Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 III 193



Urteilskopf

135 III 193

27. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_372/2008 vom 25. November 2008

Regeste

Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 111 ZGB); Zeitpunkt des Widerrufs der
Zustimmung zur Scheidungskonvention (Art. 111 Abs. 2 ZGB). Die Ehegatten können
bereits vor der richterlichen Anhörung auf die Scheidungskonvention
zurückkommen (E. 2.2). Ein Ehegatte kann auch nach dem in der Konvention
vereinbarten Verkauf der ehelichen Liegenschaft seine vorher erteilte
Zustimmung zur Scheidungskonvention widerrufen und die Durchführung der
güterrechtlichen Auseinandersetzung verlangen. Die Vorinstanz, welche die
Parteien als güterrechtlich auseinandergesetzt erklärt, nur weil ein Ehegatte
einen Bestandteil des ehelichen Vermögens veräussert hat, verletzt Bundesrecht
(E. 2.3 und 2.4).

Sachverhalt ab Seite 194

BGE 135 III 193 S. 194

A. X. und Y. heirateten im Jahre 1995. Die Ehe blieb kinderlos. Die Ehegatten
erwarben eine Liegenschaft zu hälftigem Miteigentum. Sie unterzeichneten am 3.
Juni 2004 eine Scheidungskonvention, mit welcher sie die Scheidung ihrer Ehe
gestützt auf Art. 111 ZGB vorsahen und die Nebenfolgen regelten. Insbesondere
wurde der Verkauf der Liegenschaft zum bestmöglichen Preis angestrebt und die
Ablösung der hypothekarischen Belastung sowie die Rückzahlung des Darlehens
festgelegt. Eine Kaufpreisrestanz sollte bei X. verbleiben, welche auch eine
allfällige Grundstückgewinnsteuer zu übernehmen hatte. Y. bevollmächtigte X.
mit dem Verkauf des Hauses und erteilte ihr entsprechend Vollmacht. Ferner
wurde ein Makler bestimmt. Die Parteien erklärten sich mit der Zahlung von Fr.
30'000.- aus der Kaderversicherung des Y. an X. bei Fälligkeit der Versicherung
und der Veräusserung der gemeinsamen Liegenschaft per Saldo aller Ansprüche als
gegenseitig auseinandergesetzt und befriedigt, und zwar unabhängig vom
Verkaufspreis der Liegenschaft. Beide Parteien verzichteten gegenseitig auf
nachehelichen Unterhalt.
Die Parteien liessen die Scheidungskonvention dem Gerichtspräsidenten des
Gerichtskreises II Biel-Nidau zukommen, worauf dieser festhielt, dass das
Verfahren nach Art. 111 ZGB zur Anwendung gelange. In der Folge unterzeichnete
X. für sich und kraft Vollmacht in der Scheidungskonvention für Y. einen
Kaufvertrag mit B. und C. über die Liegenschaft. Der vereinbarte Kaufpreis
wurde gemäss der Scheidungskonvention verwendet. Die Handänderung der
verkauften Liegenschaft im Kreisgrundbuchamt II Biel-Nidau erfolgte am 6.
Oktober 2004.

B. Am 6. Oktober 2004 widerrief X. ihre Zustimmung zur Scheidungskonvention,
hielt indes am gemeinsamen Scheidungsbegehren fest. Diese Erklärung bekräftigte
sie anlässlich der gleichentags vor dem Gerichtspräsidenten des Gerichtskreises
II Biel-Nidau anberaumten Anhörung der Parteien. Nach Ablauf der zweimonatigen
Bedenkfrist bestätigten X. und Y. ihren Scheidungswillen. Mit Urteil vom 30.
August 2007 schied der Gerichtspräsident die Ehe der Parteien, verpflichtete Y.
zur Zahlung von Fr. 30'000.- als Entschädigung gemäss Art. 124 ZGB an X. und
stellte fest, dass die
BGE 135 III 193 S. 195
Ehegatten güterrechtlich auseinandergesetzt seien. Mit Urteil vom 27. März 2008
stellte das von beiden Parteien angerufene Obergericht des Kantons Bern fest,
dass das erstinstanzliche Urteil im Scheidungspunkt und betreffend die
Entschädigungszahlung in Rechtskraft erwachsen sei und die Parteien
güterrechtlich auseinandergesetzt seien.

C. X. ist mit Beschwerde in Zivilsachen vom 4. Juni 2008 an das Bundesgericht
gelangt. Sie beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils im
güterrechtlichen Punkt und betreffend die Kosten- und Entschädigungsfolgen
sowie die Rückweisung der Sache an die Erst- oder Vorinstanz zur Durchführung
der güterrechtlichen Auseinandersetzung und zur Neuregelung der Kosten und
Entschädigungen des kantonalen Verfahrens. Y. schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt, hebt
das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Durchführung der
güterrechtlichen Auseinandersetzung an die erste Instanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Frage nach der Verbindlichkeit
einer Konvention über die vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung. Die
Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 111 Abs. 2
ZGB geltend. Sie habe die Scheidungskonvention nicht bestätigt, sondern sogar
widerrufen, weshalb die Vorinstanz diese nicht hätte genehmigen dürfen und der
Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nach den gesetzlichen Vorschriften
hätte aufgelöst werden müssen.

2.1 Die Vorinstanz führte im Wesentlichen aus, die Scheidungskonvention bilde
eine Voraussetzung des Scheidungsanspruchs. Sie stelle keinen gerichtlichen
Vergleich dar, sondern bilde insofern einen privatrechtlichen Vertrag, als dass
für seine Gültigkeit die übereinstimmenden Willenserklärungen beider Parteien
vorliegen müssen. Der Vertrag sei angesichts der zweimonatigen Bedenkfrist nach
Art. 111 Abs. 2 ZGB mit dem Abschluss noch nicht bindend. Jeder Ehegatte könne
in dieser Zeit auf seinen Scheidungsentschluss und sein Einverständnis zur
Regelung der Scheidungsfolgen zurückkommen. Da beide Parteien die
Scheidungskonvention bereits vor
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der ersten richterlichen Anhörung vollzogen hätten, habe das dem Schutz vor
Übervorteilung dienende Bestätigungserfordernis jeden Sinn verloren. Der
Scheidungsrichter habe daher den Parteien hinsichtlich der Nebenfolgen der
Scheidung keine Bedenkfrist mehr ansetzen müssen. Der Widerruf der
Scheidungsvereinbarung seitens der Ehefrau bleibe daher unbeachtlich. Zudem
erweise sich deren Verhalten als rechtsmissbräuchlich, da sie gestützt auf die
Konvention den Liegenschaftsverkauf bereits abgewickelt habe, welche
Dispositionen nicht mehr ohne Nachteil zurückgenommen werden könnten.
Schliesslich wolle sie die Konvention nur teilweise nicht gelten lassen, was
nicht angehe.

2.2 Die Beschwerdeführerin hat ihr Einverständnis zur Regelung der Nebenfolgen
der Scheidung in einer Konvention nicht während der in Art. 111 Abs. 2 ZGB
vorgesehenen Bedenkfrist widerrufen, sondern bereits zuvor, nämlich vor und
während der richterlichen Anhörung. Aus dem zwingenden Charakter von Art. 111
Abs. 2 ZGB folgt, dass sich die Ehegatten mit dem Abschluss der
Scheidungsvereinbarung noch nicht endgültig verpflichten. Eine Verkürzung oder
gar ein Verzicht auf die Bedenkfrist ist ausgeschlossen (ROLAND FANKHAUSER, in:
FamKomm, Scheidung, 2005, N. 40 zu Art. 111 ZGB; URS GLOOR, in: Basler
Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 10 zu Art. 111 ZGB; REGULA
RHINER, in: Die Scheidungsvoraussetzungen nach revidiertem schweizerischen
Recht [Art. 111-116 ZGB], 2001, S. 171). Können die Ehegatten bis Ablauf der
Bedenkfrist auf ihren Scheidungswillen und die Regelung der Nebenfolgen
zurückkommen, so muss eine Meinungsänderung schon vorher möglich sein. In der
Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15.
November 1995 wird betont, dass bei der Scheidung auf gemeinsames Begehren die
Scheidungskonvention bis zur letzten Anhörung widerrufen werden könne. Nur bei
der Scheidung auf Klage hin seien die Ehegatten wie bisher bereits vor der
gerichtlichen Genehmigung mit dem Vertragsschluss an die Scheidungskonvention
gebunden (BBl 1995 I 141). In der Lehre wird denn auch die Meinung vertreten,
dass bei einem gemeinsamen Scheidungsbegehren die Scheidungskonvention von
jedem Ehegatten jederzeit widerrufen werden könne, da nur so die Bestätigung
nach Art. 111 Abs. 2 ZGB Sinn mache (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen
Scheidungsrecht, 1999, N. 14 zu Art. 111 ZGB; SPÜHLER/SCHÜTT, Neues
Scheidungsverfahrensrecht, AJP 1999 S. 1544; RHINER, a.a.O., S. 173). In die
gleiche
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Richtung geht die Ansicht, die Scheidungskonvention werde erst mit der
richterlichen Genehmigung verbindlich (VERENA BRÄM, Scheidung auf gemeinsames
Begehren, AJP 1999 S. 1514). Demgegenüber wird teilweise auch die Meinung
vertreten, die Ehegatten seien an die Scheidungskonvention wie an einen Vertrag
gebunden und eine Anfechtung komme nur wegen Willensmängeln in Frage (PETER
BREITSCHMID, "Scheidungsplanung"?, AJP 1999 S. 1609).
Das Bundesgericht hielt bisher einzig fest, dass die mit dem gemeinsamen
Scheidungsbegehren eingereichte Konvention von den Parteien jederzeit
widerrufbar sei (Urteil 5C.270/2004 vom 14. Juli 2005 E. 3.1, in: FamPra.ch
2006 S. 438). In Anbetracht der Bedeutung, die der Bedenkfrist vom Gesetzgeber
und von der Lehre beigemessen wird, muss jedem Ehegatten die Möglichkeit
eingeräumt werden, bereits vor der richterlichen Anhörung auf die
Scheidungskonvention zurückzukommen.

2.3 Zu prüfen bleibt, ob die Beschwerdeführerin angesichts des Verkaufs der
ehelichen Liegenschaft ihre seinerzeitige Zustimmung zur Scheidungskonvention
widerrufen und insbesondere die Durchführung der güterrechtlichen
Auseinandersetzung verlangen kann. Nicht strittig ist hingegen die Gültigkeit
des Kaufvertrages mit den Erwerbern. Mit dem Verkauf des gemeinsamen Hauses der
Parteien, der Ablösung der Grundpfandschuld, der Tilgung der Darlehensschuld
und der Entschädigung des Maklers sowie der Entgegennahme der Kaufpreisrestanz
machte die Beschwerdeführerin nach Einreichung des Scheidungsbegehrens und der
Scheidungskonvention von der darin eingeräumten Vollmacht des Beschwerdegegners
Gebrauch. Anstelle der Liegenschaft tritt die nach Tilgung der Schulden
verbleibende Kaufpreisrestanz. Ungeachtet des Abschlusses der
Scheidungskonvention und des anschliessenden Verkaufs ihres Miteigentums
unterstehen die Parteien jedoch bis zu dessen Auflösung immer noch dem
ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Ein Wechsel des
Güterstandes hätte eines öffentlich beurkundeten Ehevertrages bedurft (Art. 184
ZGB). Alsdann hätte die güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen werden
können. Mit dem Widerruf ihrer Zustimmung zur Scheidungskonvention brachte die
Beschwerdeführerin lediglich zum Ausdruck, dass sie sich nicht mehr an die
Saldoklausel betreffend allfällige güterrechtliche Ansprüche halten will. Ob
ihr aufgrund der güterrechtlichen Qualifikation der bei Einreichung des
Scheidungsbegehrens vorhandenen Vermögenswerte (Art. 204 Abs. 2 ZGB), der
Abgeltung allfälliger
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Investitionsbeiträge (Art. 206 ff. ZGB) und der Hinzurechnungen (Art. 208 ZGB)
ein Vorschlagsanteil zusteht, ist unabhängig vom zwischenzeitlichen Verkauf der
gemeinsamen Liegenschaft zu beurteilen. Dieser Vorgang könnte höchstens unter
dem Aspekt der Vermögensentäusserung nach Art. 208 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB Beachtung
finden.

2.4 Damit kann der Vorinstanz nicht beigepflichtet werden, wenn sie die
Parteien als güterrechtlich auseinandergesetzt erklärt, nur weil die
Beschwerdeführerin einen Bestandteil des ehelichen Vermögens veräussert hat.