Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 II 260



Urteilskopf

134 II 260

31. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft gegen Unabhängige
Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
2C_89/2008 vom 26. Juni 2008

Regeste

Art. 93 Abs. 5 BV; Art. 7 Ziff. 1 des Europäischen Übereinkommens über das
grenzüberschreitende Fernsehen; Art. 6 Abs. 1, 58 Abs. 2, 62 Abs. 2, 64 Abs. 3
und 65 Abs. 1 aRTVG; Art. 4 Abs. 1 und Art. 96 Abs. 3 RTVG; Aufnahmen mit
versteckter Kamera bei einem Schönheitschirurgen; individualrechtlicher
Persönlichkeitsschutz. Pflicht der Veranstalter von Radio- und Fernsehsendungen
zur Beachtung der Grundrechte und namentlich der Menschenwürde (E. 6.2 und
6.6). Fehlende Kompetenz der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen, Persönlichkeitsverletzungen im Zusammenhang mit einer Radio- oder
Fernsehsendung zu beurteilen (E. 6 und 7).

Sachverhalt ab Seite 261

BGE 134 II 260 S. 261
Das Schweizer Fernsehen strahlte am 6. Februar 2007 in der Sendung
"Kassensturz" einen Beitrag über Schönheitschirurgen aus. Dieser sollte -
gleich wie ein früherer Beitrag vom 19. Dezember 2006 und ein späterer vom 13.
Februar 2007 - die Zuschauer auf fragwürdige Praktiken aufmerksam machen.
Insbesondere sollte belegt werden, dass der bekannte Schönheitschirurg Dr. med.
R. bereit sei, selbst bei einer Frau mit perfekten Körpermassen eine
Brustvergrösserung vorzunehmen. Um dies nachzuweisen, suchte die 19-jährige M.,
damals Miss Z., zusammen mit einer Fernsehjournalistin die Praxis von R. auf.
Letztere filmte in der Arztpraxis mit versteckter Kamera. In der Sendung vom 6.
Februar 2007 wurden Ausschnitte der dabei aufgenommenen Bilder ausgestrahlt.
Diese zeigten unter anderem den nicht anonymisierten Arzt bei der Untersuchung
von M. und bei einem Gespräch mit ihr.
A. beanstandete die erwähnte Sendung bei der zuständigen Ombudsstelle. Nachdem
diese am 4. April 2007 einen Schlussbericht ausgefertigt hatte, erhob A. am 2.
Mai 2007 Beschwerde bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen (UBI). Er kritisierte, dass der Beitrag vom 6. Februar 2007 durch
illegale Filmaufnahmen und unzureichende Recherchierarbeit zustande gekommen
sei.
Die UBI hiess die Beschwerde am 31. August 2007 gut und stellte fest, dass der
erwähnte Beitrag die Programmbestimmungen verletze. Weiter forderte sie die
Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft auf, sie innert 60 Tagen über die
getroffenen Vorkehrungen zu unterrichten, um den Mangel zu beheben und in
Zukunft gleiche oder ähnliche Rechtsverletzungen zu vermeiden.
Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) beantragt dem
Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 30.
Januar 2008, den Entscheid der UBI vom 31. August 2007 aufzuheben und
festzustellen, dass der Beitrag vom 6. Februar 2007 in der Sendung
"Kassensturz" über Schönheitschirurgen die Programmrechtsbestimmungen nicht
verletze.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen
Entscheid der UBI auf.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

6.

6.1 Nach Art. 58 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und
Fernsehen (aRTVG; AS 1992 S. 601) beurteilt die UBI
BGE 134 II 260 S. 262
Beschwerden gegen ausgestrahlte Radio- und Fernsehsendungen schweizerischer
Veranstalter. Gemäss Art. 62 Abs. 2 aRTVG muss die Beschwerde mit kurzer
Begründung angeben, wodurch Programmbestimmungen des Bundesgesetzes über Radio
und Fernsehen, seiner Ausführungsbestimmungen oder der Konzession verletzt
worden sind. Die UBI stellt anschliessend fest, ob eine Verletzung der
erwähnten Programmbestimmungen oder derjenigen einschlägiger internationaler
Übereinkommen gegeben ist (Art. 65 Abs. 1 aRTVG).

6.2 Gemäss ständiger Rechtsprechung bildet Gegenstand dieses
Aufsichtsverfahrens ausschliesslich die Einhaltung rundfunkrechtlicher Regeln.
Für angebliche Verletzungen anderer Normen (z.B. Strafrecht,
Persönlichkeitsrecht, unlauterer Wettbewerb usw.) bleiben die ordentlichen
(Zivil- und Straf-)Gerichte zuständig. Die Programmaufsicht dient dem Schutz
der unverfälschten Willens- und Meinungsbildung der Öffentlichkeit und nicht in
erster Linie der Durchsetzung privater Anliegen (vgl. BGE 132 II 290 E. 3.2.3
S. 296 f.; BGE 122 II 471 E. 2b S. 475 f.; BGE 121 II 359 E. 2a S. 362 f., je
mit Hinweisen). Die Veranstalter haben zwar auch die Grundrechte und namentlich
die Menschenwürde zu beachten (vgl. Botschaft vom 18. Dezember 2002 zur
Totalrevision des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, BBl 2003 S. 1668
Ziff. 2.1.2.1.2; Art. 4 Abs. 1 des neuen Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über
Radio und Fernsehen [RTVG; SR 784.40] sowie nachfolgende E. 6.6). Diese gehören
aber nur insoweit zu den rundfunkrechtlichen Regeln, deren Einhaltung von der
UBI überprüft werden kann, als es sich um programmrelevante, objektive
Schutzziele handelt, wie zum Beispiel der Religionsfrieden, die Vermeidung von
Rassenhass, der Jugendschutz; dementsprechend sind gemäss Art. 6 Abs. 1 aRTVG
etwa Sendungen unzulässig, welche die öffentliche Sittlichkeit gefährden oder
in denen Gewalt verharmlost oder verherrlicht wird.

6.3 In dieser Richtung hatte sich im Wesentlichen bereits der Bundesrat in
seiner Botschaft vom 28. September 1987 zum Bundesgesetz über Radio und
Fernsehen geäussert. Demnach war das Verfahren vor der UBI nicht als
Rechtsschutz für Einzelne gedacht, sondern zur Überprüfung von Sendungen im
Interesse der Öffentlichkeit und ihrer ungehinderten Willensbildung als
wichtiges Element der Demokratie (BBl 1987 III 689, insbes. S. 708 Ziff. 126).
Dies wollte das Parlament verdeutlichen, als es dem Gesetzesentwurf des
Bundesrates auf Vorschlag von Ständerat Rhinow unter anderem
BGE 134 II 260 S. 263
die Regelung des Art. 64 Abs. 3 aRTVG hinzufügte (vgl. im neuen Recht die
entsprechende Regelung in Art. 96 Abs. 3 RTVG). Dieser Bestimmung zufolge kann
die UBI die Behandlung einer Beschwerde ablehnen oder sistieren, soweit zivil-
oder strafrechtliche Rechtsbehelfe offenstehen oder unbenützt geblieben sind.
Die Kann-Formulierung dieser Bestimmung ist nicht im Sinne einer
Kompetenzerweiterung der UBI zu verstehen. Sie wurde vielmehr nur gewählt, weil
es Fälle geben kann, in denen verschiedene Aspekte derart nahe beieinander
liegen, dass eine Kompetenzattraktion nötig wird; das soll aber die Ausnahme
bleiben. Die UBI soll demnach keine umfassende Rechtspflegeinstanz sein, die
alle möglichen Rügen und Rechtsverletzungen prüft. Wenn es in erster Linie um
Persönlichkeitsverletzungen geht, soll sie nicht entscheiden. Eine
Doppelspurigkeit verschiedener Instanzen in Bezug auf gleiche Rügen ist zu
vermeiden (vgl. Begründung des Antrags des Ständerats Rhinow in AB 1990 S 615
f.).
Auch im Zusammenhang mit anderen Bestimmungen hat das Parlament erklärt, dass
das Tätigkeitsfeld der UBI einzugrenzen sei und diese demnach im
Kompetenzbereich der Straf- und Zivilgerichte keine Entscheide treffen solle
(vgl. Voten der Nationalräte David, Zölch, Uchtenhagen, Frey und von Bundesrat
Ogi in AB 1989 N 1676 f.).

6.4 Ein Bedürfnis zu einer Ausweitung der Zuständigkeit der UBI auf den
individualrechtlichen Persönlichkeitsschutz besteht nicht, da dieser durch die
Zivil- und Strafinstanzen genügend gewährleistet wird (ähnlich PETER NOBEL/ROLF
H. WEBER, Medienrecht, 3. Aufl. 2007, N. 184 zum 8. Kapitel, S. 458). Eine
derartige Kompetenzerweiterung der UBI stünde zudem im Widerspruch zum
eigentlichen Sinn und Zweck der rundfunkrechtlichen Aufsicht, welche in erster
Linie im Interesse der Allgemeinheit ausgeübt wird.

6.5 Diese Lösung steht auch im Einklang mit Art. 93 Abs. 5 BV, wonach
"Programmbeschwerden" einer unabhängigen Beschwerdeinstanz vorgelegt werden
können. Diese Verfassungsbestimmung verlangt nicht, dass der
Individualrechtsschutz im Zusammenhang mit Radio- und Fernsehsendungen von
einer solchen Instanz gewährleistet wird (vgl. JEAN-FRANÇOIS AUBERT, in: Aubert
/Mahon [Hrsg.], Petit commentaire de la Constitution fédérale de la
Confédération suisse, 2003, N. 23 zu Art. 93 BV).

6.6 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem für die Schweiz seit dem 1.
Mai 1993 verbindlichen Europäischen Übereinkommen
BGE 134 II 260 S. 264
vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen (EÜGF; SR 0.784.405).
Zwar müssen nach Art. 7 Ziff. 1 EÜGF alle - grenzüberschreitend ausgestrahlten
- Sendungen eines Programms im Hinblick auf ihre Aufmachung und ihren Inhalt
"die Menschenwürde und die Grundrechte anderer" achten; insbesondere dürfen sie
nicht unsittlich sein und namentlich keine Pornographie enthalten (lit. a)
sowie Gewalt nicht unangemessen herausstellen und nicht geeignet sein, zum
Rassenhass aufzustacheln (lit. b). Das schliesst aber nicht aus, dass
individuelle Persönlichkeitsverletzungen nur vor den ordentlichen Gerichten
geltend gemacht werden können. Das Abkommen verlangt hiefür kein spezielles
Verfahren vor der UBI oder einer vergleichbaren Instanz.

6.7 Im Übrigen handelt es sich beim hier angerufenen Persönlichkeitsrecht des
Arztes, das zumindest zivilrechtlich auch das berufliche und gesellschaftliche
Ansehen mitumfasst, um höchstpersönliche Rechte, die nicht übertragbar sind
(vgl. BGE 118 II 1 E. 5b S. 5; Urteil 5A_78/2007 vom 24. August 2007, E. 4,
publ. in: sic! 12/2007 S. 895). Bereits dies schliesst aus, dass Dritte diese
Rechte anrufen und gestützt darauf Massnahmen verlangen können. Demzufolge
scheint es auch nicht angezeigt, dass sich die UBI auf Beschwerde eines Dritten
hin damit befasst, ob eine Persönlichkeitsverletzung des Arztes gegeben ist.

7. Wie ausgeführt (vgl. nicht publizierte E. 3), betrachtet die UBI im
vorliegenden Fall das Sachgerechtigkeitsgebot als eingehalten; das Publikum
werde nicht der Gefahr einer verfälschten Willens- oder Meinungsbildung
ausgesetzt. Die diesbezüglichen Erwägungen der UBI sind nicht zu beanstanden.
Nach dem Gesagten überschreitet diese aber mit ihrer Feststellung, die
Persönlichkeit des Schönheitschirurgen R. sei verletzt worden, die ihr nach dem
Bundesgesetz vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen eingeräumte
Prüfungskompetenz bzw. Zuständigkeit. Die Beschwerde der SRG erweist sich
demnach als begründet und ist gutzuheissen; der angefochtene Entscheid der UBI
ist aufzuheben. Damit ist nicht gesagt, dass keine Persönlichkeitsverletzung
vorliegt. Darüber werden aber die zuständigen Stellen, die der direkt
Betroffene angerufen hat, befinden müssen.