Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 I 204



Urteilskopf

134 I 204

23. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Zweckverband für soziale Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu gegen X. und
Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_183/2007 vom 5. Februar 2008

Regeste

Art. 9 und 50 BV; Art. 89 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c BGG; Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; Beschwerdelegitimation; öffentliches
Personalrecht. Der Beschwerdeführer ist ein kommunaler Zweckverband und durch
das angefochtene Urteil als Träger hoheitlicher Gewalt betroffen, weshalb er
gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG die Verletzung von Garantien rügen kann,
die ihm die Kantons- oder Bundesverfassung einräumt. Die Beschwerdelegitimation
des Gemeinwesens ist auch nach Art. 89 Abs. 1 BGG gegeben, wenn dieses in
gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt wird wie ein privater
Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Bereich des
öffentlichen Personalrechts grundsätzlich zu bejahen (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 204

BGE 134 I 204 S. 204
X. trat am 22. November 1993 beim ehemaligen Zweckverband für die Familien- und
Säuglingsfürsorge in den Bezirken Thal und
BGE 134 I 204 S. 205
Gäu eine Arbeitsstelle als Gesundheitsschwester, Fachbereich Mütterberatung,
an.
Am 23. September 2005 erteilte der mittlerweile in Zweckverband für soziale
Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu umbenannte Arbeitgeber X. einen
schriftlichen Verweis wegen Reklamationen seitens von Fachpersonen,
inakzeptablen Umgangs mit dem Vorgesetzten und einer Reihe von Vorfällen.
Mit Schreiben vom 9. März 2006 kündigte der Zweckverband das Arbeitsverhältnis
auf den 30. Juni 2006. Zur Begründung verwies er auf den schriftlichen Verweis.
Als weitere Gründe nannte er eine Kompetenzüberschreitung, generell eine
schlechte Arbeitshaltung, mangelnde Kritik- und Teamfähigkeit sowie Zweifel an
der fachlichen Kompetenz der Arbeitnehmerin.
X. erhob gegen die Kündigung Verwaltungsbeschwerde, welche das
Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Solothurn mit Verfügung vom 18. Oktober
2006 abwies.
In teilweiser Gutheissung der von X. erhobenen Beschwerde stellte das
Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 21. Mai 2007 die
Missbräuchlichkeit der Kündigung fest, wies das Begehren um Wiederanstellung
der Beschwerdeführerin ab und verpflichtete den Zweckverband, X. eine
Abgangsentschädigung im Umfang von sechs Monatslöhnen zu bezahlen.
Der Zweckverband für soziale Dienstleistungen der Amtei Thal-Gäu hat gegen das
Urteil des Verwaltungsgerichts Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten und Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und Art.
50 BV sowie Verletzung von kantonalem Verfassungsrecht erhoben. Neben der
Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt er, es sei festzustellen, dass
die Kündigung rechtmässig erfolgt und das Dienstverhältnis beendet sei.
Eventualiter sei er zur Entrichtung einer Entschädigung im Umfang von höchstens
einem Monatslohn zu verurteilen. Subeventualiter sei die Angelegenheit zur
neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer erhebt sowohl Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) als auch
BGE 134 I 204 S. 206
Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG). Infolge der subsidiären Natur der
Verfassungsbeschwerde (vgl. Art. 113 BGG) ist zuerst zu prüfen, ob die
Eintretensvoraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten erfüllt sind.

2.1 Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts, ein Endentscheid einer
letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG), betrifft ein
öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis, d.h. eine öffentlich-rechtliche
Angelegenheit im Sinn von Art. 82 lit. a BGG. Der Verfahrensgegenstand betrifft
eine Abgangsentschädigung von sechs Monatslöhnen in der Höhe von insgesamt Fr.
38'424.30. Es handelt sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit, weshalb
der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. g BGG nicht gegeben ist. Die
Streitwertgrenze von Fr. 15'000.- ist erreicht (Art. 85 Abs. 1 lit. b BGG).

2.2 Der Beschwerdeführer ist ein kommunaler Zweckverband und somit eine
öffentlich-rechtliche Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 166 Abs.
1 des Gemeindegesetzes vom 16. Februar 1992 des Kantons Solothurn [GG/SO]). Er
ist durch das angefochtene Urteil als Träger hoheitlicher Gewalt betroffen,
weshalb er gestützt auf Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG die Verletzung von Garantien
rügen kann, die ihm die Kantons- oder Bundesverfassung einräumt. Die Vorschrift
übernimmt die diesbezügliche Rechtsprechung der staatsrechtlichen Beschwerde
(Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl
2001 S. 4330). In diesem Rahmen kann der Beschwerdeführer auch eine Verletzung
des Willkürverbots (Art. 9 BV) rügen, soweit dieses Vorbringen mit der
Autonomieverletzung in engem Zusammenhang steht (BGE 131 I 91 E. 1 S. 93 mit
Hinweisen).

2.3 Näher zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer auch ohne Zusammenhang mit
einer Autonomieverletzung zur Beschwerdeführung legitimiert ist.
Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen
hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den
angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist (lit. b) und ein
schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c).
Dieses allgemeine Beschwerderecht, das an die bisherige Beschwerdelegitimation
für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
BGE 134 I 204 S. 207
Art. 103 lit. a OG anknüpft, ist grundsätzlich auf Privatpersonen zugeschnitten
(BGE 133 II 400 E. 2.4.2 S. 406). Nach der zu Art. 103 lit. a OG entwickelten
Praxis können sich Gemeinwesen jedoch dann auf diese allgemeine Umschreibung
der Legitimation berufen, wenn sie gleich oder ähnlich wie ein Privater
betroffen oder aber in schutzwürdigen eigenen hoheitlichen Interessen berührt
sind (vgl. BGE 131 II 58 E. 1.3 S. 61 ff., BGE 131 II 753 E. 4.3 S. 757 ff.;
BGE 124 II 293 E. 3b S. 304; BGE 123 II 371 E. 2c S. 374 f., je mit Hinweisen).
Hingegen begründet nach ständiger Praxis das blosse allgemeine Interesse an der
richtigen und einheitlichen Anwendung des Rechts keine Beschwerdelegitimation
des Gemeinwesens; insbesondere ist die in einem Rechtsmittelverfahren
unterlegene Vorinstanz nicht legitimiert (BGE 123 II 371 E. 2d S. 375 mit
Hinweisen).
Unter der Geltung des OG stellte sich die Frage der Beschwerdelegitimation von
Gemeinwesen im Bereich des Personalrechts kaum: Gegen Entscheide der
eidgenössischen Personalrekurskommission konnte die Bundesverwaltung gestützt
auf Art. 103 lit. b OG Beschwerde führen; gegen kantonale Entscheide stand nur
die staatsrechtliche Beschwerde offen, zu deren Erhebung (von
Autonomiebeschwerden ausgenommen) nur Private legitimiert waren (Art. 88 OG).
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde war allerdings gegen sämtliche Verfügungen
uneingeschränkt zulässig, die sich auf das Bundesgesetz vom 24. März 1995 über
die Gleichstellung von Frau und Mann (Gleichstellungsgesetz, GlG; SR 151.1)
stützten. In diesem Bereich wurde die Legitimation von Gemeinden und Kantonen
anerkannt, weil das Gleichstellungsgesetz in seinen zentralen
materiellrechtlichen Bestimmungen gleichermassen für privatrechtliche und
öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse gilt und der öffentliche Arbeitgeber,
der seinen Angestellten eine Leistung nach Art. 5 GlG ausrichten muss, dadurch
in gleicher Weise berührt wird wie ein privater Arbeitgeber (BGE 124 II 409 E.
1e/dd S. 419).
In Anknüpfung an diese Rechtsprechung ist die Legitimation von Gemeinwesen zur
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 89 Abs. 1 BGG zu
bejahen, wenn diese in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt werden
wie ein privater Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten
im Bereich des öffentlichen Dienstrechts grundsätzlich zu bejahen, auch wenn
sich die Arbeitsverhältnisse nicht nach OR, sondern nach öffentlichem Recht
richten. Wird zum Beispiel um die Höhe des Lohns oder über eine
Abgangsentschädigung wegen angeblich
BGE 134 I 204 S. 208
missbräuchlicher Kündigung gestritten, befindet sich das Gemeinwesen in der
Rolle des Arbeitgebers und somit in einer dem privaten Arbeitgeber
vergleichbaren Situation (PIERRE MOOR, La qualité pour agir des autorités et
collectivités dans les recours de droit public et de droit administratif, in:
Etudes de procédure et d'arbitrage en l'honneur de Jean-François Poudret,
Lausanne 1999, S. 18 f.). In diesen Fällen hat das Gemeinwesen ein besonderes
schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung eines Entscheides. Wie es sich
verhält bei nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten und solchen, die der
subsidiären Verfassungsbeschwerde unterliegen, ist hier nicht zu prüfen.
Nach dem Gesagten ist der Beschwerdeführer, der sich gegen die Verurteilung zur
Zahlung einer Abgangsentschädigung wehrt, gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde legitimiert.