Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 I 187



Urteilskopf

135 I 187

22. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
und Betreibungsamt Brugg (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_780/2008 vom 9. Februar 2009

Regeste

Art. 76 Abs. 1 BGG; Beschwerdeberechtigung.
Der Betreibungsgläubiger, der am vorinstanzlichen Verfahren nicht teilnehmen
konnte, ist zur Beschwerde gegen die Aufhebung der Nachpfändung berechtigt (E.
1.3).

Regeste

Art. 29 Abs. 2 BV; Anspruch auf rechtliches Gehör im Beschwerdeverfahren gemäss
Art. 17 f. SchKG.
Der Gehörsanspruch des Betreibungsgläubigers ist verletzt, wenn die kantonale
Aufsichtsbehörde eine Nachpfändung aufhebt, ohne zuvor Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben (E. 1 und 2).

Sachverhalt ab Seite 188

BGE 135 I 187 S. 188
X. und drei weitere Gläubiger stellten am 13. Juni 2008 gestützt auf ihre
provisorischen Verlustscheine beim Betreibungsamt Brugg den Antrag (nach Art.
115 Abs. 3 SchKG), es sei das Guthaben des Schuldners Y. bei der Kantonalbank
A. (Konto Nr. x) nachzupfänden. Noch am gleichen Tag teilte das Betreibungsamt
der Kantonalbank (mit Anzeige gemäss Art. 99 SchKG) mit, dass die Forderung aus
dem Guthaben bis zum Betrag von Fr. 66'000.- rechtsgültig nur noch an das Amt
geleistet werden könne. Am 19. Juni 2008 kündigte das Betreibungsamt dem
Schuldner in der Betreibung Nr. z die Nachpfändung auf den 24. Juni 2008 an.
Mit Beschwerde vom 24. Juni 2008 (Datum des Vollzugs der Nachpfändung) erhob Y.
Beschwerde und machte u.a. geltend, wegen der Massnahme des Betreibungsamtes
betreffend das Guthaben auf seinem Geschäftskonto könne er (als praktizierender
Arzt) ausstehende Löhne und Mietzinsen nicht fristgerecht bezahlen.
Mit Entscheid vom 22. Juli 2008 wies das Gerichtspräsidium Brugg als untere
betreibungsrechtliche Aufsichtsbehörde die Beschwerde von Y. ab, soweit darauf
eingetreten wurde. Gegen diesen Entscheid gelangte Y. an das Obergericht des
Kantons Aargau,
BGE 135 I 187 S. 189
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als obere betreibungsrechtliche
Aufsichtsbehörde, welche die Beschwerde mit Entscheid vom 14. Oktober 2008
guthiess und die Pfändung der Forderung aus dem Guthaben auf dem betreffenden
Konto bei der Kantonalbank aufhob.
X. als Betreibungsgläubigerin führt mit Eingabe vom 13. November 2008
Beschwerde in Zivilsachen. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht,
den Entscheid der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde vom 14. Oktober 2008
aufzuheben und den Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde bzw. die Verfügung
des Betreibungsamtes zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Gegenstand des angefochtenen Beschwerdeentscheides ist die am 19. Juni 2008
auf den 24. Juni 2008 angekündigte, offenbar gleichentags vollzogene
Nachpfändung einer Forderung (Art. 115 Abs. 3 SchKG). Die obere
Aufsichtsbehörde hat vorliegend nicht über die vom Betreibungsamt am 13. Juni
2008, mithin vorsorglich erlassene Anzeige an den Drittschuldner (Art. 99
SchKG), sondern über die Pfändbarkeit des umstrittenen Guthabens entschieden
und mit dem angefochtenen Entscheid die Forderungspfändung aufgehoben.

1.2 Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der
Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 19 SchKG).
Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1
BGG). Beschwerdeentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden über Verfügungen
der Vollstreckungsorgane gemäss Art. 17 SchKG - wie hier die Nachpfändung -
sind Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 133 III 350 E. 1.2 S. 351).
Der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde ist unabhängig von einer
gesetzlichen Streitwertgrenze anfechtbar (Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG). Die
fristgerecht erhobene Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich zulässig
(Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG).

1.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Verfahren vor der Vorinstanz keine
Möglichkeit zur Teilnahme erhalten zu haben, was von der oberen
Aufsichtsbehörde in der Vernehmlassung bestätigt wird. Sie hat - als
Betreibungsgläubigerin - ohne Weiteres ein
BGE 135 I 187 S. 190
rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides
(vgl. BGE 135 III 46 E. 4), mit welchem die Forderungspfändung aufgehoben
wurde. Die Beschwerdeberechtigung gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG ist gegeben.

1.4 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann unter anderem die Verletzung von
Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der
Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört.

2.

2.1 Die Beschwerdeführerin wirft der oberen Aufsichtsbehörde die Verletzung
ihres rechtlichen Gehörs vor. Sie habe keine Kenntnis vom Beschwerdeverfahren
gehabt; die Vorinstanz habe ihr keine Gelegenheit gegeben, sich zur Beschwerde
des Beschwerdegegners zu äussern, sondern ihr einzig den in ihre Rechtsstellung
eingreifenden Entscheid zugestellt.

2.2 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV steht den Parteien das rechtliche Gehör zu. Dieser
Anspruch ist formeller Natur, womit seine Verletzung ungeachtet der materiellen
Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur
Aufhebung des angefochtenen Entscheides führt (BGE 125 I 113 E. 3 S. 118; BGE
122 II 464 E. 4a S. 469). Das rechtliche Gehör dient einerseits der Klärung des
Sachverhaltes, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des
Betroffenen, sich vor Erlass eines ihn belastenden Entscheides zur Sache zu
äussern und an der Erhebung wesentlicher Beweise mitzuwirken oder sich
zumindest zum Beweisergebnis äussern zu können, wenn dieses geeignet ist, den
Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56).

2.3 Im vorliegenden Fall hat die obere Aufsichtsbehörde die von der
Beschwerdeführerin anbegehrte Nachpfändung einer Forderung aufgehoben. Die
Beschwerdeführerin ist durch die Aufhebung der Nachpfändung in ihrer
Rechtsstellung als Gläubigerin unmittelbar betroffen. Sie hätte vor Erlass des
Entscheides über die Aufhebung der Nachpfändung angehört werden müssen, da sich
dieser für sie belastend auswirkt. Die obere Aufsichtsbehörde räumt in ihrer
Vernehmlassung selber ein, dass der Beschwerdeführerin vor Erlass des
Entscheides versehentlich keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden
sei. Indem die obere Aufsichtsbehörde ihr
BGE 135 I 187 S. 191
keine Gelegenheit gegeben hatte, sich zum Verfahren und Entscheid zu äussern,
ist das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt worden. Der
angefochtene Entscheid ist somit aufzuheben, ohne dass die von der
Beschwerdeführerin überdies geltend gemachten Rechtsverletzungen noch zu prüfen
wären.