Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 IV 132



Urteilskopf

134 IV 132

13. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und vice versa (Beschwerde in
Strafsachen)
6B_401/2007 / 6B_426/2007 / 6B_473/2007 vom 8. November 2007

Regeste

Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit (Art. 11 und 63 aStGB; Art. 19
und 47 StGB). Massgebende Grundsätze (Bestätigung und Klarstellung der
Rechtsprechung; E. 6).

Sachverhalt ab Seite 132

BGE 134 IV 132 S. 132
A. Am 1. Juli 2002 kollidierten im Luftraum in der Nähe von Ueberlingen/
Deutschland zwei Flugzeuge. Dabei kamen alle 71 Insassen der beiden Flugzeuge
ums Leben, unter ihnen die Ehefrau und die beiden Kinder von X.
(Beschwerdeführer).
Am 24. Februar 2004 suchte X. den zum Unfallzeitpunkt Dienst habenden
Flugverkehrsleiter (Fluglotsen) A. - den er für den Tod
BGE 134 IV 132 S. 133
seiner Familie mitverantwortlich machte - an dessen Wohnort in Kloten auf, wo
er ihn auf dem Terrassensitzplatz von dessen Wohnung durch mehrere Stiche mit
einem Taschenmesser tötete.

B.

B.a Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 26. Oktober 2005 der
vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) schuldig und bestrafte ihn - unter
Zubilligung einer Verminderung der Schuldfähigkeit in mittlerem bis schwerem
Grade - mit 8 Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 610 Tagen
Untersuchungshaft und vorzeitigem Strafvollzug.

B.b Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob am 30. Oktober 2006 das Urteil
des Obergerichts in teilweiser Gutheissung der von X. eingereichten kantonalen
Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt sowie im Kostenpunkt auf und wies die
Sache insoweit im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurück.

B.c Infolge dieses Rückweisungsentscheids wurden die von der Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich und von X. gegen das Urteil des Obergerichts vom 26. Oktober
2005 beim Bundesgericht eingereichten Beschwerden mit Verfügungen des
Präsidenten der Strafrechtlichen Abteilung vom 8. Januar 2007 als
gegenstandslos geworden abgeschrieben.

C. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X. am 18. Juni 2007-unter
Berücksichtigung der Erwägungen im Entscheid des Kassationsgerichts und unter
Zubilligung einer Verminderung der Schuldfähigkeit in hohem Grade-wegen
vorsätzlicher Tötung (Art. 111 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 5 1 /4
Jahren, unter Anrechnung von 1'210 Tagen Untersuchungshaft und vorzeitigem
Strafvollzug.

D. Gegen das Urteil des Obergerichts vom 18. Juni 2007 erhebt die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom
27. Juli 2007 Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Strafsache kassatorisch zur neuen Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen oder reformatorisch mit der Ausfällung einer
Freiheitsstrafe von 12 Jahren in der Sache selbst zu entscheiden.

E.

E.a Der Präsident der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich hiess
mit Verfügung vom 15. August 2007 das Gesuch
BGE 134 IV 132 S. 134
von X. vom 19. Juli 2007 um Entlassung aus der Haft beziehungsweise aus dem
vorzeitigen Strafvollzug gut und ordnete dessen Entlassung aus der Haft per 24.
August 2007 an.

E.b Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt mit Eingabe vom 17.
August 2007 gegen die Präsidialverfügung Beschwerde in Strafsachen. Sie stellt
die Anträge, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und der Beschwerde sei
im Sinne von Art. 103 BGG die aufschiebende Wirkung zu erteilen, angesichts der
bereits per 24. August 2007 verfügten Haftentlassung allenfalls im Rahmen einer
superprovisorischen Verfügung.
Mit einer weiteren Eingabe vom gleichen Tag ersucht die Oberstaatsanwaltschaft
um die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 104 BGG, wobei sie
beantragt, die Präsidialverfügung betreffend Haftentlassung sei aufzuheben
beziehungsweise es sei die Sicherheitshaft oder der vorzeitige Strafantritt
anzuordnen, dies angesichts der bereits per 24. August 2007 verfügten
Haftentlassung allenfalls im Rahmen einer superprovisorischen Verfügung.

E.c Mit Eingabe vom 19. August 2007 stellt X. in Unkenntnis der vorstehend
genannten Eingaben der Oberstaatsanwaltschaft vorab und vorsorglich unter
anderem die Begehren, allfällige Anträge der Staatsanwaltschaft auf Erteilung
der aufschiebenden Wirkung beziehungsweise auf Anordnung vorsorglicher
Massnahmen in den Verfahren der Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen die
Haftentlassungsverfügung vom 15. August 2007 und gegen das Obergerichtsurteil
vom 18. Juni 2007 abzuweisen. Zudem ersuchte X. um die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

F. Mit Verfügung vom 21. August 2007 erteilte der Präsident der
Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts den beiden Beschwerden der
Oberstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Obergerichts und gegen die
Präsidialverfügung des Präsidenten der II. Strafkammer des Obergerichts, welche
in einem Verfahren vereinigt wurden, in Anwendung von Art. 103 Abs. 3 BGG die
aufschiebende Wirkung.

G. Mit Beschluss der Strafrechtlichen Abteilung vom 21. August 2007 wurde X. in
den Verfahren der beiden Beschwerden der Staatsanwaltschaft dessen Gesuch
entsprechend die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

H.

H.a Mit Eingabe vom 3. September 2007 erhebt X. gegen das Urteil des
Obergerichts vom 18. Juni 2007 seinerseits Beschwerde in
BGE 134 IV 132 S. 135
Strafsachen. Er beantragt, er sei in Abänderung des Urteils vom 18. Juni 2007
mit 4 Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen, eventualiter sei die Sache zur
Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auch in diesem Verfahren.
In derselben Eingabe vom 3. September 2007 nimmt X. auch zu den beiden
Beschwerden der Oberstaatsanwaltschaft gegen die Haftentlassungsverfügung und
gegen das Obergerichtsurteil Stellung, deren Abweisung er beantragt.
Ausserdem stellt X. in seiner Eingabe vom 3. September 2007 das Begehren, es
sei festzustellen, dass die Verfügung des Präsidenten der Strafrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts vom 21. August 2007 (betreffend Erteilung der
aufschiebenden Wirkung) Art. 5 Ziff. 1 und 4 sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verletze.

H.b Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt unter Hinweis auf
ihre eigenen Beschwerden die Abweisung der Beschwerde von X.

I. Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Stellungnahmen zu den Beschwerden
verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

6.

6.1 Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Schuldfähigkeit sind
Ausfluss des das ganze Strafrecht beherrschenden Schuldprinzips. Zwischen
voller Schuldfähigkeit und völliger Schuldunfähigkeit sind kontinuierliche
Abstufungen denkbar. Gegenüber dem Schuldunfähigen kann nach der klaren
gesetzlichen Regelung unstreitig keine Strafe ausgesprochen werden, auch wenn
die Tatkomponenten noch so schwer wiegen. Dies macht deutlich, dass der
Verminderung der Schuldfähigkeit nicht die objektive Schwere der Tat
entgegengehalten werden darf. Vielmehr ergibt sich aus der Straflosigkeit des
Schuldunfähigen, dass gegen einen in sehr starkem Masse vermindert
schuldfähigen Täter nur eine im Vergleich mit der Strafe für den
uneingeschränkt schuldfähigen Täter sehr geringe Strafe ausgesprochen werden
darf. Entsprechend ist die Strafe bei einer Verminderung der Schuldfähigkeit in
mittlerem Grade verglichen mit der Strafe, die für die gleiche Tat eines
uneingeschränkt Schuldfähigen ausgefällt würde, in mittlerem Ausmass zu
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reduzieren. Die Verminderung der Schuldfähigkeit ist bei der Strafzumessung
ungeachtet der Schwere der Tat im ganzen Ausmass der Verminderung zu
berücksichtigen (BGE 118 IV 1 E. 2; BGE 123 IV 1 E. 2; BGE 129 IV 22 E. 6.2, je
mit Hinweisen).
Diese Rechtsprechung findet in der Lehre, soweit sie dazu überhaupt
ausdrücklich Stellung nimmt, jedenfalls im Grundsatz wohl überwiegend
Zustimmung (siehe etwa HANS WIPRÄCHTIGER, Basler Kommentar, StGB I, 2. Aufl.
2007, Art. 48a StGB N. 6 f.; CHRISTIAN SCHWARZENEGGER/MARKUS HUG/DANIEL
JOSITSCH, Strafrecht II, 8. Aufl. 2007, S. 97 f.; STEFAN TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 11 aStGB N.
6). Sie stösst aber auch auf Ablehnung. Es wird eingewendet, dass damit der
Verminderung der Schuldfähigkeit ein viel zu grosses Gewicht beigelegt werde
und die zahlreichen weiteren strafzumessungsrelevanten Tat- und
Täterkomponenten zu stark in den Hintergrund gedrängt würden, was im Ergebnis
zu Strafen führe, die unverhältnismässig mild seien und den verschiedenen
Strafzwecken nicht gerecht würden (siehe HANS MATHYS, Zur Technik der
Strafzumessung, SJZ 100/2004 S. 173 ff.).
Die verminderte Schuldfähigkeit ist, wie die Schuldunfähigkeit, ein Zustand des
Täters. Die Verminderung der Schuldfähigkeit bezieht sich, wie die
Schuldunfähigkeit, auf die Tat. Diese setzt sich aus objektiven und subjektiven
Tatumständen zusammen. Die objektiven und subjektiven Umstände der Tat, mithin
die Tatkomponenten, können einem vermindert schuldfähigen Täter bei der
Strafzumessung nur nach Massgabe der noch vorhandenen Rest-Schuldfähigkeit
zugerechnet werden. Auch beispielsweise die objektive Schwere der Tat und die
Art der Tatausführung sind daher bei einem vermindert schuldfähigen Täter nur
nach Massgabe der noch vorhandenen Rest-Schuldfähigkeit für die Strafzumessung
relevant.
Anders verhält es sich hingegen mit den Täterkomponenten, d.h. mit den
strafzumessungsrelevanten Umständen, welche nicht zu den objektiven und
subjektiven Tatumständen gehören. Die strafzumessungsrechtliche Relevanz dieser
Täterkomponenten bleibt von der Verminderung der Schuldfähigkeit, die sich auf
die Tat bezieht, unberührt. Daher hat der Richter nicht die aus den Tat- und
Täterkomponenten insgesamt sich ergebende (hypothetische) Strafe, sondern
allein die aus den Tatkomponenten resultierende (hypothetische) Strafe nach
Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit
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des Täters zu reduzieren. Allerdings kann natürlich eine Tatsache, aus welcher
eine Verminderung der Schuldfähigkeit resultiert, sich auch auf die
Täterkomponenten auswirken und etwa ein Grund dafür sein, dass dem Täter das
Fehlen von Einsicht und Reue - falls überhaupt - nicht in demselben Masse zum
Vorwurf gemacht werden kann wie einem normalen Täter.

6.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Richter allerdings nicht
gehalten, die Strafe linear nach einem bestimmten Tarif herabzusetzen. Der
Richter muss mithin nicht nach starren mathematischen Regeln vorgehen. Eine
leichte, mittelgradige oder schwere Verminderung der Schuldfähigkeit führt
daher nicht zwingend zu einer schematischen Reduktion der Strafe um 25 %, 50 %
bzw. 75 % (BGE 129 IV 22 E. 6.2; BGE 123 IV 49 E. 2c; Urteile 6S.270/ 2006 vom
5. September 2006, E. 5.3; 6S.58/2005 vom 21. Juni 2005, E. 3.2; 6S.148/2004
vom 28. Juli 2004, E. 2.1; 6S.336/2000 vom 23. August 2000, E. 2). Dies lässt
sich unter anderem damit erklären, dass zum einen der psychiatrische Experte
die Herabsetzung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters selbstredend
nicht exakt in einem bestimmten Prozentsatz beziffern kann und zum andern der
Richter nicht gehalten ist, in den Urteilserwägungen in absoluten Zahlen oder
Prozenten anzugeben, in welchem Masse er der Verminderung der Schuldfähigkeit
bei der Strafzumessung Rechnung getragen hat. Die Schlussfolgerung des
psychiatrischen Gutachters, dass aus diesem oder jenem Grunde die Einsichts-
und/oder die Steuerungsfähigkeit des Täters in leichtem, mittlerem
beziehungsweise schwerem Grade - allenfalls leicht bis mittel respektive mittel
bis schwer - herabgesetzt war, lässt dem Richter innerhalb des damit
umschriebenen Rahmens einen Ermessens- beziehungsweise Beurteilungsspielraum
bei der Bestimmung des Ausmasses der Reduktion der Strafe. Der Richter muss
aber bei der Strafzumessung - sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen -
der Verminderung der Schuldfähigkeit im ganzen Ausmass der Verminderung
Rechnung tragen. Er darf dies nicht mit der Begründung ablehnen, dass die
Tatkomponenten besonders schwer wiegen. Den Tatkomponenten ist nach Massgabe
ihrer Schwere bei der Bemessung der Einsatzstrafe Rechnung zu tragen, und sie
dürfen daher nicht ein zweites Mal zu Lasten des Täters berücksichtigt werden,
indem die aus ihnen resultierende Einsatzstrafe nicht im vollen Ausmass der
Verminderung der Schuldfähigkeit reduziert wird.
BGE 134 IV 132 S. 138

6.3 Das Bundesgericht hat in mehreren Entscheiden kantonale Urteile aufgehoben,
weil darin der Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters bei der
Strafzumessung nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. So war es unter den
konkreten Umständen der Einzelfälle und unter Berücksichtigung der Begründungen
der angefochtenen Entscheide bundesrechtswidrig, die Strafe bei einer leichten
Verminderung der Schuldfähigkeit lediglich um 14,5 % (Urteil 6S.148/2004 vom
28. Juli 2004, E. 2.3) beziehungsweise bei einer Verminderung der
Schuldfähigkeit in mittlerem Grade lediglich um 40 % (BGE 129 IV 22 E. 6.2)
respektive nur um 1/6 (BGE 118 IV 1 E. 2) und bei einer Verminderung der
Schuldfähigkeit in sehr schwerem Grade bloss um 50 % zu reduzieren (Urteil
6S.336/2000 vom 23. August 2000, E. 2). Das Bundesgericht hat im Urteil 6S.547/
2006 vom 1. Februar 2007 angenommen, dass die von der kantonalen Instanz dem
Täter zugebilligte Verminderung der Schuldfähigkeit in leichtem Grade zu einer
Reduktion der Strafe um 25 % geführt habe, und es hat unter anderem in dieser
Annahme erkannt, dass die gegen den Beschwerdeführer in jenem Verfahren
ausgefällte Freiheitsstrafe im Ergebnis nicht zu hoch sei. Im Urteil 6S.270/
2006 vom 5. September 2006 konnte das Bundesgericht mangels einer genügenden
Begründung im angefochtenen Entscheid nicht prüfen, ob eine Reduktion der
Strafe um lediglich 75 % bei einer schweren Verminderung der Schuldfähigkeit am
Rande der Schuldunfähigkeit mit Bundesrecht vereinbar war.

6.4 Die Rechtsprechung behält allerdings besondere Umstände vor, bei deren
Vorliegen die Strafe nicht im vollen Ausmass der Verminderung der
Schuldfähigkeit zu reduzieren ist.
Die Beschwerdeführerin sieht einen solchen besonderen Umstand darin, dass der
Beschwerdeführer weder geisteskrank noch schwachsinnig ist und sein Bewusstsein
nicht ansatzweise aufgehoben war, sondern er an einer krankhaften andauernden
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leidet und zudem anlässlich der
Tat in seinem Bewusstsein erheblich beeinträchtigt war.
Dieser Umstand ist indessen nicht relevant. Massgebend ist allein, dass die
Verminderung der Einsichts- und/oder der Steuerungsfähigkeit auf einer Ursache
beruht, welche als Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit oder des
Bewusstseins oder als mangelhafte geistige Entwicklung im Sinne von Art. 11
aStGB zu qualifizieren ist. Wenn eine dieser gesetzlichen Voraussetzungen - wie
im
BGE 134 IV 132 S. 139
vorliegenden Fall unstreitig - erfüllt ist, muss der Verminderung der
Schuldfähigkeit bei der Strafzumessung im vollen Ausmass der Verminderung
Rechnung getragen werden. Das Gesetz enthält keine Grundlage dafür, dass bei
gewissen rechtlich relevanten Ursachen, etwa bei einer Beeinträchtigung des
Bewusstseins, die Verminderung der Schuldfähigkeit bei der Strafzumessung nicht
im vollen Ausmass der Verminderung zu berücksichtigen ist. Die Ursache kann
allein in Bezug auf die Anordnung von Massnahmen von Bedeutung sein. Die
Verminderung der Schuldfähigkeit muss indessen bei der Strafzumessung auch im
vollen Ausmass der Verminderung berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen
für die Anordnung einer (freiheitsentziehenden) Massnahme - wie im vorliegenden
Fall unstreitig - nicht erfüllt sind. Die Strafe bestimmt sich nach dem
Verschulden und somit nach anderen Kriterien als die Massnahme.

6.5 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Strafe von 5 1/4 Jahren auch
mit Rücksicht auf die Interessen der Opfer, die Ausgleichsfunktion des
Strafrechts und das Strafbedürfnis der Öffentlichkeit unhaltbar milde. Dazu ist
festzuhalten, dass ein Schuldausgleich nur im Rahmen und in der Höhe des dem
Täter anzurechnenden Verschuldens (Art. 47 StGB beziehungsweise Art. 63 aStGB)
erfolgen kann (BGE 118 IV 342 E. 2g S. 350 mit Hinweisen; WIPRÄCHTIGER, a.a.O.,
Art. 47 StGB N. 52; ferner FRANZ RIKLIN, Schweizerisches Strafrecht,
Allgemeiner Teil I, 3. Aufl. 2007, § 5 N. 28).

6.6 Zusammenfassend ergibt sich somit Folgendes. Bei der Verminderung der
Schuldfähigkeit ist die aus den Tatkomponenten resultierende Einsatzstrafe nach
Massgabe der Verminderung der Schuldfähigkeit zu reduzieren. Die
Täterkomponenten sind davon unabhängig zu bewerten. Allerdings können einzelne
Tatsachen, welche die Verminderung der Schuldfähigkeit begründen, unter
Umständen auch für die Gewichtung von bestimmten Täterkomponenten von Bedeutung
sein. Die Reduktion der nach Einschätzung des Richters aus den Tatkomponenten
resultierenden Einsatzstrafe um 75 % bei einer vom Richter gestützt auf ein als
überzeugend erachtetes psychiatrisches Gutachten dem Täter zugebilligten
schweren Verminderung der Schuldfähigkeit verstösst nicht gegen Bundesrecht.
Eine Reduktion exakt in diesem Umfang ist aber bundesrechtlich nicht zwingend.
Der Richter kann in Ausübung seines Ermessens die aus den Tatkomponenten
resultierende
BGE 134 IV 132 S. 140
Einsatzstrafe auch um etwas weniger herabsetzen, soweit diese Reduktion noch im
gewissen Rahmen dessen liegt, was geboten ist, um einer schweren Verminderung
der Schuldfähigkeit im vollen Ausmass der Verminderung Rechnung zu tragen. Eine
diesen gewissen Rahmen unterschreitende Reduktion der aus den Tatkomponenten
resultierenden Einsatzstrafe ist nur zulässig, wenn besondere Umstände dafür
sprechen, die in der Urteilsbegründung darzulegen sind. Kein besonderer Umstand
liegt in der Schwere von einzelnen Tatkomponenten, da die Tatkomponenten
bereits bei der Bemessung der Einsatzstrafe nach Massgabe ihrer Schwere zu
berücksichtigen sind. Ein besonderer Umstand liegt auch nicht darin, dass die
Ursache der verminderten Schuldfähigkeit keinen Anlass zur Anordnung einer
freiheitsentziehenden Massnahme gibt.