Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 II 120



Urteilskopf

134 II 120

11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Verein
gegen Tierfabriken Schweiz VgT gegen SRG SSR idée suisse Schweizerische Radio-
und Fernsehgesellschaft sowie Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_4/2008 vom 21. Februar 2008

Regeste

Art. 89 Abs. 1 BGG, Art. 94 und 99 RTVG 2006 bzw. Art. 63 RTVG 1991;
Beschwerdelegitimation gegen einen programmrechtlichen Entscheid der
Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI); Beitrag "Mehr
Schweine". Vor Bundesgericht besteht (auch) im Radio- und Fernsehbereich kein
Popularbeschwerderecht (E. 2.1 und 2.2). Ein Verein, der in seinem Namen und
Logo den Begriff "Tierfabrik" verwendet, ist weder inhaltlich noch hinsichtlich
einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör befugt, einen Entscheid
der UBI bezüglich eines (kritischen) Beitrags zur vorgeschlagenen Abschaffung
der gesetzlichen Höchsttierbestände und der damit befürchteten Gefahr des
Entstehens von "Tierfabriken" anzufechten (E. 2.3 und 2.4).

Sachverhalt ab Seite 120

BGE 134 II 120 S. 120
Das Schweizer Fernsehen strahlte am 21. Februar 2007 im Rahmen des
Nachrichtenmagazins "10 vor 10" den Beitrag "Mehr Schweine" aus. Im Zentrum des
rund dreiminütigen Beitrags stand der Antrag
BGE 134 II 120 S. 121
von SVP-Nationalrat und Landwirt Marcel Scherrer, die gesetzlichen
Höchsttierbestände abzuschaffen. Anmoderiert wurde der Bericht mit der Aussage,
dass es "keine Tierfabriken in der Schweiz" gebe; ob das so bleibe, sei die
grosse Frage; ein Züchter dürfe heute maximal 1'500 Schweine und 27'000 Hühner
halten. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats habe die Absicht, dies zu
ändern; jeder Tierzüchter solle fortan so viele Tiere halten können, wie er
wolle. Das Team von "10 vor 10" sei der Frage nachgegangen, was dies genau
heisse. Dazu äussern sich im anschliessenden Videobericht Nationalrat Scherrer,
der Geschäftsführer des Schweizerischen Tierschutzes und ein Vertreter des
Bundesamts für Landwirtschaft.
Erwin Kessler, Präsident des Vereins gegen Tierfabriken, und 22
Mitunterzeichner gelangten hiergegen an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für
Radio und Fernsehen (UBI). Diese wies ihre Beschwerde am 31. August 2007 ab und
stellte fest, dass der umstrittene Beitrag die Programmbestimmungen nicht
verletzt habe. Zwar sei die Aussage, es gebe in der Schweiz keine Tierfabriken,
missverständlich; sie zeuge von "wenig Sensibilität in Tierschutzfragen", doch
sei Thema der Sendung der vorgeschlagene Verzicht auf die Höchsttierbestände
und dessen mögliche Folgen gewesen. Die diesbezüglich relevanten Fakten seien
korrekt wiedergegeben worden.
Das Bundesgericht tritt auf die von Erwin Kessler im Namen des Vereins gegen
Tierfabriken Schweiz (VgT) eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwiefern auf eine Beschwerde einzutreten ist; immerhin muss die Eingabe auch
bezüglich der Prozessvoraussetzungen hinreichend begründet werden (Art. 42 Abs.
1 und 2 BGG). Sind die Legitimationsvoraussetzungen - wie hier - nicht ohne
weiteres ersichtlich, ist es nicht seine Aufgabe, anhand der Akten oder
weiterer, noch beizuziehender Unterlagen nachzuforschen, ob und inwiefern die
beschwerdeführende Partei zum Verfahren zuzulassen ist (BGE 133 II 400 E. 2 S.
405). Der Verein gegen Tierfabriken beanstandet lediglich den Sachentscheid,
legt aber nicht dar, inwiefern er hierzu befugt ist. Ob auf seine Beschwerde
bereits deshalb nicht einzutreten ist, kann dahingestellt bleiben, da ein
anderer Nichteintretensgrund besteht.
BGE 134 II 120 S. 122

2.

2.1 Zwar können Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen über den Inhalt redaktioneller Sendungen mit der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unmittelbar an das Bundesgericht
weitergezogen werden (Art. 86 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 83 lit. p BGG). Die
Beschwerdebefugnis richtet sich dabei jedoch ausschliesslich nach Art. 89 Abs.
1 BGG und nicht nach Art. 94 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio
und Fernsehen (RTVG 2006; SR 784.40) bzw. Art. 63 des entsprechenden Gesetzes
vom 21. Juni 1991 (RTVG 1991; AS 1992 S. 601 ff.). Die zu Art. 103 lit. a OG
entwickelten Grundsätze gelten diesbezüglich auch für Art. 89 Abs. 1 BGG (BGE
133 II 400 E. 2.2 S. 404): Die Legitimation ergibt sich nicht bereits aus der
Beteiligung als Popularbeschwerdeführer am vorinstanzlichen Verfahren (BGE 130
II 514 E. 1 S. 516; BGE 123 II 115 E. 2a S. 117; BGE 121 II 359 E. 1a S. 361,
BGE 121 II 454 E. 1a S. 455). Der Beschwerdeführer muss vielmehr stärker als
jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswert nahen Beziehung
zur Streitsache stehen. Ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines,
öffentliches Interesse genügt hierzu nicht. Der Beanstander einer Sendung muss
für das bundesgerichtliche Verfahren in einer eigenen engen Beziehung zum
Gegenstand des beurteilten Beitrags stehen (BGE 130 II 514 E. 1 S. 516 mit
Hinweisen). Vor Bundesgericht gibt es (auch) im Radio- und Fernsehbereich kein
Popularbeschwerderecht (vgl. BGE 130 II 514 E. 2.3 S. 518). Hieran hat sich mit
dem neuen Radio- und Fernsehgesetz nichts geändert (vgl. Art. 99 RTVG 2006).

2.2 Nach der bundesgerichtlichen Praxis fehlt dem Stimmbürger die Legitimation,
um allein gestützt auf seine politischen Rechte einen Entscheid der
Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen über die Einhaltung
rundfunkrechtlicher Vorschriften mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde - bzw. heute
mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten - anfechten zu können
(BGE 123 II 115 E. 2b/cc S. 119; BGE 115 Ib 387 ff.). Auch wer sich engagiert
zu einer Frage in der Öffentlichkeit äussert, ist nicht bereits deswegen
befugt, Darstellungen zur entsprechenden Thematik in Radio und Fernsehen vor
Bundesgericht zu beanstanden (BGE 114 Ib 200 E. 2c S. 203). Ein besonderes
persönliches oder berufliches Interesse an einem bestimmten Thema verschafft
für sich allein ebenfalls noch keine legitimationsbegründende enge Beziehung
zum Inhalt eines Beitrags (BGE 130 II 514 E. 2.2.1 S. 517 mit Hinweisen auf
Rechtsprechung und
BGE 134 II 120 S. 123
Doktrin). Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen der egoistischen
Verbandsbeschwerde, bei der eine als juristische Person konstituierte
Vereinigung im Rahmen ihrer statutarischen Aufgaben die Interessen der Mehrheit
oder einer Grosszahl ihrer Mitglieder wahrnimmt (BGE 130 II 514 E. 2.3.3 S. 519
mit Hinweisen).

2.3 Im beanstandeten Beitrag ist unmittelbar weder vom beschwerdeführenden
Verein noch von seinem Präsidenten die Rede. Der VgT und seine Mitglieder haben
sich ganz allgemein dem Schutz der Tiere verschrieben; die Tatsache, dass der
VgT in seinem Namen bzw. Logo den Begriff "Tierfabrik" verwendet, genügt nicht,
um einen (kritischen) Beitrag zur Abschaffung der Höchsttierbestände und der
damit befürchteten Gefahr des Entstehens von Tierfabriken mit der Begründung
anzufechten, solche bestünden - im Hinblick auf die Qualität der Tierhaltung -
in der Schweiz bereits heute, was dem Zuschauer verschwiegen worden sei. Der
beschwerdeführende Verein bzw. seine Mitglieder engagieren sich aktiv zum Wohl
der Tiere und sehen hierin auch ein besonderes persönliches Interesse; sie
werden durch den beanstandeten Beitrag jedoch nicht anders betroffen als
irgendein anderer tierliebender Zuschauer. Es fehlt ihnen somit die nach Art.
89 Abs. 1 BGG erforderliche Beziehungsnähe zum Sendethema, weshalb auf die
Beschwerde nicht einzutreten ist. Dass der Präsident des VgT 1992 ein Buch zum
Thema der Tierfabriken geschrieben hat, verschafft ihm auch als Privatperson
kein persönliches Interesse im dargelegten Sinn (BGE 123 II 115 E. 2b S. 517:
"publizistische Tätigkeit im Bereich der Ausländerpolitik"). In solchen Fällen
steht nur die Popularbeschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio
und Fernsehen offen (BGE 123 II 115 E. 2b/cc S. 119).

2.4 Dies gilt auch, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Vorinstanz
habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt: Im Rahmen der im Radio-
und Fernsehgesetz formalisierten Aufsichtsbeschwerde hat der
Popularbeschwerdeführer lediglich einen spezialgesetzlichen Anspruch darauf,
dass es die UBI nicht bundesrechtswidrig unterlässt, das durch ihn ausgelöste
und ausschliesslich im öffentlichen Interesse liegende Verfahren durchzuführen.
Allein diesen spezialgesetzlichen Erledigungsanspruch kann er gegebenenfalls
mit Beschwerde vor Bundesgericht durchsetzen. Er ist dagegen nicht legitimiert,
geltend zu machen, die UBI habe zu Unrecht Beweisanträgen nicht entsprochen,
den Sachverhalt nicht hinreichend abgeklärt oder ihr Prüfungsprogramm in
unzulässiger Weise
BGE 134 II 120 S. 124
beschränkt. Verfügt der Popularbeschwerdeführer über keine entsprechenden
Verfahrensrechte, hat er auch kein schutzwürdiges Interesse, um in diesem
Zusammenhang an das Bundesgericht zu gelangen (vgl. BGE 123 II 115 E. 2c S. 119
f.; Urteil 2A.47/1998 vom 29. September 1998, E. 3, publ. in: Pra 88/1999 Nr. 6
S. 36).