Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 IV 198



Urteilskopf

135 IV 198

29. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. V. gegen
Schweizerische Bundesanwaltschaft und Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) (Beschwerde in Strafsachen)
6B_916/2008 vom 21. August 2009

Regeste

Beamtenbegriff (Art. 110 Abs. 3 StGB).
Der strafrechtliche Beamtenbegriff im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB erfasst
sowohl institutionelle als auch funktionelle Beamte. Bei Letzteren ist die
Funktion der Verrichtungen entscheidend. Bestehen diese in der Erfüllung
öffentlicher Aufgaben, so sind die Tätigkeiten amtlich und die sie
verrichtenden Personen Beamte im Sinne des Strafrechts (E. 3.3). Die SUVA als
selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes, welcher im Bereich der
Unfallversicherung ein Teilmonopol zukommt, übt öffentliche Aufgaben aus, so
dass sich der strafrechtliche Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die
Objektivität der Tätigkeit rechtfertigt. Dies gilt insbesondere auch für den
Bereich der Immobilienverwaltung, da diese der Sicherung der Renten der
versicherten Personen dient. Ein Immobilien-Portfoliomanager der SUVA wird
daher vom funktionellen Beamtenbegriff erfasst (E. 3.4.1).

Regeste

Vorteilsannahme (Art. 322^sexies StGB).
Der objektive Tatbestand von Art. 322^sexies StGB verlangt, dass die
Vorteilszuwendung im Hinblick auf die Amtsführung geschieht. Die Zuwendung muss
geeignet sein, die Amtsführung des Empfängers zu beeinflussen, und einen Bezug
zum künftigen Verhalten im Amt schlechthin aufweisen. Blosse Belohnungen
scheiden aus (E. 6.3).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 200

BGE 135 IV 198 S. 200
Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Auffassung der Vorinstanz, dass er als
Immobilien-Portfoliomanager der Beschwerdegegnerin 1 (SUVA) vom funktionellen
Beamtenbegriff im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB erfasst werde, verstosse gegen
Bundesrecht. Er sei zivilrechtlich angestellt gewesen, und im Bereich der
Liegenschaftsverwaltung als Vermögensverwaltung übe die Beschwerdegegnerin 1
keine hoheitliche Funktion aus. Zudem stamme ein überwiegender Teil der von der
Beschwerdegegnerin 1 verwalteten Versicherungsgelder aus nichtobligatorischen
Versicherungsbeiträgen. Zwar bestünden für die Anlage des
Rentendeckungskapitals Vorschriften des Verwaltungsrats der Beschwerdegegnerin
1. Analoge Vorschriften gebe es jedoch auch bei privatrechtlich organisierten
Unfallversicherungsgesellschaften. Ferner unterscheide sich ein
Portfoliomanager der Beschwerdegegnerin 1 in seiner Funktion in keiner Weise
von einem privatwirtschaftlichen Immobilienverwalter. Eine den staatlichen
Aufgabenbereich kennzeichnende hoheitliche Beziehung zu den Bürgern fehle
vollends, weshalb das von den Strafnormen des Korruptionsstrafrechts geschützte
Vertrauen der Allgemeinheit in die Objektivität und Sachlichkeit amtlicher
Tätigkeit nicht tangiert sei. Wer seine Tätigkeit im freien Wettbewerb mit der
privaten Konkurrenz ausübe, könne nicht als Beamter qualifiziert werden. Zudem
habe er die Geschenke "suvaintern" erhalten. Es stelle sich daher die Frage, ob
ein "Beamter" einen anderen "Beamten" bestechen könne, wollten die
Korruptionstatbestände doch Zahlungen von aussen abwenden.
Selbst wenn er aber objektiv als Beamter qualifiziert werde, so sei er sich
jedenfalls seines Beamtenstatus nicht bewusst gewesen, denn
BGE 135 IV 198 S. 201
er habe sich einzig als Liegenschaftsverwalter, nicht aber als Vertreter des
Staats gesehen.

3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, die Beschwerdegegnerin 1 sei eine selbständige
öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes, welche der Oberaufsicht des
Bundesrates unterstehe. Der Beschwerdegegnerin 1 stehe im öffentlichen
Aufgabenbereich der obligatorischen Unfallversicherung ein Teilmonopol zu. Zu
den öffentlichen Aufgaben zählten auch Tätigkeiten der Beschwerdegegnerin 1,
die der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung des Rentendeckungskapitals
dienten, was insbesondere auf die Kapitalanlage in Liegenschaften und alle
damit zusammenhängenden Tätigkeiten zutreffe. Der Beschwerdeführer als
Portfoliomanager für die Region Zentralschweiz und Graubünden habe damit
öffentliche Funktionen wahrgenommen und werde folglich vom funktionellen
Beamtenbegriff erfasst.
Der Beschwerdeführer sei 15 Jahre - zuletzt in leitender Stellung - bei der
Beschwerdegegnerin 1 angestellt gewesen. Es sei SUVA-intern bekannt, dass diese
öffentliche Aufgaben einer Sozialversicherung wahrnehme. Als Portfoliomanager
im Immobilienbereich habe der Beschwerdeführer gewusst, dass die von ihm
betreuten Immobilien der langfristigen Anlage von Prämiengeldern dienten,
weshalb ihm auch die zu wahrenden öffentlichen Interessen bekannt gewesen
seien.

3.3 Der strafrechtliche Beamtenbegriff im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB
erfasst sowohl institutionelle als auch funktionelle Beamte. Erstere sind die
Beamten im öffentlichrechtlichen Sinn sowie Angestellte im öffentlichen Dienst.
Bei Letzteren ist es nicht von Bedeutung, in welcher Rechtsform diese für das
Gemeinwesen tätig sind. Das Verhältnis kann öffentlichrechtlich oder
privatrechtlich sein. Entscheidend ist vielmehr die Funktion der Verrichtungen.
Bestehen diese in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, so sind die Tätigkeiten
amtlich und die sie verrichtenden Personen Beamte im Sinne des Strafrechts
(MARK PIETH, in: Basler Kommentar, Strafgesetzbuch, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 4
zu Art. 322^ter StGB; DANIEL JOSITSCH, Das Schweizerische
Korruptionsstrafrecht, Art. 322^ter bis Art. 322^octies StGB, 2004, S. 314 f.;
MARCO BALMELLI, Die Bestechungstatbestände des schweizerischen
Strafgesetzbuches, 1996, S. 103; ROLF KAISER, Die Bestechung von Beamten unter
Berücksichtigung des Vorentwurfs zur Revision des schweizerischen
Korruptionsstrafrechts, Zürich 1999, S. 92 ff.).
BGE 135 IV 198 S. 202
In der Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und
des Militärstrafgesetzes (Revision des Korruptionsstrafrechts) sowie über den
Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung
ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 19. April 1999
(Botschaft Korruptionsstrafrecht, BBl 1999 5497 ff.) wird zur Illustration des
strafrechtlichen Beamtenbegriffs folgendes Beispiel angeführt (BBl 1999 5525):
"Eine Beamtin der staatlichen Liegenschaftsverwaltung X nimmt ihr nicht
gebührende Vorteile für Wohnungszuweisungen entgegen. Sie kontrahiert namens
des Staates mit den jeweiligen Mietern privatrechtlich und unterscheidet sich
in ihrer Tätigkeit an sich nicht vom Angestellten einer privaten
Liegenschaftsverwaltung. Dennoch rechtfertigt die Tatsache, dass sie
Angestellte der staatlichen Liegenschaftsverwaltung ist, den strafrechtlichen
Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Objektivität ihrer Tätigkeit.
Die Liegenschaftsverwalterin ist auf Grund ihrer eigenen institutionellen
Einbindung in die staatliche Organisation in casu als Beamtin im Sinne von
Artikel 110 Ziffer 4 Satz 1 StGB zu qualifizieren. Die privatrechtliche Natur
der Kundenbeziehung ändert daran nichts."

3.4

3.4.1 Ausgehend von der dargestellten Rechtslage hat die Vorinstanz die
(funktionelle) Beamteneigenschaft des Beschwerdeführers zutreffend bejaht.
Entscheidend ist, dass die Beschwerdegegnerin 1 als selbständige
öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes (vgl. Art. 61 des Bundesgesetzes vom
20. März 1981 über die Unfallversicherung [UVG; SR 832.20]), welcher im Bereich
der Unfallversicherung ein Teilmonopol zukommt, öffentliche Aufgaben ausübt, so
dass sich der strafrechtliche Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die
Objektivität der Tätigkeit der Beschwerdegegnerin 1 rechtfertigt. Dies gilt
insbesondere auch für den Bereich der Immobilienverwaltung, da diese der
Sicherung der Renten der Versicherten dient. Dass ein Teil dieser
Versicherungsgelder aus nichtobligatorischen Versicherungsbeiträgen stammte,
ändert an der öffentlichen Funktion der Beschwerdegegnerin 1 nichts.

3.4.2 Zudem ist die Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht willkürfrei davon
ausgegangen, der Beschwerdeführer habe die nicht gebührenden Vorteile nicht
"SUVA-intern" erhalten. Vielmehr hat sie T. in diesem Zusammenhang der
Bestechung für schuldig befunden.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers würde sich im Ergebnis aber
nichts ändern, wenn er die Geschenke "SUVA-intern"
BGE 135 IV 198 S. 203
bekommen hätte, kann doch auch ein Amtsträger als Extraneus an der Tat
mitwirken (JOSITSCH, a.a.O., S. 321 f.; QUELOZ/BORGHI/CESONI, Processus de
corruption en Suisse, Bd. I, 2000, S. 332).

3.4.3 Des Weiteren hat die Vorinstanz, ohne in Willkür zu verfallen,
festgestellt, der Beschwerdeführer habe als Portfoliomanager um die
öffentlichen Aufgaben der Beschwerdegegnerin 1 als Sozialversicherung gewusst
und sei sich folglich bewusst gewesen, mit der von ihm getätigten Anlage der
Prämiengelder in Immobilien als Beamter im strafrechtlichen Sinne zu handeln.
(...)

6.

6.1 Betreffend den Schuldspruch wegen Vorteilsannahme in Bezug auf die
Liegenschaft Piazzale alla Valle in Mendrisio bringt der Beschwerdeführer vor,
er sei völlig überrascht gewesen, einen Barbetrag von Fr. 45'000.- und eine Uhr
der Marke Rolex geschenkt erhalten zu haben. Er habe das Geld nicht gewollt,
einer physischen Rückgabe der Vermögenswerte an W. sei aber dessen Verhaftung
entgegengestanden. Er habe sich daher entschieden, das Geld für W.
aufzubewahren und es ihm nach dessen Entlassung zurückzugeben. Er habe mithin
gar keinen Vorteil angenommen. Des Weiteren verlange der Tatbestand von Art.
322^sexies StGB, dass die Vorteilsannahme zukunftsgerichtet sein müsse, blosse
Belohnungen kämen daher im Gegensatz zum Tatbestand von Art. 322^quater StGB
nicht in Frage. Vorliegend sei das Geschenk aber erst im Nachgang zur
Verurkundung und damit gerade nicht zukunftsgerichtet ausgerichtet worden.

6.2 Die Vorinstanz hat erwogen, der Beschwerdeführer habe wissentlich im
Zusammenhang mit dem Verkauf der Liegenschaft Piazzale alla Valle, für dessen
Abwicklung er formell zuständig gewesen sei, beträchtliche und ihm nicht
gebührende Vermögenswerte (in Form einer Rolex-Uhr und von Fr. 45'000.-)
angenommen. Damit sei der erforderliche Konnex zwischen Vorteil und Amtsführung
gegeben, und der Beschwerdeführer habe sich der Vorteilsannahme gemäss Art. 322
^sexies StGB schuldig gemacht.

6.3 Wegen Vorteilsannahme ist gemäss Art 322^sexies StGB namentlich strafbar,
wer als Beamter im Hinblick auf die Amtsführung einen nicht gebührenden Vorteil
fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.
BGE 135 IV 198 S. 204
Als Vorteile im Sinne der Bestimmung gelten sämtliche unentgeltlichen
Zuwendungen materieller und immaterieller Natur (PIETH, a.a.O., N. 7 zu Art.
322^quinquies StGB mit Hinweisen auf N. 21 zu Art. 322^ter StGB). Anders als
bei den Bestechungstatbeständen steht die Vorteilszuwendung nicht im
Zusammenhang mit einer konkreten, mindestens bestimmbaren Amtshandlung als
Gegenleistung (Botschaft Korruptionsstrafrecht, BBl 1999 5533). Die Zuwendung
muss aber im Hinblick auf die Amtsführung geschehen. Sie muss mithin geeignet
sein, die Amtsführung des Empfängers zu beeinflussen und einen Bezug zum
künftigen Verhalten im Amt schlechthin aufweisen. Die Vorteilszuwendung muss
ihrer Natur nach somit zukunftsgerichtet sein (Botschaft Korruptionsstrafrecht,
BBl 1999 5509, 5535; PIETH, a.a.O., N. 9 zu Art. 322^quinquies StGB; TRECHSEL/
JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar,
2008, N. 2 zu Art. 322^sexies StGB; MARTIN ARZETHAUSER, Die Vorteilsgewährung
bzw. die Vorteilsannahme nach dem revidierten Schweizerischen
Korruptionsstrafrecht unter besonderer Berücksichtigung der unteren Begrenzung
der Strafbarkeit im Rahmen der Sozialadäquanz und der freiwilligen
Mitfinanzierung öffentlicher Aufgaben, Basel 2001, S. 154 f.; DONATSCH/WOHLERS,
Delikte gegen die Allgemeinheit, Bd. IV, 3. Aufl. 2004, S. 529; BERNARD CORBOZ,
Les infractions en droit suisse, Bd. II, 2002, N. 9 zu Art. 322^quinquies StGB;
a.M. STRATENWERTH/BOMMER, Straftaten gegen Gemeininteressen, 6. Aufl. 2008, §
60 N. 30; JOSITSCH, a.a.O., S. 382 f.). Blosse Belohnungen und sozial übliche
Geschenke scheiden daher aus, da ihnen eine solche Eignung von vornherein
abgeht. Sie gelten nicht als ungebührende Vorteile (PIETH, a.a.O., N. 9 zu Art.
322^quinquies StGB; Botschaft Korruptionsstrafrecht, BBl 1999 5528; vgl. auch
Art 322^octies Abs. 2 StGB).
Als Tathandlungen nennt Art. 322^sexies StGB gleich dem Tatbestand des
"Sich-bestechen-Lassens" nach Art. 322^quater StGB das "fordern", "sich
versprechen lassen" oder "annehmen" eines nicht gebührenden Vorteils. Zur
Erfüllung der Tatbestandsvariante "fordern" genügt eine einseitige
Willenserklärung des Beamten. Die Forderung muss den Adressaten erreichen;
nicht notwendig ist, dass der Empfänger die Forderung erfüllt oder dies auch
nur in Aussicht stellt. Unter "sich versprechen lassen" versteht man die
ausdrückliche oder konkludente Annahme (im Gegensatz zur blossen Entgegennahme)
eines Angebots eines späteren Vorteils. Unter "annehmen" wird, wie dargelegt,
die Entgegennahme des Vorteils zu eigener Verfügungsgewalt verstanden (PIETH,
a.a.O., N. 4 ff. zu Art. 322^quater StGB).
BGE 135 IV 198 S. 205

6.4 Die Vorinstanz hat in sachverhaltlicher Hinsicht einzig festgestellt, der
Beschwerdeführer habe Fr. 45'000.- und eine Rolex-Uhr "im Zusammenhang mit dem
Verkauf der Liegenschaft Piazzale alla Valle" angenommen, weshalb "der
erforderliche Konnex zwischen Vorteil und Amtsführung gegeben" sei.
Sie äussert sich jedoch nicht zum Zeitpunkt der Überreichung der Vermögenswerte
und lässt - nach dem Gesagten zu Unrecht - offen, ob die Vorteilszuwendung
zukunftsgerichtet war oder eine nachträgliche Belohnung darstellte. Die Sache
ist daher insoweit zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Sollte die Vorinstanz bei ihrer Neubeurteilung in Übereinstimmung mit den
Ausführungen des Beschwerdeführers davon ausgehen, dieser habe die
Vermögenswerte erst im Anschluss an den Verkauf der Liegenschaft Piazzale alla
Valle erhalten, entfiele zwar die Tatbestandsvariante des "Annehmens". Soweit
mit dem Anklagegrundsatz vereinbar, wird die Vorinstanz jedoch zu prüfen haben,
ob der Beschwerdeführer die ihm nicht gebührenden Vorteile gefordert hat oder
sich diese hat versprechen lassen.
Die Beschwerde ist damit zusammenfassend in diesem Punkt gutzuheissen, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.