Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 III 66



Urteilskopf

135 III 66

10. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_767/2007 vom 23. Oktober 2008

Regeste

Art. 163, 176, 276 und 285 ZGB; Unterhaltsrecht, Frage der Mankotragung. Dem
Unterhaltsverpflichteten ist in jedem Fall das Existenzminimum zu belassen,
womit ein allfälliges Manko einseitig von den Unterhaltsberechtigten zu tragen
ist (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2-10).

Sachverhalt ab Seite 67

BGE 135 III 66 S. 67
Die Parteien heirateten am 31. März 1994. Aus der Ehe gingen die Kinder R.
(1994), S. (1995) und T. (1997) hervor. Seit Juli 2006 leben die Parteien
getrennt.
Mit Entscheid vom 1. Mai 2007 verpflichtete das Gerichtspräsidium 3 Baden den
Ehemann u.a. zu Unterhaltsbeiträgen ab Dezember 2006 von Fr. 600.- pro Kind und
von Fr. 678.- an die Ehefrau. Mit Urteil vom 12. November 2007 setzte das
Obergericht des Kantons Aargau die Kinderunterhaltsbeiträge von Dezember 2006
bis August 2007 auf Fr. 409.35 und danach auf Fr. 600.- fest und bestätigte im
Übrigen den erstinstanzlichen Entscheid.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Ehefrau am 21. Dezember 2007
Beschwerde in Zivilsachen eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung und
um Festsetzung der Kinderalimente auf Fr. 600.- pro Kind ab Dezember 2006 sowie
des Frauenaliments auf Fr. 625.- von Dezember 2006 bis Juli 2007 und auf Fr.
1'175.- ab August 2007.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Reichen die gemeinsamen Einkommen zur Finanzierung der Bedürfnisse der
Ehegatten und der allenfalls vorhandenen Kinder nicht aus, stellt sich die
Frage, wer das sich aus der Differenz der verfügbaren Mittel und des
Gesamtbedarfes ergebende Manko zu tragen hat. In der früheren kantonalen Praxis
wurde das Problem unterschiedlich angegangen; während verschiedene Kantone das
Manko gleichmässig oder in einem bestimmten Verhältnis auf die
Alimentengläubiger und den Alimentenschuldner verteilten (System der
Mankoteilung), beliessen andere dem Unterhaltsverpflichteten in jedem Fall das
volle Existenzminimum und begrenzten somit die materielle Unterhaltspflicht auf
die Differenz zwischen seinem Einkommen und seinem betreibungsrechtlichen
Existenzminimum (System der einseitigen Mankoüberbindung). Theoretisch liesse
sich das Prinzip der einseitigen Mankoüberbindung auch im umgekehrten Sinn
handhaben, indem vorab der Bedarf der Alimentengläubiger vollständig gedeckt
würde (vorgeschlagen von PERRIN, La détermination des contributions
alimentaires dans les situations de surendettement, in Festgabe für Bernhard
Schnyder, Freiburg 1995, S. 535).
Mit den BGE 121 I 97, BGE 121 III 301 und BGE 123 III 1 hat das Bundesgericht
die Rechtsanwendung dahingehend vereinheitlicht, dass dem
BGE 135 III 66 S. 68
Unterhaltsverpflichteten für alle familienrechtlichen Unterhaltskategorien -
ehelicher Unterhalt gemäss Art. 163 i.V.m. Art. 137, 173 oder 176 ZGB;
nachehelicher Unterhalt gemäss Art. 125 ZGB; Kindesunterhalt gemäss Art. 276
i.V.m. Art. 285 ZGB (bei der Verwandtenunterstützung gemäss Art. 328 ZGB stellt
sich die Mankofrage von vornherein nicht) - stets das volle Existenzminimum zu
belassen ist mit der Folge, dass die Unterhaltsberechtigten das ganze Manko zu
tragen haben. Diese Rechtsprechung wurde in den BGE 126 III 353 E. 1a/aa S. 356
und BGE 127 III 68 E. 2c S. 70 bestätigt.
Weil die Frage in der Lehre auch nach der bundesgerichtlichen
Praxisvereinheitlichung kontrovers behandelt worden ist (vgl. SCHWENZER,
FamKomm, Scheidung, Bern 2005, N. 32 zu Art. 125 ZGB m.w.H.) und überdies die
seinerzeit angeführten Gründe für die einseitige Mankoüberbindung (dazu E. 3)
nicht restlos zu überzeugen vermögen, rechtfertigt es sich, die Frage der
Mankotragung - wie im Urteil 5C.77/2006 vom 14. Dezember 2006, E. 4 nicht publ.
in BGE 133 III 57 angekündigt - mit Bezug auf die vorliegend zur Diskussion
stehenden Kategorien des ehelichen Unterhalts und des Kindesunterhaltes einer
erneuten Überprüfung zu unterziehen.

3. Die Praxisvereinheitlichung wurde seinerzeit im Wesentlichen mit zwei
Argumenten begründet.
Einerseits wurde gesagt, dass die Arbeitsmotivation der
unterhaltsverpflichteten Partei erhalten werden müsse (BGE 121 I 97 E. 3b S.
101); diese könnte bei einem Eingriff ins Existenzminimum verloren gehen. Diese
Betrachtungsweise erscheint aber insofern einseitig, als der Gegenseite in
Mangelfällen regelmässig die sofortige oder spätere (insbesondere bei Wegfall
der Kinderbetreuung) Aufnahme bzw. Ausdehnung einer eigenen Erwerbstätigkeit
zugemutet wird und nicht zu sehen ist, inwiefern der Anreiz für den beruflichen
Wiedereinstieg bei der einseitigen Mankoüberbindung höher sein sollte als die
Arbeitsmotivation des Unterhaltsverpflichteten bei der Mankoteilung (PICHONNAZ/
RUMO-JUNGO, Neuere Entwicklungen im nachehelichen Unterhalt, in:
Familienvermögensrecht, Bern 2003, S. 23 f.; BIGLER-EGGENBERGER, Ehetrennung
und Getrenntleben - und wo bleibt die Gleichstellung der Ehegatten?, AJP 1996
S. 7; SPYCHER, Unterhaltsleistungen bei Scheidung: Grundlagen und
Bemessungsmethoden, Diss. Bern 1996, S. 182; FREIVOGEL, Nachehelicher Unterhalt
- Verwandtenunterstützung - Sozialhilfe,
BGE 135 III 66 S. 69
FamPra.ch 2007 S. 502). Im Übrigen fährt der pflichtige Teil ökonomisch nicht
schlechter, wenn er im Bereich des Eingriffs seinerseits von der Fürsorge
unterstützt wird und so wieder auf sein Existenzminimum kommt.
Als weiteres Argument wurde angeführt, die Mankoteilung könnte zu mehr
Sozialhilfeempfängern und damit zu einer grösseren Belastung für die
Fürsorgebehörden führen (BGE 121 I 97 E. 3b S. 101). Dies kann zutreffen,
soweit beide Ehegatten nach Ausschöpfung aller Einnahmequellen (zusätzliche
Arbeitsanstrengungen, freiwillige oder gesetzliche Zuwendungen Dritter)
tatsächlich die Fürsorge in Anspruch nehmen müssen und nicht die gleiche
Behörde zuständig ist. Indes erscheint fraglich, ob die Arbeitslast der
Fürsorgebehörden als sachliches und damit erhebliches Kriterium für die vom
Zivilrichter gestützt auf das Bundesprivatrecht vorzunehmende
Unterhaltsfestsetzung gelten darf, zumal sich der administrative (Mehr-)aufwand
in Grenzen halten dürfte.
Das Bundesgericht hat in BGE 121 I 97 E. 3b S. 101 f. ferner darauf
hingewiesen, dass bei einer Bevorschussung der Alimente das Gemeinwesen als
Legalzessionarin ohnehin nicht in das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners
eingreifen dürfe (BGE 116 III 10 E. 2 S. 12), und in der Literatur wird die
Meinung vertreten, die Belassung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs
entspreche einer allgemeinen Wertung der Rechtsordnung (so z.B. HAUSHEER/
GEISER, Zur Festsetzung des Scheidungsunterhalts bei fehlenden Mitteln im neuen
Scheidungsrecht, ZBJV 134/1998 S. 99). Diesbezüglich gilt es zu bemerken, dass
der Unterhalt der Familie nicht auf der gleichen Stufe steht wie andere
Forderungen. Vielmehr erachtet bereits das SchKG Unterhaltsforderungen als
schützenswerter, was sich beispielsweise in Vorzügen wie der privilegierten
Anschlusspfändung (Art. 111 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 SchKG) oder der
Berücksichtigung in der 1. Konkursklasse niederschlägt (Art. 219 Abs. 1 lit. c
SchKG). An die besondere Stellung von Unterhaltsforderungen knüpft auch die
Rechtsprechung, wonach bei der Zwangsvollstreckung von Unterhaltsbeiträgen der
Eingriff ins schuldnerische Existenzminimum im Grundsatz zulässig ist (BGE 111
III 13 E. 5 S. 15 f.). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Leitgedanken, dass
sich bei ungenügenden Mitteln beide Ehegatten gleichmässig einschränken sollen,
ferner auch auf der Überlegung, dass zivilrechtlich festgesetzter Unterhalt
nicht im Stadium des Vollzugs scheitern darf (BGE 123 III 332 E. 2 S. 334).
BGE 135 III 66 S. 70
Es ist aber einzuräumen, dass die Mankoteilung im Zusammenhang mit der
Vollstreckung verschiedene Probleme birgt (dazu E. 9), die sich beim System der
einseitigen Mankoüberbindung von vornherein nicht stellen. Für und gegen die
beiden Systeme sprechen sodann eine Vielzahl anderer Elemente (dazu E. 7-9),
die vor dem Hintergrund, dass die Änderung einer gefestigten Rechtsprechung an
verschiedene Voraussetzungen gebunden ist (dazu E. 10), gegeneinander abzuwägen
sind.

4. Für die Unterhaltsfestsetzung ist zunächst vom einschlägigen
Bundesprivatrecht als materielle Grundlage des familienrechtlichen Unterhaltes
auszugehen.
Grundnorm für den ehelichen Unterhalt ist Art. 163 ZGB, wonach die Ehegatten
gemeinsam, ein jeder nach seien Kräften für den gebührenden Unterhalt der
Familie sorgen (Abs. 1) und sich über den Beitrag verständigen, den jeder von
ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes,
Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des anderen (Abs.
2). Der Kindesunterhalt basiert auf Art. 276 ZGB; für seine Bemessung ist nach
Art. 285 Abs. 1 ZGB den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und
Leistungsfähigkeit der Eltern zu entsprechen und sind ausserdem Vermögen und
Einkünfte des Kindes sowie der Beitrag des nicht obhutsberechtigten Elternteils
an der Betreuung des Kindes zu berücksichtigen.
Die Unantastbarkeit des Existenzminimums wird von der Lehre, soweit sie eine
Mankoverteilung ablehnt (in der neueren Literatur sind dies BÄHLER,
Scheidungsunterhalt - Methoden zur Berechnung, Höhe, Dauer und Schranken,
FamPra.ch 2007 S. 469 f.; HAUSHEER/GEISER, a.a.O., S. 93 ff.; GEISER,
Rechtsprechung im Überblick, Plädoyer 2008 S. 43 f.; HAUSHEER, Vom alten zum
neuen Scheidungsrecht, Bern 1999, N. 3.11; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner
Kommentar, N. 27 zu Art. 176 ZGB; HAUSHEER/SPYCHER, Unterhalt nach neuem
Scheidungsrecht, Bern 2001, N. 05.90; REUSSER, Aktuelles aus dem Familienrecht
unter besonderer Berücksichtigung der Revisionstendenzen bei der elterlichen
Sorge, ZBJV 144/2008 S. 147 f.), in erster Linie aus dem Satzteil von Art. 163
Abs. 1 ZGB "ein jeder nach seinen Kräften" abgeleitet; Beiträge an den
Familienunterhalt würden bei einem Eingriff ins Existenzminimum eben die Kräfte
des Unterhaltspflichtigen übersteigen (namentlich HAUSHEER/GEISER, a.a.O., S.
98; so auch BGE 123 III 1 E. 3b/aa S. 4). Damit
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bleiben die anderen Teile des Norminhalts von Art. 163 ZGB unberücksichtigt,
wonach ein jeder Ehegatte gesetzlich verpflichtet ist, gemeinsam mit dem
anderen an den Familienunterhalt beizutragen (Abs. 1), und zwar unter
Berücksichtigung der Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft (Abs. 3). Dies ist
aber dann nicht mehr der Fall, wenn der eine Teil weiterhin den Haushalt
besorgt und die Kinder betreut, mithin die sich aus der im Sinn von Art. 163
Abs. 2 ZGB vereinbarten Aufgabenteilung ergebenden Pflichten erfüllt, während
der andere Teil nurmehr für seinen eigenen Unterhalt sorgt und damit die sich
aus der erwähnten Vereinbarung ergebenden Pflichten aufgibt oder diesen nicht
mehr genügend nachkommt. Ferner wird damit zwischen Geld- und
Erziehungsleistungen implizit eine Rangordnung geschaffen, was der Absicht von
Art. 163 ZGB entgegensteht (zum Grundsatz der Gleichwertigkeit der Beiträge im
Sinn von Art. 163 Abs. 2 ZGB statt vieler: HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N.
35 zu Art. 163 ZGB).
Sodann ist nicht zu übersehen, dass gerade im Fall von Kindern der erziehende
Elternteil meistens wegen deren Betreuung an einer (ausgedehnten) Erwerbsarbeit
gehindert ist. Der andere Ehegatte, ja die Gesellschaft überhaupt, erwartet vom
betreuenden Teil auch regelmässig, dass er die im Rahmen der Aufgabenteilung
übernommenen familiären Pflichten weiterhin erfüllt und sich um die Belange der
Kinder kümmert, dass er mithin den Aufgaben im Sinn von Art. 163 Abs. 2 ZGB
auch nach der Trennung nachkommt. Vom anderen Teil dürfte somit an sich
Gleiches erwartet werden. Dazu kommt, dass die verfügbaren Mittel während des
Zusammenlebens in der Regel gleichmässig für alle Familienmitglieder verbraucht
werden und nicht der "Ernährer" nach dem Löwenprinzip vorab seine eigenen
Bedürfnisse im Rahmen des Existenzminimums deckt und nur den allfällig
verbleibenden Überrest an die Familie weitergibt. Dieses Problemfeld hat PERRIN
in die Frage gefasst: "Les enfants ont-ils moins besoin de manger que leurs
parents?" (La méthode du minimum vital, SJ 1993 S. 441).
Wie der eheliche Unterhalt bemisst sich denn auch der Kinderunterhalt nach
Kriterien sowohl auf der Seite des unterhaltsverpflichteten Elternteils als
auch des unterhaltsberechtigten Kindes: Nach Art. 285 Abs. 1 ZGB soll der
Unterhaltsbeitrag einerseits den Bedürfnissen des Kindes und andererseits der
Lebensstellung bzw. der Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen. Mit dem
Grundsatz der Unantastbarkeit des Existenzminimums des
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unterhaltsverpflichteten Elternteils wird nur das eine der massgebenden
Kriterien (Leistungsfähigkeit des Elternteils) berücksichtigt, während das
andere (Bedürfnisse des Kindes) ausser Acht bleibt; stellt aber die
Leistungsfähigkeit nur eines von mehreren Bemessungskriterien dar, kann sie an
sich nicht zum alleinigen werden, nur weil sie gering ist; vielmehr wäre es
naheliegend, zwar geringe, aber immerhin Beiträge festzusetzen.
Eine auf die materiellen Grundlagen des Unterhaltsrechts beschränkte
Betrachtungsweise führt mit Bezug auf den ehelichen Unterhalt und den
Kinderunterhalt also zunächst zum Ergebnis, dass ein Manko auf die
verschiedenen Familienmitglieder verteilt werden müsste. Der Grundsatz der
Unantastbarkeit des Existenzminimums dürfte gedanklich denn auch nicht auf
einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise beruhen, sondern auf den gesicherten
Hintergrund zurückgehen, dass die Träger des Fehlbetrages Sozialhilfe in
Anspruch nehmen können.

5. Die soeben dargestellte Auslegung von Art. 163 ZGB und Art. 276 i.V.m. 285
ZGB würde auch einer verfassungsmässigen Auslegung im Sinn des allgemeinen
Gebotes der Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV) entsprechen; dagegen steht das
Verbot der Geschlechterdiskriminierung (Art. 8 Abs. 3 BV) nicht im Vordergrund,
denn Ausgangspunkt ist unabhängig von der Art des Unterhalts die faktisch
bestehende Versorgungslage. So kann ein Hausmann mit der gleichen Problematik
konfrontiert sein und stellt sich die Frage der Mankotragung auch bei der
registrierten Partnerschaft, insbesondere aber beim Kindesunterhalt. Insofern
sind die Ehegatten von der Verteilung des Mankos nicht in ihrer Funktion als
Mann und Frau, sondern als unterhaltsverpflichteter und unterhaltsberechtigter
Ehepartner betroffen; die finanzielle Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der
Trennung und damit die "Rolle" als berechtigter oder verpflichteter Teil ergibt
sich bei den Ehegatten aus der gemeinsam gewählten Aufgabenteilung, während sie
im Verhältnis zu den Kindern naturgemäss vorgegeben ist.
Was die verfassungsmässigen Rechte anbelangt, würde im Übrigen der Anspruch auf
Hilfe in Notlagen einer Mankoteilung nicht entgegenstehen. Art. 12 BV regelt
nicht die familienrechtliche Unterhaltspflicht, sondern das Verhältnis zwischen
hilfsbedürftigem Bürger und Staat. Im Übrigen verhält sich die Art der
Mankoverteilung in Bezug auf Art. 12 BV insofern neutral, als durch eine
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Aufteilung zwar unter Umständen eine Hilfsbedürftigkeit beim
Unterhaltsverpflichteten geschaffen, dafür aber die Hilfsbedürftigkeit beim
Unterhaltsberechtigten im Gleichschritt verringert wird. Der Notbedarf des
Unterhaltspflichtigen ist aber nicht schützenswerter als derjenige des
Unterhaltsberechtigten, und die Hilfsbedürftigkeit der Familie bzw. die
gesamthaften Fürsorgeleistungen bleiben unabhängig von der Verteilung des
Mankos konstant.

6. Weiter fragt sich, ob die parlamentarischen Beratungen zur
Scheidungsrechtsrevision einer Mankoteilung auch mit Bezug auf den ehelichen
und den Kinderunterhalt entgegenstehen würden: Für den nachehelichen Unterhalt
wurde ein von der nationalrätlichen Kommission eingebrachter Art. 125 Abs. 2^
bis ZGB, nach welchem das Manko in angemessener Weise zwischen den Ehegatten
aufzuteilen gewesen wäre, in den Räten ausführlich diskutiert, aber nicht nur
vom Ständerat (AB 1998 S S. 325 f.), sondern im Differenzbereinigungsverfahren
schliesslich auch vom Nationalrat verworfen (AB 1998 N S. 1190).
Bundesrat Koller begründete die abweisende Haltung des Bundesrates mit der
Kohärenz des Systems, die gefährdet werde, wenn eine Mankoteilung nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung beim ehelichen Unterhalt nicht möglich sei,
für den nachehelichen Unterhalt aber gesetzlich vorgeschrieben werde (AB 1997 N
S. 2702); auch Ständerat Küchler und Nationalrat Baumann hielten fest, es
leuchte nicht ein, weshalb die Solidarität nachehelich weiter gehen solle, als
sie ehelich gegangen sei und gegenüber den Kindern gehe (AB 1998 S S. 325, bzw.
AB 1998 N S. 1188).
Es ist an sich nicht zwingend, dass diese aufgrund der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zum ehelichen Unterhalt folgerichtig begründete Ablehnung der
Mankoteilung für die vom Grundsatz der Eigenversorgung geprägte Zeit nach der
Auflösung der Ehe (BGE 134 III 145 E. 4 S. 146 unten) ihrerseits auf den
ehelichen Unterhalt und den Kindesunterhalt gewissermassen zurückwirkt.
Immerhin hat sich das Parlament aber der Frage der Mankoteilung angenommen und
darüber mit Bezug auf den nachehelichen Unterhalt abgestimmt. Dabei ist die
Parlamentsmehrheit in der Diskussion auch nicht davon ausgegangen, dass die
bundesgerichtliche Rechtsprechung zum ehelichen Unterhalt und zum
Kindesunterhalt verfehlt sei, aus Gründen der Systemkohärenz aber für den
nachehelichen Unterhalt nicht anders entschieden werden könne. Die
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Frage, ob den rechtsanwendenden Behörden aufgrund der parlamentarischen
Beratungen zum nachehelichen Unterhalt für den ehelichen und für den
Kindesunterhalt Spielraum verbleibt, ist nach dem Gesagten nicht von vornherein
klar, muss mit Blick auf das Endergebnis aber auch nicht abschliessend
beurteilt werden.

7. Es bleibt, die Auswirkungen der beiden Systeme im Zusammenhang mit der
Festsetzung und der Vollstreckung des Unterhalts zu prüfen. Dabei soll zunächst
die Frage der Vereinbarkeit der Mankoteilung mit dem Bundesgesetz vom 24. Juni
1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG; SR 851.1)
diskutiert werden.
Mit dem ZUG ist die interkantonale Zuständigkeit bundesrechtlich geregelt
worden; die meisten Kantone wenden die betreffenden Bestimmungen durch Verweis
oder inhaltliche Übernahme auch im interkommunalen Verhältnis an (WOLFFERS,
Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 56). Relevant sind
Art. 2 Abs. 1 ZUG, wonach bedürftig ist, wer für seinen Lebensunterhalt nicht
hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann, Art. 6
ZUG, wonach jeder Ehegatte einen eigenen Unterstützungswohnsitz hat, bzw. Art.
7 Abs. 2 ZUG, wonach das unmündige Kind bei Eltern ohne gemeinsamen Wohnsitz
den Unterstützungswohnsitz jenes Elternteils hat, bei dem es wohnt, und Art. 32
Abs. 3 ZUG, wonach in Hausgemeinschaft lebende Ehegatten und unmündige Kinder
mit gleichem Unterstützungswohnsitz rechnerisch als ein Unterstützungsfall zu
behandeln sind.
Soweit ein Unterhaltspflichtiger für seinen eigenen Unterhalt aufzukommen
vermöchte, jedoch aufgrund zivilrechtlicher Unterhaltspflichten die
Fürsorgebehörde aufsuchen müsste, würde die Fürsorgebehörde des
Alimentenschuldners (jedenfalls wirtschaftlich betrachtet) nicht zur
Unterstützungseinheit im Sinn von Art. 32 Abs. 3 ZUG gehörende Dritte
unterstützen. Mit dieser Begründung haben in der Vergangenheit denn auch
verschiedene Fürsorgebehörden eine über den Bedarf des eigenen Ansprechers
hinausgehende Unterstützung verweigert (vgl. FREIVOGEL, a.a.O., S. 514 f.;
HAUSHEER/GEISER, a.a.O., S. 100; PICHONNAZ/RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 25; SPYCHER,
a.a.O., S. 185; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht,
Zürich 1999, N. 64 zu Art. 125 ZGB; URECH/FASEL, Geteiltes Leid - halbes Leid,
recht 15/1997 S. 63 unten).
Dem liesse sich entgegenhalten, dass Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den in
einem anderen Haushalt lebenden
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Familienmitgliedern keine gewöhnlichen Schulden, sondern familienrechtliche
Pflichten sind, die insofern zum eigenen Lebensunterhalt des
Alimentenschuldners gehören, zumal sie einerseits auch bei der Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums zu dessen eigenem Notbedarf gezählt
werden (vgl. Ziff. II.5 der Richtlinien zur Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums) - es ist ja gerade der Sinn und Zweck
des sog. betreibungsrechtlichen Existenzminimums, dass der Schuldner zu Lasten
gewöhnlicher Kurrentforderungen vorab den Unterhalt für sich und seine Familie
decken kann - und andererseits der Richter den Arbeitgeber des
Unterhaltspflichtigen gestützt auf Art. 177 ZGB anweisen könnte, direkt
Zahlungen an die Unterhaltsgläubiger zu erbringen.
Die geltenden Normen des ZUG lassen sich aber nur mit Mühe in dieser Weise
interpretieren, umso mehr als das Gesetz bei seinem Erlass noch vom Prinzip der
Familieneinheit ausging (Botschaft, BBl 1976 III 1204). So war nach der
ursprünglichen Formulierung von Art. 2 Abs. 1 ZUG bedürftig, wer seine
notwendigen Lebensbedürfnisse und die seiner mit ihm den Wohnsitz teilenden
Familienangehörigen nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen
Kräften und Mitteln bestreiten konnte. Entsprechend teilte die Ehefrau nach der
seinerzeitigen Fassung unabhängig von ihrem Aufenthaltsort den
Unterstützungswohnsitz des Ehemannes (Art. 6 Abs. 1 aZUG); erst mit der
dauernden Trennung erhielt sie einen eigenen Unterstützungswohnsitz (Art. 6
Abs. 2 lit. b aZUG). Mit der Revision vom 14. Dezember 1990 wurde Art. 6 ZUG
dahingehend geändert, dass jeder Ehegatte einen eigenen Unterstützungswohnsitz
hat, und vor diesem Hintergrund ist klar, dass sich die in Art. 2 Abs. 1 ZUG
ebenfalls revidierte Bedürftigkeitsdefinition "für seinen Lebensunterhalt"
nicht anders als "für seinen eigenen Lebensunterhalt" lesen lässt.
Unterstützungseinheit ist in diesem Sinn grundsätzlich die Einzelperson, wobei
Hausgemeinschaften gemäss Art. 32 Abs. 3 ZUG zu einer Einheit zusammengezogen
werden können (WOLFFERS, a.a.O., S. 136).
Was die praktische Handhabung und die Auswirkungen auf die Gesamtordnung
anbelangt, haben beide Systeme im Zusammenhang mit der fürsorgerechtlichen
Unterstützung der mankobelasteten Personen je einen gravierenden Vor- bzw.
Nachteil:
Mit dem System der einseitigen Mankoüberbindung wird der Grundsatz der
Subsidiarität der Sozialhilfe (dazu WOLFFERS, a.a.O., S. 71 f.;
BGE 135 III 66 S. 76
THOMET, Kommentar zum ZUG, Zürich 1994, N. 70) durchkreuzt, und es kann zu
systemwidrigen Verzerrungen kommen, wenn die Sozialhilfe zum primären Element
in der unterstützungsrechtlichen Kaskade erhoben wird: Hat beispielsweise der
unterstützungspflichtige Ehegatte vermögende Eltern, die im Rahmen von Art. 328
ZGB verwandtenunterstützungspflichtig wären, so aktualisiert sich diese
Unterstützungspflicht gar nicht erst, wenn dem Unterhaltsschuldner das ganze
Existenzminimum belassen wird; infolge der einseitigen Mankoüberbindung müssen
der andere Ehegatte und die Kinder hierfür in vollem Umfang von der - an sich
gegenüber der Verwandtenunterstützungspflicht subsidiären - Sozialhilfe
unterstützt werden. Stossende Resultate können sich sodann im Zusammenhang mit
der Rückerstattungspflicht für die bezogenen Fürsorgeleistungen ergeben, wobei
im Zeitpunkt der Unterhaltsfestsetzung unbekannt ist, ob sich diese
aktualisieren wird (dazu E. 8). Was den Kinderunterhalt im Speziellen
anbelangt, kommt es überdies zu einer gesellschaftspolitisch unerwünschten
Umkehrung des Grundsatzes, dass in erster Linie die Eltern und nicht die
staatlichen Institutionen für die Kinder aufzukommen haben. Insofern erschiene
es an sich sachgerechter, wenn zuerst der Zivilrichter die familienrechtlich
geschuldeten Unterhaltsbeträge festsetzen und in einem zweiten Schritt die
Fürsorgebehörden subsidiär für die noch bestehenden Deckungslücken aufkommen
würden.
Auf der anderen Seite würden bei einer Mankoteilung mit dem Ehegatten und den
unter dessen Obhut stehenden Kindern Drittpersonen in das
Administrativverhältnis zwischen der Fürsorgebehörde und dem Alimentenschuldner
eingebunden, die im betreffenden Verfahren nicht Partei sind und entsprechend
von der Behörde auch nicht direkt in die Pflicht genommen werden können. Dies
kann insbesondere dort zu Problemen führen, wo sich die ökonomischen
Verhältnisse bei den Drittpersonen während des Unterstützungsverhältnisses
ändern. Es besteht keine Garantie, dass die Fürsorgebehörde beispielsweise von
der Verbesserung der finanziellen Situation des anderen Ehegatten rechtzeitig
Kenntnis erhält und entsprechend reagieren kann. Ohnehin können die
Fürsorgebehörden auf eintretende Änderungen ganz allgemein rascher und
flexibler reagieren, wenn sie jeweils nur ihren eigenen Sozialhilfeempfänger
unterstützen. Schliesslich bestehen bei der praktischen Umsetzung der
Mankoteilung auch dort Probleme, wo der Alimentenschuldner, der von der
Fürsorgebehörde über seinen eigenen Bedarf hinaus unterstützt
BGE 135 III 66 S. 77
wird, seinen familienrechtlichen Verpflichtungen nicht regelmässig und
vollständig nachlebt (dazu E. 9).
In fürsorgerechtlicher Hinsicht lässt sich zusammenfassend festhalten, dass
sich das System der Mankoteilung nicht zwangslos mit der Zuständigkeitsordnung
des auf der gleichen Stufe wie das ZGB stehenden ZUG verbinden lässt und damit
der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung tangiert ist. Mehr noch als diese
theoretischen Bedenken sprechen die dargestellten praktischen Probleme, die
sich beim System der einseitigen Mankoüberbindung von vornherein nicht stellen,
gegen dasjenige der Mankoteilung.

8. In jüngerer Zeit wurden die sich aus dem System der einseitigen
Mankoüberbindung ergebenden unbilligen Konsequenzen im Zusammenhang mit der
Rückerstattung von Fürsorgeleistungen vermehrt in den Brennpunkt der Diskussion
gerückt (aus der neueren Literatur: BIGLER-EGGENBERGER, Überschuss und Manko
bei Ehetrennung und Ehescheidung - ein Problem rechtlicher und tatsächlicher
Gleichstellung von Frau und Mann?, in: Festschrift für Heinz Hausheer, Bern
2002, S. 197 ff.; FANKHAUSER, Nachehelicher Unterhalt in Mankofällen. Art. 125
ZGB, AJP 2007 S. 1175 ff.; POHLMANN, Mankoteilung - Möglichkeiten eines
Ausgleichs zwischen den Ehegatten, FamPra.ch 2007 S. 526 ff.; FREIVOGEL,
a.a.O., S. 501 ff.): Die Entgegennahme von Fürsorgeleistungen begründet eine
entsprechende persönliche Schuld gegenüber dem Gemeinwesen. Hat der eine
Ehegatte das ganze Manko alleine zu tragen, wachsen diesbezüglich nur ihm
Schulden an und richtet sich der Rückforderungsanspruch des Gemeinwesens allein
gegen ihn. Zwar belasten diese Schulden, soweit sie während der Trennungszeit
begründet worden sind, bei der Scheidung güterrechtlich die Errungenschaft des
betreffenden Ehegatten (Art. 209 Abs. 2 ZGB); indes wird bei Mangellagen
typischerweise ein Rückschlag resultieren, welchen der betreffende Ehegatte
selbst zu tragen hat (Art. 210 Abs. 2 ZGB). Diesfalls ist es auch nicht
möglich, im Rahmen des (allfälligen) nachehelichen Unterhalts einen Ausgleich
für die einseitige Mankoüberbindung zu schaffen, weil die auf Art. 163 oder 276
und 285 i.V.m. Art. 137 oder 176 ZGB gründende Unterhaltspflicht des Schuldners
beim System der einseitigen Mankoüberbindung materiell auf die Differenz
zwischen seinem Einkommen und Existenzminimum beschränkt wird, so dass der
Schuldner keine über diese Quote hinausgehenden finanziellen Verpflichtungen
gegenüber dem anderen Ehegatten oder seinen Kindern hat und deshalb die
BGE 135 III 66 S. 78
nachträgliche Deckung von Unterhaltslücken im Rahmen des nachehelichen
Unterhalts auf eine unzulässige Korrektur des rechtskräftigen Trennungsurteils
bzw. der in Rechtskraft erwachsenen vorsorglichen Massnahmen hinauslaufen würde
(BGE 133 III 57 E. 3 S. 60 f.).
In BGE 121 I 97 E. 3b S. 101 wurde die einseitige Belastung mit Rückforderungen
durch die Fürsorgebehörden als bloss theoretisch abgetan. Die praktische
Erfahrung zeigt aber, dass es durchaus zur Rückforderung von
Sozialhilfeleistungen kommen kann (siehe namentlich den zitierten BGE 133 III
57; vgl. auch PICHONNAZ/RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 25; URECH/FASEL, a.a.O., S. 58
Fn. 8). Gerade in Mangelfällen wird vom unterhaltsberechtigten Ehegatten
regelmässig eine (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsprozess verlangt, so dass
sich dessen finanzielle Situation mit der Zeit verbessert. In diesem
Zusammenhang ist im Übrigen festzustellen, dass damit in der Regel eine
ökonomische Erholung des Unterhaltsverpflichteten einhergeht (Wegfall von
Unterhaltspflichten gegenüber dem Ehegatten und insbesondere gegenüber den
Kindern, ferner durch berufliche Karriere), so dass die einseitige Belastung
mit Rückforderungen besonders stossend erscheint.
Andererseits sind grosse Unterschiede bei der vollumfänglich im Ermessen der
Kantone liegenden Geltendmachung der Rückforderungsansprüche (THOMET, a.a.O.,
N. 261) festzustellen. Sodann ist bei der Festsetzung des ehelichen Unterhaltes
in den meisten Fällen auch offen, ob der Alimentengläubiger dereinst über
ausreichende Mittel verfügen wird, so dass sich der Rückforderungsanspruch des
Gemeinwesens überhaupt aktualisieren kann. Bei einer Abwägung zwischen den
beiden Systemen ist die Gesamtheit der praxisrelevanten Fälle im Auge zu
behalten und darf nicht dem Prinzip der Mankoteilung allein wegen der
unbestreitbar gerechteren Auswirkungen für den Fall, dass es später tatsächlich
zu einer Rückerstattung von Fürsorgeleistungen kommt, der Vorzug gegeben
werden.

9. Was die Zwangsvollstreckung der festgesetzten Unterhaltsbeiträge anbelangt,
hat die Mankoteilung gegenüber dem System der einseitigen Mankoüberbindung, bei
dem es unter dem Vorbehalt gleichbleibender finanzieller Verhältnisse zu keinen
Problemen kommt, verschiedene Nachteile:
Zunächst eröffnet sich aus dem Umstand, dass die Fürsorgebehörde beim System
der Mankoteilung wirtschaftlich gesehen
BGE 135 III 66 S. 79
Drittpersonen unterstützen muss (dazu E. 7), das Risiko, dass der
Alimentenschuldner die betreffenden Sozialhilfeleistungen nicht an die
unterhaltsberechtigten Personen als Enddestinatäre weiterleitet, sondern für
eigene Bedürfnisse verbraucht. Insofern tragen die Unterhaltsberechtigten im
Unterschied zum System der einseitigen Mankoüberbindung auch für den
Mankoanteil des Unterhaltsschuldners das Inkassorisiko und besteht weiter die
Gefahr, dass die staatlichen Stellen (Fürsorge und Alimentenbevorschussung) bei
fehlgeschlagenem Inkasso im Ergebnis doppelte Leistungen erbringen müssen.
Eine bereits im Gesetz angelegte Systemlücke ergibt sich sodann für den Fall,
dass der Unterhaltsverpflichtete nachträglich (beispielsweise bei Verlust der
Arbeitsstelle oder Aussteuerung) in einem die pfändbaren Einkommensbestandteile
übersteigenden Mass fürsorgeabhängig wird, ohne dass es (vorerst) zu einer den
neuen Einkommensverhältnissen entsprechenden Abänderung der
Unterhaltsverpflichtung kommt: Diesfalls können die Alimente von vornherein
nicht vollstreckt werden, weil Fürsorgeleistungen absolut unpfändbar sind (Art.
92 Abs. 1 Ziff. 8 SchKG), was erneut das Risiko birgt, dass die staatlichen
Stellen im Endeffekt Doppelzahlungen erbringen müssen.

10. Die Änderung einer Rechtsprechung muss sich auf ernsthafte, sachliche
Gründe stützen können, die - vor allem im Hinblick auf das Gebot der
Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder
nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung für zutreffend erachtet worden
ist. Eine Praxisänderung lässt sich grundsätzlich nur begründen, wenn die neue
Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen
oder gewandelten Rechtsanschauungen entspricht; andernfalls ist die bisherige
Praxis beizubehalten (BGE 127 II 289 E. 3a S. 292; BGE 132 III 770 E. 4 S.
777).
Was die äusseren Verhältnisse und die Rechtsanschauung als solche anbelangt,
hat sich mit Bezug auf die vorliegend zur Diskussion stehende Frage in den
letzten 15 Jahren nichts geändert. Im Übrigen entspräche das System der
Mankoteilung zwar allenfalls besserer Erkenntnis der ratio legis von Art. 163
ZGB bzw. Art. 276 i.V.m. Art. 285 ZGB (vgl. E. 4), aber ein Systemwechsel würde
in der praktischen Handhabung auf zwei Ebenen zu mannigfaltigen Schwierigkeiten
führen, zum einen beim Zusammenspiel mit den Fürsorgebehörden für die
allseitige Deckung des verteilten Mankos
BGE 135 III 66 S. 80
(dazu E. 7) und zum anderen im Stadium der Zwangsvollstreckung für den Fall des
teilweisen oder vollständigen Ausbleibens der Unterhaltsbeiträge (dazu E. 9).
Den sich bei der Umsetzung ergebenden Problemen ist angesichts ihrer
Komplexität und Tragweite bereits bei der Wahl des Systems für die gerichtliche
Festsetzung des geschuldeten Unterhalts Rechnung zu tragen. Für diese kann mit
anderen Worten die zivilrechtliche Exegese der massgeblichen materiellen Normen
(dazu E. 4) nicht allein massgebend sein; die Schwierigkeiten bei der
praktischen Handhabung stellen ernsthafte, sachliche Gründe für die
Beibehaltung des Systems der einseitigen Mankoüberbindung dar, welche das
Kriterium der besseren Erkenntnis der ratio legis überlagern. Dazu kommt, dass
das bisherige System in der Praxis den beteiligten Personen und Behörden
vertraut ist und es sich in jeder Hinsicht eingespielt hat, so dass die für
eine Praxisänderung sprechenden Gründe umso beherrschender sein müssten.
Insgesamt ergibt eine gegenseitige Abwägung der in E. 3-9 dargestellten
Elemente, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der Rechtsprechung im
Rahmen der geltenden Rechtsordnung nicht gegeben sind. Es wäre vielmehr am
Gesetzgeber, gegebenenfalls unter Anpassung der betroffenen Gesetze bzw.
Rechtsgebiete eine adäquate und kohärente Lösung für die anerkanntermassen
unbefriedigende Situation zu schaffen, die sich aus der einseitigen
Mankoüberbindung an die Unterhaltsgläubiger - in der Regel die Ehefrau und
naturgemäss immer die Kinder - ergibt.