Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 135 III 158



Urteilskopf

135 III 158

22. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen B.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_210/2008 vom 14. November 2008

Regeste

Art.125 ZGB; nachehelicher Unterhalt; angemessene Altersvorsorge. Begriff und
Bemessung der Altersvorsorge als Teil des gebührenden Unterhalts (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 158

BGE 135 III 158 S. 158
K. (Ehemann und Beschwerdeführer), Jahrgang 1962, und B. (Ehefrau und
Beschwerdegegnerin), Jahrgang 1958, heirateten 1985. Die Ehegatten wurden
Eltern von drei Söhnen. Die Ehefrau gab nach der Geburt des ersten Kindes ihre
Berufstätigkeit als Lehrerin auf. Ab diesem Zeitpunkt besorgte sie den Haushalt
der Familie und betreute die Kinder. Der Ehemann war nach Beendigung seines
Studiums als Informatiker berufstätig. Die Ehegatten trennten sich am 1.
Februar 2000. Ein halbes Jahr nach der Trennung nahm die Ehefrau zusätzlich zur
Haushaltführung und Kinderbetreuung eine Teilzeitarbeit an. Das Getrenntleben
musste gerichtlich geregelt werden. Der Ehemann reichte am 1. Februar 2004 die
Klage auf Scheidung ein, der sich die Ehefrau nicht widersetzte. Mit Bezug auf
den nachehelichen Unterhalt waren vorab die Dauer der Leistungspflicht sowie
der Beitrag an den Aufbau der Altersvorsorge streitig. Das Obergericht
verpflichtete den Ehemann zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge. Der
Ehemann hat dagegen Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
teilweise gut und setzt den angemessenen Beitrag des Beschwerdeführers an den
gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge der
Beschwerdegegnerin neu fest.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

4. Der gebührende Unterhalt im Sinne von Art. 125 Abs. 1 ZGB schliesst eine
angemessene Altersvorsorge ein. Zweiter Hauptstreitpunkt ist die Bemessung des
sog. Vorsorgeunterhalts.
BGE 135 III 158 S. 159

4.1 Unter Herrschaft des Scheidungsrechts von 1907/12 hat das Bundesgericht
berücksichtigt, dass in den Fällen, in denen keine lebenslänglichen
nachehelichen Unterhaltsbeiträge in Frage kommen, der Aufbau einer angemessenen
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge ebenfalls zum Unterhaltsanspruch
gehört (vgl. Botschaft, BBl 1996 I 1, 114 Ziff. 233.52 bei/in Anm. 352, mit
Hinweisen). Nach geltendem Recht wird durch die Teilung der Austrittsleistungen
der beruflichen Vorsorge und mit dem Splitting und den Betreuungsgutschriften
im Rahmen der AHV die Altersvorsorge für die Zeit bis zur Scheidung geregelt.
Bezüglich der Vergangenheit sollte - hier nicht zutreffende Sonderfälle
vorbehalten (vgl. BGE 129 III 257 E. 3 S. 260 ff.) - keine Lücke in der
Altersvorsorge mehr bestehen. Der sog. Vorsorgeunterhalt im Sinne von Art. 125
Abs. 1 ZGB betrifft den Ausgleich allfälliger künftiger nachehelicher
Einbussen, wenn ein Ehegatte wegen Kinderbetreuungspflichten in den Jahren nach
der Scheidung keiner oder - wie hier vorübergehend - nur einer beschränkten
Erwerbstätigkeit wird nachgehen und deshalb auch nicht die vollen Beiträge in
die eigene Altersvorsorge wird einbezahlen können (vgl. BGE 129 III 7 E. 3.1.2
S. 9; Urteile 5C.48/2001 vom 28. August 2001 E. 4b und 5C.308/2005 vom 12.
April 2006 E. 3.2, in: FamPra.ch 2002 S. 148 und 2006 S. 725).

4.2 Die Rechtsprechung hat sich bisher zu keiner konkreten Berechnungsmethode
äussern müssen und jeweilen auf Antrag des unterhaltspflichtigen Ehegatten
lediglich geprüft, ob der Einbezug eines regelmässig eher bescheidenen Betrags
in den Bedarf des nicht oder nur teilweise erwerbstätigen
unterhaltsberechtigten Ehegatten zu beanstanden sei. Nach einer ersten
Berechnungsart ist der Lebensunterhalt als Einkommensersatz zu betrachten und
in ein fiktives Bruttoeinkommen umzurechnen. Darauf sind die Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerbeiträge zu berechnen, die zusammen, erweitert um eine allfällige
Steuerbelastung, den Vorsorgeunterhalt ergeben. Statt des Lebensunterhalts
verwendet eine andere Methode als Berechnungsgrundlage das hypothetische
Bruttoerwerbseinkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der
Scheidung erzielen könnte, wenn die ehebedingten Nachteile nie bestanden hätten
und nach der Scheidung nicht weiter bestehen würden. Im Sinne einer dritten
Lösung wird vorgeschlagen, minimale AHV-Beiträge in den Bedarf bei einer
erwerbslosen berechtigten Partei einzubeziehen und nach Ermessen geschätzte
Beiträge an die berufliche
BGE 135 III 158 S. 160
Vorsorge einzurechnen (vgl. die Zusammenfassung bei GLOOR/SPYCHER, in: Basler
Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 4 Abs. 2 zu Art. 125 ZGB,
mit Hinweis vorab auf SCHWENZER, in: Scheidung, FamKomm, 2005, N. 9 zu Art. 125
ZGB, und FREIVOGEL, in: Scheidung, FamKomm, 2005, Anhang
Unterhaltsberechnungen, N. 23 ff. und 27a ff.; HAUSHEER, Die privatrechtliche
Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2007, Familienrecht, ZBJV 144/2008
S. 553 ff., 578 ff.).

4.3 Ausgangspunkt des nachehelichen Unterhalts ist der Schaden, der dadurch
entsteht, dass die Versorgung der Ehegatten und der Kinder nicht mehr durch das
einträchtige Zusammenwirken von Mann und Frau im gemeinsamen Haushalt gesichert
ist (BGE 115 II 6 E. 3 S. 8/9). Daran hat die ZGB-Revision von 1998/2000 nichts
Grundsätzliches geändert (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 112 f.). Der gebührende
Unterhalt knüpft an die Lebensverhältnisse der Parteien an, und zwar bei sog.
lebensprägenden Ehen an den in der Ehe zuletzt gemeinsam gelebten Standard
(zuzüglich scheidungsbedingter Mehrkosten), auf dessen Fortführung bei
genügenden Mitteln beide Teile Anspruch haben, der aber gleichzeitig auch die
Obergrenze des gebührenden Unterhalts bildet (BGE 134 III 145 E. 4 S. 146), bei
anderen Ehen (z.B. sog. Kurzehen) hingegen an die vorehelichen wirtschaftlichen
Verhältnisse (Urteil 5C.169/2006 vom 13. September 2006 E. 2.4, in: FamPra.ch
2007 S. 147). Unter diesem Blickwinkel erscheint es als folgerichtig, der
Bemessung der Altersvorsorge die für die Ehegatten massgebende Lebenshaltung
zugrunde zu legen. Gegen ein Abstellen auf ein hypothetisches
Bruttoerwerbseinkommen spricht denn auch, dass die Obergrenze des nachehelichen
Unterhalts nicht oder zu wenig beachtet wird, zumal je nach der Höhe des
angenommenen Bruttoerwerbseinkommens auf Kosten des unterhaltspflichtigen
Ehegatten eine Altersvorsorge geäufnet wird, die höher sein kann, als sie bei
weiterbestehender Ehe im Alter wäre. Es kommt hinzu, dass nach dieser Methode
wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen werden sollen (vgl. FREIVOGEL, a.a.O.,
N. 27a a.E.), die die Rechtsprechung nicht als ehebedingt anerkennt (z.B. den
Verzicht auf eine eigene berufliche Laufbahn: Urteil 5C.235/2001 vom 25.
November 2002 E. 3.1.2, in: FamPra.ch 2003 S. 391 f.; vgl. auch HAUSHEER/
SPYCHER, Unterhalt nach neuem Scheidungsrecht, 2001, N. 05.02-05.04 S. 24 f.).

4.4 Im Vordergrund steht daher, die Altersvorsorge auf Grund der für die
Ehegatten massgebenden Lebenshaltung zu bemessen, d.h.
BGE 135 III 158 S. 161
die Lebenshaltung, auf deren Fortführung der unterhaltsberechtigte Ehegatte
grundsätzlich Anspruch hat, in ein fiktives Bruttoeinkommen umzurechnen und
darauf die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zu berechnen, die zusammen,
erweitert um eine allfällige Steuerbelastung, den Vorsorgeunterhalt ergeben.
Die Berechnungsart gestattet es, die angemessene Altersvorsorge entweder direkt
zu bestimmen oder die dafür erforderlichen und bloss geschätzten Beträge auf
ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Für ihre Anwendung ist das konkrete
Vorsorgeverhältnis massgebend und zu berücksichtigen. Anders als bei der
Teilung der in der Vergangenheit während der Ehe erworbenen beruflichen
Vorsorge (Art. 122 ZGB) geht es bei der unterhaltsrechtlichen Altersvorsorge
nicht um eine rein rechnerische Aufgabe, sondern um die Beurteilung der
künftigen, allenfalls nur beschränkt vorhersehbaren Entwicklung der
Lebensverhältnisse. Vereinfachungen sind notwendig und zulässig. Es bleibt eine
Ermessensfrage, die das Sachgericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände
des konkreten Einzelfalls nach Recht und Billigkeit zu beantworten hat.

4.5 Das Obergericht ist nicht vom Standard ausgegangen, den die Ehegatten in
ihrer lebensprägenden Ehe zuletzt gemeinsam gelebt haben (zuzüglich
scheidungsbedingter Mehrkosten). Es hat die Altersvorsorge auf der Grundlage
eines Erwerbseinkommens von Fr. 8'500.- berechnet statt auf der Grundlage der
massgeblichen Lebenshaltung zwischen Fr. 3'740.- und Fr. 4'460.- monatlich.
Dass allein der betragsmässige Unterschied in der Berechnungsgrundlage zu einer
offensichtlich unbilligen Festlegung des Vorsorgeunterhalts und damit des
zuerkannten Unterhaltsbeitrags führt, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Die
Einwände des Beschwerdeführers sind in diesem Punkt begründet.