Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 II 405



Urteilskopf

135 II 405

40. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und
Y. gegen Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich und Mitb. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_421/2008 vom 7. Oktober 2009

Regeste

Art. 20, 80 Abs. 2 lit. b, Art. 120 Abs. 2 BV; Art. 13 Abs. 1 aTSchG; Art. 61
Abs. 3 aTSchV; Tierversuch mit nicht-menschlichen Primaten.
Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV verlangt für die Zulässigkeit eines Tierversuchs
eine Interessenabwägung zwischen dem angestrebten Erkenntnisgewinn sowie den
damit verbundenen Schmerzen und Leiden. Dies gilt auch bei Forschungsgesuchen
über grundlegende Lebensvorgänge (E. 4.3.1 und 4.3.2). Bei der
Interessenabwägung sind die besondere Nähe der nicht-menschlichen Primaten zum
Menschen und die Würde der Kreatur zu berücksichtigen (E. 4.3.4).

Sachverhalt ab Seite 406

BGE 135 II 405 S. 406

A. X. und Y. arbeiten als Forscher am Institut für Neuroinformatik der
Universität Zürich und der ETH. Sie ersuchten am 31. Januar 2006 das
Veterinäramt des Kantons Zürich, ihnen einen Tierversuch zu bewilligen, der
Teil eines Nationalfondprojekts bildet. (...) Im Rahmen des Versuchs soll
untersucht werden, wie das visuelle System lernt und wie es seine Leistung
verbessern kann. Während des Lernens wird die Aktivität einzelner Neuronen in
verschiedenen Arealen der visuellen Hirnrinde gemessen, um einerseits die
Struktur zu lokalisieren, wo die Verbesserung stattfindet, und andererseits die
neuronalen Mechanismen zu untersuchen, die zu einer Leistungssteigerung führen.
Die Forscher sehen vor, vier Rhesusaffen (...) in zwei unter Narkose
durchgeführten Operationen je eine Kopfhalterung auf dem Schädelknochen zu
montieren und eine Ableitungskammer, durch welche die Messelektroden eingeführt
werden, unter dem Schädeldach einzusetzen. In einer Trainingsphase von 3 bis 12
Monaten sollen die Affen an den Primatenstuhl und das Lösen visueller Aufgaben
gewöhnt werden. Hierauf folgt die eigentliche Versuchsphase von einem Jahr. Die
einzelnen Versuchssitzungen dauern - sofern das Versuchstier die Mitarbeit
nicht verweigert - zweieinhalb bis drei, höchstens vier Stunden. Während der
Sitzung müssen die Tiere, die am Kopf im Primatenstuhl so fixiert sind, dass
sie diesen nicht mehr bewegen können, Aufgaben zur Bestimmung der sogenannten
Vernier-Sehschärfe lösen: Zu diesem Zweck werden auf einem Bildschirm jeweils
zwei vertikale Linien dargestellt, von denen die untere seitlich etwas
verschoben ist. Die Affen können durch Ziehen eines vor dem Stuhl angebrachten
Hebels angeben, ob die Linie nach links oder rechts verschoben ist. Für eine
richtige Antwort erhalten sie einige Tropfen verdünnten Fruchtsaft. An den
Tagen der Versuchssitzungen wird den Tieren der freie Zugang zum Wasser
entzogen, um sie zur Mitarbeit zu motivieren. Kann ein Versuchstier seinen
Flüssigkeitsbedarf bei den Tests nicht decken, wird
BGE 135 II 405 S. 407
ihm einige Stunden später zusätzliche Flüssigkeit verabreicht. Ein Tier wird
etwa eineinhalb bis zwei Jahre in dieser Versuchsanordnung eingesetzt, bis es
für eine genauere anatomische Lokalisation der vorgenommenen Ableitungen
eingeschläfert wird.

B. Das Veterinäramt des Kantons Zürich legte das Gesuch der kantonalen
Tierversuchskommission zur Prüfung vor. Nach Einholung ergänzender Auskünfte
und dreier Gutachten beantragte diese dem Veterinäramt, das Gesuch abzulehnen.
Das Veterinäramt bewilligte am 16. Oktober 2006 den Tierversuch mit Auflagen.
Dagegen erhoben die Tierversuchskommission und sechs ihrer Mitglieder Rekurs
bei der Gesundheitsdirektion. Diese hiess am 26. Februar 2007 den Rekurs gut
und hob die Tierversuchsbewilligung auf. Gegen diesen Entscheid gelangten die
beiden Gesuchsteller erfolglos an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich.

C. Mit Eingabe vom 4. Juni 2008 beantragen X. und Y., den Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 27. März 2008 aufzuheben und die Verfügung des
Veterinäramtes zu bestätigen. Die Tierversuchskommission und sechs ihrer
Mitglieder beantragen, die Beschwerde abzuweisen und den Entscheid des
Verwaltungsgerichts zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

4. Vorliegend ist die Frage zu beantworten, ob gestützt auf Art. 61 Abs. 3 lit.
d der Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981 (aTSchV; AS 1981 572; 1986 1408;
1991 2349; 1997 1121; 1998 2303; 2001 1337 Anhang Ziff. 1, 2063; 2006 1427,
5217 Anhang Ziff. 2; 2007 1847 Anhang 3 Ziff. 1) der strittige Tierversuch
bewilligt werden kann. Da dabei eine umfassende Güterabwägung (nicht publ. E.
3.2.3) vorzunehmen ist, müssen die beiden, bereits vom Verordnungsgeber
bezeichneten Güter - Kenntnisgewinn oder Ergebnis des konkreten Tierversuchs
einerseits sowie Tierschmerzen, -schäden oder -leiden andererseits - zunächst
gewichtet (E. 4.3.1-4.3.3) und anschliessend gegeneinander abgewogen werden (E.
4.3.4).

4.1

4.1.1 Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hielt in ihrem Entscheid
fest, dass es sich beim geplanten Tierversuch um
BGE 135 II 405 S. 408
Grundlagenforschung handle. Die entsprechenden Forschungsergebnisse müssten
allerdings mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet sein, später in
angewandter Form und allenfalls in Kombination mit anderen Erkenntnissen dem
Leben oder der Gesundheit von Mensch und Tier zu dienen. Je weniger sie dies
tun würden, desto weniger würden sie Tierversuche zur Erlangung dieser Kenntnis
rechtfertigen und desto weniger belastend dürften diese für die Tiere sein. Vor
allem die spätere klinische Verwendbarkeit der erzielten Grundlagenkenntnisse,
insbesondere zur Verbesserung der Rehabilitationsmassnahmen bei
Schlaganfallpatienten sei sehr ungewiss. Damit reduziere sich die Bedeutung des
Kenntnisgewinns. Die Flüssigkeitsbeschränkungen, welche 24 Stunden dauern
könnten, das Stress- und Leidensverhalten, welche aufgrund der Nähe der Affen
zum Menschen ähnlich wie bei diesen beurteilt werden müssten, sowie die lange
tägliche und monatliche Fixierung des Kopfes und das Sitzen im Primatenstuhl,
welches eine schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens darstelle, kämen
dem höchsten Schweregrad (Schweregrad 3) gleich. Da nicht-menschlichen Primaten
aufgrund ihrer Nähe zum Menschen eine Sonderstellung zukomme, sei unter diesen
Umständen das Interesse der Versuchstiere an Belastungsfreiheit höher zu
gewichten als das menschliche Interesse am Versuchsergebnis.

4.1.2 Das Verwaltungsgericht hat die Argumente und die Gewichtung der
Gesundheitsdirektion geschützt. Nach Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV verlange die
Güterabwägung eine konkrete, umfassende, nicht schematische Bestimmung des
Forschungsnutzens, weshalb auch die klinische Anwendbarkeit der
Versuchsergebnisse mitzuberücksichtigen sei; dies sähen etwa auch die ethischen
Grundsätze und Richtlinien für Tierversuche der Schweizerischen Akademie der
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und die Akademie der Naturwissenschaften
Schweiz (SCNAT) vor. Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer selbst und auch die
Gutachter den zukünftigen klinischen Nutzen hervorgehoben; zudem sei das
übergeordnete Forschungsprojekt klar auf eine klinische Anwendung ausgerichtet.
Der zu erwartende Kenntnisgewinn sei für den zukünftigen klinischen Nutzen sehr
ungewiss. Die Belastung der Tiere ergebe sich aus zwei Faktoren: der
"Flüssigkeitsrestriktion" und der Arbeit am Bildschirm im Primatenstuhl unter
Fixierung des Kopfes. Alle sachkundigen Behörden seien davon ausgegangen, dass
die Flüssigkeitsrestriktionen mindestens Schweregrad 2 aufweisen würden.
Zwischen diesen,
BGE 135 II 405 S. 409
innerhalb der Tierversuchskommission und in der Literatur sei strittig, ob die
Fixierung des Kopfes, das Sitzen im Primatenstuhl und die Konzentration während
der Versuchsarbeit als schwere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens zu
werten sei und damit der Schweregrad 2 auf 3 erhöht werden müsste. Angesichts
dessen habe die Gesundheitsdirektion ihren Beurteilungsspielraum sachlich nicht
überschritten, wenn sie die Belastungen dem Schweregrad 3 zugewiesen habe. In
der eigentlichen Abwägung sei zu Recht die Nähe der nicht-menschlichen Primaten
zum Menschen und deren Sonderstellung in der Hierarchie der Tiere
berücksichtigt worden, wie dies das Tierschutzgesetzes vom 9. März 1978
(aTSchG; AS 1981 562; 1991 2345; 1995 1469 Art. 59 Ziff. 1; 2003 4181, 4803
Anhang Ziff. 3; 2006 2197 Anhang Ziff. 45) und die aTSchV verlange.

4.2 Die Beschwerdeführer rügen, dass das Verwaltungsgericht eine unzulässige,
da über die gesetzlichen Entscheidungen hinausgehende Differenzierung zwischen
der Grundlagen- und der angewandten Forschung vorgenommen habe. Es setze bei
jener zu Unrecht strengere Massstäbe als bei dieser. Die Abstützung auf die
Richtlinien der SAMW und der SCNAT habe gegenüber Dritten lediglich
empfehlenden Charakter und stehe in Widerspruch zum Verfassungs- und
Bundesverwaltungsrecht. Nach der Auffassung der Beschwerdeführer würden
Tierversuche - gestützt auf Art. 12 aTSchG - dazu dienen, wissenschaftliche
Annahmen zu prüfen oder Informationen zu erlangen. Ein darüber hinausgehender
Zweck sei nicht erforderlich und auch einer zusätzlichen Rechtfertigung, um
einen Tierversuch zu bewilligen, bedürfe es nicht. Demzufolge unterscheide das
aTSchG bei der Forschung nicht zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung.
Der Gesetzgeber habe bewusst auf eine Wertung verzichtet und konsequenterweise
keinen strengeren Prüfungsmassstab für die Grundlagenforschung statuiert.
Gesuche für Tierversuche müssten unabhängig von den jeweiligen Forschungstypen
an den gleichen abstrakten Massstäben gemessen werden. Da die
Grundlagenforschung für die allgemeine wissenschaftliche Erkenntnis wichtig
sei, sei es unbestritten, dass sie per se dem Gebot der finalen
Unerlässlichkeit eines Tierversuchs genüge und deshalb nicht zusätzlich die
künftige praktische Verwendbarkeit eines Erkenntnisgewinns geprüft werden
dürfe.

4.3

4.3.1 Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV (AS 1991 2353) verlangt, dass der erwartete
Kenntnisgewinn den Schmerzen, Leiden oder Schäden
BGE 135 II 405 S. 410
der Tiere gegenübergestellt wird. Strittig ist zunächst, ob neben dem Zweck der
Erkennung grundlegender Lebensvorgänge auch ein späterer Anwendungsnutzen des
vorliegenden Versuchs zu berücksichtigen ist. Die Beschwerdeführer verneinen
dies; ihr Standpunkt macht aber nur Sinn, wenn es auf eine Gewichtung des
Kenntnisgewinns gar nicht ankäme. Ihm kann nicht beigepflichtet werden: Es
trifft nicht zu, dass die zu erwartenden Forschungsergebnisse überhaupt nicht
gewichtet werden müssten, für sich allein genügen und in jedem Fall stärker
wögen als die gegenläufigen Interessen des Tierschutzes. Die Vorschriften über
Tierversuche sind Ausdruck sowohl der Forschungsfreiheit (Art. 20 BV) als auch
des Verfassungsinteresses des Tierschutzes (Art. 80 Abs. 2 lit. b BV). Dabei
ist eine generell-abstrakte Regelung über die abgewogenen Interessen auf
Gesetzes- und grundsätzlich auch auf Verordnungsstufe unterblieben, da für die
Beurteilung des Einzelfalles spezifisches Fachwissen notwendig ist (vgl.
Botschaft vom 30. Januar 1989 über die Volksinitiative "zur drastischen und
schrittweisen Einschränkung der Tierversuche [Weg vom Tierversuch!]"
[nachfolgend: Botschaft Volksinitiative], BBl 1989 I 1003, 1021 Ziff. 42).
Deshalb wurde der Verwaltung die Aufgabe übertragen, diese Interessenabwägung
vorzunehmen. Dabei hat weder die Forschungsfreiheit noch der Tierschutz
Vorrang. Vielmehr sind beide gleichrangig (vgl. THOMAS FLEINER-GERSTER, in:
Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29.
Mai 1874, 1987 ff. [nachfolgend: Kommentar aBV], N. 23 zu Art. 25bis aBV;
CHRISTOPH ANDREAS ZENGER, Das "unerlässliche Mass" an Tierversuchen, Beihefte
zur ZSR Nr. 8, 1989, S. 42, 52 ff.), und es ist im Einzelfall das jeweilige
Gewicht des Forschungsinteresses und des Tierschutzinteresses zu bestimmen und
diese sind hernach gegeneinander abzuwägen. Würde der Auffassung der
Beschwerdeführer gefolgt, wäre dem Tierschutz nicht hinreichend Rechnung
getragen und dem Forschungsinteresse in verfassungswidriger Weise per se ein
höherer Rang zugesprochen worden. Es wäre zudem auch nicht einsichtig, eine
Bewilligungspflicht einzuführen, da solche grundsätzlich dann vorgesehen
werden, wenn präventiv abzuklären ist, ob mit einer Tätigkeit andere
Rechtsgüter beeinträchtigt werden (vgl. PETER SALADIN, Die Kunst der
Verfassungserneuerung, hrsg. von Walter Kälin und anderen, 1998, S. 333). Unter
diesen Umständen ist es für das Forschungsprojekt auch vorteilhafter, wenn
einem Kenntnisgewinn im Bereich der Grundlagenforschung ein klinischer Nutzen
hinzukommt. Abgesehen davon kann ohnehin nicht
BGE 135 II 405 S. 411
apodiktisch zwischen der Grundlagen- und angewandter Forschung differenziert
werden, da nicht lediglich zwischen diesen, sondern zwischen "reiner
Grundlagenforschung" einerseits und "anwendungsorientierter
Grundlagenforschung" oder "gerichteter" bzw. "angewandter Grundlagenforschung"
andererseits unterschieden wird (BEAT KÖNIG, Grundlagen der staatlichen
Forschungsförderung, 2007, S. 33). Diese soll die wissenschaftliche Grundlage
für spezielle weiterführende Forschungen schaffen und weist deshalb auch eine
spezifische praktische Orientierung auf (KÖNIG, a.a.O., S. 33).

4.3.2 Tatsächlich gehen auch die Beschwerdeführer in ihrem Gesuch vom 31.
Januar 2006 von einem doppelten Ziel ihres Tierversuchs aus: erstens sollen
"grundlagenwissenschaftliche" Erkenntnisse auf dem Gebiet der Neuroinformatik
gewonnen werden; zweitens sollen diese Erkenntnisse in einer späteren Phase als
Wissensgrundlage für bessere Rehabilitationsmethoden für Schlaganfallpatienten
in der Klinik Anwendung finden (Ziff. 63). Der zweite Grund steht auch in
Einklang mit dem übergeordneten Forschungsprogramm ("Project 5 of the National
Center for Competence in Research [NCCR]"), das klar auf eine klinische
Anwendung ausgerichtet ist. Wie sich ferner aus den Akten ergibt, ging auch das
Veterinäramt zusammen mit den Beschwerdeführern von diesem erwarteten doppelten
Kenntnisgewinn für die Bestimmung der fachlichen Gutachter und für die
Evaluation des Tierversuchs aus. Dass die Beschwerdeführer auch eine mögliche
klinische Anwendbarkeit als Erkenntnisgewinn erwarteten, ist zudem auch deshalb
nicht abwegig, weil - wie die beiden befürwortenden Gutachter (K.; L.)
festhalten - nur Menschen und Affen diese spezielle Form des
Wahrnehmungslernens aufweisen und somit die Tierversuchsresultate auf den
Menschen übertragen werden können. Das Verwaltungsgericht hat deshalb kein
Bundesrecht verletzt, wenn es - auch zugunsten der Beschwerdeführer - den
späteren klinischen Nutzen des Versuchs in den erwarteten Kenntnisgewinn
einbezogen hat. Angesichts dieses Ergebnisses kann dahingestellt bleiben, ob
die Vorinstanz sich auch auf die gemeinsamen "Ethischen Grundsätze und
Richtlinien für Tierversuche" (3. Aufl. 2005; www.samw.ch) der SAMW und des
SCNAT stützen durfte.
Für die Gewichtung des Kenntnisgewinns stellt Art. 61 Abs. 3 lit. b aTSchV
selbst Wertungsgesichtspunkte zur Verfügung. Danach verfolgen Tierversuche
unterschiedliche Zwecke. Diese haben entsprechend der verfassungsrechtlichen
Gewichtung der verschiedenen
BGE 135 II 405 S. 412
Interessen (ZENGER, a.a.O., S. 102 ff., 104 ff., 115 ff.; FLEINER-GERSTER,
a.a.O., N. 25 zu Art. 25bis aBV) nicht alle das gleiche Gewicht. So ist die
Erhaltung oder der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen
gewichtiger als die Erkenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge: Ein
Tierversuch, der nur rudimentäre Erkenntnisse für die menschliche Gesundheit
erwarten lässt, hat deshalb ein geringeres Gewicht als ein solcher, der eine
höhere Erkenntnis für die menschliche Gesundheit aufweist. Und ein Tierversuch,
der "nur" Erkenntnisse über grundlegende Lebensvorgänge ohne Bezug zur
menschlichen Gesundheit vorsieht, hat weniger Gewicht als ein solcher, der
rudimentäre Erkenntnisse über die menschliche Gesundheit oder über
Verringerungen menschlichen Leidens anstrebt. Der vorliegende Tierversuch ist -
wie die beiden, das Projekt befürwortenden Gutachter (K., L.) ausführen - "von
einiger Bedeutung" bzw. von "erhebliche[m] Erkenntnisgewinn"; allerdings ist
der klinische Nutzen des Versuchs äusserst ungewiss. Von diesen
Schlussfolgerungen abzuweichen, besteht kein Anlass. Sie decken sich auch mit
den Angaben der Beschwerdeführer selbst, den Einschätzungen der
Tierversuchskommission, des kantonalen Veterinäramtes und den beiden kantonalen
Rechtsmittelinstanzen. Gesamthaft gesehen, verliert damit der erwartete
Kenntnisgewinn - wie die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat - an Gewicht.

4.3.3 Dem erwarteten Erkenntnisgewinn oder Ergebnis sind nach Art. 61 Abs. 3
lit. d aTSchV die Schmerzen, Leiden oder Schäden gegenüber zu stellen. Diese
Bestimmung ist - (...) - eine Konkretisierung von Art. 13 Abs. 1 aTSchG.
Allerdings ist sie - wie die Vorinstanz zu Recht festgehalten hat -
unvollständig, fehlt doch die Passage "es [d.h. das Tier] in schwere Angst
versetzen oder sein Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen können". Für
die Beurteilung der Belastung ist demnach auch der fehlende Passus zu
berücksichtigen, andernfalls der Verordnungsgeber in unzulässiger Weise den vom
Gesetzgeber gewünschten Normsinn verändert hätte. Für die Gewichtung der
Schmerzen werden vier Schweregrade von 0 bis 3 verwendet (dazu BVET, Einteilung
von Tierversuchen nach Schweregraden vor Versuchsbeginn [Belastungskategorien],
Information Tierschutz 1.04, 1995). Die von der Vorinstanz in
Auseinandersetzung mit den beiden Fachbehörden und den Parteien festgestellten
Schmerzen, Leiden, Schäden oder erheblichen Beeinträchtigungen des
Allgemeinbefindens sind als massgebender Sachverhalt für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 105
BGE 135 II 405 S. 413
Abs. 1 BGG). Die Gesundheitsdirektion hat in Übereinstimmung mit der Mehrheit
der Tierversuchskommission die Belastung der nicht-menschlichen Primaten durch
den Tierversuch mit dem Schweregrad 3 bewertet. Das Verwaltungsgericht hat
diese Gewichtung geschützt: die Gesundheitsdirektion habe damit ihren
Beurteilungsspielraum nicht überschritten und somit kein Bundesrecht verletzt.
Es hat zudem festgehalten, dass "auch eine Subsumtion unter Schweregrad 2 nicht
ohne weiteres dazu führen [würde], dass die Belastung der Versuchstiere in der
Güterabwägung gegenüber dem Interesse am Nutzen der Forschung unterliegen
würde". Das Verwaltungsgericht ist somit vom Schweregrad 3 - allenfalls 2 -
ausgegangen. Das Bundesgericht sieht keinen Anlass, diese Gewichtung in Frage
zu stellen.

4.3.4 Abschliessend ist zu prüfen, ob der Versuch, "gemessen am erwarteten
Kenntnisgewinn oder Ergebnis", den nicht-menschlichen Primaten
"unverhältnismässige Schmerzen, Leiden oder Schäden bereitet" (Art. 61 Abs. 3
lit. d aTSchV). Hierfür sind die beiden gewichteten Elemente (erwarteter
Erkenntnisgewinn einerseits und Belastung der nicht-menschlichen Primaten
andererseits) gegeneinander abzuwägen. Der Gesetzgeber hat für diese
Interessenabwägung auf Vorgaben verzichtet, weil für die Beurteilung des
Einzelfalles spezifisches Fachwissen nötig sei und es schwer falle, griffige
allgemeinverbindliche Kriterien zu formulieren; letztlich bleibe immer ein
erheblicher Ermessensspielraum (vgl. Botschaft Volksinitiative, BBl 1989 I
1021; siehe auch Bericht der Kommission des Nationalrates vom 16. Januar 1990
über einen Gegenentwurf auf Gesetzesstufe [Änderung des Tierschutzgesetzes],
BBl 1990 III 1257, 1266 f.). Bei der Prüfung der Frage, ob bei der eigentlichen
Interessenabwägung die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, ist von folgendem
Grundsatz auszugehen: Je gewichtiger das eine und je weniger gewichtig das
andere Interesse ist, desto eher ist die Interessenabwägung verhältnismässig
bzw. unverhältnismässig (ZENGER, a.a.O., S. 124 f.).
Im vorliegenden Fall muss berücksichtigt werden, dass der Nutzen des zu
erwartenden Erkenntnisgewinns insgesamt aufgrund der äusserst ungewissen
klinischen Verwendbarkeit relativ tief ist. Auf der anderen Seite ist die
Belastung hoch (Schweregrad 3, allenfalls 2). Da es sich nicht um quantitative,
nummerische Werte handelt, lässt sich daraus noch nicht ohne Weiteres
schliessen, dass der Tierversuch unverhältnismässig wäre und daher nicht
bewilligt werden
BGE 135 II 405 S. 414
könn te. Für ein Verbot des beantragten Tierversuchs spricht indes, dass die
nicht-menschlichen Primaten eine sehr starke genetische und
sinnesphysiologische Nähe zum Menschen aufweisen (ALMUTH HIRT UND ANDERE,
Tierschutzgesetz, 2. Aufl., München 2007, N. 74 zu § 7 TierSchG; ROMAN KOLAR,
L'expérimentation animale, in: Le bien-être animal, Conseil de l'Europe
[Hrsg.], 2006, S. 71 ff., 84). Diese besondere Nähe ist rechtlich von
Bedeutung: So nimmt bereits Art. 1 aTSchG selbst eine rudimentäre
Hierarchisierung zwischen Wirbeltieren und wirbellosen Tieren vor (zu dieser
Unterteilung aus geschichtlichen Gründen KOLAR, a.a.O., S. 73); nur jene sind
grundsätzlich schutzwürdig, diese nur dann, wenn der Bundesrat eine
Verordnungsvorschrift erlassen hat. Detaillierter und konkreter wird auf die
Entwicklungsstufe bzw. Hierarchie der Tiere für den Tierversuch in Art. 16 Abs.
3 aTSchG und in Art. 61 Abs. 1 lit. d aTSchV Bezug genommen: Je höher ein Tier
in der Hierarchiestufe ist, d.h. je näher es dem Menschen genetisch und
sinnesphysiologisch steht, desto mehr Gewicht kommt der Belastung der Tiere zu
und desto wahrscheinlicher ist die Unverhältnismässigkeit des Versuchs. Auch
andere Bestimmungen verlangen, dass die hierarchische Stellung zu
berücksichtigen ist: Nach Art. 120 Abs. 2 BV sind abgestufte Vorschriften über
den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen zu
erlassen (dazu SALADIN/SCHWEIZER, in: Kommentar aBV, a.a.O., N. 107, 114, 116
zu Art. 24novies Abs. 3 aBV). Für die Achtung der Würde der Kreatur von Tieren
und Pflanzen nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 des Gentechnikgesetzes vom 21. März 2003
(GTG; SR 814.91) sind etwa die artspezifischen Eigenschaften und Funktionen zu
berücksichtigen, und bei der Bewertung der Beeinträchtigung ist dem Unterschied
zwischen Tieren und Pflanzen (Satz 3) Rechnung zu tragen (dazu etwa Botschaft
vom 1. März 2000 zu einer Änderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz,
BBl 2000 2391, 2405 zu Abs. 2 Satz 2). Auch Art. 74 BV und das
Umweltschutzgesetz (SR 814.1) tragen der Rangordnung innerhalb der natürlichen
Umwelt Rechnung (dazu etwa JÖRG LEIMBACHER, in: Kommentar zum
Umweltschutzgesetz, 2. Aufl. 2003, N. 63 ff. ad Art. 26 USG). Bei der Auslegung
des unbestimmten Rechtsbegriffs ist zudem die Würde der Kreatur zu
berücksichtigen (nicht publ. E. 3.1 am Ende). Auch wenn sie nicht mit der
Menschenwürde gleichgesetzt werden kann und darf, so verlangt jene doch, dass
über Lebewesen der Natur, jedenfalls in gewisser Hinsicht, gleich reflektiert
und gewertet wird wie über Menschen
BGE 135 II 405 S. 415
(STEI
GER/SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, 2. Aufl. 2008
[nachfolgend: Kommentar BV], N. 8 zu Art. 80 BV mit Hinweis auf RAINER J.
SCHWEIZER, in: Kommentar BV, a.a.O., N. 16 zu Art. 120 BV). Diese Nähe zwischen
der Würde der Kreatur und der Menschenwürde zeigt sich besonders bei
nicht-menschlichen Primaten, wenn in der Literatur ausdrücklich auf die
Differenzen zum Menschen hingewiesen wird (vgl. RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches
Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, Rz. 169; siehe auch KOLAR, a.a.O., S. 84).
Während somit zugunsten der nicht-menschlichen Primaten deren starke genetische
und sinnesphysiologische Nähe zum Menschen (siehe auch HIRT UND ANDERE, a.a.O.,
N. 74 zu § 7 TierSchG; für die EU vgl. den Vorschlag der Kommission vom
5.11.2008 für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zum
Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, KOM [2008] 543 endg.
[http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm], passim) sowie die Würde der Kreatur
von nicht-menschlichen Primaten besonders ins Gewicht fallen, sprechen keine
zusätzlichen Argumente zugunsten einer stärkeren Gewichtung des erwarteten
Kenntnisgewinns. Insbesondere wurde von den Beschwerdeführern zu Recht nicht
geltend gemacht, das Nationalfondprojekt insgesamt sei zu berücksichtigen. Denn
für die Interessenabwägung verlangt Art. 61 Abs. 3 lit. d aTSchV, auf den
Kenntnisgewinn des konkreten Tierversuchs und nicht irgendeines abstrakten
Projekts abzustellen (dazu ZENGER, a.a.O., S. 102 ff., 118 f., 123 ff.;
FLEINER-GERSTER, a.a.O., N. 25 zu Art. 25bis aBV; STEIGER/SCHWEIZER, a.a.O., N.
18 zu Art. 80 BV). Aufgrund der ganz besonderen Nähe dieser nicht-menschlichen
Primaten zum Menschen bereitet der vorliegende Tierversuch, gemessen am
erwarteten Kenntnisgewinn, den Versuchstieren unver hältnismässige Schmerzen,
Leiden, Schäden, Angst oder Beeinträchtigungen ihres Allgemeinbefindens. Die
Vorinstanz hat deshalb zu Recht das Interesse der Versuchstiere an der
Belastungsfreiheit höher gewichtet als das menschliche Interesse am
Versuchsergebnis.