Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 III 374



Urteilskopf

135 III 374

55. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen
Betreibungsamt Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_814/2008 vom 12. März 2009

Regeste

Angabe einer unzutreffenden Beschwerdefrist in der Rechtsmittelbelehrung (Art.
49 BGG).
Die rechtsunkundige Prozesspartei, die schon im kantonalen Verfahren nicht
rechtskundig vertreten war und über keine einschlägige Erfahrung etwa aus
früheren Verfahren verfügt, darf sich auf die im kantonalen Entscheid
enthaltene unzutreffende Fristangabe (ordentliche Frist von 30 Tagen für die
Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 100 Abs. 1 BGG statt der nach Art. 100
Abs. 2 lit. a BGG bei Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen geltenden Frist von 10 Tagen) verlassen
(E. 1.2.2).

Sachverhalt ab Seite 375

BGE 135 III 374 S. 375
In der von der Stiftung S. gegen die X. AG in A. eingeleiteten Betreibung Nr. 1
erliess das Betreibungsamt Z. am 9. Oktober 2008 die Konkursandrohung. Diese
wurde der X. AG am 15. Oktober 2008 zugestellt.
Mit einer vom 21. Oktober 2008 datierten und am 22. Oktober 2008 der Post
übergebenen Eingabe, die nicht unterzeichnet war, erhob die X. AG beim
Einzelrichter in Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Nidwalden als
kantonaler Aufsichtsbehörde Beschwerde gegen die Konkursandrohung.
Am 23. Oktober 2008 erliess der Einzelrichter eine Verfügung, worin er die X.
AG auf die fehlende Unterschrift und daneben auch darauf aufmerksam machte,
dass die Eingabe ungenügend begründet sei, und sie auf die Möglichkeit hinwies,
innert der durch die Zustellung der Konkursandrohung ausgelösten
Beschwerdefrist von zehn Tagen eine verbesserte Beschwerdeschrift einzureichen.
Eine neue Eingabe ging bei der kantonalen Aufsichtsbehörde hierauf nicht ein.
Am 3. November 2008 erkannte der Einzelrichter, dass auf die Beschwerde nicht
eingetreten werde. In der in seinem Entscheid enthaltenen Rechtsmittelbelehrung
wird erklärt, dass innert 30 Tagen ab Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde
in Zivilsachen eingereicht werden könne.
Mit einer vom 1. Dezember 2008 datierten und am 3. Dezember 2008 zur Post
gebrachten Eingabe führt die X. AG Beschwerde in Zivilsachen.
Die II. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Sache am 12. März
2009 öffentlich beraten und die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
einzutreten war.
BGE 135 III 374 S. 376

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.2

1.2.1 (Feststellung, dass die bei Entscheiden der kantonalen Aufsichtsbehörden
in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen geltende Beschwerdefrist von zehn Tagen
[Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG] nicht eingehalten ist.)

1.2.2 In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Entscheids wird auf die
für Beschwerden an das Bundesgericht im Allgemeinen geltende Beschwerdefrist
von 30 Tagen (Art. 100 Abs. 1 BGG) hingewiesen.

1.2.2.1 Gemäss Art. 49 BGG dürfen den Parteien aus unrichtiger
Rechtsmittelbelehrung keine Nachteile erwachsen. Hiermit wurde der für die
(frühere) Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Art. 107 Abs. 3 OG verankerte
Grundsatz übernommen (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 4299 Ziff. 4.1.2.5), dem in der Praxis bereits
früher allgemeine Tragweite zukam (BGE 117 Ia 297 E. 2 S. 298 f., BGE 117 Ia
421 E. 2c S. 423 f.; je mit Hinweisen). Den erwähnten Schutz kann eine
Prozesspartei nur dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf
die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Wer die Unrichtigkeit
erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, kann sich
nicht auf Art. 49 BGG berufen, wobei allerdings nur eine grobe prozessuale
Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige
Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen vermag. Der Vertrauensschutz versagt zudem
nur dann, wenn der Mangel in der Rechtsmittelbelehrung für den Rechtsuchenden
bzw. seinen Rechtsvertreter allein schon durch Konsultierung der massgebenden
Verfahrensbestimmung ersichtlich gewesen wäre (zum Ganzen BGE 134 I 199 E.
1.3.1 S. 202 f.; BGE 129 II 125 E. 3.3 S. 134 f.; BGE 124 I 255 E. 1a/aa S.
258; BGE 117 Ia 421 E. 2a S. 422; je mit weiteren Hinweisen). Zu bedenken ist
schliesslich, dass mit der in Art. 112 Abs. 1 lit. d BGG neu verankerten
Pflicht der kantonalen Instanzen, ihre Entscheide mit einer
Rechtsmittelbelehrung zu versehen, den Beteiligten, namentlich den nicht
rechtskundig vertretenen Prozessparteien, die Aufgabe erleichtert werden
sollte.

1.2.2.2 Wann der Prozesspartei, die sich auf eine unrichtige
Rechtsmittelbelehrung verlassen hat, eine als grob zu wertende Unsorgfalt
BGE 135 III 374 S. 377
vorzuwerfen ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen und nach ihren
Rechtskenntnissen (vgl. BGE 106 Ia 13 E. 4 S. 19). Ist sie rechtsunkundig und
auch nicht rechtskundig vertreten, darf sie nicht der anwaltlich vertretenen
Partei gleichgestellt werden (dazu BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 18 zu Art. 112 BGG), es sei denn, sie verfüge
namentlich aus früheren Verfahren über einschlägige Erfahrungen. Eine
Überprüfung der in der Rechtsmittelbelehrung enthaltenen Angaben kann von einer
Prozesspartei im Übrigen nur dann verlangt werden, wenn diese über die
Kenntnisse verfügt, die es ihr überhaupt ermöglichen, die massgebende
Gesetzesbestimmung ausfindig zu machen und gegebenenfalls auszulegen.
Die Beschwerdeführerin ist nicht anwaltlich vertreten und war es auch im
kantonalen Verfahren nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die für sie handelnde
Person über hinreichende Rechtskenntnisse verfügte oder (namentlich aufgrund
früherer Verfahren) die Länge der Frist für Beschwerden gegen Entscheide der
kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen gekannt
hätte oder zumindest hätte kennen müssen, sind nicht ersichtlich. Wenn die
erwähnte Person unter den gegebenen Umständen den - auf die ordentliche Frist
für Beschwerden in Zivilsachen (Art. 100 Abs. 1 BGG) hinweisenden - Angaben des
Einzelrichters vertraut und diese nicht überprüft hat, liegt darin keine
Unsorgfalt, die es nicht zuliesse, das Vertrauen auf die unzutreffende
Rechtsmittelbelehrung zu schützen (dazu FRANÇOIS BOHNET, Schweizerische
Zeitschrift für Zivilprozessrecht [SZZP] 2008 S. 22). Im Übrigen ist zu
bemerken, dass die Vorinstanz den die Beschwerdefrist regelnden Art. 100 BGG
nicht ausdrücklich genannt hat und dass zudem diese Bestimmung nicht für jeden
juristischen Laien ohne weiteres verständlich ist.

1.2.2.3 Bei einer hier durch die Zustellung des angefochtenen Entscheids am 6.
November 2008 ausgelösten Frist von 30 Tagen war die Beschwerde spätestens am
8. Dezember 2008 aufzugeben, zumal der dreissigste Tag, der 6. Dezember 2008,
auf einen Samstag fiel. Die am 3. Dezember 2008 der Post übergebene Beschwerde
ist nach dem Gesagten als rechtzeitig eingereicht zu betrachten, so dass auf
sie aus dieser Sicht einzutreten ist.