Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 IV 175



Urteilskopf

134 IV 175

17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. F.A. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_646/2007 vom 24. April 2008

Regeste

Art. 117 StGB; Art. 53 ff. HMG. Tödlich verlaufener Einsatz eines
Krebsmedikaments. Die strafrechtlichen Sorgfaltspflichten bei einem
experimentellen Einsatz eines Medikaments richten sich nach den Bestimmungen
über klinische Versuche mit Heilmitteln (Art. 53 ff. HMG). Die Vorschriften
sind jedoch nur auf systematische Forschungsuntersuchungen und nicht auch auf
individuelle Heilversuche anwendbar (E. 3).

Regeste

Art. 3 und 26 HMG; Sorgfaltspflichten bei der Verschreibung und Abgabe von
Arzneimitteln. Wird ein Medikament ausserhalb der zugelassenen Indikation oder
Dosierung abgegeben, so liegt ein "off-label use" vor. Ein solcher ist bei
Beachtung der allgemeinen heilmittelgesetzlichen Sorgfaltspflichten (Art. 3 und
26 HMG) sowie der anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaften
grundsätzlich zulässig (E. 4 und 5).

Sachverhalt ab Seite 176

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A. Anfang Februar 2002 wurde bei K.A. (geb. 11. März 1949) ein bösartiger
Dickdarmkrebs diagnostiziert. Am 11. März 2002 trat sie für eine Krebstherapie
ins Stadtspital Triemli, Zürich, ein. Im Hinblick auf die operative Entfernung
dieses Rektum-Karzinoms sollte sie im Rahmen einer präoperativen Therapie
während mehrerer Tage bestrahlt und ihr gleichzeitig der Wirkstoff
5-Fluorouracil ("5-FU") des deutschen Herstellers "B. Arzneimittel GmbH"
mittels Infusion verabreicht werden. Während der Therapie verschlechterte sich
ihr Zustand. Am 14. März 2002 um 23.00 Uhr wurde die Verabreichung des
Chemotherapeutikums gestoppt. Am 18. März 2002 verstarb K.A. an den Folgen der
Therapie.

B. Am 30. April 2004 erstattete F.A., der Ehemann der verstorbenen K.A., bei
der Bezirksanwaltschaft Zürich Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung. Mit
Schreiben vom 24. Mai 2005 reichte Dr. med. Morten Keller-Sutter vom Institut
für Rechtsmedizin der Universität Zürich ein im Auftrag der Staatsanwaltschaft
IV des Kantons Zürich erstelltes Aktengutachten ein. Mit Verfügung vom 12. Juli
2005 stellte die Untersuchungsbehörde das Strafverfahren mangels gewichtiger
Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten ein.

C. Auf Rekurs von F.A. hob der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich die
Einstellungsverfügung am 3. Oktober 2005 auf und wies die Sache zur weiteren
Untersuchung an die Staatsanwaltschaft zurück. Diese liess in der Folge durch
den Direktor der Onkologie-Klinik des Universitätsspitals Zürich, Prof. Dr.
med. A. Knuth, ein Obergutachten erstellen. Gestützt auf das am 20. Februar
2006 erstattete Obergutachten sowie Gutachtensergänzungen wurde das
Strafverfahren mit Verfügung vom 21. August 2006 ein zweites Mal eingestellt.
Den von F.A. dagegen erhobenen Rekurs wies der Einzelrichter des
Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 29. August 2007 ab.
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D. F.A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung der
einzelrichterlichen Verfügung vom 29. August 2007 und der Einstellungsverfügung
der Staatsanwaltschaft vom 21. August 2006. Die Strafsache sei an die
Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, und diese zu verpflichten, nach
Vervollständigung der Untersuchung über eine Anklageerhebung wegen fahrlässiger
Tötung zu verfügen. Zudem ersucht F.A. um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die vorinstanzliche Bestätigung der
Verfahrenseinstellung in Verletzung von Art. 117 StGB sowie der
bundesrechtlichen Vorschriften über die klinischen Heilmittelversuche von Art.
53 ff. des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und
Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) ergangen sei.

3.1 Nach Art. 117 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht.
Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens
aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht
nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht
nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen
Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen
fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch
Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Wo besondere Normen ein
bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der dabei zu beachtenden
Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 127 IV 34 E. 2a m.w.H.).

3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts richten sich die
Sorgfaltspflichten des Arztes im Allgemeinen nach den Umständen des
Einzelfalles, namentlich nach der Art des Eingriffs oder der Behandlung, den
damit verbundenen Risiken, dem Beurteilungs- und Bewertungsspielraum, der dem
Arzt zusteht, sowie den Mitteln und der Dringlichkeit der medizinischen
Massnahme. Der Arzt hat indes nicht für jene Gefahren und Risiken einzustehen,
die immanent mit jeder ärztlichen Handlung und auch mit der Krankheit an sich
verbunden sind. Zudem steht dem Arzt sowohl in der Diagnose
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als auch in der Bestimmung therapeutischer oder anderer Massnahmen oftmals ein
gewisser Entscheidungsspielraum zu. Er handelt unsorgfältig, wenn sich sein
Vorgehen nicht nach den durch die medizinische Wissenschaft aufgestellten und
generell anerkannten Regeln richtet und dem jeweiligen Stand der Wissenschaft
nicht entspricht (BGE 130 IV 7 E. 3.3 m.w.H.).

3.3 Jeder klinische Versuch mit Heilmitteln am Menschen muss nach den
anerkannten Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche durchgeführt werden
(Art. 53 Abs. 1 HMG). Der Bundesrat umschreibt die anerkannten Regeln der Guten
Praxis der klinischen Versuche näher (Art. 53 Abs. 2 HMG; vgl. dazu Verordnung
vom 17. Oktober 2001 über klinische Versuche mit Heilmitteln [VKlin; SR
812.214.2; AS 2001 S. 3511 ff.]). Nach Art. 54 Abs. 1 HMG ist die Durchführung
klinischer Versuche nur zulässig, wenn die Versuchspersonen über den
Versuchszweck und Ablauf, die Behandlungsalternativen, die Versuchsrisiken,
ihren Entschädigungsanspruch und ihr Widerrufsrecht aufgeklärt worden sind und
aus freiem Willen schriftlich eingewilligt haben (lit. a), die Entschädigung
der Versuchspersonen für versuchsbedingte Schäden gewährleistet ist (lit. b)
sowie die zuständige Ethikkommission den Versuch befürwortet (lit. c).
Klinische Versuche sind vor der Durchführung dem Schweizerischen
Heilmittelinstitut zu melden (Art. 54 Abs. 3 HMG). Das Heilmittelgesetz
definiert den klinischen Versuch nicht. Nach Art. 5 lit. a VKlin in der Fassung
vom 17. Oktober 2001 (AS 2001 S. 3512) galt als klinischer Versuch eine am
Menschen durchgeführte Untersuchung, mit der Sicherheit und Wirksamkeit sowie
weitere Eigenschaften eines Heilmittels systematisch überprüft werden. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt im eidgenössischen Heilmittelrecht
grundsätzlich jede systematische Forschung am Menschen mit Heilmitteln als
klinischer Versuch (Urteil des Bundesgerichts 2A.522/2004 vom 18. August 2005,
E. 4.3, publ. in: ZBl 107/2006 S. 651; zum Ganzen: D. SPRUMONT/M.-L. BÉGUIN, La
nouvelle réglementation des essais cliniques de médicaments, Bulletin des
médecins suisses 83/2002 S. 894 ff.).

3.4 Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers sind die Vorschriften des
Heilmittelgesetzes zu den klinischen Heilmittelversuchen nicht einschlägig.
Vorliegend ging es nicht um eine systematische Überprüfung der Wirksamkeit und
Sicherheit eines Heilmittels im Sinne von Art. 5 lit. a VKlin. Zwar lehnte sich
die Behandlungsmethode (präoperative Infusion) und die Dosierung
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(1000 mg/m2 5-FU pro 24 Stunden) an eine laufende deutsche Studie an, doch ist
unbestritten, dass K.A. daran nicht teilnahm und die Studie auch nicht beim
Schweizerischen Heilmittelinstitut gemeldet war. Es ging vorliegend um den
individuellen Einsatz eines Heilmittels zu Therapiezwecken ausserhalb einer
kontrollierten klinischen Versuchsreihe. Die qualifizierten Aufklärungs- und
Einwilligungsvoraussetzungen für klinische Versuche (vgl. Art. 54 HMG) sind
deshalb nicht anwendbar.

4. Gemäss dem Beschwerdeführer ergibt sich die Sorgfaltspflichtverletzung
ferner aus einem Verstoss gegen den Gefahrensatz. Die gewählte Behandlung habe
nicht dem medizinischen Standard entsprochen. In Anlehnung an eine damals
laufende deutsche Studie sei das Medikament in wesentlich höherer Dosierung als
im Kompendium und vom Hersteller vorgeschrieben eingesetzt worden.

4.1 Soweit der Beschwerdeführer die Zulassung des 5-FU von B. bestreitet,
wendet er sich wie erwähnt (E. ...) gegen eine nicht willkürliche
Tatsachenfeststellung der Vorinstanz. Unbestritten ist hingegen, dass die
Arznei in einer höheren als im Beipackzettel und im Kompendium vorgesehenen
Dosierung verabreicht wurde. Wird ein Medikament ausserhalb der zugelassenen
Indikation oder Dosierung abgegeben, so liegt ein sog. "off-label use" vor
("médicament administré hors étiquette", vgl. BGE 130 V 532 E. 5.3; BGE 131 V
349 E. 2 f.). Das Heilmittelgesetz verbietet den "off-label use" von
Arzneimitteln nicht. Er ist bei Beachtung der allgemeinen
heilmittelgesetzlichen Sorgfaltspflichten somit grundsätzlich zulässig (vgl.
URS JAISLI, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, N. 45 zu Art. 3 HMG; PETER
MOSIMANN/MARKUS SCHOTT, Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, N. 21 Art. 9 HMG;
FRANK T. PETERMANN, Off-Label - Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label Use von
Pharmazeutika, in: Health Insurance Liability Law [Hill], 2007, Fachartikel Nr.
2). Art. 3 HMG statuiert für den Umgang mit Heilmitteln eine allgemeine
Sorgfaltspflicht, wonach alle Massnahmen getroffen werden müssen, die nach dem
Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, damit die Gesundheit von
Mensch und Tier nicht gefährdet wird. Diese allgemeine Sorgfaltspflicht wird
für den Bereich der Arzneimittel in Art. 26 Abs. 1 HMG konkretisiert: Bei der
Verschreibung und der Abgabe von Arzneimitteln müssen die anerkannten Regeln
der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden (vgl.
Botschaft zum Heilmittelgesetz, BBl 1999 S. 3487; HEIDI BÜRGI, Basler
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Kommentar, Heilmittelgesetz, N. 7 ff. zu Art. 26 HMG; zur Bestimmung des Stands
der medizinischen Wissenschaft insb. BRIGITTE TAG, Der
Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und
lex artis, S. 229 ff.).
In diesem Sinne haben die Schweizerische Kantonsapothekervereinigung und die
Swissmedic in einer Stellungnahme festgehalten, dass es Ärzten im Rahmen ihrer
Therapiefreiheit möglich ist, Arzneimittel zu verschreiben oder anzuwenden, für
die keine Zulassung der Swissmedic vorliegt. Die Verantwortung für einen
solchen Arzneimitteleinsatz tragen alleine die behandelnden Ärzte, wobei sie
die ärztliche Sorgfaltspflicht im Allgemeinen und die anerkannten Regeln der
medizinischen Wissenschaften bei der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln
nach Art. 26 HMG im Besonderen beachten müssen. Sie müssen demnach insbesondere
eine hinreichende Aufklärung der betroffenen Patienten nachweisen und plausibel
darlegen können, weshalb - gestützt auf die anerkannten Regeln der
medizinischen Wissenschaften - ausnahmsweise ein Arzneimittel ohne behördliche
Zulassung eingesetzt wurde. Diese Verpflichtung ist umso stärker zu gewichten,
je weniger über den Einsatz eines Arzneimittels wissenschaftlich bekannt ist
(vgl. "Ausführungen der Schweizerischen Kantonsapothekervereinigung und der
Swissmedic betreffend des Einsatzes von Arzneimitteln im Sinne des off-label
use" vom 24. Juli 2006, E. D Ziff. 2; publiziert: www.swissmedic.ch).

4.2 Nach dem Ausgeführten haben sich Ärzte beim "off-label use" somit an die
anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften zu
halten. Vorliegend ist indes umstritten, ob solche anerkannten Regeln für die
gewählte Behandlung überhaupt schon bestanden, oder ob die hochdosierte 5-FU
Therapie damals mangels wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse noch rein
experimentellen Charakter hatte. Diese Unterscheidung ist insofern bedeutsam,
als medizinisch etablierte Standardeingriffe nach einhelliger Meinung in der
medizinrechtlichen Literatur weit weniger strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen
unterliegen als experimentelle Heilversuche, insbesondere hinsichtlich der
präinvasiven Aufklärungs- und Risikoabwägungspflichten (vgl. DANIEL BUSSMANN,
Die strafrechtliche Beurteilung von ärztlichen Heileingriffen, Zürich 1984, S.
89 ff.; ERWIN DEUTSCH, Medizinrecht, 4. Aufl., N. 539 ff.; MONIKA GATTIKER, das
Humanforschungsgesetz [HFG]: ein Gesetzesentwurf mit Lücken, AJP 2006 S. 1536;
DIETER HART,
BGE 134 IV 175 S. 181
Heilversuch, Entwicklung therapeutischer Strategien, klinische Prüfung und
Humanexperiment, Medizinrecht [MedR] 1994 S. 94 ff.; ders., MedR 1998 S. 8 ff.;
SCHÖNKE/SCHRÖDER-ESER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., § 223 N. 50a;
HANS-ULLRICH PAEFFGEN, Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl., § 228 N.
87; FRANZISKA SPRECHER, Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen,
St. Gallen 2007, S. 46 f.; TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, in: Das
Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, S. 412 f.; MARC
THOMMEN, Medizinische Eingriffe an Urteilsunfähigen, Basel 2004, S. 37 ff.;
PHILIPPE WEISSENBERGER, Die Einwilligung des Verletzten bei Delikten gegen Leib
und Leben, Basel 1996, S. 157 ff.; HANS WIPRÄCHTIGER, "Kriminalisierung" der
ärztlichen Tätigkeit-, in: A. Donatsch et al. [Hrsg.], Strafrecht und Medizin,
S. 61 ff.). Nachfolgend ist zu beurteilen, ob die hochdosierte 5-FU Abgabe im
Behandlungszeitpunkt als noch experimenteller oder schon etablierter Eingriff
einzustufen war.

4.3 Die Vorinstanz kommt in Anlehnung an das Obergutachten zum Schluss, dass es
sich um eine gängige Therapieform mit üblicher Dosierung handelte, welche im
Einklang mit dem damals aktuellen Stand der Medizin war. Ob eine
Behandlungsmethode, die noch Gegenstand einer laufenden grossangelegten
Vergleichsstudie war, bereits als etablierter Behandlungsstandard gelten kann,
erscheint grundsätzlich fraglich. Mangels wissenschaftlich abgesicherter
Erkenntnisse und angesichts ungewisser Risiken sind solche Verfahren
normalerweise den insoweit experimentellen Heilversuchseingriffen zuzuordnen.
Die Vorinstanz bringt indes gewichtige Argumente vor, weshalb die durchgeführte
Behandlung trotz damals laufender Studie als Standard einzustufen ist. Das
angewendete Medikament "5-FU B." sei aufgrund einer vom Kantonsapotheker
erteilten Sonderbewilligung zugelassen gewesen. Bereits im Jahr 1997 habe eine
schwedische Studie die Überlegenheit der präoperativen Radio-Chemotherapie
nachgewiesen. Bei der seit 1995 laufenden und 2004 publizierten deutschen
Studie sei bei einem Patientenkollektiv von rund 800 Personen der präoperative
Einsatz von 5-FU mit dem postoperativen verglichen worden. Die Schweizer
Onkologen seien über diese Studie und die dabei angewandten Dosierungen auf dem
Laufenden gewesen. Die übliche Verträglichkeit der Dosierung von täglich 1000
mg pro m^2 Körperoberfläche sei schon aus der Behandlung anderer Karzinome
(Speiseröhre) bekannt gewesen. Vorliegend wurde daher aufgrund der 1.52 m^2
Körperoberfläche der
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Patientin eine Dosierung von 1500 mg/Tag verabreicht. Auf die grossen
Unterschiede in der optimalen Dosierung sei im Beipackzettel verwiesen worden.
Ferner seien in der Studie auch Abbruchkriterien festgelegt worden. Hätte sich
die postoperative Behandlung als überlegen erwiesen oder andere Erkenntnisse
die Schädlichkeit des therapeutischen Vorgehens belegt, so wäre die Studie
bereits nach den ersten 50 Patienten abgebrochen worden. Der Beschwerdeführer
zeigt nicht auf, inwiefern vor diesem Hintergrund die Bejahung eines
medizinischen Behandlungsstandards willkürlich sein soll. Damit steht aber auch
fest, dass mangels experimentellen Charakters der Behandlung die qualifizierten
Sorgfalts- und Aufklärungspflichten für Heilversuche nicht herangezogen werden
können. Zu Recht verneint die Vorinstanz deshalb die Erforderlichkeit einer
"speziellen Einwilligung" zu einer Teilnahme an einem medizinischen Experiment
ausserhalb der damals bestehenden medizinischen Erkenntnisse. Da sich die
behandelnden Ärzte insbesondere hinsichtlich der Dosierung und des
präoperativen Einsatzes an die damals etablierteste Behandlungsmethode hielten,
kann ihnen auch nicht vorgeworfen werden, die beim "off-label use" gemäss
Heilmittelgesetz zu beachtenden Sorgfaltspflichten verletzt zu haben. Die
Beschwerde ist insoweit abzuweisen.

5. Der Beschwerdeführer macht in Bezug auf die möglichen Todesursachen
Sorgfaltspflichtverletzungen geltend. Trotz Auftretens schwerer Nebenwirkungen
sei die hochdosierte Therapie nicht gestoppt worden. Die Kardio- und
Neurotoxizität von im Lösungsmittel "Tris" gelöstem 5-FU sei schon seit Jahren
bekannt gewesen. Es sei daher unhaltbar, daneben noch einen Enzymdefekt als
Todesursache zu erwägen. Zudem sei dieser Mangel nicht vorab abgeklärt worden.
Die Herstellerin, Ärzte und Spitalapotheker hätten mangelnde Sorgfalt walten
lassen. Es gehe nicht an, dass niemand verantwortlich gemacht werde.

5.1 Die Vorinstanz erwägt als möglicherweise todesursächliche
Sorgfaltspflichtverletzung den verspäteten Behandlungsabbruch. Sie schliesst
sich diesbezüglich jedoch in einer willkürfreien Beweiswürdigung den
gutachterlichen Ausführungen an. Danach sind Übelkeit und Durchfall häufige
Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten, welche für sich noch keinen
Behandlungsabbruch, sondern andere Gegenmassnahmen nahelegen. Erst das
Auftreten neurologischer Störungen habe den Verdacht auf die 5-FU Infusion
lenken müssen. Die Neurotoxizität hätte am 14. März 2002 bereits einige
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Stunden vor 23 Uhr erkannt werden können. Gemäss der Vorinstanz hätte ein
Absetzen auf den tödlichen Verlauf indes keinen Einfluss mehr gehabt, da zu
jenem Zeitpunkt bereits ein grosser Teil der Gesamtdosis verabreicht worden
war. Entgegen dem Beschwerdeführer lässt sich somit nicht beanstanden, dass die
Therapie trotz Auftretens schwerer Nebenwirkungen nicht gestoppt wurde. Die
Vorinstanz geht in diesem Punkt zu Recht davon aus, dass es an der Kausalität
der Sorgfaltspflichtverletzung fehlt.

5.2 Als weitere Todesursache zieht die Vorinstanz einen Enzymdefekt in
Betracht. Bei etwa 3-5 % der Bevölkerung sei die Dihydropyrimidin Dehydrogenase
(DPD) mangelhaft oder defekt. Das Fehlen dieses 5-FU abbauenden Enzyms könne zu
schweren Nebenwirkungen führen. Nach der gutachterlichen Feststellung, der sich
die Vorinstanz in nicht zu beanstandender Weise anschliesst, gab es keine
Möglichkeit, den DPD-Mangel im Vorfeld des operativen Eingriffs in der Klinik
abzuklären. Wenn aber eine bestimmte möglicherweise negative Prädisposition
(DPD-Mangel) vorgängig nicht abgeklärt werden kann, so ist nicht ersichtlich,
welche strafrechtliche Relevanz dieser Ursache noch zukommen soll. Wenn die
Ärzte faktisch keine Diagnosemöglichkeit haben, kann Ihnen die unterlassene
Diagnose strafrechtlich auch nicht zum Vorwurf gereichen. Damit bleibt als
Todesursache nur noch die Verunreinigung des Medikaments übrig (dazu sogleich
E. 5.3). Weil nur noch eine strafrechtliche relevante Ursache verbleibt, kann
auch offenbleiben, ob bei zwei unabhängigen, sich aber gegenseitig nicht
ausschliessenden Ursachen aus Kausalitätsüberlegungen zwingend einzustellen
war.

5.3 In Bezug auf die für den fatalen Behandlungsausgang mitursächliche
Verunreinigung beanstandet der Beschwerdeführer die Einstellung zu Recht. Die
Vorinstanz übernimmt die gutachterliche Einschätzung, wonach mit "überwiegender
Wahrscheinlichkeit (>50 %) die toxischen Abbauprodukte im B. 5-FU Präparat für
den Krankheitsverlauf verantwortlich zu machen sind". Nach den vorstehenden
Erläuterungen ist die Toxizität nunmehr die einzig verbleibende, strafrechtlich
relevante Todesursache. Die diesbezüglichen Verantwortlichkeiten sind daher
näher abzuklären. Fest steht, dass der deutsche Medikamentenhersteller - ohne
darauf hinzuweisen - das Lösungsmittel Tris verwendete. Spätestens seit einer
Publikation aus dem Jahr 1994 war in der Fachwelt bekannt, dass kardiotoxische
Substanzen entstehen können, wenn 5-FU im
BGE 134 IV 175 S. 184
Lösungsmittel Tris gelöst wird. Aus diesem Grund wurde damals ein in Tris
gelöstes 5-FU Produkt des Herstellers R. in Frankreich aus dem Handel gezogen.
Wer ein Krebsmedikament in Umlauf bringen will, hat sich in der einschlägigen
Fachliteratur auch über mögliche Nebenwirkungen und negative Erfahrungen bei
der Verwendung des Wirkstoffs zu informieren. Die Strafbarkeit der
Verantwortlichen bei der Herstellerin ist daher näher zu untersuchen. Entgegen
der Vorinstanz kann aber auch nicht offenbleiben, ob der zuständige Apotheker
und die Zulassungsbehörden von der möglichen Toxizität wussten oder hätten
wissen müssen. Auch dies ist näher abzuklären. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt
sich zusammenfassend noch nicht sagen, dass ein genügender Tatverdacht nicht zu
erhärten ist. Die Bestätigung der staatsanwaltschaftlichen Einstellung erfolgte
daher zu Unrecht. Die Beschwerde ist insoweit gutzuheissen und die angefochtene
Verfügung aufzuheben.