Kiesabbaus - mit entsprechenden Einnahmen für die Gemeinde in Anbetracht der
bestehenden Finanzschwierigkeiten - kontrovers diskutiert worden sind. Das in
geheimer Abstimmung ermittelte Ergebnis von 201 Ja gegen 179 Nein ist als eher
knapp zu bezeichnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Abstimmung
ohne Präsentation des Dienstbarkeitsertrages
BGE 135 I 292 S. 302
bzw. mit einer korrekten und umfassenderen Darstellung der Vereinbarung anders
ausgefallen wäre.
Bei dieser Sachlage sind in Gutheissung der Beschwerden der angefochtene
Entscheid des Regierungsrates und die Abstimmung in der Gemeindeversammlung
über die Gemeindeinitiative aufzuheben.