Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 IV 156



Urteilskopf

134 IV 156

16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Bundesamt für Justiz und Bundesstrafgericht (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_205/2007 vom 18. Dezember 2007

Regeste

Art. 84 BGG; Auslieferung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, Eintretensvoraussetzung des besonders bedeutenden Falles. Auch
bei einer Auslieferung kann ein besonders bedeutender Fall nur ausnahmsweise
angenommen werden. Besondere Bedeutung des Falles hier bejaht, da Anlass
bestand zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage der
Wirksamkeit diplomatischer Zusicherungen in Bezug auf die
menschenrechtskonforme Behandlung des Verfolgten im ersuchenden Staat (E. 1.3).

Regeste

Art. 43 BGG; ergänzende Beschwerdeschrift. Nachfrist zur Ergänzung der
Beschwerdebegründung in Anbetracht der Schwierigkeit der sich stellenden Fragen
ausnahmsweise gewährt (E. 1.6).

Regeste

Art. 42 Abs. 1, Art. 43 und Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG; neue Begehren nach
Ablauf der Beschwerdefrist. Mit Anträgen, die der Beschwerdeführer bereits in
der Beschwerde hätte stellen können, ist er nach Ablauf der Beschwerdefrist
(hier: von 10 Tagen) ausgeschlossen. Das Bundesgerichtsgesetz sieht im Bereich
der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Möglichkeit einer Nachfrist
zur Ergänzung lediglich der Begründung der Beschwerde vor. Neue Begehren können
nicht nachgeschoben werden (E. 1.7).

Regeste

Art. 10 Abs. 3 und Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 EMRK, Art. 7 und Art. 10 Abs. 1
UNO-Pakt II, Art. 37 Abs. 3 und Art. 80p IRSG; diplomatische Zusicherungen des
ersuchenden Staates in Bezug auf die menschenrechtskonforme Behandlung des
Verfolgten. Diplomatische Zusicherungen können einen wirksamen Schutz für den
Verfolgten darstellen. Bei der Prüfung, ob dies der Fall sei, ist eine
Risikobeurteilung vorzunehmen. Im vorliegenden Fall (Auslieferung eines
mutmasslichen Wirtschaftsdelinquenten an Russland) Zulässigkeit der
Auslieferung unter Einholung diplomatischer Zusicherungen bejaht (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 158

BGE 134 IV 156 S. 158
Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation führt ein
Strafverfahren gegen X. wegen Betrugs und Geldwäscherei.
Mit Meldung vom 13. September 2006 ersuchte Interpol Moskau gestützt auf einen
Haftbefehl des Gerichts Basmanny vom 3. Mai 2006 um Verhaftung von X. zwecks
Auslieferung.
Am 22. Dezember 2006 wurde X. in der Schweiz verhaftet und in provisorische
Auslieferungshaft versetzt. Nachdem er sich mit seiner vereinfachten
Auslieferung an die Russische Föderation nicht einverstanden erklärt hatte,
erliess das Bundesamt für Justiz (im Folgenden: Bundesamt) am 28. Dezember 2006
einen Auslieferungshaftbefehl. Die von X. dagegen erhobene Beschwerde wies das
Bundesstrafgericht (I. Beschwerdekammer) am 25. Januar 2007 ab. Hiergegen
führte X. Beschwerde beim Bundesgericht. Dieses wies die Beschwerde am 30. März
2007 ab (1A.37/2007).
Mit Note vom 4. Januar 2007 übermittelte die Botschaft der Russischen
Föderation dem Bundesamt das Auslieferungsersuchen der russischen
Generalstaatsanwaltschaft vom 25. Dezember 2006.
Am 9. März 2007 bewilligte das Bundesamt die Auslieferung von X. an Russland
für die dem Auslieferungsersuchen vom 25. Dezember 2006 zugrunde liegenden
Straftaten; dies unter der Bedingung, dass die zuständigen russischen Behörden
folgende Garantie abgeben:
"Die Haftbedingungen dürfen nicht unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von
Art. 3 EMRK sein; die physische und psychische Integrität der ausgelieferten
Person muss gewahrt sein (vgl. auch Art. 7, 10 und 17 des UNO-Pakts II). Die
Gesundheit des Häftlings muss in angemessener Weise sichergestellt werden,
insbesondere mittels Zugang zu genügender medizinischer Versorgung. Die
diplomatische Vertretung der Schweiz ist
BGE 134 IV 156 S. 159
berechtigt, die ausgelieferte Person ohne jegliche Überwachungsmassnahmen zu
besuchen. Die ausgelieferte Person hat jederzeit das Recht, sich an diese zu
wenden."
Die von X. dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht (II.
Beschwerdekammer) am 5. Juli 2007 im Sinne der Erwägungen ab. Es wies das
Bundesamt an, den zuständigen russischen Behörden nach Erhalt des
bundesstrafgerichtlichen Entscheids umgehend eine Frist von maximal 30 Tagen
für die Abgabe der förmlichen Garantieerklärung gemäss dem
Auslieferungsentscheid vom 9. März 2007 anzusetzen.
Mit Eingabe vom 16. Juli 2007 erhob X. Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorliegende Fall sei als besonders
bedeutend im Sinne von Art. 84 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (BGG; SR 173.110) einzustufen; dem Beschwerdeführer sei eine
angemessene Frist zur Ergänzung der Beschwerdeschrift gemäss Art. 43 BGG
einzuräumen; die Entscheide des Bundesstrafgerichtes und des Bundesamtes seien
aufzuheben; die Auslieferung sei abzulehnen; der Beschwerdeführer sei
freizulassen und es sei ihm die freie Ausreise zu gestatten.
Das Bundesamt hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, der vorliegende Fall
sei nicht als besonders bedeutend im Sinne von Art. 84 BGG einzustufen.
X. hat zur Vernehmlassung des Bundesamtes eine Stellungnahme eingereicht. Darin
beantragt er neu eventualiter, dass die Schweiz das strafrechtliche Verfahren
gegen ihn durchführe (stellvertretende Strafverfolgung).
Am 15. August 2007 teilte das Bundesgericht den Parteien mit, dass kein
Nichteintretensentscheid im Sinne von Art. 109 Abs. 1 BGG ergehe und der Fall
deshalb im ordentlichen Verfahren gemäss Art. 20 BGG behandelt werde.
Gleichentags gewährte das Bundesgericht X. in Anwendung von Art. 43 BGG eine
nicht erstreckbare Nachfrist bis zum 5. September 2007 für die Einreichung
einer ergänzenden Beschwerdeschrift.
Am 5. September 2007 reichte X. dem Bundesgericht die ergänzende
Beschwerdeschrift ein.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde, soweit es darauf eintritt, im Sinne der
Erwägungen ab.
BGE 134 IV 156 S. 160

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1.

1.3

1.3.1 Gemäss Art. 84 BGG ist gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, wenn er unter anderem eine
Auslieferung betrifft und es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt
(Abs. 1). Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe
für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden
sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Abs. 2).
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im
Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (BGE 133 IV 131 E. 3 S.
132, BGE 133 IV 132 E. 1.3 S. 134). Bei der Beantwortung der Frage, ob ein
besonders bedeutender Fall gegeben ist, steht dem Bundesgericht ein weiter
Ermessensspielraum zu (Urteil 1C_138/2007 vom 17. Juli 2007, E. 2.1, mit
Hinweis).

1.3.2 Es geht hier um eine Auslieferung und damit um ein Sachgebiet, bei dem
die Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 BGG möglich ist. Es stellt sich die Frage,
ob ein besonders bedeutender Fall gegeben sei.

1.3.3 Der Beschwerdeführer stellt die Wirksamkeit der von den russischen
Behörden einzuholenden Zusicherung in Bezug auf seine menschenrechtskonforme
Behandlung in Frage. Er bringt vor, Russland habe sich bereits über derartige
Garantien hinweggesetzt. Ein Londoner Gericht habe deshalb eine Auslieferung an
Russland abgelehnt, obgleich diplomatische Zusicherungen, wie sie hier verlangt
würden, vorgelegen hätten. Das Einholen von diplomatischen Zusicherungen werde
von namhaften Organisationen und im Schrifttum kritisiert. Weder das Bundesamt
noch die Vorinstanz stellten in Frage, dass der Beschwerdeführer im Falle einer
Auslieferung aufgrund der Zustände im russischen Untersuchungshaft- und
Strafvollzug der Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt wäre.
Damit sei entscheidend, ob den diplomatischen Zusicherungen Russlands vertraut
werden könne. Dies sei nicht der Fall. Es bestehe Anlass, dass das
Bundesgericht auf seine Praxis, Auslieferungen gegen diplomatische
Zusicherungen einer menschenrechtskonformen Behandlung zu bewilligen,
zurückkomme.
Wie unten (E. 6.2) näher darzulegen sein wird, besteht die Gefahr, dass der
Beschwerdeführer in russischer Haft einer Art. 3 EMRK
BGE 134 IV 156 S. 161
verletzenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Er zieht die Wirksamkeit
diplomatischer Zusicherungen mit sachlichen Argumenten in Zweifel. Es geht
insoweit um Leib und Leben und damit um das höchste Rechtsgut. Aufgrund der
Vorbringen des Beschwerdeführers besteht im vorliegenden Fall Anlass zu einer
grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage.
Hinzu kommt, dass - wie die folgenden Darlegungen (E 6.14) ebenfalls zeigen
werden - die von den russischen Behörden einzuholenden Zusicherungen in
Präzisierung des Auslieferungsentscheids des Bundesamtes jedenfalls so
formuliert werden können, dass der Schutz des Beschwerdeführers vor einer
menschenrechtswidrigen Behandlung verstärkt wird.
Bereits aus diesen Gründen ist die besondere Bedeutung des vorliegenden Falles
im Sinne von Art. 84 BGG zu bejahen. Ob - wie der Beschwerdeführer geltend
macht - allenfalls noch weitere Gesichtspunkte dafür sprächen, den Fall an die
Hand zu nehmen, kann damit offenbleiben.

1.3.4 Zu unterstreichen ist, dass ein besonders bedeutender Fall auch bei einer
Auslieferung nur ausnahmsweise angenommen werden kann. In der Regel stellen
sich insoweit keine Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht
bedürfen, und kommt den Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu.
(...)

1.6 Die Möglichkeit, die Beschwerdebegründung nach Art. 43 BGG zu ergänzen,
wird nur ausnahmsweise auf begründeten Antrag hin gewährt in aussergewöhnlich
umfangreichen oder besonders schwierigen Fällen, in denen die Beschwerdefrist
von zehn Tagen nach Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG nicht genügt für die
vollständige Begründung sämtlicher Rügen. Dabei kommt es nicht so sehr auf den
grossen Umfang der Akten an, sondern die Vielzahl und Schwierigkeit der sich
stellenden Tat- oder Rechtsfragen (BGE 133 IV 271 E. 2.1 S. 273).
Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe vom 16. Juli 2007 auf 38 Seiten
begründet, weshalb seiner Ansicht nach ein besonders bedeutender Fall gegeben
sei. Diese Ausführungen sind sachbezogen und trotz ihres erheblichen Umfangs
nicht weitschweifig. Er kritisiert insbesondere - mit dem Ziel der
Herbeiführung eines bundesgerichtlichen Grundsatzentscheides dazu - eingehend
und in Auseinandersetzung mit Stellungnahmen verschiedener Organisationen die
BGE 134 IV 156 S. 162
Wirksamkeit diplomatischer Garantien. Die weiteren Rügen hat er in der Eingabe
vom 16. Juli 2007 auf vier Seiten lediglich summarisch begründet; dies
verbunden mit dem Antrag auf Einräumung einer Nachfrist zur Einreichung einer
ergänzenden Beschwerdebegründung. Dies kann ihm unter den gegebenen Umständen
nicht zum Vorwurf gemacht werden. Er hat innert der Beschwerdefrist von zehn
Tagen getan, was von ihm vernünftigerweise erwartet werden konnte. In
Anbetracht der Schwierigkeit der sich stellenden Fragen rechtfertigte sich -
nachdem das Bundesgericht die Beschwerde als zulässig erachtet hatte -
ausnahmsweise die Einräumung einer nicht erstreckbaren Nachfrist zur
eingehenden Begründung der Rügen.

1.7 Da der Fristenstillstand gemäss Art. 46 Abs. 2 BGG auf dem Gebiet der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen nicht gilt, ist hier die
Beschwerdefrist von zehn Tagen nach Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG am 16. Juli 2007
abgelaufen.
In der Eingabe vom 16. Juli 2007 hat der Beschwerdeführer keinen Eventualantrag
gestellt, die Schweiz solle das Strafverfahren gegen ihn durchführen
(stellvertretende Strafverfolgung). Er tat dies erst in der Stellungnahme vom
9. August 2007 zur Vernehmlassung des Bundesamtes; sodann erneut in der
ergänzenden Beschwerdebegründung vom 5. September 2007.
Der Eventualantrag ist damit verspätet. Mit Anträgen, die der Beschwerdeführer
bereits in der Beschwerde hätte erheben können, ist er nach Ablauf der
Beschwerdefrist ausgeschlossen (BGE 132 I 42 E. 3.3.4 S. 47 mit Hinweisen).
Gemäss Art. 100 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b BGG ist die Beschwerde gegen einen
Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen innert
zehn Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht
einzureichen. Die Beschwerde muss nach Art. 42 Abs. 1 BGG insbesondere die
Begehren und deren Begründung enthalten. Art. 43 BGG sieht lediglich die
Möglichkeit einer Nachfrist zur Ergänzung der Begründung der Beschwerde vor.
Neue Begehren können nicht nachgeschoben werden.
Auf den Eventualantrag kann daher nicht eingetreten werden.
(...)

6.

6.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, in Russland drohe ihm eine
menschenrechtswidrige Behandlung in der Untersuchungshaft und im allfälligen
Strafvollzug. Aufgrund einer Erkrankung hätten ihm
BGE 134 IV 156 S. 163
die Schilddrüsen entfernt werden müssen. Daher sei er auf ständige Medikation
angewiesen. Im Falle einer Auslieferung und des damit verbundenen Mangels an
einer Therapierung mit den notwendigen Medikamenten könnte er in
vergleichsweise kurzer Zeit ins Koma fallen. Es sei unbestritten, dass seine
Menschenrechte im Falle einer Auslieferung ernsthaft in Gefahr wären, doch
gingen sowohl die Vorinstanz als auch das Bundesamt davon aus, es reiche aus,
mittels diplomatischer Garantien die Einhaltung der Menschenrechte durch
Russland einzufordern. Dem könne nicht gefolgt werden. Russland halte
diplomatische Garantien nicht ein. Diese seien auch in der völkerrechtlichen
Diskussion umstritten. Aus einem Bericht von Human Rights Watch zu aus
Guantanamo nach Russland ausgelieferten Personen ergebe sich, dass sich
Russland über diplomatische Zusicherungen hinweggesetzt habe, welche es den
Vereinigten Staaten von Amerika abgegeben habe. Wenn Russland sich schon nicht
an diplomatische Zusicherungen gehalten habe, die es gegenüber einem mächtigen
Staat wie den Vereinigten Staaten abgegeben habe, sei nicht zu erwarten, dass
es sich an diplomatische Garantien halte, die es der Schweiz gegenüber abgebe.
Die Chancen, dass der Beschwerdeführer in Russland Misshandlungen erdulden
müsste, seien derart hoch, dass eine Auslieferung abgelehnt werden müsse. Eine
umfassende Risikoabwägung habe bisher nicht stattgefunden.

6.2 Wie das Bundesgericht bereits festgestellt hat, lässt die
Menschenrechtslage in Russland zu wünschen übrig. Sie gibt sogar - besonders in
Tschetschenien - zu schwerer Beunruhigung Anlass (BGE 126 II 324 E. 4e S. 328).
Das Bundesgericht hat sich insbesondere mehrfach zu den prekären Verhältnissen
in den russischen Untersuchungshaft- und Strafanstalten geäussert (BGE 123 II
161 E. 6e und f S. 168 ff.). Die medizinische Betreuung ist dort im Allgemeinen
mangelhaft. Die Sterblichkeitsrate ist hoch (Urteile 1A.17/2005 vom 11. April
2005, E. 3.4; 1A.118/2003 vom 26. Juni 2003, E. 4.2, mit Hinweis). Die Zellen
sind stark überbelegt, die hygienischen Verhältnisse in der Regel deplorabel.
Es gibt viele Gefangene, die an Tuberkulose leiden oder HIV-positiv sind
(Urteil 1A.118/2003 vom 26. Juni 2003, E. 4.3).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zahlreichen Fällen eine
Verletzung von Art. 3 EMRK durch Russland aufgrund der dortigen Verhältnisse im
Haftvollzug festgestellt; dies insbesondere wegen der starken Überbelegung der
Zellen (Urteile i.S. Frolov gegen Russland vom 29. März 2007, Ziff. 43 ff. mit
Hinweisen;
BGE 134 IV 156 S. 164
i.S. Benediktov gegen Russland vom 10. Mai 2007, Ziff. 31 ff.; i.S. Mamedova
gegen Russland vom 1. Juni 2006, Ziff. 61 ff.), der ungenügenden medizinischen
Betreuung (Urteil i.S. Khudobin gegen Russland vom 26. Oktober 2006, Ziff. 90
ff.) und der miserablen sanitären Verhältnisse (Urteil i.S. Kalashnikov gegen
Russland vom 15. Juni 2002, Recueil CourEDH 2002-VI S. 135, Ziff. 92 ff.).
Wie insbesondere aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes zu schliessen
ist, stellen die prekären Bedingungen im russischen Haftvollzug ein
strukturelles Problem dar, das nicht nur in einzelnen Anstalten besteht (Urteil
1A.118/2003 vom 26. Juni 2003, E. 4.3). Damit ist davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführer bei einer Auslieferung der Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK
verstossenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.
Das nimmt zu Recht auch die Vorinstanz an.

6.3 Die Schweiz prüft die Auslieferungsvoraussetzungen des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) auch im
Lichte ihrer grundrechtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Nach
Völkerrecht - wie auch schweizerischem Landesrecht - sind Folter und jede
andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Bestrafung verboten (Art. 3 EMRK und Art. 7 sowie Art. 10 Abs. 1 UNO-Pakt II
[SR 0.103.2], Art. 10 Abs. 3 BV). Niemand darf in einen Staat ausgeliefert
werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher
Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 25 Abs. 3 BV; BGE 133 IV 76 E. 4.1 mit
Hinweisen).
Bei heiklen Konstellationen bestehen die schweizerischen Behörden beim
ersuchenden Staat regelmässig auf förmliche Garantieerklärungen bezüglich der
Einhaltung der Grund- und Menschenrechte. Bei Auslieferungsfällen - auch in
solchen, in denen das Europäische Auslieferungsübereinkommen anwendbar ist -
kann der ersuchende Staat in einem konkreten Einzelfall zur Einhaltung
bestimmter Verfahrensgarantien als Bedingung für eine Auslieferung ausdrücklich
verpflichtet werden. Dies gilt namentlich für die Zulassung unangemeldeter
Haftbesuche und die Beobachtung des Strafverfahrens durch Vertreter der
Botschaft des ersuchten Staates (BGE 133 IV 76 E. 4.5 S. 88 f. mit Hinweisen).

6.4 In Fällen, mit denen sich das Bundesgericht zu befassen hatte, wurden
derartige Garantieerklärungen eingeholt namentlich von:
BGE 134 IV 156 S. 165
- Russland (BGE 123 II 161 E. 6f/cc S. 172 f.; Urteile 1A.17/2005 vom 11. April
2005, E. 3.4; 1A.118/2003 vom 26. Juni 2003, E. 4.3; 1A.42/1998 vom 8. April
1998, E. 4; 1A.195/1991 vom 19. März 1992, E. 5e);
- der Türkei (BGE 133 IV 76 E. 4; BGE 122 II 373 E. 2d S. 380; Urteil 1A.13/
2007 vom 9. März 2007, E. 3);
- Kasachstan (BGE 123 II 511 E. 6c S. 522 f.);
- Tunesien (BGE 111 Ib 138 E. 6 S. 145 ff.);
- Georgien (Urteil 1A.172/2006 vom 7. November 2006, E. 5 nicht publ. in BGE
132 II 469);
- Serbien und Montenegro (Urteil 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005, E. 4 nicht
publ. in BGE 131 II 235);
- der Bundesrepublik Jugoslawien (Urteil 1A.93/2002 vom 15. Mai 2002, E. 6);
- Albanien (Urteil 1A.149/2004 vom 20. Juli 2004, E. 4);
- Mexiko (Urteile 1A.149/1999 vom 9. September 1999, E. 8b; 1A.159/1997 vom 30.
Juli 1997, E. 3);
- Indien (Urteil 1A.184/1997 vom 16. September 1997, E. 4).

6.5 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte berücksichtigt diplomatische
Zusicherungen bei der Beurteilung, ob der ersuchte Staat mit der Auslieferung
Art. 3 EMRK verletzte. So hat der Gerichtshof im Urteil in Sachen Olaechea
gegen Spanien vom 10. August 2006 eine Verletzung von Art. 3 EMRK verneint in
einem Fall, in dem Peru als ersuchender Staat unter anderem die Zusicherung
abgegeben hatte, der Verfolgte werde weder unmenschlich noch erniedrigend
behandelt (Ziff. 30 ff.). Ebenso hat der Gerichtshof (Grosse Kammer) im Urteil
in Sachen Mamatkulov und Askarov gegen Türkei vom 4. Februar 2005 (Recueil
CourEDH 2005-I S. 225; EuGRZ 2005 S. 357) eine Verletzung von Art. 3 EMRK
verneint in einem Fall, in dem die Türkei zwei mutmassliche usbekische
Terroristen an Usbekistan ausgeliefert hatte, nachdem sie von den usbekischen
Behörden unter anderem die Zusicherung erhalten hatte, dass die Verfolgten
keiner schlechten Behandlung und insbesondere keiner Folter unterworfen würden
(Ziff. 56 ff.).
Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Chahal gegen Vereinigtes
Königreich vom 15. November 1996 (Recueil CourEDH 1996-V S. 1831) ging es um
die Ausweisung eines separatistischen
BGE 134 IV 156 S. 166
Sikh nach Indien. Die indischen Behörden hatten zugesichert, er werde in Indien
keiner schlechten Behandlung unterworfen. Der Gerichtshof kam in Würdigung der
konkreten Umstände zum Schluss, die von Indien abgegebenen Garantien stellten
keinen hinreichenden Schutz für den Betroffenen dar. Der Gerichtshof stellte
deshalb fest, dass eine Ausweisung, falls sie vollzogen würde, Art. 3 EMRK
verletzte. Er trug insbesondere dem Umstand Rechnung, dass schwere
Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte in der Provinz Pendjab
namentlich gegen bekannte militante Sikhs, wie der Betroffene einer war, häufig
waren und die indische Regierung dieses Problem noch nicht bewältigen konnte
(Ziff. 72 ff.).

6.6 Die Praxis der Einholung diplomatischer Garantien stösst auf Kritik.

6.6.1 Human Rights Watch vertritt in einem Bericht vom April 2004 die
Auffassung, diplomatische Zusicherungen und ein Monitoring nach der
Auslieferung stellten keine adäquate Sicherung gegen Folter und andere
schlechte Behandlung dar ("Empty Promises": Diplomatic Assurances No Safeguard
against Torture, S. 4).
In einem gemeinsamen Aufruf vom 2. Dezember 2005 an die Mitglieder des
Europarates legen Amnesty International, Human Rights Watch und die
International Commission of Jurists dar, der ausliefernde Staat erzwinge mit
diplomatischen Zusicherungen eine Ausnahme von der Folterpraxis im
Empfängerstaat in einem Einzelfall. Damit werde die Folter von anderen
Gefangenen im Empfängerstaat akzeptiert. Wenn ein Staat mit diplomatischen
Zusicherungen eine "Insel der Legalität" im Empfängerstaat schaffe, komme das
dem Eingeständnis gefährlich nahe, dass er den "Ozean des Missbrauchs", der
diese Insel umgebe, akzeptiere. Diplomatische Zusicherungen hätten nicht
funktioniert und nichts berechtige zur Annahme, dass die Verbesserung und
Perfektionierung solcher Garantien einen adäquaten Schutz gegen Folter und
andere menschenrechtswidrige Behandlung herbeiführen könnte (Reject rather than
regulate, Call on Council of Europe member states not to establish minimum
standards for the use of diplomatic assurances in transfers to risk of torture
and other ill-treatment, S. 2).
In einem Bericht vom März 2007 (The "Stamp of Guantanamo", The Story of Seven
Men Betrayed by Russia's Diplomatic Assurances to the United States) schildert
Human Rights Watch das Schicksal von sieben russischen Gefangenen, die in
Guantanamo inhaftiert waren
BGE 134 IV 156 S. 167
und von den Behörden der Vereinigten Staaten an Russland überstellt worden
waren. In Russland seien sie in Verletzung der diplomatischen Zusicherungen der
russischen Behörden misshandelt worden.
Kritisch zu den diplomatischen Garantien geäussert hat sich auch die
Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen in einem Vortrag vom
16. Februar 2006. Sie bemerkt insbesondere, es sei schwer anzunehmen, dass eine
Regierung, die sich nicht an bindendes Recht wie das Folterverbot halte, sich
an rechtlich nicht bindende zweiseitige zwischenstaatliche Abmachungen halte,
welche sich einzig auf Vertrauen stützten (Address by Louise Arbour, UN High
Commissioner for Human Rights, at Chatham House and the British Institute of
International and Comparative Law).

6.6.2 Auch in der schweizerischen Literatur werden diplomatische Garantien
teilweise kritisiert.
MARTINA CARONI führt aus, aus menschenrechtlicher Sicht müsse die Tauglichkeit
von diplomatischen Zusicherungen als wirksamer Schutz vor Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Bestrafung verneint werden.
Das Folterverbot gelte absolut. Personen, bei denen stichhaltige Gründe für die
Annahme vorlägen, dass sie im Falle einer Auslieferung der tatsächlichen Gefahr
von Folter oder unmenschlicher bzw. erniedrigender Behandlung ausgesetzt
würden, dürften unter keinen Umständen ausgeliefert werden. Die Staaten könnten
sich nicht durch das Einholen diplomatischer Zusicherungen dieser
Verantwortlichkeit entziehen. Auch wenn diplomatische Zusicherungen
völkerrechtlich bindend seien, sei doch die Möglichkeit eines Staates, auf die
Einhaltung der abgegebenen Garantien hinzuwirken, relativ beschränkt. Die
Praxis zeige, dass sich die Staaten keineswegs immer an die abgegebenen
Versprechen hielten (Menschenrechtliche Wegweisungsverbote: Neuere Praxis, in:
Jahrbuch für Migrationsrecht 2006/2007, Bern 2007, S. 59 f.).
PETER POPP bemerkt, Art. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über
internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1), wonach einem
Ersuchen zur Zusammenarbeit in Strafsachen nicht entsprochen wird, wenn Gründe
für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland den in der EMRK oder im
UNO-Pakt II festgelegten Verfahrensgrundsätzen widerspricht, sehe die
Verweigerung zwingend vor; es handle sich um keine Kann-Vorschrift. Zwar sei
die Gewährung von Rechtshilfe unter Auflagen ein minus in der Perspektive des
ersuchenden Staates. Indessen sei ratio legis nicht der
BGE 134 IV 156 S. 168
schweizerische Ordre public, sondern in erster Linie der Schutz des betroffenen
Individuums. Diesem gegenüber sei Rechtshilfe selbst unter Auflagen ein maius,
für welches eine gesetzliche Grundlage gegeben sein müsste. Die Auflage sei
zudem kein taugliches Mittel, die Menschenrechte zu garantieren. Ein Staat
nämlich, der zwar die internationalen Menschenrechtspakte ratifiziere, sich
aber nicht daran halte - darin liege ja gerade die Gefahr einer Verletzung
begründet -, biete keine Gewähr dafür, dass er eine im Rechtshilfeverfahren
eingegangene, inhaltlich identische Verpflichtung einhalte (Grundzüge der
internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2001, S. 255 N. 382).
ROBERT ZIMMERMANN stimmt der Praxis der Einholung diplomatischer Zusicherungen
demgegenüber offenbar zu. Er bemerkt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die Einholung genauer und
hinreichender Garantien in Bezug auf die Haftbedingungen könne den ersuchten
Staat vom Vorwurf einer Verletzung von Art. 3 EMRK schützen (La coopération
judiciaire internationale en matière pénale, 2. Aufl., Bern 2004, S. 458 N.
420, insb. Fn. 657).

6.6.3 In einem Schreiben vom 14. Dezember 2006 ersuchte Human Rights Watch die
Schweiz, sich nicht auf diplomatische Zusicherungen zu verlassen und auf dieses
Instrument zu verzichten.
Am 4. April 2007 antwortete Bundespräsidentin Calmy-Rey Human Rights Watch, der
Rückgriff auf diplomatische Garantien gegen die Anwendung von Folter im Rahmen
der Überstellung von Personen in andere Länder könne insbesondere im Hinblick
auf den Grundsatz des non-refoulement problematisch sein. Diese Position habe
die Schweiz sowohl im Europarat als auch in den Vereinten Nationen vertreten
und habe sich nicht geändert. Den Rückgriff auf diplomatische Zusicherungen zur
Umgehung des absoluten Folterverbots habe die Schweiz stets verurteilt; dies
auch im gegenwärtigen Zusammenhang des Kampfes gegen den Terrorismus. In Bezug
auf die schweizerische Praxis müsse unterschieden werden zwischen Fällen der
Ausweisung und der Auslieferung. Diplomatische Zusicherungen seien ein
angemessenes Mittel nur in Fällen der Auslieferung, da der ersuchende Staat ein
starkes Interesse an der Beachtung solcher Zusicherungen habe. Falls dieser
eine Zusicherung missachte, würde er die weitere Zusammenarbeit auf diesem
Gebiet gefährden. In Fällen der Ausweisung aufgrund der Gesetzgebung über Asyl
und
BGE 134 IV 156 S. 169
Auslän der sei es gesetzlich untersagt, solche Zusicherungen zu verlangen. Eine
Auslieferung sei unzulässig, wenn ein besonderes Risiko bestehe, dass eine
zwingende Norm des Völkerrechts wie das Verbot der Folter oder anderer
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verletzt werden könnte. Mache der
Verfolgte eine solche Gefahr geltend, nähmen die Behörden eine Risikoanalyse
vor. In anderen Fällen werde automatisch eine Risikoanalyse vorgenommen, wenn
es die besonderen Umstände und die allgemeine Menschenrechtslage im betroffenen
Staat als erforderlich erscheinen liessen. Führe die Analyse zum Schluss, dass
ein Risiko der Verletzung nicht ausgeschlossen werden könne, so werde die
Möglichkeit geprüft, das Risiko durch die Einholung von Garantien zu
beseitigen. Diese Garantien würden in gesetzlich bindender Form in
Übereinstimmung mit dem Völkerrecht abgegeben. Die Schweiz ersuche um
zusätzliche Garantien, die an sich nicht nötig seien und vom Völkerrecht nicht
verlangt würden, nur in Fällen, in denen das Risiko, dass die Grundrechte der
Person verletzt werden könnten, minimal sei. Indem die Schweiz in solchen
Fällen Garantien verlange, versuche sie klarerweise nicht, das Folterverbot
oder den Grundsatz des non-refoulement zu umgehen. Im Gegenteil gehe sie über
ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen hinaus. Die Schweiz habe in völliger
Transparenz den einzigen Fall offengelegt, in dem der Rückgriff auf
diplomatische Garantien erfolglos gewesen sei. Dabei gehe es um die
Auslieferung am 3. Oktober 1997 von zwei türkischen Staatsbürgern nach Indien.
Es sei hervorzuheben, dass dieser Fall nicht das Folterverbot betroffen habe.
Nach diesem Vorfall habe die Schweiz keine Auslieferungsersuchen von Indien
mehr genehmigt. Die Schweizer Behörden hätten keine Kenntnis von einem Fall, in
dem Folter nach einer von Zusicherungen begleiteten Auslieferung endgültig
bewiesen worden sei.

6.7 Bei Ländern mit bewährter Rechtsstaatskultur - insbesondere jenen
Westeuropas - bestehen regelmässig keine ernsthaften Gründe für die Annahme,
dass der Verfolgte bei einer Auslieferung dem Risiko einer Art. 3 EMRK
verletzenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Deshalb wird hier die
Auslieferung ohne Auflagen gewährt.
Dann gibt es Fälle, in denen zwar ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen,
dass der Verfolgte im ersuchenden Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung
ausgesetzt sein könnte, dieses Risiko aber mittels diplomatischer Garantien
behoben oder jedenfalls auf ein so geringes Mass herabgesetzt werden kann, dass
es als nur noch theoretisch erscheint. Ein solches theoretisches Risiko einer
BGE 134 IV 156 S. 170
menschenrechtswidrigen Behandlung kann, da es praktisch immer besteht, für die
Ablehnung der Auslieferung nicht genügen. Sonst wären Auslieferungen überhaupt
nicht mehr möglich und könnten sich Straftäter durch Grenzübertritt vor der
Verfolgung schützen.
Schliesslich gibt es Fälle, in denen das Risiko einer menschenrechtswidrigen
Behandlung auch mit diplomatischen Zusicherungen nicht auf ein Mass
herabgesetzt werden kann, dass es als nur noch theoretisch erscheint. Als
Beispiel kann auf das (E. 6.5) erwähnte Urteil des Europäischen Gerichtshofes
in Sachen Chahal gegen Vereinigtes Königreich verwiesen werden.

6.8 Für die Beantwortung der Frage, in welche Kategorie der Einzelfall gehört,
ist eine Risikobeurteilung vorzunehmen. Dabei ist zunächst die allgemeine
menschenrechtliche Situation im ersuchenden Staat zu würdigen. Sodann - und vor
allem - ist zu prüfen, ob der Verfolgte selber aufgrund der konkreten Umstände
seines Falles der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt
wäre (BGE 117 Ib 64 E. 5f S. 91; BGE 115 Ib 68 E. 6 S. 87; Urteil 1A.184/ 1997
vom 16. September 1997, E. 4d). Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob er
gegebenenfalls zu einer Personengruppe gehört, die im ersuchenden Staat in
besonderem Masse gefährdet ist.

6.9 Wie (E. 6.5) gesagt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
wiederholt eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch den ausliefernden Staat mit
Blick auf diplomatische Zusicherungen des ersuchenden Staates verneint. Der
Beschwerdeführer geht somit fehl, wenn er vorbringt, der Gerichtshof kritisiere
den Rückgriff auf diplomatische Zusicherungen grundsätzlich. Eine derartige
Kritik ist auch im Urteil in Sachen Chahal gegen Vereinigtes Königreich, auf
das sich der Beschwerdeführer beruft, nicht enthalten. Zwar hat dort der
Gerichtshof befunden, eine Auslieferung, falls sie vollzogen würde, verletzte
trotz der diplomatischen Zusicherung der indischen Regierung, den Betroffenen
keiner schlechten Behandlung zu unterwerfen, Art. 3 EMRK (Ziff. 105 ff.). Der
Gerichtshof hat die Wirksamkeit diplomatischer Garantien aber nicht
grundsätzlich, sondern nur im zu beurteilenden Einzelfall aufgrund der
gegebenen Umstände verneint.

6.10 Gemäss Art. 37 Abs. 3 IRSG wird die Auslieferung abgelehnt, wenn der
ersuchende Staat keine Gewähr bietet, dass (...) der Verfolgte nicht einer
Behandlung unterworfen wird, die seine körperliche Integrität beeinträchtigt.
Daraus folgt e contrario, dass die Auslieferung zu bewilligen ist, wenn der
ersuchende Staat eine als verlässlich
BGE 134 IV 156 S. 171
zu beurteilende Zusicherung abgibt, dass er die körperliche Integrität des
Verfolgten beachten wird (Urteile 1A.172/2006 vom 7. November 2006, E. 5.3
nicht publ. in BGE 132 II 469; 1A.17/2005 vom 11. April 2005, E. 3.4; 1A.42/
1998 vom 8. April 1998, E. 4c; 1A.159/ 1997 vom 30. Juli 1997, E. 3c). Die
Möglichkeit der Gewährung von Rechtshilfe unter Auflagen sieht sodann Art. 80p
IRSG ausdrücklich vor. Nach der Rechtsprechung ist diese Bestimmung auch bei
der Auslieferung anwendbar (BGE 123 II 511 E. 4a am Schluss; Zimmermann,
a.a.O., S. 183). Entgegen der Ansicht von Popp besteht somit eine gesetzliche
Grundlage für die Auslieferung unter Einholung diplomatischer Garantien.
Art. 11 EAUe sieht die Bewilligung der Auslieferung vor gegen die Zusicherung
des ersuchenden Staates, dass er keine Todesstrafe vollstreckt. Ebenso kann
gemäss Art. 3 Ziff. 1 Satz 2 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 17. März 1978 zum
EAUe (SR 0.353.12) der ersuchte Staat die Auslieferung bewilligen gegen die
Zusicherung des ersuchenden Staates, wonach dieser dem in Abwesenheit
Verurteilten das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren gewährleistet, in dem
die Rechte der Verteidigung gewahrt werden. Die hier anwendbaren
internationalen Abkommen sehen somit die Einholung von diplomatischen
Zusicherungen vor. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Letzteres nicht auch
zulässig sein sollte, soweit es um das Verbot der Folter oder anderer
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung geht.

6.11 Die Schweiz hat schon mehrfach Auslieferungen an Russland unter Einholung
diplomatischer Garantien bewilligt (oben E. 6.4). Dabei hat sich Russland an
die abgegebenen Garantien stets gehalten. Der Beschwerdeführer behauptet auch
nicht das Gegenteil.
Er beruft sich auf den Fall von sieben Gefangenen, die nach einem Bericht von
Human Rights Watch vom März 2007 von Guantanamo nach Russland überstellt und
dort entgegen der von den russischen Behörden den Vereinigten Staaten
abgegebenen Zusicherung misshandelt worden seien. Wie sich dem Bericht von
Human Rights Watch entnehmen lässt, handelt es sich bei den sieben Betroffenen
um Moslems, die zunächst von den Streitkräften der Vereinigten Staaten in
Afghanistan und Pakistan gefangen gehalten wurden. Dabei ging es um die
Bekämpfung des Terrorismus. Ein solcher Hintergrund besteht im vorliegenden
Fall nicht. Dem Beschwerdeführer werden gemeinrechtliche Wirtschaftsdelikte
vorgeworfen. Dies ist bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen.
BGE 134 IV 156 S. 172
Eine besondere Menschenrechtsproblematik besteht in Russland im Zusammenhang
mit dem Konflikt in Tschetschenien (Urteil 1A.17/ 2005 vom 11. April 2005, E.
3.3.1). So hat nach dem (E. 6.6.1) erwähnten Bericht von Human Rights Watch vom
April 2004 ein Londoner Gericht im Jahr 2003 die Auslieferung eines Gesandten
der tschetschenischen Exilregierung an Russland abgelehnt, obwohl diplomatische
Zusicherungen in Bezug auf seine menschenrechtskonforme Behandlung vorlagen (S.
29 ff.). Der Fall des Beschwerdeführers steht in keinem Zusammenhang mit dem
Konflikt in Tschetschenien. Insoweit ist der Beschwerdeführer daher ebenfalls
keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.

6.12 Bisher ist lediglich ein Fall bekannt, in dem sich der ersuchende Staat
gegenüber der Schweiz nicht an die abgegebenen Zusicherungen gehalten hat.
Dabei ging es, wie (E. 6.6.3) dargelegt, um die Auslieferung von zwei
türkischen Staatsbürgern am 3. Oktober 1997 nach Indien. In jenem Fall wurde
aber nicht das Folterverbot missachtet, sondern das Beschleunigungsgebot (vgl.
Group of Specialists on Human Rights and the Fight against Terrorism, Steering
Committee for Human Rights, Bericht vom 15. März 2006, S. 43). Im vorliegenden
Fall geht es nicht um eine Auslieferung nach Indien. Jenem Fall kommt hier
deshalb für die Risikobeurteilung keine besondere Bedeutung zu.

6.13 In Würdigung der gegebenen Umstände lässt sich das Risiko einer
menschenrechtswidrigen Behandlung des Beschwerdeführers mittels diplomatischer
Zusicherungen Russlands auf ein so geringes Mass herabsetzen, dass es als nur
noch theoretisch erscheint. Die Vorinstanzen haben die Auslieferung deshalb
grundsätzlich zu Recht bewilligt.

6.14 Die Garantien müssen allerdings so wirksam wie möglich ausgestaltet
werden.
Die Vorinstanzen verlangen von den zuständigen russischen Behörden die Abgabe
folgender Zusicherung:
"Die Haftbedingungen dürfen nicht unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von
Art. 3 EMRK sein; die physische und psychische Integrität der ausgelieferten
Person muss gewahrt sein (vgl. auch Art. 7, 10 und 17 des UNO-Pakts II). Die
Gesundheit des Häftlings muss in angemessener Weise sichergestellt werden,
insbesondere mittels Zugang zu genügender medizinischer Versorgung. Die
diplomatische Vertretung der Schweiz ist berechtigt, die ausgelieferte Person
ohne jegliche Überwachungsmassnahmen zu besuchen. Die ausgelieferte Person hat
jederzeit das Recht, sich an diese zu wenden."
BGE 134 IV 156 S. 173
Der dadurch gewährte Schutz des Beschwerdeführers kann in verschiedener
Hinsicht verstärkt werden.

6.14.1 Nach der von den Vorinstanzen verlangten Zusicherung hat der
Beschwerdeführer jederzeit das Recht, sich an die diplomatische Vertretung der
Schweiz zu wenden; diese ist berechtigt, den Beschwerdeführer ohne jegliche
Überwachungsmassnahmen zu besuchen. In der Zusicherung wird aber nicht
ausdrücklich verlangt, dass die diplomatische Vertretung der Schweiz das Recht
haben muss, den Beschwerdeführer jederzeit und unangemeldet zu besuchen. Eine
solche Zusicherung ist nach der Rechtsprechung erforderlich (BGE 133 IV 76 E.
4.8 S. 91; BGE 123 II 511 E. 6c S. 523; Urteile 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005,
E. 4.3 und 4.6 nicht publ. in BGE 131 II 235; 1A.149/2004 vom 20. Juli 2004, E.
4.3; 1A.118/2003 vom 26. Juni 2003, E. 4.4; 1A.75/1993 vom 18. März 1994, E.
5b; 1A.195/1991 vom 19. März 1992, E. 5e). Die von den russischen Behörden
einzuholende Zusicherung ist entsprechend zu präzisieren. So kann vermieden
werden, dass die schweizerische diplomatische Vertretung gegebenenfalls so
lange hingehalten wird, bis Spuren einer menschenrechtswidrigen Behandlung
beseitigt sind.

6.14.2 Von den russischen Behörden ist zudem zu verlangen, dass sie der
schweizerischen diplomatischen Vertretung den Ort der Inhaftierung des
Beschwerdeführers bekannt geben und sie die schweizerische Vertretung über eine
allfällige Verlegung des Beschwerdeführers in ein anderes Gefängnis
unverzüglich orientieren. Diese Garantie ist von Bedeutung in Anbetracht der
Grösse des russischen Staatsgebietes. Die schweizerische diplomatische
Vertretung muss jederzeit wissen, wo sie den Beschwerdeführer finden kann. Die
Rechtsprechung hat bereits in früheren Fällen eine entsprechende Garantie
verlangt (BGE 122 II 373 E. 2d S. 380; Urteile 1A.172/2006 vom 7. November
2006, E. 5.2 nicht publ. in BGE 132 II 469; 1A.75/1993 vom 18. März 1994, E.
5b).

6.14.3 Im Weiteren ist die Auslieferung von der Zusicherung abhängig zu machen,
dass der Beschwerdeführer das Recht hat, mit seinem Wahl- oder
Offizialverteidiger uneingeschränkt und unbewacht zu verkehren (ebenso BGE 133
IV 76 E. 4.2 S. 86 und E. 4.7 S. 90 f.; Urteile 1A.13/2007 vom 9. März 2007, E.
3.5; 1A.172/2006 vom 7. November 2006, E. 5.2 nicht publ. in BGE 132 II 469;
1A.184/ 1997 vom 16. September 1997, E. 4e und 4f).

6.14.4 Der Schutz des Beschwerdeführers kann schliesslich dadurch verstärkt
werden, dass auch seinen Angehörigen das Recht
BGE 134 IV 156 S. 174
einge räumt wird, ihn im russischen Gefängnis zu besuchen (ebenso Urteil 1A.13/
2007 vom 9. März 2007, E. 3.5).

6.15 Die von den russischen Behörden einzuholenden Garantien sind in diesem
Sinne zu präzisieren. Damit ergibt sich für die Schweiz die Möglichkeit, ihre
nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen bestehende
Auslieferungspflicht mit dem Verbot der Folter und anderer unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung in Einklang zu bringen.
Gemäss Art. 80p Abs. 1 IRSG kann auch die Rechtsmittelinstanz, hier also das
Bundesgericht, die Gewährung der Rechtshilfe an Auflagen knüpfen. Das Bundesamt
wird der zuständigen russischen Behörde eine angemessene Frist für die Abgabe
der präzisierten diplomatischen Zusicherungen anzusetzen haben. In der Folge
wird das Bundesamt nach Art. 80p Abs. 3 IRSG zu prüfen haben, ob die Antwort
der russischen Behörde den verlangten Auflagen genügt. Die entsprechende
Verfügung des Bundesamts kann gemäss Art. 80p Abs. 4 Satz 1 IRSG bei der
Vorinstanz angefochten werden. Die Beschwerde dagegen an das Bundesgericht ist
ausgeschlossen (Art. 80p Abs. 4 Satz 2 IRSG; BGE 133 IV 134).

6.16 Das Bundesamt wird in enger Zusammenarbeit mit dem Departement für
auswärtige Angelegenheiten (EDA) sicherzustellen haben, dass die schweizerische
diplomatische Vertretung die Einhaltung der Garantien durch Russland überwacht
(BGE 123 II 511 E. 7c am Schluss S. 525; Urteil 1A.4/2005 vom 28. Februar 2005,
E. 4.6 nicht publ. in BGE 131 II 235).