Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 V 145



Urteilskopf

134 V 145

18. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische National-Versicherungs-Gesell- schaft gegen V. Erben (Beschwerde
in öffent- lich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_23/2007 vom 12. März 2008

Regeste

Art. 49 Abs. 1 und 3, Art. 51 Abs. 1 und 2 ATSG; Art. 124 lit. a und b UVV;
Frist für die Infragestellung eines zu Unrecht formlos mitgeteilten
Fallabschlusses. Hat der Versicherer die (ganze oder teilweise) Verweigerung
von Leistungen zu Unrecht nicht in Verfügungsform, sondern formlos mitgeteilt
und ist die betroffene Person damit nicht einverstanden, hat sie dies
grundsätzlich innerhalb eines Jahres zu erklären. Diesfalls hat der Versicherer
eine Verfügung zu erlassen, gegen welche Einsprache erhoben werden kann. Ohne
fristgerechte Intervention erlangt der Entscheid rechtliche Wirksamkeit, wie
wenn er zulässigerweise im Rahmen von Art. 51 Abs. 1 ATSG ergangen wäre (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 146

BGE 134 V 145 S. 146
A. Der 1955 geborene V. erlitt am 27. Februar 1994 einen bei der
Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: National)
nach UVG versicherten Unfall.
Am 13. September 2001 nahm sich V. das Leben.
Mit Schreiben vom 28. Januar 2002 liessen die Erben des V. einen Anspruch auf
Hinterlassenenleistungen der National geltend machen. Der Versicherer verneinte
nach einem kurzen Briefwechsel mit Schreiben vom 8. Mai 2002 seine
Leistungspflicht.
Am 14. Juni 2005 erneuerten die Erben des V. ihr Gesuch um Ausrichtung von
Hinterlassenenleistungen. Die National erklärte mit Brief vom 4. August 2005,
sie betrachte den Fall als erledigt, da die Mitteilung vom 8. Mai 2002 als
faktische Verfügung rechtskräftig geworden sei. Diesen Standpunkt bestätigte
der Versicherer in weiteren Stellungnahmen vom 30. September 2005 und 16. Juni
2006.

B. Die Erben des V. erhoben am 12. September 2006 Beschwerde wegen
Rechtsverweigerung. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess
diese gut und verpflichtete die National, betreffend Hinterlassenenleistungen
eine schriftliche und begründete Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung zu
erlassen (Entscheid vom 4. Januar 2007).

C. Die National führt Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale
Entscheid sei aufzuheben.
Die Erben des V. schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit
denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, hat der
Versicherungsträger schriftlich Verfügungen zu erlassen (Art. 49 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über
BGE 134 V 145 S. 147
den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG; SR 830.1]). Im
gleichen Sinn bestimmte Art. 99 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981
über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20) in der bis Ende 2002 gültig
gewesenen Fassung, der Versicherer habe über erhebliche Leistungen und
Forderungen und über solche, mit denen der Betroffene nicht einverstanden ist,
schriftliche Verfügungen zu erlassen.

2.2 Die Verfügungen werden mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Sie sind
zu begründen, wenn sie den Begehren der Parteien nicht voll entsprechen. Aus
einer mangelhaften Eröffnung einer Verfügung darf der betroffenen Person kein
Nachteil erwachsen (Art. 49 Abs. 3 ATSG). Auch diese Grundsätze galten in der
obligatorischen Unfallversicherung bereits unter dem früheren Recht (ALFRED
MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl., Bern 1989, S. 604).

2.3 Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49 Abs. 1
ATSG fallen, können in einem formlosen Verfahren behandelt werden (Art. 51 Abs.
1 ATSG). Die betroffene Person kann den Erlass einer Verfügung verlangen (Art.
51 Abs. 2 ATSG). Das damit geregelte formlose Verfahren, zu welchem das
Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR
172.021) keine Bestimmung enthält, war insbesondere in Form des so genannten
De-facto-Systems im Verfahren der obligatorischen Unfallversicherung bereits
vor dem Inkrafttreten des ATSG weit verbreitet (MAURER, a.a.O., S. 603).

3.

3.1 Nach der zitierten Regelung unterscheidet das ATSG zwischen der Behandlung
eines Gesuchs mittels Verfügung einerseits und im formlosen Verfahren
andererseits. Die erste Variante ist vorgeschrieben, wenn es sich um eine
erhebliche Leistung, Forderung oder Anordnung handelt sowie wenn die
versicherte Person mit dem Entscheid nicht einverstanden ist. In den übrigen
Fällen ist das formlose Verfahren nach Art. 51 ATSG zulässig. Es stellt sich
zunächst die Frage, ob das Schreiben vom 8. Mai 2002 als Verfügung oder als
formlose Erledigung zu gelten hat.

3.2 Im von der Vorinstanz zitierten, in BGE 132 V 412 ff. auszugsweise
veröffentlichten Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 62/06 vom 7.
September 2006 hatte der Unfallversicherer in einem Schreiben an die
versicherte Person erklärt, die bisher erbrachten Leistungen (Heilbehandlung
und Taggeld) würden eingestellt
BGE 134 V 145 S. 148
,
nachdem keine objektivierbaren pathologischen Befunde hätten erhoben werden
können, welche als wahrscheinliche Folgen des Unfallereignisses zu werten
seien. Der Brief enthielt keine Rechtsmittelbelehrung und war auch nicht als
Verfügung bezeichnet. Das Eidg. Versicherungsgericht qualifizierte das
Schreiben nicht als Verfügung, sondern ordnete es dem formlosen Verfahren zu.
Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Erledigungsformen hat somit in der Weise
zu erfolgen, dass eine Verfügung - unter Umständen abweichend von der
allgemeinen, an inhaltlichen Kriterien orientierten Definition gemäss Art. 5
VwVG - nur dann vorliegt, wenn das fragliche Schriftstück als solche bezeichnet
ist oder zumindest eine Rechtsmittelbelehrung enthält. Weist eine in diesem
Sinn verstandene Verfügung einen Mangel auf, bestimmen sich die Konsequenzen
nach Art. 49 Abs. 3 Satz 3 ATSG, wonach der versicherten Person aus einer
mangelhaften Eröffnung kein Nachteil entstehen darf. Die konkreten Rechtsfolgen
ergeben sich aus der Art des Mangels (ausführlich zu den Auswirkungen
verschiedener Eröffnungsmängel Michele Albertini, Der verfassungsmässige
Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates,
Diss. Bern 1999, S. 440 ff.). Eine falsche oder fehlende Rechtsmittelbelehrung
führt regelmässig zur Verlängerung der Einsprachefrist (zum Ganzen Alfred Kölz/
Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2.
Aufl., Zürich 1998, S. 130 ff., Rz. 362 ff., sowie UELI KIESER, Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl.,
Basel 2007, S. 217 ff., 289, Rz. 164). Erfüllt dagegen der Brief, in welchem
der Versicherer seinen Standpunkt äussert, die erwähnten Anforderungen nicht
und hat er somit nicht als Verfügung zu gelten, kann das Verfahren nicht durch
einen Einspracheentscheid fortgesetzt werden, sondern muss sich zunächst auf
den Erlass einer Verfügung richten.

3.3 In ihrem Schreiben vom 8. Mai 2002 führte die National aus, aufgrund des
Polizeirapports sei sie der Meinung, dass der Suizid nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 27. Februar 1994 zurückzuführen sei.
Deshalb könne sie keine Leistungen ausrichten. Der Brief war nicht als
Verfügung bezeichnet und enthielt keine Rechtsmittelbelehrung. Mit Blick auf
die vorstehend dargelegten Grundsätze hat er nicht als formelle Verfügung zu
gelten, sondern ist dem formlosen Verfahren zuzuordnen.
BGE 134 V 145 S. 149

4. Art. 51 Abs. 1 ATSG sieht die Behandlung eines Anspruchs im formlosen
Verfahren ausdrücklich vor in Bezug auf Gegenstände, welche nicht unter Art. 49
Abs. 1 ATSG fallen. Diese bereits zitierte Bestimmung schreibt für erhebliche
Leistungen sowie bei Nichteinverständnis der versicherten Person die
Verfügungsform vor. Die formlose Erledigung ist diesfalls unzulässig. Der
bereits vor dem Inkrafttreten des ATSG gültig gewesene, unverändert gebliebene
Art. 124 der Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die Unfallversicherung (UVV;
SR 832.202) hält in lit. b fest, eine schriftliche Verfügung sei unter anderem
zu erlassen über die Verweigerung von Versicherungsleistungen. Mit dem
Inkrafttreten des ATSG hat sich in diesem Punkt gegenüber der Rechtslage nach
Art. 99 Abs. 1 UVG (in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung) nichts
geändert (vgl. BGE 132 V 412 E. 4 S. 417). Auch mit Bezug auf den hier zu
beurteilenden Sachverhalt, in welchem das einen Anspruch verneinende Schreiben
aus dem Jahr 2002 datiert, ist demzufolge von einer Verfügungspflicht des
Unfallversicherers auszugehen. Der Entscheid hätte in Form einer Verfügung
ergehen müssen.

5.

5.1 Nach dem Gesagten war es unzulässig, dass die National über die beantragten
Hinterlassenenleistungen durch das Schreiben vom 8. Mai 2002 formlos und nicht
mittels Verfügung in ablehnendem Sinn entschieden hat. Art. 51 ATSG, welcher
sich nur auf das zulässige formlose Verfahren bezieht, kann daher keine direkte
Anwendung finden. Ebenso wenig kommt ein unmittelbares Abstellen auf Art. 49
Abs. 3 Satz 3 ATSG in Frage, da keine Verfügung - auch nicht eine
mangelbehaftete - vorliegt. Das Gesetz enthält somit für den hier gegebenen
Fall, in dem der Versicherer im formlosen Verfahren nach Art. 51 ATSG einen
Entscheid gefällt hat, welcher laut Art. 49 Abs. 1 ATSG in Verfügungsform
ergehen muss, keine ausdrückliche Regelung. Damit das Verfahren in die
gesetzlich vorgesehenen Wege gelenkt und der versicherten Person der Rechtsweg
eröffnet wird, ist jedoch der (bisher nicht erfolgte) Erlass einer formellen
Verfügung notwendig. Dementsprechend drängt sich in Analogie zu Art. 51 Abs. 2
ATSG die Lösung auf, dass die versicherte Person einen Entscheid in Form einer
Verfügung verlangen kann. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die
Frage nach allfälligen zeitlichen Grenzen dieser Befugnis.
BGE 134 V 145 S. 150

5.2 Wie das Eidg. Versicherungsgericht in der in BGE 132 V 412 nicht
veröffentlichten E. 6 des bereits erwähnten Urteils U 62/06 vom 7. September
2006 erkannt hat, verhält sich die versicherte Person nicht
rechtsmissbräuchlich im Sinne der zweckwidrigen Verwendung eines
Rechtsinstituts (vgl. zu dieser Form des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
Thomas Gächter, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, unter besonderer
Berücksichtigung des Bundessozialversicherungsrechts, Zürich 2005, S. 312, mit
weiteren Hinweisen), wenn sie erst mehrere Monate nach einem unzulässigerweise
im formlosen Verfahren erfolgten Fallabschluss den Erlass einer formellen
Verfügung verlangt. Im konkreten Fall wurde ein entsprechendes, 8 1/2 Monate
nach dem als formlos qualifizierten Schreiben gestelltes Gesuch als nicht
rechtsmissbräuchlich betrachtet und der Versicherer verpflichtet, die verlangte
Verfügung zu erlassen. Es ginge nun allerdings zu weit anzunehmen, die
versicherte Person könne in dieser Konstellation ohne jede zeitliche
Beschränkung auf dem Erlass einer Verfügung bestehen. Ebenso wie sich die
Umschreibung der Rechtsfolgen der mangelhaften Eröffnung einer Verfügung an
einer Abwägung zu orientieren hat, welche einerseits dem Rechtsschutzinteresse
der betroffenen Person und andererseits dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung
trägt, wobei der Grundsatz von Treu und Glauben als Richtschnur dient (BGE 119
Ib 68 E. 3b S. 72; Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 130 f., Rz. 364;
Michele Albertini, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im
Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 1999, S. 442),
rechtfertigt es sich auch im hier zu beurteilenden Kontext nicht, den
Interessen der versicherten Person uneingeschränkt den Vorrang einzuräumen.
Vielmehr ist ihre Befugnis, einen formell korrekten Entscheid des Versicherers
zu verlangen, insbesondere mit Blick auf das Gebot der Rechtssicherheit sowie
den Verfassungsgrundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 der
Bundesverfassung vom 18. April 1999 [BV; SR 101]), der auch Private in ihrem
Verhältnis zu staatlichen Organen bindet (Beatrice Weber-Dürler, Neuere
Entwicklungen des Vertrauensschutzes, ZBl 103/2002 S. 281 ff., 282 f.; Yvo
Hangartner, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/ Vallender [Hrsg.], Die
schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Zürich 2002, N. 39 zu Art. 5 BV;
SUSANNE LEUZINGER-NAEF, Der Wegfall der Unfallkausalität, in: René Schaffhauser
/Franz Schlauri [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2007, St. Galle
BGE 134 V 145 S. 151
n
2007, S. 9 ff., 28), zeitlich zu beschränken. Die vom kantonalen Gericht
herangezogene und als massgeblich betrachtete Aussage im Urteil U 62/06 vom 7.
September 2006, E. 6 (nicht publ. in BGE 132 V 412), ist deshalb insofern zu
präzisieren, als die versicherte Person einen unzulässigerweise im formlosen
Verfahren erlassenen Entscheid des Unfallversicherers, den Fall abzuschliessen,
nicht zeitlich unbeschränkt in Frage stellen kann, sondern nur innerhalb einer
Frist, deren Dauer nachfolgend zu definieren ist. Unterbleibt eine
fristgerechte Intervention, entfaltet der im formlosen Verfahren ergangene
Entscheid in gleicher Weise Rechtswirkungen, wie wenn er im durch Art. 51 Abs.
1 ATSG umschriebenen Rahmen erlassen worden wäre.

5.3 Zu prüfen bleibt, innerhalb welcher Frist die betroffene Person gegen den
unzulässigerweise formlos mitgeteilten Fallabschluss durch den obligatorischen
Unfallversicherer zu intervenieren hat.

5.3.1 Mit Bezug auf das zulässige formlose Verfahren nach Art. 51 ATSG, also
den Bereich der nicht erheblichen Leistungen, Forderungen und Anordnungen,
deren Beurteilung die versicherte Person nicht bereits vorgängig widersprochen
hat, wurde im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten diskutiert, innerhalb welcher
Frist die versicherte Person ihr Gesuch um Erlass einer Verfügung stellen müsse
(zur Entstehungsgeschichte der Norm vgl. BGE 132 V 412 E. 2.2 S. 415 f. sowie
Barbara Kupfer Bucher, Das nichtstreitige Verwaltungsverfahren nach dem ATSG
und seine Auswirkungen auf das AVIG, Diss. Freiburg 2006, S. 207 f.). Der
Bundesrat schlug in seiner vertieften Stellungnahme vom 17. August 1994
"Parlamentarische Initiative Sozialversicherungsrecht" (BBl BGE 1994 V 921 ff.)
eine Frist von einem Jahr seit Entstehen des Anspruchs vor. Zur Begründung
wurde erklärt, die Aufnahme einer Frist sei im Interesse der Rechtssicherheit
angezeigt (BBl BGE 1994 V 949). Im weiteren Verlauf stand auch eine Frist von
lediglich einem Monat zur Diskussion (Franz Schlauri, Grundstrukturen des
nichtstreitigen Verwaltungsverfahrens in der Sozialversicherung, in:
Schaffhauser/ Schlauri [Hrsg.], Verfahrensfragen in der Sozialversicherung, St.
Gallen 1996, S. 9 ff., 57 mit Fn. 87). Die Kommission des Nationalrates für
soziale Sicherheit und Gesundheit lehnte in ihrem Bericht vom 26. März 1999
(BBl 1999 S. 4523 ff.) die Aufnahme einer Frist in das Gesetz ab. Sie
argumentierte, das formlose Verfahren beschlage sehr unterschiedliche Abläufe
in der Sozialversicherung. Es sei daher falsch, eine Frist zu fixieren. Zwar
gingen
BGE 134 V 145 S. 152
Praxis und Rechtsprechung in der Krankenversicherung davon aus, dass eine
Verfügung während ca. eines Jahres verlangt werden könne. Es sei aber wohl
unzweckmässig, dies einheitlich für alle möglichen Fälle vorzusehen (BBl 1999
S. 4610). Dementsprechend regelt der nunmehrige Art. 51 Abs. 2 ATSG diesen
Punkt nicht. In der Lehre wird davon ausgegangen, die Frist müsse auf jeden
Fall länger sein als die 30-tägige Rechtsmittelfrist, könne aber wohl mehrere
Monate nicht übersteigen, wobei die sachgerechte Dauer vom Einzelfall abhänge
(Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003,
S. 433, § 65 Rz. 26; zu den zu berücksichtigenden Kriterien äussert sich
UeliKieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N. 13 zu Art. 51 ATSG). In der
Militärversicherung nimmt die Verwaltung im Regelfall eine sechsmonatige Frist
an (Jürg Maeschi, Kommentar zum Bundesgesetz über die Militärversicherung, Bern
2000, N. 10 zu Art. 96 MVG; SCHLAURI, a.a.O., S. 57 Fn. 87).

5.3.2 Die hier zu beurteilende Konstellation unterscheidet sich von der durch
Art. 51 Abs. 2 ATSG geregelten dadurch, dass über Leistungen zu befinden ist,
für deren Beurteilung das Gesetz (Art. 49 Abs. 1 ATSG respektive Art. 99 Abs. 1
UVG [in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung] in Verbindung mit Art. 124
UVV) die Verfügungsform vorschreibt. Es ist - auch im Vergleich zu anderen
Rechtsgebieten - von einem relativ hohen Grad an Betroffenheit der versicherten
Person auszugehen, was sich verfahrensrechtlich insofern auswirkt, als dem
Anspruch auf rechtliches Gehör und namentlich dem Begründungserfordernis
besonderes Gewicht zukommt (ALBERTINI, a.a.O., S. 406 mit Hinweis auf BGE 124 V
180). Dieser Aspekt spricht im Vergleich zum gesetzlich vorgesehenen formlosen
Verfahren nach Art. 51 ATSG für die Annahme einer längeren Frist. Ein weiteres,
in dieselbe Richtung weisendes Argument ergibt sich aus dem Umstand, dass der
Versicherer das formlose Verfahren entgegen der gesetzlichen Regelung zur
Anwendung gebracht und somit die für ihn resultierende vorübergehende
Rechtsunsicherheit selbst zu verantworten hat. Andererseits haben auch Dritte,
welche nicht direkt am Verfahren beteiligt sind, im Hinblick auf allfällige
Haftpflicht- und Regressansprüche ein berechtigtes Interesse an einer Klärung
der Rechtslage. In Anbetracht der einander gegenüberstehenden Interessen sowie
unter Berücksichtigung des Verfassungsgrundsatzes von Treu und Glauben
erscheint es für den Regelfall als gerechtfertigt, von der
BGE 134 V 145 S. 153
betroffenen Person zu erwarten, dass sie innerhalb eines Jahres seit der
unzulässigerweise im formlosen Verfahren erfolgten Mitteilung des
Fallabschlusses an den Unfallversicherer gelangt, wenn sich dieser seither
nicht mehr gemeldet hat. Eine längere Frist kommt allenfalls dann in Frage,
wenn die Person - insbesondere wenn sie rechtsunkundig und nicht anwaltlich
vertreten ist - in guten Treuen annehmen durfte, der Versicherer habe noch
keinen abschliessenden Entscheid fällen wollen und sei mit weiteren Abklärungen
befasst.

5.4 Aus dem Schreiben der National vom 8. Mai 2002 geht unmissverständlich
hervor, dass es der Versicherer ablehnte, die beantragten Leistungen zu
erbringen. Von weiteren Abklärungen war nicht die Rede. Die nach Lage der Akten
bereits seit September 2001 anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner waren
deshalb nach dem Gesagten gehalten, innerhalb eines Jahres seit Zugang des
Schreibens zu reagieren und ihr Nichteinverständnis zu bekunden. Die erst am
14. Juni 2005, nach Ablauf von mehr als drei Jahren, erfolgte Intervention
vermochte somit keine Verpflichtung des Unfallversicherers mehr auszulösen, in
Verfügungsform über die streitigen Ansprüche zu entscheiden. Vielmehr hatte der
im formlosen Verfahren ergangene Entscheid vom 8. Mai 2002 inzwischen
Rechtswirksamkeit erlangt, wie wenn er im durch Art. 51 Abs. 1 ATSG
umschriebenen Rahmen erlassen worden wäre. Die National beging demzufolge keine
Rechtsverweigerung, als sie es ablehnte, eine Verfügung zu erlassen. Die
Beschwerde ist daher gutzuheissen und der kantonale Entscheid ist aufzuheben.