Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 IV 188



Urteilskopf

135 IV 188

26. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. T. gegen
Schweizerische Bundesanwaltschaft und Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) (Beschwerde in Strafsachen)
6B_912/2008 vom 21. August 2009

Regeste

Verbindungsstrafe gemäss Art. 42 Abs. 4 StGB.
Aus der systematischen Einordnung von Art. 42 Abs. 4 StGB ergibt sich, dass das
Hauptgewicht auf der bedingten Freiheits- oder Geldstrafe liegt und die
unbedingte Verbindungsgeldstrafe bzw. -busse nur untergeordnete Bedeutung hat.
Um dem akzessorischen Charakter der Verbindungsstrafe gerecht zu werden,
erscheint es sachgerecht, die Obergrenze grundsätzlich auf einen Fünftel
beziehungsweise 20 % festzulegen. Abweichungen von dieser Regel sind im Bereich
tiefer Strafen denkbar, um sicherzustellen, dass der Verbindungsstrafe nicht
eine lediglich symbolische Bedeutung zukommt (E. 3.4.4).

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 188

BGE 135 IV 188 S. 188
Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Der Beschwerdeführer rügt weiter, die unbedingte Verbindungsgeldstrafe in
der Höhe von 180 Tagessätzen à Fr. 3'000.- verletze Art. 42 Abs. 4 StGB, da
dieser Geldstrafe gegenüber der bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten nicht
bloss untergeordnete beziehungsweise akzessorische Bedeutung zukomme.
Sachgerechterweise sei von einer Verbindungsgeldstrafe ganz abzusehen,
allenfalls sei eine Geldstrafe von maximal 10 Tagessätzen festzusetzen, wobei
die
BGE 135 IV 188 S. 189
Bemessung des Tagessatzes von Fr. 3'000.- insoweit nicht angefochten werde.
Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, insgesamt erscheine eine Freiheitsstrafe von 24
Monaten dem Verschulden des Beschwerdeführers angemessen. Nach geltendem Recht
sei für Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren der bedingte Vollzug möglich und
mit einer solchen Sanktion könne gestützt auf Art. 42 Abs. 4 StGB eine
unbedingte Geldstrafe oder Busse verbunden werden. Die unbedingte
Verbindungsstrafe trage dazu bei, das unter spezial- und generalpräventiven
Gesichtspunkten eher geringe Drohpotenzial der bedingten Freiheitsstrafe zu
erhöhen. Dem Verurteilten solle ein Denkzettel verpasst werden können, um ihm
den Ernst der Lage vor Augen zu führen und zugleich zu demonstrieren, was bei
Nichtbewährung drohe. Die kombinierte Strafe dürfe den Rahmen des dem
Verschulden Angemessenen nicht überschreiten, welches hier einem Zeitäquivalent
von 24 Monaten entspreche. Es rechtfertige sich unter diesen Gesichtspunkten
eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, mangels negativer Legalprognose bedingt
auf zwei Jahre, verbunden mit einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen
auszusprechen. Der Tagessatz sei auf Fr. 3'000.- festzusetzen.

3.3 Gestützt auf Art. 42 Abs. 4 StGB kann eine bedingte Strafe mit einer
unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse nach Art. 106 StGB verbunden
werden. Das Bundesgericht hat sich in zwei Grundsatzentscheiden zu den
Verbindungsstrafen nach Art. 42 Abs. 4 StGB geäussert (BGE 134 IV 1 und 60).
Diese kommen insbesondere in Betracht, wenn man dem Täter den bedingten Vollzug
einer Geld- oder Freiheitsstrafe gewähren möchte, ihm aber dennoch in gewissen
Fällen mit der Auferlegung einer zu bezahlenden Geldstrafe oder Busse einen
spürbaren Denkzettel verabreichen möchte. Die Strafenkombination dient hier
spezialpräventiven Zwecken. Das Hauptgewicht liegt auf der bedingten Freiheits-
oder Geldstrafe, während der unbedingten Verbindungsgeldstrafe beziehungsweise
Busse nur untergeordnete Bedeutung zukommt. Dies ergibt sich aus der
systematischen Einordnung von Art. 42 Abs. 4 StGB, welche die unbedingte
Geldstrafe als bloss akzessorische Strafe ausweist. Die Verbindungsgeldstrafe
soll nicht etwa zu einer Straferhöhung führen oder eine zusätzliche Strafe
ermöglichen. Sie erlaubt lediglich innerhalb der schuldangemessenen
BGE 135 IV 188 S. 190
Strafe eine täter- und tatangemessene Sanktion, wobei die an sich verwirkte
Freiheitsstrafe und die damit verbundene Geldstrafe beziehungsweise Busse in
ihrer Summe schuldangemessen sein müssen (BGE 134 IV 1 E. 4.5.2).

3.4

3.4.1 Die Vorinstanz führt aus, insgesamt sei eine Strafe mit einem
"Zeitäquivalenz" von 24 Monaten dem Verschulden des Beschwerdeführers
angemessen. In Würdigung der gesamten Umstände erscheint diese Strafe mild,
jedenfalls aber hat die Vorinstanz hierdurch das ihr bei der Strafzumessung
zustehende Ermessen nicht verletzt. Des Weiteren hat die Vorinstanz ohne
Bundesrechtsverletzung gefolgert, es erscheine angebracht, gestützt auf Art. 42
Abs. 4 StGB eine unbedingte Verbindungsgeldstrafe auszusprechen, um dem
Beschwerdeführer den Ernst der Lage vor Augen zu führen.

3.4.2 Allerdings widerspricht ein Verhältnis von drei Vierteln zu einem
Viertel, d.h. eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten verbunden mit einer
unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen, der dargestellten
bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 42 Abs. 4 StGB, wonach die
unbedingte Verbindungsstrafe nur untergeordnete Bedeutung haben darf. So erwog
das Bundesgericht in BGE 134 IV 1 E. 6.2, mit der Verhängung einer unbedingten
Geldstrafe in der Höhe von 180 Tagessätzen respektive eines Viertels der
schuldangemessenen Gesamtstrafe werde der Verbindungsstrafe ein zu gewichtiger
Stellenwert eingeräumt und damit Art. 42 Abs. 4 StGB unrichtig angewendet.
Gleiches hat im zu beurteilenden Fall zu gelten.

3.4.3 Auf der anderen Seite wäre eine Erhöhung der ausgesprochenen bedingten
Freiheitsstrafe von 18 Monaten zulasten der unbedingten Geldstrafe von 180
Tagessätzen - unter Beibehaltung des Zeitäquivalents der Strafe von 24 Monaten
- im zu beurteilenden Fall zwar durchaus sachgerecht. Ihr steht jedoch das
"Verbot der reformatio in peius" (Schlechterstellungsverbot) entgegen, denn
eine Geldstrafe ist unabhängig von der Vollzugsform in jedem Fall als milder
einzustufen als eine Freiheitsstrafe (BGE 134 IV 82 E. 7.2.2).

3.4.4 Um Art. 42 Abs. 4 StGB nicht zu missachten und das
Schlechterstellungsverbot zu befolgen, ist daher die neben der bedingten
Freiheitsstrafe von 18 Monaten verhängte unbedingte Geldstrafe von 180
Tagessätzen auf das zulässige Mass herabzusetzen.
BGE 135 IV 188 S. 191
Die Frage, wie hoch eine Verbindungsstrafe im Regelfall maximal angesetzt
werden darf, damit dieser noch untergeordnete Bedeutung im Sinne von Art. 42
Abs. 4 StGB beigemessen werden kann, wurde weder in der Botschaft noch in den
parlamentarischen Beratungen thematisiert, und auch in der Lehre finden sich
insoweit keine näheren Ausführungen.
Um dem akzessorischen Charakter der Verbindungsstrafe gerecht zu werden,
erscheint es sachgerecht, die Obergrenze grundsätzlich auf einen Fünftel
beziehungsweise 20 % festzulegen. Abweichungen von dieser Regel sind im Bereich
tiefer Strafen denkbar, um sicherzustellen, dass der Verbindungsstrafe nicht
eine lediglich symbolische Bedeutung zukommt (vgl. zur ähnlich gelagerten
Problematik bei der Berechnung des Tagessatzes von Geldstrafen BGE 134 IV 60 E.
6.5.2 und BGE 135 IV 180 E. 1).
Diese Gefahr besteht im zu beurteilenden Fall nicht. Die unbedingte
Verbindungsgeldstrafe könnte folglich vorliegend auf maximal 135 Tagessätze à
Fr. 3'000.- festgesetzt werden.
Ob die Vorinstanz den ihr bei der Strafzumessung zukommenden Spielraum
auszuschöpfen gedenkt, steht in ihrem Ermessen, weshalb die Sache in teilweiser
Gutheissung der Beschwerde zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen
ist.