Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 IV 210



Urteilskopf

134 IV 210

21. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_4/2008 vom 13. Juni 2008

Regeste

Erfordernis der Stoffgleichheit beim Betrug; Leasingvertrag. Beim
Betrugstatbestand hat der Schaden als Vermögensnachteil der Bereicherung als
Vermögensvorteil zu entsprechen (Prinzip der Stoffgleichheit; E. 5.3). Der
Leasingnehmer, welcher das Leasingfahrzeug der Versicherungsgesellschaft, bei
der er eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen hat, fälschlicherweise als
gestohlen meldet, um sich hierdurch gegenüber dem Leasinggeber von seiner
Verpflichtung zur Bezahlung der Leasingraten zu befreien, macht sich nicht des
Betrugs gemäss Art. 146 StGB, sondern - allenfalls - der arglistigen
Vermögensschädigung gemäss Art. 151 StGB schuldig (E. 5.4).

Sachverhalt ab Seite 211

BGE 134 IV 210 S. 211
- Das Obergericht des Kantons Thurgau befand X. am 15. November 2007 in
Bestätigung des Urteils des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 13. Juni 2007 des
Betrugsversuchs und der Irreführung der Rechtspflege für schuldig und
verurteilte ihn zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten.
- X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, die Urteile des
Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 13. Juni 2007 und des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 15. November 2007 seien aufzuheben, und er sei freizusprechen.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Thurgau beantragen die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:
- Der Verurteilung des Beschwerdeführers liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beschwerdeführer behauptet, in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 2005 mit
seinem geleasten Personenwagen von Kreuzlingen nach Zürich gefahren zu sein,
sein Fahrzeug an der Limmatstrasse abgestellt und sich anschliessend mit
Kollegen getroffen zu haben.
BGE 134 IV 210 S. 212
Am 17. Juli 2005 um 02.00 Uhr erstattete der Beschwerdeführer Anzeige bei der
Polizei, sein Auto sei entwendet worden, und übergab dieser einen
Fahrzeugschlüssel (Schlüssel Nr. 1). Eine Woche später meldete er den Schaden
der Versicherungsgesellschaft V., bei welcher er eine Vollkaskoversicherung
abgeschlossen hatte. Er übergab der Versicherung einen zweiten
Fahrzeugschlüssel (Schlüssel Nr. 2). Diese liess in der Folge den Schlüssel Nr.
1, welchen sie von der Polizei überreicht erhalten hatte, wie auch den
Schlüssel Nr. 2 vom kriminaltechnischen Prüflabor P. GmbH untersuchen. Dieses
kam zum Ergebnis, der Schlüssel Nr. 1 passe im Gegensatz zum Schlüssel Nr. 2
nicht zu dem als gestohlen gemeldeten Wagen. Die Versicherungsgesellschaft V.
erstattete am 21. Dezember 2005 Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen
Verdachts auf Versicherungsbetrug.
Nach durchgeführter Beweiswürdigung zog die Vorinstanz die Schlussfolgerung,
der Beschwerdeführer habe den Diebstahl seines Fahrzeugs inszeniert. Er habe
das Auto verschwinden lassen und es anschliessend als gestohlen gemeldet, um
von der Versicherung eine Entschädigung ausgerichtet zu erhalten respektive um
sich der Bezahlung der geschuldeten Leasingraten zu entledigen.
(...)
-
- Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, es mangle an der für die
Erfüllung des Betrugstatbestands gemäss Art. 146 StGB notwendigen Bereicherung,
denn die Versicherungsgesellschaft V. hätte ihre allfälligen
Versicherungsleistungen an den Leasinggeber und nicht an ihn ausbezahlt. Sein
einziger Vorteil habe darin bestanden, dass er keine Leasingraten mehr
geschuldet habe. Insoweit fehle es jedoch an der Identität der Vermögensmassen.
Zur Anwendung gelange daher das Antragsdelikt der arglistigen
Vermögensschädigung gemäss Art. 151 StGB. Da ein Strafantrag nicht innert Frist
gestellt worden sei, habe im Ergebnis ein Freispruch zu erfolgen.
- Die Vorinstanz hat erwogen, die Versicherungsgesellschaft V. hätte zwar bei
einem Diebstahl ihre Versicherungsleistungen in der Tat dem Leasinggeber
ausgerichtet. Der Beschwerdeführer hätte sich jedoch bei vollendetem Betrug
dadurch bereichert, dass er sich gegenüber dem Leasinggeber seiner
Verpflichtung zur Bezahlung der Leasingraten hätte entledigen können. Ferner
übersehe der
BGE 134 IV 210 S. 213
Beschwerdeführer, dass er der Versicherungsgesellschaft V. auch sich angeblich
im Fahrzeug befindliche Effekten im Wert von Fr. 660.- als gestohlen gemeldet
habe.
- Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich des Betrugs namentlich schuldig, wer
in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden
durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt und so
den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen
anderen am Vermögen schädigt.
Vorausgesetzt ist somit ein Handeln in Bereicherungsabsicht. Nach der
herrschenden Lehre hat der Schaden als Vermögensnachteil der Bereicherung als
Vermögensvorteil zu entsprechen. Zwischen Schaden und Bereicherung muss mithin
ein innerer Zusammenhang bestehen, d.h. die Bereicherung muss sich als
Kehrseite des Schadens darstellen. Dieses Erfordernis wird als Prinzip der
Stoffgleichheit bezeichnet (Ernst Hafter, Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil, Erste Hälfte, 1937, S. 273; Gunther Arzt, Basler Kommentar II,
2. Aufl. 2007, Art. 146 StGB N. 119; Günter Stratenwerth/Guido Jenny,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Straftaten gegen Individualinteressen, 6.
Aufl. 2003, § 15 N. 60; ANDREAS DONATSCH, Strafrecht III, Delikte gegen den
Einzelnen, 9. Aufl. 2008, S. 218; Martin Schubarth/Peter Albrecht, Delikte
gegen das Vermögen: Art. 137- 172 StGB, 1990, Art. 148 StGB N. 102 ff.; Stefan
Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, vor
Art. 137 StGB N. 12; Günter Stratenwerth/Wolfgang Wohlers, Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Handkommentar, 2007, Art. 146 StGB N. 17; ablehnend hingegen
Alexander I. de Beer, Börsenmanipulation und Betrug, ZStrR 109/1992 S. 278
ff.).
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hierzu ist nicht einheitlich. Während der
Kassationshof in BGE 119 IV 210 E. 4b das Prinzip der Stoffgleichheit anerkannt
hat, indem er festhielt, "die Bereicherung beim Betrug ist die Kehrseite des
beim Opfer eingetretenen Schadens", hat die I. öffentlich-rechtliche Abteilung
in einem Rechtshilfeverfahren (BGE 122 II 422 E. 3b) das Erfordernis der
Stoffgleichheit ausdrücklich abgelehnt, da sich ein solches nicht aus dem
Gesetzestext ergebe und deshalb einfache Kausalität zwischen Schaden und
Bereicherung genügen müsse.
Die Strafrechtliche Abteilung hält an der Rechtsprechung des Kassationshofs
fest. So wie es bei den Aneignungsdelikten um eine
BGE 134 IV 210 S. 214
Eigentumsverschiebung geht, geht es beim Betrug um eine (beabsichtigte)
Vermögens verschiebung. Aus dem Tatbestandsmerkmal der Bereicherungsabsicht ist
daher zu schliessen, dass der Täter die Absicht verfolgen muss, sich oder einen
Dritten gerade um denjenigen Vermögensbestandteil zu bereichern, welcher dem
Getäuschten entzogen wird. Entscheidend ist mithin, dass die Bereicherung nicht
aus einem andern als dem Opfervermögen erfolgt.
Wird die Bereicherungsabsicht mangels Stoffgleichheit verneint, so findet statt
des Tatbestands des Betrugs gemäss Art. 146 StGB jener der arglistigen
Vermögensschädigung nach Art. 151 StGB Anwendung. Nach dieser Bestimmung wird -
auf Antrag - mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft,
wer jemanden ohne Bereicherungsabsicht durch Vorspiegelung oder Unterdrückung
von Tatsachen arglistig irreführt und so den Irrenden zu einem Verhalten
bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt.
- Vorliegend ist der Einwand des Beschwerdeführers, es fehle an der
Stoffgleichheit, berechtigt.
Mit Abschluss des Leasingvertrags verpflichtete sich der Beschwerdeführer, eine
Vollkaskoversicherung abzuschliessen und die Rechte und Leistungen aus dieser
Versicherung an den Leasinggeber abzutreten. Gleichzeitig wurde im
Leasingvertrag vereinbart, dass der Vertrag bei Diebstahl aufgehoben wird, wenn
das gestohlene Leasingfahrzeug nicht mehr beigebracht werden kann und die
Versicherung deshalb ihre Kaskoleistung erbringt.
Hätte die Versicherungsgesellschaft V. gestützt auf die Meldung des
Beschwerdeführers, das geleaste Fahrzeug sei entwendet worden, dem Leasinggeber
die Versicherungsleistung ausgerichtet, so wäre folglich der Leasingvertrag
aufgehoben worden - mit der Konsequenz, dass sich der Beschwerdeführer von der
Entrichtung der geschuldeten Leasingraten hätte befreien können. Der Schaden
der Versicherungsgesellschaft V. hätte daher in der dem Leasinggeber
ausbezahlten Versicherungssumme bestanden, während die Bereicherung beim
Beschwerdeführer bloss als Reflex in Form der Aufhebung seiner Verpflichtung,
die Leasingraten zu zahlen, eingetreten wäre. Er hätte mithin bloss einen
mittelbaren - weil aus dem Vermögen des Leasinggebers stammenden - Vorteil
erlangt.
Damit aber mangelt es an der für die Bejahung des subjektiven Tatbestands des
Betrugs notwendigen Stoffgleichheit. Der
BGE 134 IV 210 S. 215
Beschwerdeführer handelte nicht in der Absicht, sich oder den Leasinggeber zu
bereichern. Der Sachverhalt ist folglich nicht unter den Tatbestand des Betrugs
(zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft V.), sondern - wenn schon - unter
jenen der arglistigen Vermögensschädigung gemäss Art. 151 StGB zu subsumieren.
Voraussetzung für einen diesbezüglichen Schuldspruch ist jedoch das Vorliegen
eines rechtzeitig gestellten Strafantrags.
- Im Ergebnis hat die Vorinstanz demnach den Beschwerdeführer, soweit den
vorgetäuschten Diebstahl des Leasingfahrzeugs betreffend, zu Unrecht des
Betrugsversuchs zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft V. schuldig
gesprochen. Hingegen ist er insofern zutreffend des Betrugsversuchs für
schuldig befunden worden, als dass er der Versicherungsgesellschaft sich
angeblich im entwendeten Leasingfahrzeug befindliche Effekten fälschlicherweise
als gestohlen meldete. Da diese Versicherungsleistungen ihm persönlich
ausgerichtet worden wären, ist der Grundsatz der Stoffgleichheit gewahrt.
Die Beschwerde ist deshalb in diesem Punkt teilweise gutzuheissen, der
angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Bei ihrer Neubeurteilung wird die Vorinstanz -
soweit prozessual zulässig - einerseits zu klären haben, ob eine Verurteilung
wegen arglistiger Vermögensschädigung in Betracht kommt, respektive
andererseits zu prüfen haben, ob sich der Beschwerdeführer des Betrugsversuchs
zwar nicht zum Nachteil der Versicherungsgesellschaft, aber zu jenem des
Leasinggebers schuldig gemacht hat. Dies wäre der Fall, wenn der
Beschwerdeführer versucht hätte, den Leasinggeber durch Vorspiegelung von
Tatsachen - in casu des fingierten Diebstahls des Leasingfahrzeugs - arglistig
irrezuführen und ihn dazu zu bestimmen, auf die geschuldeten Leasingraten zu
verzichten. In diesem Verzicht auf die Ratenzahlungen müssten zugleich die
Vermögensverfügung und der Vermögensschaden des Leasinggebers wie auch der
angestrebte Vermögensvorteil des Beschwerdeführers begründet liegen.