Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 III 603



Urteilskopf

135 III 603

88. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. und B.
gegen X. Finanz AG und X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_100/2009 vom 15. September 2009

Regeste

Art. 105 Abs. 3 FusG; Fusion; Klage auf Überprüfung der Anteils- und
Mitgliedschaftsrechte; Kostenverteilung.
Grundsätze der Klage auf Überprüfung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte
gemäss Art. 105 Abs. 1 FusG und der Kostenregelung in Art. 105 Abs. 3 FusG (E.
2.1).
Der Grundsatz der Kostentragung durch die übernehmende Gesellschaft gemäss Art.
105 Abs. 3 FusG kommt gemäss seinem Schutzzweck nicht zur Anwendung, wenn ein
Kläger seine Aktien in Kenntnis der vorgesehenen Abfindung gekauft hat (E.
2.4).

Sachverhalt ab Seite 603

BGE 135 III 603 S. 603

A. Die X. AG, Schaffhausen, strebte als Mehrheitsaktionärin der Y. AG, Zug,
deren vollständige Übernahme an und unterbreitete
BGE 135 III 603 S. 604
daher deren Minderheitsaktionären am 31. August 2006 ein öffentliches
Kaufangebot über Fr. 150.- für jede Namenaktie mit Fr. 20.- Nennwert. Nach
Vollzug des Angebots hielt die X. AG direkt und indirekt insgesamt 92,8 % des
Aktienkapitals und der Stimmrechte der Y. AG.
Am 15. Dezember 2006 schloss die Z. AG, Schaffhausen, eine hundertprozentige
Tochterfirma der X. AG, einen Fusionsvertrag mit der Y. AG. Darin wurde
vereinbart, dass die Z. AG im Rahmen einer Absorptionsfusion die Y. AG
übernimmt und deren Minderheitsaktionäre für jede Namenaktie mit Fr. 20.-
Nennwert eine Abfindung von Fr. 150.- erhalten, welche die X. AG bezahlt.
Nachdem die Generalversammlungen der Vertragsparteien der Fusion zugestimmt
hatten, wurde diese am 1. Februar 2007 im Schweizerischen Handelsamtsblatt
veröffentlicht.

B.

B.a Am 27. März 2007 klagten A. (Kläger 1), Stuttgart, B. (Kläger 2),
Mainbernheim, und weitere Personen beim Kantonsgericht Schaffhausen gegen die
Z. AG (Beklagte 1) und die X. AG (Beklagte 2) auf eine angemessene Erhöhung der
Abfindung für ausgeschiedene Minderheitsaktionäre der früheren Y. AG gemäss
Art. 105 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Fusion, Spaltung, Umwandlung und
Vermögensübertragung vom 3. Oktober 2003 (Fusionsgesetz, FusG; SR 221.301). Als
minimale Ausgleichszahlung verlangten die Kläger von den Beklagten pro
entzogene Aktie Fr. 50.-, d.h. Fr. 44'600.- für den Kläger 1 und Fr. 43'150.-
für den Kläger 2.
Das Kantonsgericht überwies die Klage an das Friedensrichteramt der Stadt
Schaffhausen, welches nach erfolglosem Sühneverfahren am 29. August 2007 die
Weisung an das Kantonsgericht ausstellte.
Mit Statutenänderung vom 30. März 2007 änderte die Z. AG ihre Firma in X.
Finanz AG.

B.b Mit Verfügung vom 26. November 2007 verpflichtete der Vorsitzende der II.
Zivilkammer des Kantonsgerichts die Kläger 1 und 2, je einen
Gerichtskostenvorschuss von Fr. 4'000.- zu leisten.
Einen gegen diese Verfügung erhobenen Rekurs der Kläger 1 und 2 wies das
Obergericht des Kantons Schaffhausen mit Entscheid vom 23. Januar 2009 ab.

C. Die Kläger (Beschwerdeführer) erhoben Beschwerde in Zivilsachen mit den
Anträgen, den Entscheid des Obergerichts vom
BGE 135 III 603 S. 605
23. Januar 2009 aufzuheben und die Vorinstanzen anzuweisen, das
Überprüfungsverfahren nach Art. 105 FusG fortzusetzen, ohne von den Klägern
Kostenvorschüsse zu erheben.
Die Beklagten (Beschwerdegegnerinnen) schlossen auf Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf eingetreten werden kann. Das Obergericht stellte bezüglich der
Beschwerde keinen Antrag.
Das Bundesgericht wies die Beschwerde an der öffentlichen Sitzung vom 15.
September 2009 ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1

2.1.1 Das Fusionsgesetz geht vom Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität
aus. Demnach haben bei Fusionen die Gesellschafter der übertragenden
Gesellschaft Anspruch auf Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an der
übernehmenden Gesellschaft, die ihren bisherigen Anteils- oder
Mitgliedschaftsrechten entsprechen (Art. 7 Abs. 1 FusG). Der Grundsatz der
mitgliedschaftlichen Kontinuität wird allerdings eingeschränkt. So können die
an der Fusion beteiligten Gesellschaften im Fusionsvertrag den Gesellschaftern
ein Wahlrecht zwischen Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten und einer Abfindung
zugestehen oder bestimmen, dass nur eine Abfindung ausgerichtet wird (Art. 8
FusG). Im letztgenannten Fall bedarf der Fusionsbeschluss der Zustimmung von
mindestens 90 Prozent der stimmberechtigten Gesellschafter der übertragenden
Gesellschaft (Art. 18 Abs. 5 FusG).

2.1.2 Geht bei einer Fusion ein ausgeschlossener Gesellschafter davon aus, die
Abfindung sei nicht angemessen, kann er innerhalb von zwei Monaten nach der
Veröffentlichung des Fusionsbeschlusses verlangen, dass das Gericht die
Anteils- und Mitgliedschaftsrechte überprüft und eine angemessene
Ausgleichszahlung festsetzt (Art. 105 Abs. 1 FusG). Diese so genannte
Überprüfungsklage dient der wirtschaftlichen Korrektur einer Verletzung des
Prinzips der Kontinuität der Mitgliedschaft (FELIX C. MEIER-DIETERLE, in:
Zürcher Kommentar zum Fusionsgesetz, 2004, N. 1 zu Art. 105 FusG; BÜRGI/
GLANZMANN, in: Fusionsgesetz, Baker & McKenzie [Hrsg.], 2003, N. 1 zu Art. 105
FusG). Aktivlegitimiert sind Personen, die durch einen den Grundsatz der
mitgliedschaftlichen Kontinuität missachtenden Transaktionsbeschluss in ihrer
Stellung als
BGE 135 III 603 S. 606
Gesellschafter beeinträchtigt wurden (AMSTUTZ/MABILLARD, Fusionsgesetz [FusG],
Kommentar, 2008, N. 18 zu Art. 105 FusG; BÜRGI/GLANZMANN, a.a.O., N. 14 zu Art.
105 FusG; DIETER DUBS, in: Basler Kommentar, Fusionsgesetz, 2005, N. 41 zu Art.
105 FusG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 FusG wirkt das Urteil für alle Gesellschafter
in der gleichen Rechtsstellung wie die klagende Partei. Damit wollte der
Gesetzgeber verhindern, dass alle Gesellschafter einzeln eine Klage einreichen
müssen (MEIER-DIETERLE, a.a.O., N. 3 zu Art. 105 FusG). Art. 105 Abs. 3 FusG
sieht vor, dass der übernehmende Rechtsträger die Kosten des Verfahrens trägt,
wobei das Gericht die Kosten ganz oder teilweise den Klägern auferlegen kann,
wenn besondere Umstände es rechtfertigen. Gemäss dieser Regelung werden -
entsprechend Art. 697g Abs. 1 OR - die Kosten grundsätzlich der beklagten
Partei auferlegt, was den Gesellschaftern erlauben soll, eine Überprüfungsklage
zu erheben, wenn sie legitime Gründe dazu haben, ohne dass sich die
voraussichtlichen Prozesskosten prohibitiv auswirken (Botschaft zum
Fusionsgesetz vom 13. Juni 2000, BBl 2000 4337 ff., 4488 Ziff. 2.1.9.3;
MATTHIAS AMMANN, Die Verletzung der Kontinuität der Anteils- und
Mitgliedschaftsrechte und deren Ausgleichung nach Art. 105 Fusionsgesetz, 2007,
S. 190 Rz. 353). Besondere Gründe im Sinne von Art. 105 Abs. 3 FusG sind
namentlich zu bejahen, wenn die Klage offensichtlich unbegründet ist und sich
der Kläger dessen hätte bewusst sein müssen, oder wenn er die Klage böswillig
erhoben hat, um eine Gesellschaft zu erpressen oder ihr zu schaden (Botschaft,
a.a.O., 4488 Ziff. 2.1.9.3; PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009,
S. 428 Rz. 263; AMMANN, a.a.O., S. 192 Rz. 358 mit weiteren Hinweisen).

2.1.3 In der Lehre wird die Meinung vertreten, Art. 105 Abs. 3 FusG verbiete,
Kostenvorschüsse oder Kautionen zu verlangen, wenn nicht bereits bei
Klageeinreichung ersichtlich sei, dass besondere Umstände erlaubten, der
klagenden Partei im Fall ihres Unterliegens Kosten aufzuerlegen
(MEIER-DIETERLE, a.a.O., N. 35 zu Art. 105 FusG; vgl. auch PIERA BERETTA,
Strukturanpassungen, SPR Bd. VIII/8, 2006, S. 171; RASHID BAHAR, in:
Commentaire LFus, Henry Peter/Rita Trigo Trindade [Hrsg.], 2005, N. 38 zu Art.
105 FusG; JEAN-LUC CHENAUX, La protection des actionnaires et associés dans les
fusions d'entreprises, in: Coopération et fusion d'entreprises, Mathieu Blanc/
Laure Dallèves [Hrsg.], 2005, S. 101 ff., 148).
(...)
BGE 135 III 603 S. 607

2.4 Art. 105 Abs. 3 FusG will Gesellschaftern, welche ihre
Gesellschafterstellung in Verletzung des Prinzips der Kontinuität der
Mitgliedschaft verloren haben, zum wirtschaftlichen Ausgleich erlauben, die
Angemessenheit der Abfindungszahlung grundsätzlich ohne Kostenrisiko
gerichtlich überprüfen zu lassen. Der Schutzzweck dieser Regelung kommt damit
nicht zum Tragen, wenn ein Kläger seine Aktien in Kenntnis der vorgesehenen
Abfindung kauft, weil er dann wirtschaftlich betrachtet nur das Recht auf die
Abfindung und nicht eine Gesellschafterstellung erwirbt, welche ihm durch die
Fusion entzogen werden könnte. So verhält es sich im vorliegenden Fall. Die
Beschwerdeführer haben gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen
vorinstanzlichen Feststellungen ihre Aktien im Rahmen des Übernahmeverfahrens
in Kenntnis der vom Mehrheitsaktionär festgelegten Abfindungszahlung gekauft,
weshalb die Kostenregelung in Art. 105 Abs. 3 FusG gemäss ihrem Zweck nicht zur
Anwendung kommt. Damit kann offenbleiben, ob besondere Umstände eine
eingeschränkte Anwendung von Art. 105 Abs. 3 FusG hätten rechtfertigen können.
Nach dem Gesagten ist den Beschwerdeführern durchaus zuzumuten, bezüglich ihrer
Überprüfungsklagen ein Kostenrisiko zu tragen. Daran vermag nichts zu ändern,
dass diese Klagen Wirkung für alle Gesellschafter in der gleichen
Rechtsstellung wie die Beschwerdeführer haben, erhoben sie doch die als
Individualrecht ausgestalteten Klagen im eigenen Interesse. Die Vorinstanz hat
demnach kein Bundesrecht verletzt, wenn sie von den Beschwerdeführern für den
Fall ihres Unterliegens einen ihrem persönlichen Interesse entsprechenden
Kostenvorschuss verlangte.