Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 V 49



Urteilskopf

134 V 49

8. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. V. gegen
IV-Stelle für Versicherte im Ausland (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_481/2007 vom 7. Januar 2008

Regeste

Art. 38 Abs. 2bis ATSG (Art. 44 Abs. 2 BGG, Art. 20 Abs. 2bis VwVG); Geltung
der Zustellungsfiktion auch beim Postrückbehaltungsauftrag- Die früher in
analoger Anwendung der Rechtsprechung zur Briefkasten- und Postfachzustellung
auch beim Postrückbehaltungsauftrag beachtete Fiktion, wonach eine
eingeschriebene Sendung spätestens am letzten Tag einer Frist von sieben Tagen
ab Eingang bei der Poststelle am Ort des Empfängers als zugestellt zu
betrachten ist (BGE 123 III 492), beansprucht unter neuem Recht - nunmehr in
Analogie zu Art. 38 Abs. 2bis ATSG (sowie Art. 44 Abs. 2 BGG und Art. 20 Abs.
2bis VwVG) - weiterhin Geltung (E. 4). Art. 38 al. 2bis LPGA (art. 44 al. 2
LTF, art. 20 al. 2bis PA); en cas de demande de garde du courrier, la
communication peut-elle se présumer- La présomption - reconnue précédemment par
application analogique de la jurisprudence - selon laquelle en cas de demande
de garde du courrier comme en cas de remise des envois postaux dans une boîte
aux lettres ou une case postale, un envoi recommandé est réputé communiqué le
dernier jour d'un délai de sept jours dès réception du pli par l'office postal
du domicile du destinataire (ATF 123 III 492), demeure valable sous l'empire du
nouveau droit - désormais par analogie avec l'art. 38 al. 2bis LPGA (de même
qu'avec l'art. 44 al. 2 LTF et l'art. 20 al. 2bis PA; consid. 4).

Sachverhalt ab Seite 50

BGE 134 V 49 S. 50

A. Mit Entscheid vom 9. Juli 2007 trat das Bundesverwaltungsgericht auf die von
V. gegen die rentenablehnende Verfügung der IV-Stelle für Versicherte im
Ausland (nachfolgend: IV-Stelle) vom 2. Februar 2007 erhobene Beschwerde wegen
Fristversäumnisses nicht ein.

B. V. führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag, der vorinstanzliche
Nichteintretensentscheid sei aufzuheben und das Bundesverwaltungsgericht sei zu
verpflichten, auf das rechtzeitig erhobene Rechtsmittel einzutreten.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG ist die Beschwerde innerhalb von 30 Tagen nach
der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine
Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen. Diese Frist kann nicht erstreckt
werden (Art. 40 Abs. 1 ATSG). Nach Art. 39 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 60
Abs. 2 ATSG ist die 30-tägige Frist nur gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens
am letzten Tag der Frist beim erstinstanzlichen Versicherungsgericht
eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer
schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wird.
Läuft die Frist unbenützt ab, so erwächst der Verwaltungsentscheid in
(formelle) Rechtskraft mit der Wirkung, dass das erstinstanzliche Gericht auf
eine verspätet eingereichte Beschwerde nicht eintreten darf (vgl. BGE 124 V 400
E. 1a S. 401).
Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten beziehungsweise der
Adressatin oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, gilt laut
Art. 38 Abs. 2^bis ATSG spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen
Zustellungsversuch als erfolgt.

3. Die einen Rentenanspruch verneinende Verfügung der IV-Stelle vom 2. Februar
2007 wurde unbestrittenermassen am 6. Februar 2007 als Postsendung mit
Zustellnachweis an die Adresse des Rechtsvertreters des Versicherten versandt
und ging am 7. Februar 2007 bei der Poststelle am Ort des Empfängers (in Y.)
ein. Ebenfalls nicht streitig ist die Tatsache, dass die Post die Sendung
aufgrund eines Rückbehaltungsauftrags des Rechtsvertreters bis zum 26. Februar
2007 zurückbehielt. Dieser nahm die Verfügung am letztgenannten Datum zusammen
mit der übrigen zurückbehaltenen Post am Schalter in Empfang. Aus dem vom
Beschwerdeführer eingereichten Schreiben der Schweizerischen Post vom 9. August
2007 ergibt sich überdies, dass - entgegen deren versehentlichen früheren
Zustellinformation ("Track & Trace") - mit Bezug auf die streitige Verfügung
nie ein (erfolgloser) Zustellversuch an der Adresse des Rechtsvertreters
unternommen worden ist. Insofern hat die Vorinstanz auf einen offensichtlich
unrichtigen Sachverhalt abgestellt. Dieser Umstand ist indessen, wie sich aus
den nachfolgenden Erwägungen ergibt, für den Ausgang des vorliegenden
Verfahrens nicht entscheidend (vgl. Art. 97 Abs. 1 in fine BGG).

4. Mit dem hievor (E. 2 in fine) zitierten Art. 38 Abs. 2^bis ATSG (wie auch
mit Art. 44 Abs. 2 BGG und Art. 20 Abs. 2^bis VwVG) wurde mit Wirkung ab 1.
Januar 2007 die von der Gerichtspraxis für eingeschriebene Sendungen
entwickelte Zustellungsfiktion (BGE 127 I 31; BGE 123 III 492; BGE 119 II 147
E. 2 S. 149; BGE 119 V 89 E. 4b/aa S. 94, je mit Hinweisen) in Gesetzesrecht
überführt, nach dem Wortlaut
BGE 134 V 49 S. 52
der Norm allerdings nur hinsichtlich der Fälle eines tatsächlich unternommenen
erfolglosen (Briefkasten- oder Postfach-)Zustellungsversuchs (mit
entsprechender Abholungseinladung).
Im hier zu beurteilenden Fall stellt sich daher die Frage, ob die früher in
analoger Anwendung der Rechtsprechung zur Briefkasten- und Postfachzustellung
auch beim Postrückbehaltungsauftrag beachtete Fiktion, wonach eine
eingeschriebene Sendung spätestens am letzten Tag einer Frist von sieben Tagen
ab Eingang bei der Poststelle am Ort des Empfängers als zugestellt zu
betrachten ist (BGE 123 III 492), unter neuem Recht - nunmehr in Analogie zu
Art. 38 Abs. 2^bis ATSG (sowie Art. 44 Abs. 2 BGG und Art. 20 Abs. 2^bis VwVG)
- weiterhin Geltung beansprucht. Gleichbehandlungs-, Missbrauchs- und
Praktikabilitätsüberlegungen gebieten die Bejahung der Frage. Nach wie vor
setzt die Zustellungsfiktion immerhin voraus, dass der Adressat mit der
fraglichen Zustellung hatte rechnen müssen (BGE 130 III 396 E. 1.2.3 S. 399;
BGE 127 I 31 E. 2a/aa S. 34, je mit Hinweisen; KATHRIN AMSTUTZ/PETER ARNOLD,
Basler Kommentar, N. 25 f. zu Art. 44 BGG). Dieser Rechtsauffassung haben
sämtliche Abteilungen im Verfahren nach Art. 23 Abs. 2 BGG zugestimmt.

5. Der Rechtsvertreter des Versicherten hatte sich mit Eingaben vom 20. und 29.
November 2006 gegen den Vorbescheid der IV-Stelle vom 17. November 2006 gewandt
und musste deshalb zweifellos mit der Zustellung der in der Folge erlassenen
Verwaltungsverfügung vom 2. Februar 2007 rechnen. Hat nach dem hievor Gesagten
als Zustellungsdatum der rentenablehnenden Verfügung der 14. Februar 2007 zu
gelten (d.h. der siebte Tag nach Eingang bei der Poststelle am Ort des
Rechtsvertreters vom 7. Februar 2007), begann die 30-tägige Beschwerdefrist am
15. Februar 2007 zu laufen (Art. 38 Abs. 1 ATSG) und endete am 16. März 2007.
Die unbestrittenermassen erst am 23. März 2007 erhobene Beschwerde ans
Bundesverwaltungsgericht war demnach verspätet.