Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 IV 221



Urteilskopf

135 IV 221

33. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_975/2008 vom 4. Juni 2009

Regeste

Art. 6 OBG; Bezahlung einer Ordnungsbusse.
Bezahlt der Täter die Busse nicht innert dreissigtägiger Frist, ist das
ordentliche Verfahren einzuleiten. Dies gilt auch für den Fall, dass der
Gebüsste innert Zahlungsfrist in Aussicht stellt, die Busse ratenweise zu
tilgen. Längere Zahlungsfristen und die Möglichkeit von Ratenzahlungen
widersprechen dem gesetzlichen Ziel, eine rasche und sinnvolle Handhabung der
Übertretungen im Ordnungsbussenverfahren zu ermöglichen (E. 2.2).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 221

BGE 135 IV 221 S. 221
Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Umstritten ist, ob gestützt auf Art. 6 des Ordnungsbussengesetzes vom 24.
Juni 1970 (OBG; SR 741.03) das ordentliche
BGE 135 IV 221 S. 222
Verfahren einzuleiten ist, wenn der Gebüsste innert Zahlungsfrist in Aussicht
stellt, die Busse ratenweise zu tilgen.

2.2 Art. 6 OBG steht unter der Marginalie "Bezahlung". Nach dessen Abs. 3
erhält der Täter, wenn er die Busse nicht sofort bezahlt, ein
Bedenkfristformular. Zahlt er innert Frist, so wird das Formular vernichtet.
Andernfalls leitet die Polizei das ordentliche Verfahren ein. Der Wortlaut der
genannten Bestimmung hält somit fest, dass das ordentliche Verfahren
einzuleiten ist, wenn der Täter weder sofort noch innert (dreissigtägiger)
Frist bezahlt. Die Möglichkeit von Fristerstreckungen oder Ratenzahlungen sieht
der Gesetzeswortlaut nicht vor. Dementsprechend wird der Gebüsste gemäss lit. B
Ziff. 1 Anhang 2 der Ordnungsbussenverordnung vom 4. März 1996 (OBV; SR
741.031) auf die Folgen der Nichtbezahlung hingewiesen.
Gemäss den Ausführungen in der Botschaft erachtet der Bundesrat die Einräumung
einer Zahlungsfrist, trotz der Einfachheit und Schnelligkeit des
Ordnungsbussenverfahrens, als sinnvoll, um den Verkehrssünder, der den
erforderlichen Geldbetrag gerade nicht auf sich trägt, nicht schlechter zu
stellen als denjenigen, der die Busse sofort begleichen kann (Botschaft vom 14.
Mai 1969 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im
Strassenverkehr, BBl 1969 I 1097 Ziff. 6). Die Einführung einer Zahlungsfrist
erfolgte demnach nicht, um Zahlungserleichterungen zu gewähren, sondern
vielmehr aus Praktikabilitätsgründen. Art. 6 OBG (in der seit 1. September 1996
gültigen Fassung) sieht neu eine Zahlungsfrist von 30 Tagen (vorher 10 Tage)
vor. Damit wird die Tatsache berücksichtigt, dass die Rechnungen oftmals nur
einmal im Monat beglichen werden und dass der Maximalbetrag der Busse von Fr.
100.- auf Fr. 300.- erhöht wurde (Botschaft vom 8. September 1993 über die
Änderung des Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr, BBl 1993
III 774 Ziff. 2). Längere Zahlungsfristen oder die Möglichkeit von
Ratenzahlungen werden in der Botschaft nicht erwähnt. Dass die Erhöhung des
Maximalbetrages zu einer längeren Zahlungsfrist geführt hat, ist zumindest ein
Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber Ratenzahlungen im Ordnungsbussenverfahren
nicht vorsehen wollte.
Die Möglichkeit, eine Ordnungsbusse innerhalb einer längeren als 30-tägigen
Frist oder in Raten zu begleichen, findet auch im Allgemeinen Teil des
Strafgesetzbuchs keine Stütze. Gemäss Art. 35
BGE 135 IV 221 S. 223
Abs. 1 StGB bestimmt die Vollzugsbehörde dem zu einer Geldstrafe Verurteilten
eine Zahlungsfrist von einem bis zu zwölf Monaten. Sie kann Ratenzahlung
anordnen und auf Gesuch die Fristen verlängern. Diese Bestimmung im Abschnitt
"Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, Freiheitsstrafe" gilt sinngemäss auch für
die im Strafgesetzbuch geregelten Übertretungsbussen kraft ausdrücklichen
Verweises in Art. 106 Abs. 5 StGB. Sie gilt ebenso für die in andern
Bundesgesetzen geregelten Übertretungen, sofern diese Bundesgesetze keine
abweichenden Bestimmungen enthalten (Grundsatz der Subsidiarität; vgl. Art. 333
Abs. 1 StGB). Auf das Ordnungsbussenverfahren findet Art. 35 Abs. 1 StGB
hingegen keine Anwendung. Art. 6 OBG, der explizit einzig eine Zahlungsfrist
von 30 Tagen vorsieht, geht als speziellere Bestimmung vor. Das
Ordnungsbussengesetz dispensiert von der Anwendung der
Strafzumessungsgrundsätze des Strafgesetzbuchs (vgl. Art. 1 Abs. 3 OBG, wonach
Vorleben und persönliche Verhältnisse des Täters unberücksichtigt bleiben) und
regelt darüber hinaus auch wenige rein verfahrensrechtliche Fragen der
vereinfachten Ahndung von Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften. Beim
Ordnungsbussenverfahren handelt es sich somit um ein formalisiertes und rasches
Verfahren. Als schematisiertes Verfahren sieht es für die gleichen Verstösse
für alle schuldhaft handelnden Täter die gleichen Bussen und
Vollzugsmodalitäten vor. Die in diesem Sinne fehlende Differenzierung ist dem
Ordnungsbussenverfahren immanent und zeichnet es gegenüber dem Geldsummensystem
und dem Tagessatzsystem aus.
Zweck von Art. 6 OBG ist es demnach, innert kurzer Frist eine vollständige
Tilgung der Busse sicherzustellen und somit eine rasche und sinnvolle
Handhabung der Übertretungen im Ordnungsbussenverfahren zu ermöglichen. Damit
wird im Bereich der Massendelinquenz auf den Strassen der Verwaltungsaufwand
gering gehalten und ein ordentliches Justizverfahren vermieden, wodurch das
Prinzip der Kostenfreiheit (Art. 7 OBG) seine Berechtigung erfährt. Dies setzt
jedoch die vollständige, fristgerechte Bezahlung der Busse voraus. Das
Bundesgericht hat erwogen, dass die Busse erst durch eine vollständige
Bezahlung rechtskräftig werde und dadurch das ordentliche Verfahren entfalle.
Werde die Busse innert Zahlungsfrist lediglich zur Hälfte beglichen, sei das
ordentliche Verfahren einzuleiten (Urteil 6S.395/2005 vom 11. Dezember 2005 E.
2). Ebenso sei das ordentliche Verfahren einzuleiten, wenn
BGE 135 IV 221 S. 224
die Frist verpasst worden sei (Urteil 6B_484/2007 vom 14. November 2007 E. 3.2;
vgl. auch YVAN JEANNERET, Procédures simplifiées et infractions routières,
Journées du droit de la circulation routière 5-6 juin 2008, S. 192 ff.).
Nichts anderes gilt, wenn der Gebüsste innert Zahlungsfrist in Aussicht stellt,
die Busse ratenweise zu begleichen. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, das
ordentliche Verfahren sei zu Unrecht eingeleitet worden, da er anerboten habe,
die Busse in fünf monatlichen Raten zu bezahlen, geht seine Rüge fehl. Das
Ordnungsbussengesetz nennt einzig eine Zahlungsfrist von 30 Tagen. Eine längere
Frist und die Möglichkeit von Ratenzahlungen sieht das Gesetz nicht vor und
lässt sich auch nicht den Materialien entnehmen. Ob eine ratenweise Zahlung der
Busse im Einklang mit Art. 6 OBG stünde, wenn sämtliche Raten innerhalb der
dreissigtägigen Frist bezahlt würden, kann an dieser Stelle offengelassen
werden.