Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 I 261



Urteilskopf

135 I 261

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und
Y. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft (Beschwerde in Strafsachen)
1B_7/2009 vom 16. März 2009

Regeste

Art. 80 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.
Beschwerden gegen verfahrensleitende Verfügungen des Strafkammerpräsidiums des
Bundesstrafgerichtes sind unter den Voraussetzungen von Art. 92-94 BGG
zulässig. Im vorliegenden Fall wurde ein privater Wahlverteidiger wegen
Interessenkollisionen nicht zugelassen; Bejahung eines drohenden nicht wieder
gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (E. 1.1-1.4).

Sachverhalt ab Seite 262

BGE 135 I 261 S. 262

A. Vor der Strafkammer des Bundesstrafgerichts ist ein Strafverfahren hängig
gegen Y. und weitere Mitangeklagte wegen Unterstützung bzw. Beteiligung an
einer kriminellen Organisation und Geldwäscherei. Rechtsanwalt X. trat nach
Einleitung des Ermittlungsverfahrens als privater Verteidiger von Y. und Z.
auf.

B. Mit rechtskräftiger Verfügung vom 2. September 2004 liess die
Bundesanwaltschaft (BA) den privaten Verteidiger wegen Interessenkollisionen
nicht weiter zu. Mit ebenfalls in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 1.
September 2004 ernannte die BA Rechtsanwalt A. als amtlichen Verteidiger von
Y., nachdem dieser (trotz entsprechender Aufforderung der BA) keinen neuen
erbetenen Privatverteidiger gemeldet hatte.

C. Mit Schreiben vom 18. bzw. 21. November 2008 ersuchte Rechtsanwalt X. um
Wiederzulassung als erbetener privater Verteidiger von Y. Am 19. Dezember 2008
wies der Präsident der Strafkammer des Bundesstrafgerichts das Gesuch ab.

D. Gegen die Präsidialverfügung der Strafkammer vom 19. Dezember 2008 gelangten
Rechtsanwalt X. sowie Y. mit Beschwerde vom 16. Januar 2009 an das
Bundesgericht. Sie beantragen (in der Hauptsache) die Zulassung des X. als
erbetener privater Verteidiger des Y. im hängigen gerichtlichen Hauptverfahren.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Strafprozessuale Zwischenentscheide der Strafkammer des Bundesstrafgerichts
sind (unter den Voraussetzungen von Art. 92-94 BGG) grundsätzlich anfechtbar
(Art. 80 Abs. 1 BGG). Dies gilt grundsätzlich auch für verfahrensleitende
Entscheide des Präsidenten der Strafkammer (vgl. BGE 134 IV 237). Im Gegensatz
zu Art. 79 BGG (Entscheide der Beschwerdekammer) beschränkt das Gesetz die
Anfechtbarkeit nicht auf Zwangsmassnahmenentscheide der Strafkammer.
BGE 135 I 261 S. 263

1.1 Zu prüfen ist, ob die Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG erfüllt sind:

1.2 Als oberste rechtsprechende Behörde des Bundes soll sich das Bundesgericht
in der Regel nur einmal mit der gleichen Streitsache befassen müssen. Nach
ständiger Praxis zu Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (und schon zum altrechtlichen
Art. 87 Abs. 2 OG) ist ein Vor- oder Zwischenentscheid daher nur ausnahmsweise
anfechtbar, sofern ein konkreter rechtlicher Nachteil droht, der auch durch
einen (für die rechtsuchende Partei günstigen) Endentscheid nachträglich nicht
mehr behoben werden könnte (BGE 134 I 83 E. 3.1 S. 86 f.; BGE 134 IV 43 E. 2.1
S. 45; BGE 133 IV 139 E. 4 S. 141, BGE 133 IV 288 E. 3.1 S. 291, 335 E. 4 S.
338; je mit Hinweisen). Der blosse Umstand, dass es sich beim
Offizialverteidiger nicht um den Wunsch- bzw. Vertrauensanwalt des
Angeschuldigten handelt, schliesst eine wirksame und ausreichende Verteidigung
nicht aus. Die Ablehnung eines Gesuches des Angeschuldigten um Auswechslung des
Offizialverteidigers begründet daher grundsätzlich keinen nicht wieder
gutzumachenden Rechtsnachteil im Sinne des Gesetzes (BGE 126 I 207 E. 2b S.
211). Anders kann der Fall liegen, wenn der amtliche Verteidiger seine
Pflichten erheblich vernachlässigt (vgl. BGE 120 Ia 48 E. 2 S. 50 ff.) oder
wenn die Strafjustizbehörden gegen den Willen des Angeschuldigten und seines
Offizialverteidigers dessen Abberufung anordnen (BGE 133 IV 335 E. 4 S. 339).

1.3 Die Beschwerdeführer sehen einen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit.
a BGG darin, dass Y. im hängigen Gerichtsverfahren nicht vom Anwalt seines
Vertrauens verteidigt werde. Der Nachteil könne innert nützlicher Frist nicht
behoben werden, da eine rückwirkende Korrektur nicht möglich wäre. Dies gelte
auch im Hinblick auf eine allfällige neue Prüfung der prozessualen Rügen durch
die Strafkammer des Bundesstrafgerichts.

1.4 Die Beschwerdeführer verlangen die forensische Zulassung von Rechtsanwalt
X. als privater Wahlverteidiger im hängigen Gerichtsverfahren. Y. wird seit dem
1. September 2004 durch seinen amtlichen Verteidiger A. vertreten. Die
Beschwerdeführer beantragen keine Abberufung des Offizialverteidigers (und
keine Einsetzung von X. als neuer Offizialverteidiger). Ebenso wenig wird in
der Beschwerdeschrift geltend gemacht, dass der amtliche Verteidiger seine
Pflichten vernachlässigt hätte. Allerdings könnte durch die Nichtzulassung von
X. als erbetener Verteidiger bewirkt werden, dass dem
BGE 135 I 261 S. 264
Y. eine (ausschliessliche) Offizialverteidigung faktisch aufgedrängt bzw. die
(zusätzliche) Interessenvertretung durch den gewünschten Privatverteidiger
verunmöglicht würde. Dies könnte gegebenenfalls im Widerspruch stehen zum
Anspruch des Angeklagten auf erbetene (privat finanzierte) Verteidigung durch
den Anwalt seiner Wahl (vgl. Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK; Art. 14 Abs. 3 lit. d
UNO-Pakt II [SR 0.103.2]; Art. 32 Abs. 2 Satz BV). Insofern kann hier ein
drohender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bejaht werden.