Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 V 315



Urteilskopf

134 V 315

37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_852/2007 vom 2. Juli 2008

Regeste

Art. 21 Abs. 1 ATSG; Art. 7 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung); Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV; Art. 133 StGB; Kürzung oder
Verweigerung von Geldleistungen. Begriff des Verschuldens, das zu einer
Leistungskürzung oder sogar zur Verweigerung der Leistung führen kann (E.
4.5.1.1). Verweigerung der ganzen Rente im Falle eines Versicherten, welcher
bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen zwei Personengruppen mit
Einsatz von Schusswaffen schwere Kopfverletzungen erlitt (E. 2 und 4.5.3).

Sachverhalt ab Seite 316

BGE 134 V 315 S. 316

A. Der 1970 geborene A. erlitt am (...) bei einer Schiesserei Kopfverletzungen,
welche zu vollständiger Arbeitsunfähigkeit führten. Mit Verfügung vom 28. Juli
2004 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) sein
Gesuch um eine Rente mit der Begründung ab, sein Verhalten im Zusammenhang mit
dem Vorfall rechtfertige die dauernde Verweigerung der Geldleistungen. Mit
Einspracheentscheid vom 18. Oktober 2004 hielt die IV-Stelle an ihrem
Standpunkt fest.

B. Die Beschwerde des A. hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich in dem Sinne teilweise gut, dass es die Sache in teilweiser Aufhebung
des Einspracheentscheides vom 18. Oktober 2004 an die IV-Stelle zurückwies,
damit sie den Anspruch auf eine Kinderrente prüfe. Im Übrigen wies es das
Rechtsmittel ab (Entscheid vom 28. September 2007).

C. A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. September 2007 sei mit Ausnahme der
Kinderrente aufzuheben und ihm ab (...) eine ganze Invalidenrente bei
gleichzeitiger Kürzung derselben um höchstens 60 % zuzusprechen, unter
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragen die
Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Nach Art. 7 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen
Fassung) können Geldleistungen dauernd oder vorübergehend verweigert, gekürzt
oder entzogen werden, wenn der Versicherte die Invalidität vorsätzlich oder
grobfahrlässig oder bei der Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens
herbeigeführt oder verschlimmert hat.
BGE 134 V 315 S. 317
Gemäss Art. 21 Abs. 1 ATSG (SR 830.1; in Kraft seit 1. Januar 2003 und aufgrund
von Art. 1 Abs. 1 IVG auch im Bereich der Invalidenversicherung anwendbar)
können die Geldleistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder in schweren
Fällen verweigert werden, wenn die versicherte Person den Versicherungsfall
vorsätzlich oder bei vorsätzlicher Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens
herbeigeführt oder verschlimmert hat.

1.2 Nach Art. 82 Abs. 1 ATSG sind die materiellen Bestimmungen dieses Gesetzes
auf die bei seinem Inkrafttreten laufenden Leistungen und festgesetzten
Forderungen nicht anwendbar (Satz 1). Wegen Selbstverschuldens gekürzte oder
verweigerte Invaliden- oder Hinterlassenenrenten werden auf Antrag überprüft
und gegebenenfalls frühestens vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an aufgrund von
Artikel 21 Absatz 1 und 2 neu festgesetzt (Satz 2).
Hat sich das versicherte Risiko Invalidität vor Inkrafttreten des Allgemeinen
Teils des Sozialversicherungsrechts verwirklicht und ist bis zu diesem
Zeitpunkt keine Rente der Invalidenversicherung zugesprochen worden, beurteilt
sich die Frage einer Leistungskürzung oder -verweigerung bis 31. Dezember 2002
nach aArt. 7 Abs. 1 IVG und ab 1. Januar 2003 nach Art. 21 Abs. 1 ATSG (vgl.
BGE 130 V 329 und 445).

2. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Tatbestand der Herbeiführung
der Invalidität bei der Ausübung eines Vergehens (aArt. 7 Abs. 1 IVG) resp. des
Versicherungsfalles bei vorsätzlicher Ausübung eines Vergehens (Art. 21 Abs. 1
ATSG) erfüllt ist. Der Beschwerdeführer erlitt die invalidisierenden
Kopfverletzungen anlässlich einer Auseinandersetzung zwischen zwei
Personengruppen bei welcher es zu Tätlichkeiten und zu einer Schiesserei kam.
Er wurde wegen Beteiligung an einem Raufhandel im Sinne von Art. 133 StGB sowie
Widerhandlung gegen das damals für Staatsangehörige seines Herkunftslandes
geltende Verbot des Erwerbs und Tragens von Schusswaffen verurteilt. Das
Strafmass von drei Jahren Freiheitsentzug wurde unter Berücksichtigung der
schweren, voraussichtlich invalidisierenden Verletzungen in Anwendung von aArt.
66^bis StGB (seit 1. April 2004: Art. 54 StGB) auf zwei Jahre herabgesetzt.
Diesbezüglich ist zu Recht unbestritten, dass eine Reduktion des Strafmasses
wegen grosser Betroffenheit des Täters als unmittelbare Folge seiner Tat (BGE
119 IV 280 E. 1a S. 281 f.) für die Frage der Leistungskürzung oder
-verweigerung grundsätzlich ohne Bedeutung ist (vgl. BGE 129 V 354 E. 3.2 S.
358).
BGE 134 V 315 S. 318

3. Das kantonale Gericht hat die Rentenverweigerung durch die IV-Stelle mit
folgender Begründung bestätigt: Das Ausmass der Leistungskürzung oder sogar der
Leistungsverweigerung bestimme sich nach dem Verschulden. Dieser Begriff setze
die Verletzung objektiver Standards durch die versicherte Person und subjektiv
die Vorwerfbarkeit ihres Verhaltens voraus. Im konkreten Fall sei objektiv von
Bedeutung, dass beim Raufhandel Schusswaffen zum Einsatz gekommen seien, was
nicht nur für die daran beteiligten Personen, sondern auch für unbeteiligte
Dritte ein grosses Gefahrenpotential in sich berge. Insofern sei der
Sachverhalt durchaus mit einem gemeingefährlichen Verbrechen wie beispielsweise
Brandstiftung im Sinne von Art. 221 StGB oder Fahren in angetrunkenem Zustand
bei einem Alkoholisierungsgrad von 2,8 Promille und mehr gemäss Art. 91 Abs. 2
SVG vergleichbar. In beiden Fällen betrage nach der auch im Bereich der
Invalidenversicherung grundsätzlich anwendbaren Praxis der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gestützt auf die Empfehlungen der
inoffiziellen Ad-hoc-Kommission Schaden UVG der Kürzungssatz bis zu 70 %. In
subjektiver Hinsicht falle ins Gewicht, dass gemäss der strafgerichtlichen
Verschuldensbeurteilung der Beschwerdeführer als treibende Kraft für die
stattgefundene Schiesserei zu betrachten sei. Sein Verhalten zeuge insofern von
einer äusserst grossen Verantwortungslosigkeit, als er am Streit unbeteiligte
Landsleute in die Auseinandersetzung hineingezogen und sich als Aussenseiter
auf eine Konfrontation mit einer offenbar im Prostituiertenmilieu verankerten
Gruppierung eingelassen habe, dies im Wissen, dass deren Mitglieder bewaffnet
waren. Das lasse auf ein grosses Gewaltpotential und auf kriminelle Energie
schliessen. Das subjektive Verschulden erweise sich daher als sehr schwer.
Mildernde Umstände, welche das Verhalten des Beschwerdeführers nachvollziehbar
und verständlich machten, seien nicht gegeben. Sei es ihm ursprünglich darum
gegangen, seine Freundin gegenüber seinem Hauptkontrahenten bezüglich einer
Mietzinsforderung zu unterstützen, sei nicht einsichtig, weshalb er deswegen
schliesslich eine bewaffnete Auseinandersetzung angefangen habe. Ebenfalls sei
nicht von Belang, dass der Beschwerdeführer als Folge der erlittenen
Schussverletzungen vollständig invalid und nunmehr auf Sozialhilfe angewiesen
sei. Insgesamt seien das objektive und subjektive Verschulden derart schwer,
dass die Rentenverweigerung nach altem und neuem Recht geboten gewesen sei.
BGE 134 V 315 S. 319

4. (...)

4.5 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer, das kantonale Gericht sei vom
strafrechtlichen und nicht vom sozialversicherungsrechtlichen
Verschuldensbegriff ausgegangen. Relevant könne einzig die Willenseinstellung
mit Bezug auf die konkrete und direkte Herbeiführung der Ursache seiner
Invalidität sein. Alles andere käme einer eigentlichen Bestrafung gleich, was
unzulässig sei. Nach der Kasuistik bestimme sich schweres Verschulden dadurch,
dass - bei einer objektiv abstrakten Betrachtungsweise - der eingetretene
Schaden eine klar vorhersehbare Folge des Verhaltens der versicherten Person
sei. In diesem Zusammenhang habe die Vorinstanz ihr Ermessen insoweit
überschritten, als sie sich nicht ernsthaft mit den bekannten Präzedenzfällen
auseinandergesetzt habe. In der Praxis seien kaum Fälle vollständiger
Leistungsverweigerung bekannt. In verschuldensmässig vergleichbaren Fällen sei
maximal eine Kürzung von 50-60 % erfolgt.

4.5.1

4.5.1.1 Ob eine Invalidenrente zu kürzen (und gegebenenfalls das Mass der
Kürzung) oder ob die Leistung überhaupt zu verweigern ist, bestimmte sich unter
der Herrschaft von aArt. 7 Abs. 1 IVG nach dem Verschulden der versicherten
Person (BGE 111 V 186 E. 5a S. 196). Dabei genügte Grobfahrlässigkeit (BGE 121
V 45 E. 3b S. 47) nicht (BGE 119 V 171). Ebenso war eine Leistungskürzung
infolge Herbeiführung der Invalidität bei Begehung einer schweren
Verkehrsregelverletzung zulässig (BGE 119 V 241). Diese Regelung hat lediglich
insofern eine Änderung erfahren, als in Art. 21 Abs. 1 ATSG von der
Herbeiführung oder Verschlimmerung des Versicherungsfalles bei vorsätzlicher
Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens die Rede ist. Diese sprachliche
Neufassung hat jedoch inhaltlich nichts geändert. Das Gesetz sagt somit nach
wie vor nicht, was unter Verschulden zu verstehen ist, insbesondere wann ein
schwerer Fall vorliegt, welcher eine Leistungsverweigerung rechtfertigt. Klar
ist, dass das strafrechtliche Verschulden allenfalls Ausgangspunkt bei der
Umschreibung von zur Kürzung oder sogar Verweigerung einer Rente der
Invalidenversicherung gestützt auf aArt. 7 Abs. 1 IVG oder Art. 21 Abs. 1 ATSG
Anlass gebenden Verhaltensweisen sein kann. Darauf kann in der Regel aber nicht
abgestellt werden, wie in der Beschwerde insoweit richtig vorgebracht wird. Die
Kürzung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist eine
verwaltungsrechtliche Sanktion. Sie bezweckt den
BGE 134 V 315 S. 320
Schutz der Versicherung vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme und hat nicht
pönalen Charakter (BGE 129 V 354 E. 3.2 in fine S. 359; BGE 119 V 241 E. 4b in
fine S. 249). Die Versicherung soll nicht über Gebühr mit Schäden belastet
werden, welche die Betroffenen bei Anwendung der ihnen zumutbaren Sorgfalt
hätten vermeiden können (BGE 111 V 186 E. 2a S. 187; vgl. auch BGE 114 V 190 E.
4b/bb S. 192).
Deshalb kann in objektiver Hinsicht grundsätzlich allein das abstrakte oder
konkrete Gefährdungspotential für die versicherte Person selber von Bedeutung
sein. Desgleichen kann subjektiv die Vorgehensweise, namentlich die
Rücksichtslosigkeit des Verhaltens, nur insofern beachtlich sein, als dadurch
die Gefahr, sich selber ernstlich und irreversibel zu verletzen oder allenfalls
von Dritten verletzt zu werden, erst geschaffen oder erhöht wird. Nicht
erforderlich ist eine richtige Vorstellung von der genauen Art des durch das
vorwerfbare Verhalten eingegangenen Gesundheitsrisikos (BGE 111 V 186 E. 4b S.
195). Nur soweit reicht der Vorwurf, der eine Leistungskürzung oder sogar die
Verweigerung der Leistung rechtfertigt. Die Beurteilung hat aufgrund der
gesamten Umstände des konkreten Falles zu erfolgen (vgl. ALEXANDRA RUMO-JUNGO,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz
über die Unfallversicherung, 3. Aufl. 2003, S. 200).

4.5.1.2 Diese Konzeption liegt auch Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV (SR 832.202) zu
Grunde. Nach dieser Bestimmung werden u.a. die Geldleistungen mindestens um die
Hälfte gekürzt für Nichtberufsunfälle, die sich ereignen bei Beteiligung an
Raufereien und Schlägereien, es sei denn, der Versicherte sei als Unbeteiligter
oder bei Hilfeleistung für einen Wehrlosen durch die Streitenden verletzt
worden. Der Tatbestand des Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV ist grundsätzlich
verschuldensunabhängig konzipiert (so schon EVGE 1964 S. 73 E. 1 zu Art. 67
Abs. 3 KUVG) und weiter gefasst als der Straftatbestand der Beteiligung an
einem Raufhandel gemäss Art. 133 StGB. Es genügt, dass das zu sanktionierende
Verhalten objektiv gesehen die Gefahr einschliesst, in Tätlichkeiten
überzugehen oder solche nach sich zu ziehen, und die versicherte Person dies
erkannt hat oder erkennen musste. Das Verhalten muss nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, eine
Gesundheitsschädigung von der Art des eingetretenen herbeizuführen (Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts U 325/05 vom 5. Januar 2006, E. 1 nicht publ. in
BGE 132 V 27, aber publ. in:
BGE 134 V 315 S. 321
SVR 2006 UV Nr. 13 S. 45). Dies ist ohne weiteres zu bejahen, wenn Schusswaffen
zum Einsatz kommen und die versicherte Person angeschossen wird.

4.5.2 Die grobfahrlässige Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Invalidität
zog nach aArt. 7 Abs. 1 IVG grundsätzlich nicht den gänzlichen Leistungsentzug
nach sich, sondern führte lediglich zu einer Leistungskürzung (BGE 111 V 186 E.
5a S. 196). In der Praxis waren und sind die Fälle von Leistungsverweigerung
selten. Im nicht veröffentlichten Urteil I 50/97 vom 30. Juni 1997 bestätigte
das Eidg. Versicherungsgericht die vorinstanzliche Verweigerung einer
Invalidenrente bei einem Versicherten, welcher sich überwiegend wahrscheinlich
seit 1990 selbst verstümmelt hatte. Gemäss Rz. 7008 und 7009 des
Kreisschreibens des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der
Invalidenversicherung (KSIH, in der seit 1. Januar 2004 geltenden Fassung) ist
eine Rentenkürzung zwischen 10 % bis maximal 50 % die Regel. Dies entspricht
auch der Kürzungspraxis im Bereich der Unfallversicherung (vgl. die Kasuistik
bei RUMO-JUNGO, a.a.O., S. 203 ff.).

4.5.3 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist somit nicht von Bedeutung,
dass der Beschwerdeführer unbeteiligte Dritte in die Auseinandersetzung
hineinzog. Dabei kann offenbleiben, ob diese um den möglichen Gebrauch von
Schusswaffen wussten. Die Gefährdung allfälliger unbeteiligter Dritter ebenso
wie der diesbezügliche Vorwurf äusserst grosser Verantwortungslosigkeit haben
für die Frage der Leistungskürzung oder -verweigerung ausser Acht zu bleiben.
Insofern geht auch der Vergleich der Vorinstanz mit vorsätzlicher Brandstiftung
fehl. Anderseits stellt bereits die Beteiligung des Beschwerdeführers an der
Auseinandersetzung ein zur Leistungskürzung Anlass gebendes Verhalten dar. Nach
der auch hier zu beachtenden Praxis im Bereich der Unfallversicherung ist ein
Kürzungssatz von mindestens 50 % anzuwenden. Erschwerend kommt hinzu, dass der
Beschwerdeführer letztlich einen ganz entscheidenden Anteil daran hatte, dass
es überhaupt zu dieser als gewaltsam zu bezeichnenden Konfrontation kam. Dass
es andere Möglichkeiten der Beilegung des seine Freundin betreffenden Streits
um die Höhe des Mietzinses gegeben hätte, steht ausser Frage. Dabei musste der
Beschwerdeführer damit rechnen, dass Schusswaffen zum Einsatz gelangen. Er ging
sogar von diesem Szenario aus, war er doch selber auch bewaffnet. Der Einwand,
er habe seine Waffe erst geladen, als er sichere Kenntnis vom Herannahen der
BGE 134 V 315 S. 322
schwer bewaffneten Peiniger seiner schwangeren Freundin gehabt habe, ist schon
deshalb nicht stichhaltig, weil nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz
(auch) er die gewaltsame Auseinandersetzung gesucht hatte. In diesem
Zusammenhang trifft zwar zu, dass der Beschwerdeführer vom Vorwurf der
mehrfachen versuchten eventualvorsätzlichen Tötung, der eventualvorsätzlichen
mehrfachen schweren Körperverletzung sowie der Gefährdung des Lebens
freigesprochen worden war. Dieser Freispruch erfolgte indessen nach der
strafrechtlichen Maxime "in dubio pro reo", welche im Sozialversicherungsrecht
nicht gilt. Darauf beruhende strafgerichtliche Urteile sind für die
Sozialversicherungsgerichte denn auch nicht verbindlich (EVGE 1967 S. 96 E. 2;
BGE 129 V 472 E. 421 S. 477 ["in dubio pro assicurato"]). Durch sein
aggressives und entschlossenes Verhalten gegenüber einer im
Prostituiertenmilieu verankerten Gruppierung, von deren Gewaltbereitschaft
auszugehen war, setzte sich der Beschwerdeführer einer grossen und ernstlichen
Verletzungsgefahr aus. Er musste sogar damit rechnen, getötet zu werden. In
Würdigung der gesamten Umstände kann die vorinstanzliche Annahme eines schweren
Falles im Sinne von Art. 21 Abs. 1 ATSG und die darauf und auf aArt. 7 Abs. 1
IVG gestützte Verweigerung der Invalidenrente nicht als bundesrechtswidrig
bezeichnet werden. Die Beschwerde ist somit unbegründet.