Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 II 286



Urteilskopf

135 II 286

29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilungi.S. X. und
Y.Z. gegen Stadt Chur und Regierung des Kantons Graubünden (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_477/2008 vom 16. Juni 2009

Regeste

Art. 4 RPG; Charakter des Mitwirkungsrechts im Planungsverfahren.
Die Mitwirkung im Sinne von Art. 4 RPG stellt eine Einflussmöglichkeit dar, die
von den Instrumenten der direkten Demokratie und des Rechtsschutzes zu
unterscheiden ist. Berechtigt, sich informieren zu lassen und an der Mitwirkung
teilzunehmen, ist "die Bevölkerung", damit weder nur die Stimmberechtigten der
planenden Gebietskörperschaft noch nur die Grundeigentümer im Planperimeter
oder die im Sinne der Rechtsschutzbestimmungen besonders betroffene
Bevölkerung. Das Mitwirkungsrecht dient höchstens indirekt dem Rechtsschutz.
Bei - mit Blick auf den Gesamtzusammenhang - untergeordneten nachträglichen
Planänderungen ohne weitergehendes öffentliches Interesse darf darum von einer
Nachholung des Mitwirkungsverfahrens abgesehen werden (E. 4).

Regeste

Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 33 RPG; rechtliches Gehör und Rechtsschutz im
Planungsverfahren.
Im Raumplanungsrecht werden individueller Rechtsschutz und damit die Gewährung
des rechtlichen Gehörs in Art. 33 RPG abschliessend konkretisiert. Verlangt
wird in Art. 33 RPG lediglich die Auflage der Nutzungspläne, nicht aber auch
der Planentwürfe. Diesem Anspruch genügt ein Verfahren, das die öffentliche
Auflage des Nutzungsplanes erst nach dessen Festsetzung durch das zuständige
Organ zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens anordnet. Infolgedessen können
Einwendungen im Rahmen eines Einsprache- oder Beschwerdeverfahrens vorgebracht
werden. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass sich die Betroffenen je nach
Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens erst gegenüber der Rechtsmittelinstanz
erstmalig rechtlich zur Wehr setzen können und nicht schon gegenüber der
Planungsbehörde. Das rechtliche Gehör wird damit nicht verletzt (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 288

BGE 135 II 286 S. 288
Vom 14. Mai bis 14. Juni 2004 fand in der Stadt Chur die Mitwirkungsauflage zur
Gesamtrevision der Stadtplanung statt. Zur öffentlichen Einsichtnahme lagen
unter anderem auch der Generelle Erschliessungsplan (GEP), Änderungen und
Ergänzungen (1:5'000), und der Generelle Erschliessungsplan 2005 (neu) 1:5'000,
auf. Private hatten die Möglichkeit, bis zum 14. Juni 2004 zur Gesamtrevision
schriftlich Stellung zu nehmen. Am 26. November 2006 nahm die Stimmbevölkerung
der Stadt Chur die Totalrevision der Stadtplanung an und verabschiedete sie
zuhanden der regierungsrätlichen Genehmigung. Gegenstand des GEP bildet nebst
anderem die sogenannte Langsamverkehrsplanung (Fuss- und Fahrradverkehr). Dazu
legte die Stadt insbesondere Fuss-/Spazierwege fest, wobei sie zwischen
"bestehenden" und "neuen/geplanten" Wegen unterschied. Einen solchen Fuss-/
Spazierweg hat die Stadt u.a. im Wohngebiet Loë vorgesehen, um eine neue
direkte und gerade Fussgängerverbindung ab der Sonnenbergstrasse in südlicher
Richtung über die untere Florastrasse, die Falknisstrasse und die
Fusswegparzelle Nr. 1667 bis zur Loëstrasse zu realisieren. Diese neue
Fussgängerverbindung wurde allerdings erst nach dem Mitwirkungsverfahren in den
GEP aufgenommen. Die u.a. betroffenen Grundeigentümer X. und Y.Z.
BGE 135 II 286 S. 289
wurden darüber nach der Volksabstimmung, nämlich am 3. April 2007, von der
Stadt in Kenntnis gesetzt.
X. und Y.Z. gelangten hierauf mit Planungsbeschwerde an die Regierung, dies mit
dem sinngemässen Begehren, die entsprechenden Festlegungen nicht zu genehmigen.
Eventualiter stellten sie Antrag, es sei nur das Teilstück über die Wegparzelle
Nr. 1667 nicht zu genehmigen. Subeventuell sei die Verbindung auf die Parzelle
Nr. 251 zu verlegen. Subsubeventualiter forderten sie, es sei die ganze
Angelegenheit an die Stadt zur neuen Überarbeitung und Neuentscheidung
zurückzuweisen, dies unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bevölkerung. Die
Beschwerdeführer bemängelten insbesondere in formeller Hinsicht, dass bezüglich
der angefochtenen Wegfestlegung kein Mitwirkungsverfahren durchgeführt worden
war.
Die Regierung des Kantons Graubünden wies die Beschwerde am 22. Oktober 2007
ab, soweit sie darauf eintrat. Gleichzeitig genehmigte sie die umstrittene
Fuss-/Spazierwegfestlegung. Die Regierung begründete diesen Entscheid im
Wesentlichen damit, dass im Planungs- und Mitwirkungsbericht zur Gesamtrevision
im Dezember 2006 nicht sämtliche Festlegungen hätten kommentiert werden müssen.
Das öffentliche Interesse an der neu geplanten Wegverbindung ohne unnötige
Umwege überwiege die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Erhalt der
Wegparzelle Nr. 1667 im letzten Teilabschnitt.
Dagegen gelangten die Beschwerdeführer an das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden. Nach Durchführung eines Augenscheins am 4. Mai 2008 wies das
Verwaltungsgericht die Beschwerde am 27. Mai 2008 ab, soweit es darauf eintrat.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. Oktober 2008
beantragten X. und Y.Z. dem Bundesgericht, das vorerwähnte Urteil des
Verwaltungsgerichts aufzuheben. Das Teilstück über die Parzelle Nr. 1667 des am
26. November 2006 im Rahmen der Gesamtrevision der Stadtplanung beschlossenen
"bestehenden/geplanten Fuss-/Spazierweg
Sonnhaldenstrasse-Florastrasse-Falknisstrasse-Loëstrasse" im GEP 1:5'000 sei
nicht zu genehmigen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz oder die Stadt Chur zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Auszug aus den Erwägungen:

BGE 135 II 286 S. 290
Aus den Erwägungen:

4. Die Beschwerdeführer rügen, dass sie über die nachträgliche Änderung des GEP
erst nach der Volksabstimmung informiert worden sind. Aus ihrer Sicht hätte ein
zweites Mitwirkungsverfahren durchgeführt werden müssen: Sie erblicken im
Vorgehen der Behörden sowohl eine Verletzung von Art. 4 RPG (SR 700) als auch
von Art. 29 Abs. 2 BV. Zwischen den beiden angerufenen Bestimmungen gilt es
jedoch klar zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen.

4.1 Art. 4 Abs. 1 RPG sieht vor, dass die mit Planungsaufgaben betrauten
Behörden die Bevölkerung über Ziele und Ablauf der Planungen nach dem RPG
unterrichten. Sie sorgen dafür, dass die Bevölkerung bei Planungen in
geeigneter Weise mitwirken kann (Abs. 2). Den zuständigen Behörden steht bei
der Anwendung von Art. 4 Abs. 2 RPG ein weiter Handlungsspielraum zu. Das gilt
insbesondere auch für die Bestimmung des Kreises, welcher in ein
Mitwirkungsverfahren einzubeziehen ist (BGE 133 II 120 E. 3.2 S. 124). Als
Mindestgarantie fordert Art. 4 RPG, dass die Planungsbehörden neben der
Freigabe der Entwürfe zur allgemeinen Ansichtsäusserung Vorschläge und Einwände
nicht nur entgegennehmen, sondern auch materiell beantworten (BGE 111 Ia 164 E.
2d S. 168). Es genügt allerdings, wenn sich die Behörden materiell mit den
Vorschlägen und Einwänden befassen, eine individuelle Beantwortung wird nicht
verlangt (WALDMANN/HÄNNI, Raumplanungsgesetz, Handkommentar, 2006, N. 13 zu
Art. 4 RPG; siehe auch Urteil des Bundesgerichts 1C_101/2007 vom 26. Februar
2008 E. 3.1).

4.2

4.2.1 Der Kanton Graubünden hat diese bundesrechtlichen Vorgaben in Art. 13 der
Raumplanungsverordnung für den Kanton Graubünden vom 24. Mai 2005 (KRVO; BR
801.110) mit der sogenannten "Mitwirkungsauflage" umgesetzt. Danach legt der
Gemeindevorstand nach Abschluss des Vorprüfungsverfahrens den Entwurf für die
neuen Vorschriften und Pläne zusammen mit dem Planungsbericht, einem
allfälligen UVB und eventuellen Gesuchen für Zusatzbewilligungen in der
Gemeinde während 30 Tagen öffentlich auf und gibt die Auflage im amtlichen
Publikationsorgan der Gemeinde und im Kantonsamtsblatt bekannt (Abs. 1).
Während der öffentlichen Auflage kann jedermann beim Gemeindevorstand
Vorschläge und Einwendungen einbringen. Dieser prüft die
BGE 135 II 286 S. 291
Eingaben und nimmt dazu gegenüber den Mitwirkenden Stellung. Das Ergebnis des
Mitwirkungsverfahrens wird zuhanden des beschlussfassenden Organs
zusammengefasst (Abs. 2). Wird eine Vorlage nach der Mitwirkungsauflage
geändert und erfolgt keine zweite Auflage, gibt der Gemeindevorstand die
Änderung in der Publikation des Beschlusses über den Erlass oder die Änderung
der Grundordnung bekannt und teilt diese ausserdem dem direkt Betroffenen
schriftlich mit (Abs. 3).
Da das umstrittene Wegstück im Zeitpunkt der Mitwirkungsauflage noch nicht in
der jetzigen Linienführung projektiert war, bestand für die Beschwerdeführer
kein Anlass, entsprechende Anregungen und Vorschläge einzubringen. Der
regierungsrätlichen Praxis entsprechend sah die Stadt Chur von einer zweiten
Mitwirkungsauflage ab, da es sich bei der umstrittenen nachträglichen Änderung
des Plans nicht um eine wesentliche Änderung handelte. Über die nachträgliche
Änderung wurden die Beschwerdeführer, wie das Art. 13 Abs. 3 KRVO vorsieht,
nach der Volksabstimmung informiert. Sie sind allerdings der Auffassung, dass
die nachträgliche Änderung eine zweite Mitwirkungsauflage erheischt hätte.
Dabei berufen sie sich sowohl auf Art. 13 KRVO (dazu nachfolgend E. 4.2.2) als
auch 4 RPG (dazu nachfolgend E. 4.2.3).

4.2.2 Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, Abs. 3 von Art. 13 KRVO müsse
restriktiv interpretiert werden und dürfe nur zur Anwendung gelangen, wenn die
Planänderung aus einer Einwendung im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens gemäss
Abs. 2 resultiere, nicht aber, wenn die Planungsbehörde sie von sich aus
vornehme. Aus dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 KRVO ergibt sich keine solche
Einschränkung. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, Art. 13 Abs. 3 KRVO dann
anzuwenden, wenn eine Vorlage nachträglich geändert wird und keine zweite
Auflage erfolgt, sei es, dass die Änderung auf einer in der Mitwirkungsauflage
erfolgten Einwendung beruht, sei es, dass die Planungsbehörde von sich aus
handelt. Im Übrigen erwähnt der sehr offen formulierte Art. 13 Abs. 3 KRVO
nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen eine zweite Auflage erfolgt.

4.2.3 Die Mitwirkung im Sinne von Art. 4 RPG stellt eine Einflussmöglichkeit
dar, die von den Instrumenten der direkten Demokratie und des Rechtsschutzes zu
unterscheiden ist. Sie gehört wie das Vernehmlassungsverfahren zu jenen
institutionellen Formen, die keine rechtliche Bindung, sondern blosse
politische Einflussnahme
BGE 135 II 286 S. 292
bewirken. Information und Mitwirkung ermöglichen die notwendige Breite der
Interessenabwägung, bilden eine wichtige Grundlage für den sachgerechten
Planungsentscheid und tragen damit zu einer qualitativ guten Planung bei.
Deshalb verlangt deren Durchführung einen Zeitpunkt, in welchem die
abschliessende Interessenabwägung noch offen ist (RUDOLF MUGGLI, in: Kommentar
zum Bundesgesetz über die Raumplanung, 1999, N. 9 zu Art. 4 RPG; WALDMANN/
HÄNni, a.a.O., N. 1 zu Art. 4 RPG).
Berechtigt, sich informieren zu lassen und an der Mitwirkung teilzunehmen, ist
"die Bevölkerung", damit weder nur die Stimmberechtigten der planenden
Gebietskörperschaft noch nur die Grundeigentümer im Planperimeter oder die im
Sinne der Rechtsschutzbestimmungen besonders betroffene Bevölkerung. Ein
besonderer Interessennachweis ist nicht verlangt (WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 9
zu Art. 4 RPG). Es liegt allerdings nahe, dass die durch die Planung direkt
Betroffenen, welche in einem späteren Rechtsmittelverfahren zur Beschwerde
legitimiert sind, ihre Interessen bereits im Mitwirkungsverfahren im Sinne von
Einwendungen und Anregungen geltend machen (siehe auch WALDMANN/HÄNNI, a.a.O.,
N. 2 zu Art. 4 RPG). Ob Art 4 RPG im Falle gewichtiger (nachträglicher)
Änderungen eine Wiederholung der Mitwirkungsauflage gebietet, braucht hier
nicht abschliessend erörtert zu werden. Bundesrechtlich ist jedenfalls nicht zu
beanstanden, wenn bei mit Blick auf den Gesamtzusammenhang untergeordneten
nachträglichen Planänderungen ohne weitergehendes öffentliches Interesse von
einer Nachholung des Mitwirkungsverfahrens abgesehen wird (so auch MUGGLI,
a.a.O., N. 25 zu Art. 4 RPG und WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., N. 114 zu Art. 4 RPG,
mit Hinweis auf die Regelungen in Art. 58 Abs. 2 des Baugesetzes des Kantons
Bern vom 9. Juni 1985 [BauG/BE; BSG 721.0] oder in Art. 9 Abs. 3 der Genfer Loi
d'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire du 4 juin 1987
[LaLAT; RSG L 1 30]). Damit wird in Kauf genommen, dass Interessierte nicht
vorgängig an jedem einzelnen Punkt der Neugestaltung teilnehmen können und
namentlich von der Planänderung direkt Betroffene auf den Rechtsmittelweg
verwiesen werden, wie das Art. 13 Abs. 3 KRVO vorsieht. Angesichts der
Zweckbestimmung des Mitwirkungsrechts, welches höchstens indirekt dem
Rechtsschutz dient, in erster Linie aber zur politischen Meinungsbildung einem
breiten Personenkreis offen stehen soll, ist diese Praxis mit Art. 4 RPG
vereinbar.
BGE 135 II 286 S. 293

4.2.4 Bei der nachträglichen Aufnahme des umstrittenen Fusswegstückes in den
GEP handelt es sich - entgegen der Meinung der Beschwerdeführer - um eine
geringfügige Änderung des gesamten Erschliessungsplans, und es sind nur
verhältnismässig Wenige davon direkt betroffen. Unter diesen Umständen war der
Verzicht auf eine Wiederholung des Mitwirkungsverfahrens nicht
bundesrechtswidrig. Mit ihrem Vorgehen haben die Behörden weder Art. 13 Abs. 3
KRVO noch Art. 4 RPG verletzt.

5. Die Beschwerdeführer erblicken im Unterlassen der aus ihrer Sicht gebotenen
vorgängigen Information über die Planänderung aber auch eine Verletzung ihres
rechtlichen Gehörs.

5.1 Das rechtliche Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV dient einerseits der
Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, welcher in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des
Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheides zur Sache zu äussern,
erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit
erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher
Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern,
wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen. Der Anspruch auf
rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht somit alle Befugnisse, die einer
Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam
zur Geltung bringen kann (BGE 132 II 485 E. 3.2 S. 494; BGE 127 I 54 E. 2b S.
56; BGE 117 Ia 262 E. 4b S. 268 mit Hinweisen).

5.2 Es gibt eine Reihe von Kantonen, welche bereits die Planentwürfe auflegen
und ein förmliches Einspracheverfahren vorsehen (§§ 9 und 16 des
solothurnischen Planungs- und Baugesetzes vom 3. Dezember 1978 [BGS 711.1; im
Folgenden: PBG/SO]; § 24 Abs. 1 und 2 des aargauischen Baugesetzes vom 19.
Januar 1993 [BauG/ AG; SAR 713.100]; § 109 f. des basel-städtischen Bau- und
Planungsgesetzes vom 17. November 1999 [BPG/BS; SG 730.100]). In andern
Kantonen wiederum wird das Mitwirkungs- mit dem Planverfahren kombiniert (so
etwa im Kanton Zürich, vgl. dazu HALLER/KARLEN, Raumplanungs-, Bau- und
Umweltrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1999, Rn. 402 S. 112; § 24 Abs. 3 BauG/AG bei
Sondernutzungsplanungen und bei Änderungen der Nutzungspläne und
BGE 135 II 286 S. 294
Nutzungsvorschriften von untergeordneter Bedeutung; Art. 43 Abs. 3 der loi
jurassienne du 25 juin 1987 sur les constructions et l'aménagement du
territoire [LCAT; RSJU 701.1]). Dagegen sieht der Kanton Graubünden für die
Grundordnungsverfahren (Art. 12 ff. KRVO) kein eigentliches Einspracheverfahren
vor, so dass sich die Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer Einwendungen auf das
Rechtsmittelverfahren verwiesen sahen (Art. 13 Abs. 3 KRVO).
Verschiedene Autoren halten dafür, dass die bloss nachträgliche Einräumung
eines Rechtsmittels gegen einen bereits beschlossenen Nutzungsplan mit dem
verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht vereinbar sei,
sondern der durch beabsichtigte Nutzungsplanungen in schutzwürdigen Interessen
Betroffene die Möglichkeit haben müsse, bereits von Planentwürfen Kenntnis zu
erhalten, sie einzusehen und dagegen Einwendungen zu erheben. Damit wird die
Forderung erhoben, das rechtliche Gehör im Nutzungsplanverfahren vor der
erstinstanzlichen Beschlussfassung zu gewähren (WALTER HALLER, Das rechtliche
Gehör bei der Festsetzung von Raumplänen, in: Festschrift für O. K. Kaufmann
zum 75. Geburtstag, 1989, S. 376 f.; weitere Hinweise bei AEMISEGGER/HAAG, in:
Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, 1999, N. 11 Fn. 25 zu Art. 33
RPG). Für diese Auffassung könnte sprechen, dass die Gewährung des rechtlichen
Gehörs im Allgemeinen erheischt, dass Betroffene vor Erlass eines in ihre
Rechtsstellung eingreifenden Entscheides durch die zuständige Behörde zum
frühestmöglichen Zeitpunkt anzuhören sind. Es ist nicht zu übersehen, dass,
wenn wie vorliegend Einwendungen gegen die Planänderung erst nach dem Beschluss
über deren Erlass im anschliessenden Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden
können, deren Adressatin nicht die Planungsbehörde, sondern die
Rechtsmittelinstanz ist. Dieser kommt zwar grundsätzlich umfassende Kognition
zu (Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG), doch respektiert sie das Planungsermessen der
lokalen Planungsbehörde (BGE 127 II 238 E. 3b/aa S. 242 mit zahlreichen
Hinweisen). Damit geht einher, dass die zur Stellungnahme zu den Einwendungen
aufgerufene Planungsbehörde nach durchgeführter Abstimmung nicht mehr in dem
Masse frei ist, wie sie es in einem der Abstimmung vorgelagerten Verfahren
wäre, weshalb von ihr im Rahmen der Vernehmlassung im Rechtsmittelverfahren
keine wirklich unvoreingenommene Prüfung zu erwarten ist, selbst wenn ein
Rückkommen noch möglich wäre. Fraglich ist, ob das rechtliche Gehör der
Betroffenen mit diesem Vorgehen hinreichend gewahrt wird.
BGE 135 II 286 S. 295

5.3 Im Raumplanungsrecht werden individueller Rechtsschutz und damit die
Gewährung des rechtlichen Gehörs in Art. 33 RPG abschliessend konkretisiert:
Nutzungspläne werden öffentlich aufgelegt (Abs. 1). Das kantonale Recht sieht
wenigstens ein Rechtsmittel vor (Abs. 2) und gewährleistet volle Überprüfung
durch wenigstens eine Beschwerdebehörde (Abs. 3 lit. b). Damit erhalten die
Legitimierten (Abs. 3 lit. a) Gelegenheit, im Beschwerdeverfahren mit ihren
Anliegen zu den sie tangierenden Planänderungen gehört zu werden. Freilich ist
es den Kantonen unbenommen, Planentwürfe nicht nur im Sinne der
Mitwirkungsauflage, sondern auch zur Eröffnung eines dem individuellen
Rechtsschutz dienenden Einspracheverfahrens für die direkt Betroffenen
aufzulegen, stellt doch das Bundesrecht in Wahrung der kantonalen Hoheit nur
Mindestvorschriften zur Gewährleistung des Rechtsschutzes auf (BGE 114 Ia 233
E. 2bc ff. S. 238 f.). Der in Art. 33 RPG konkretisierte Gehörsanspruch
verlangt (nur), dass sich entweder die kommunale oder die kantonale Behörde im
Einsprache-, Beschwerde- oder Homologationsverfahren mit den formgerecht und
innert Frist erhobenen Einwendungen materiell befassen muss (BGE 107 Ia 273).
Verlangt wird in Art. 33 RPG lediglich die Auflage der Nutzungspläne, nicht
aber auch der Planentwürfe. Diesem Anspruch genügt ein Verfahren, das die
öffentliche Auflage des Nutzungsplanes erst nach dessen Festsetzung durch das
zuständige Organ zur Einleitung des Rechtsmittelverfahrens anordnet. Das
kantonale Recht, dem das Bundesrecht Rechnung trägt, sieht denn auch vielfach
eine Trennung des politischen Willensbildungsprozesses vom
Rechtsmittelverfahren in dem Sinne vor, dass die im Dienste des Rechtsschutzes
stehende Planauflage erst nach dem Entscheid des zuständigen Organs, in der
Regel der Gemeindeversammlung als der Legislative der Gemeinde, erfolgt (BGE
114 Ia 233 E. 2cd S. 239 mit Hinweisen auf damalige kantonale Regelungen im
Tessin, Basel-Landschaft und Zürich). Infolgedessen können Einwendungen im
Rahmen eines Einsprache- oder Beschwerdeverfahrens vorgebracht werden (BGE 119
Ia 141 E. 5c/bb S. 150).
Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass sich die Betroffenen je nach Ausgestaltung
des kantonalen Verfahrens erst gegenüber der Rechtsmittelinstanz erstmalig
rechtlich zur Wehr setzen können und nicht schon gegenüber der Planungsbehörde.
Damit geht einher, dass die Rechtsmittelinstanz, die zwar über eine umfassende
Sachverhalts- und Rechtskontrolle verfügt, das Planermessen der
BGE 135 II 286 S. 296
Planungsbehörde respektiert. Insoweit mag der Standard der Gehörsgewährung im
Beschwerdeverfahren jenem der Gehörsgewährung im Einspracheverfahren nicht
vollumfänglich zu entsprechen. Dennoch ist der Anspruch auf rechtliches Gehör
gewahrt.