Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 591



Urteilskopf

134 III 591

93. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X.
Versicherungen AG und Mitb. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_289/2008 vom 1. Oktober 2008

Regeste

Unterbrechung der Verjährung durch Schuldanerkennung (Art. 135 Ziff. 1 OR).
Eine Akontozahlung unterbricht die Verjährung, wenn der Schuldner damit seine
Zahlungspflicht im Grundsatz anerkennt und das Bestehen einer Restschuld nicht
ausschliesst. Vorbehalte oder Ungewissheit bezüglich der Höhe der Schuld ändern
daran nichts (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 591

BGE 134 III 591 S. 591

A. Am 1. März 1997 verursachte ein bei der X. Versicherungen AG
(Beschwerdegegnerin) versicherter Lenker einen Unfall, bei welchem A.
(Beschwerdeführerin) als Beifahrerin Verletzungen erlitt. Ein im Auftrag der
SUVA erstelltes Abschlussgutachten vom 15. Juni 2000 über den
Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gelangte zum Endergebnis einer
Erwerbsunfähigkeit von 70 % und einer noch vorhandenen Restarbeitsfähigkeit von
30 %, wobei medizinisch ein Endzustand erreicht sei. Am 9. Mai 2007 erhob die
Beschwerdeführerin
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Klage beim Handelsgericht Zürich und verlangte schliesslich im Sinne einer
Teilklage Fr. 1'000'000.- nebst Zins. Die Beschwerdegegnerin verkündete der Y.
und den Z. (Streitberufene) den Streit. Das Verfahren wurde auf die Frage der
Verjährung beschränkt. Mit Urteil vom 19. März 2008 wies das Handelsgericht die
Klage infolge Verjährung ab.

B. Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, es sei festzustellen, dass die Klage nicht verjährt sei, und die
Sache zur Feststellung der Haftung und des Schadens an das Handelsgericht
zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf kostenfällige Abweisung
der Beschwerde, während das Handelsgericht auf Vernehmlassung verzichtet. Die
Streitberufenen haben sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur materiellen
Entscheidung an das Handelsgericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdeführerin erhält sowohl von der AHV/IV als auch der SUVA und
der Pensionskasse Renten aufgrund einer Beeinträchtigung von 70 %. Das
Verfahren gegen die Pensionskasse fand erst am 2. November 2004 vor dem
eidgenössischen Versicherungsgericht seinen Abschluss. Die Beschwerdegegnerin
leistete der Beschwerdeführerin in den Jahren 1997-1999 Zahlungen für
Behandlungskosten, den Haushaltschaden während bestimmter Zeiträume und Fr.
10'000.- Akonto Gesamtschaden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2001 verlangte
der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vorsorglich einen schriftlichen
Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2003, da er der
Beschwerdegegnerin noch keine abschliessende Schadenersatzforderung zustellen
könne. Im Übrigen ersuchte er die Beschwerdegegnerin mit Blick auf die im
Gutachten festgehaltene Erwerbsunfähigkeit von 70 % um einen Betrag von Fr.
100'000.- Akonto Gesamtschaden. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2001 antwortete
die Beschwerdegegnerin, sie werde veranlassen, dass Fr. 100'000.- als
Akonto-Zahlung überwiesen würden. Im Weiteren sei die Beschwerdegegnerin
bereit, auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2003 zu verzichten.
Alle übrigen Rechte und Einwendungen müsse sie sich aber vorbehalten. Am 11.
Januar 2002 erfolgte die Überweisung der Fr. 100'000.-. Die Beschwerdegegnerin
verlängerte ihren Verjährungsverzicht am 5.
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Dezember 2003 bis zum 31. Dezember 2005 und verzichtete am 6. Februar 2006 bis
zum 1. März 2007 erneut auf die Erhebung der Einrede der Verjährung, soweit
diese noch nicht eingetreten war. Am 6. September 2006 überwies sie im Sinne
einer Schlusszahlung nochmals Fr. 100'000.-. Zwischen den Parteien ist
umstritten, ob die Verjährung im Zeitraum, der durch keine Verzichtserklärung
gedeckt ist, eingetreten ist.
(...)

5. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die für fahrlässige
Körperverletzungen im Zeitpunkt des Unfalls vorgesehene strafrechtliche
Verjährung von fünf Jahren, welche nach Art. 83 Abs. 1 SVG zu beachten ist, da
sie die nach SVG vorgesehene Verjährungsfrist übersteigt (vgl. BGE 112 II 79 E.
4a S. 83 ff.). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, diese
Verjährungsfrist sei mit der Zahlung vom 11. Januar 2002 unterbrochen worden
und ihre Forderung daher nicht verjährt.

5.1 Die Vorinstanz ging davon aus, unterbrechende Wirkung könne der Überweisung
vom 11. Januar 2002 nur zukommen, wenn sie als Schuldanerkennung, respektive
Abschlagszahlung im Sinne von Art. 135 Ziff. 1 OR qualifiziert werden könne.
Als Abschlagszahlung gelte jede Teilzahlung, bei welcher der Schuldner zu
erkennen gebe, dass eine Restschuld übrigbleiben soll. Sofern eine
Abschlagszahlung unter Vorbehalt erfolge, liege darin keine Anerkennung der
Schuld. Von der Abschlagszahlung zu unterscheiden sei die Akontozahlung. Dieser
Begriff meine nicht eine Teil- oder eben Abschlagszahlung, sondern wolle zum
Ausdruck bringen, dass bei definitiv feststehenden Ansprüchen (sei dies durch
Übereinkunft oder Gerichtsurteil) die Zahlung in Anrechnung zu bringen ist. Ob
allerdings Ansprüche bestehen und in welcher Höhe, darüber sage der Begriff
nichts aus. Er habe auch die Bedeutung, dass für den Fall, dass der Anspruch
nicht oder nur tiefer bestehe, ein vertraglicher Rückforderungsanspruch geltend
gemacht werden könne. Wenn bereits eine unter Vorbehalt erbrachte
Abschlagszahlung die Verjährung nicht unterbreche, so komme einer Akontozahlung
umso weniger verjährungsunterbrechende Wirkung zu.

5.2 Die Vorinstanz betrachtete die Überweisung im Gesamtzusammenhang der
Schreiben, die dieser vorangegangen waren, und kam zum Schluss, die Parteien
hätten sowohl tatsächlich als auch im Rahmen der Auslegung nach dem
Vertrauensprinzip eine
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Akontozahlung und nicht eine Abschlagszahlung vereinbart. Sie hält mit Blick
auf die Verjährungsverzichtserklärung fest, der Beschwerdeführerin sei bewusst
gewesen, dass mit der Überweisung keine verjährungsunterbrechende
Schuldanerkennung einhergehe. Aber auch zu diesem Schluss gelangt die
Vorinstanz unter der Prämisse, eine Akontozahlung sei zur Unterbrechung der
Verjährung nicht geeignet. Die Beschwerdeführerin stellt dies in Abrede. Dabei
handelt es sich um eine Rechtsfrage, welche das Bundesgericht im Gegensatz zu
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz überprüfen kann.

5.2.1 Gemäss Art. 135 Ziff. 1 OR wird die Verjährung durch Anerkennung der
Forderung von Seiten des Schuldners unterbrochen. Eine Anerkennungshandlung
nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt keinen auf Unterbrechung der Verjährung
gerichteten Willen voraus. Als Anerkennung mit Unterbrechungswirkung gilt jedes
Verhalten des Schuldners, das vom Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr
als Bestätigung seiner rechtlichen Verpflichtung aufgefasst werden darf (BGE
119 II 368 E. 7b S. 378 f.; BGE 110 II 176 E. 3 S. 180 f.). Die
Anerkennungserklärung muss sich an den Gläubiger richten (BGE 90 II 428 E. 11
S. 442). Für die Unterbrechung der Verjährung genügt es, dass der Schuldner
erklärt, unter gewissen Voraussetzungen zur Leistung weiterer Zahlungen bereit
zu sein und somit das Bestehen einer Restschuld nicht ausschliesst. Dass er
über deren Höhe im Ungewissen ist, schadet nicht, denn die Anerkennung der
grundsätzlichen Schuldpflicht genügt. Sie braucht sich nicht auf einen
bestimmten Betrag zu beziehen (BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit Hinweisen; Urteil
des Bundesgerichts 4A_276/2008 vom 31. Juli 2008, E. 4).

5.2.2 Dass der tatsächlich geschuldete Betrag noch nicht feststeht oder
strittig ist, steht einer Anerkennung nicht entgegen. Auch eine grundsätzliche
Anerkennung der Schuld unter gleichzeitiger Bestreitung eines bestimmten
Betrages wirkt als verjährungsunterbrechende Schuldanerkennung (GRÄMIGER, Der
Einfluss des schuldnerischen Verhaltens auf Verjährungsablauf und
Verjährungseinrede, 1934, S. 25; KRAUSKOPF, Der Begriff, die Erscheinungsformen
und die Bedeutung der Schuldanerkennung im Obligationenrecht, recht 23/2005 S.
169 ff., 181 f.). Die Wirkung der Unterbrechungshandlung tritt (im Gegensatz
zum Verjährungsverzicht) unabhängig vom Willen des Gläubigers und des
Schuldners ein (BUCHER, Verjährung: gute Schritte in guter Richtung, recht 24/
2006 S. 186 ff., 195; vgl. auch GRÄMIGER, a.a.O., S. 30).
BGE 134 III 591 S. 595

5.2.3 Mit "Akontozahlung" wird gemeinhin eine vorläufige Zahlung bezeichnet,
wobei der Umfang der definitiv geschuldeten Leistung noch zu ermitteln ist.
Akontozahlungen werden insbesondere vereinbart, wenn Einigkeit über den
Grundsatz der Zahlungspflicht und Ungewissheit über die Höhe des tatsächlich
geschuldeten Betrags besteht, wobei eine allfällige Differenz nachzuzahlen
beziehungsweise zurückzuerstatten ist (vgl. BGE 126 III 119 E. 2b S. 120). Mit
einer Akontozahlung bringt der Schuldner daher in der Regel zum Ausdruck, dass
er seine Verpflichtung grundsätzlich anerkennt, unter gewissen Voraussetzungen
zur Leistung weiterer Zahlungen bereit ist und somit das Bestehen einer
Restschuld nicht ausschliesst. Dies genügt zur Unterbrechung der Verjährung (
BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit Hinweisen). Dass dem Gläubiger bei hinreichender
Akontozahlung eventuell gar keine weiteren Ansprüche mehr zustehen, vermag
daran nichts zu ändern, da dies lediglich eine Folge der Ungewissheit über die
Höhe der Forderung ist (zit. Urteil 4A_276/2008, E. 4.6). Allfällige
Vorbehalte, die nicht den Grundsatz der Zahlungspflicht, sondern die Höhe der
Forderung betreffen, stehen einer Unterbrechung der Verjährung nicht entgegen.
Auch eine bedingte Anerkennung kann verjährungsunterbrechend wirken (SPIRO, Die
Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen,
Bd. I, 1975, S. 374). So verhielt es sich vorliegend, zumal die Höhe der
Forderung der Beschwerdeführerin nicht feststand, solange über die Höhe der von
den Sozialversicherungen übernommenen Leistungen nicht entschieden war.

5.2.4 Davon zu unterscheiden ist der Fall, in welchem der Schuldner anlässlich
der Akontozahlung zu erkennen gibt, nach dieser Zahlung bestehe jedenfalls kein
Anspruch des Gläubigers mehr, also eine Restforderung nicht für möglich hält,
sondern bestreitet (vgl. schon BGE 17 S. 745 E. 4 S. 748; BERTI, Zürcher
Kommentar, 3. Aufl. 2002, N. 25 zu Art. 135 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/
EMMENEGGER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 9.
Aufl. 2008, S. 228 Rz. 3343). Von vornherein nicht zur Unterbrechung der
Verjährung geeignet ist daher der von der Beschwerdegegnerin am 6. September
2006 im Sinne einer Schlusszahlung geleistete Betrag. Diese Bezeichnung
erhellt, dass die Beschwerdegegnerin das Bestehen einer Restschuld
ausschliesst.

5.2.5 Mit Bezug auf die Zahlung vom 11. Januar 2002 geht aus dem vorhergehenden
Schreiben der Versicherung nichts Entsprechendes hervor. Die sowohl vor als
auch nach dem 11. Januar 2002
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erbrachten Leistungen belegen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Zahlungspflicht
aus dem Schadensfall grundsätzlich anerkennt und sich die im Schreiben
geäusserten Vorbehalte auf die Höhe der Forderung beziehen. Dies steht der
Unterbrechung der Verjährung nicht entgegen. Die Beschwerdegegnerin betrachtete
bei der Zahlung den Schadenfall noch nicht als abgeschlossen, sondern ging vom
Bestehen eines der Bereinigung bedürftigen Forderungsverhältnisses aus (zit.
Urteil 4A_276/2008, E. 4.5 mit Hinweis). Dies erkennt auch die Vorinstanz, wenn
sie ausführt, die Parteien hätten eine Akontozahlung vereinbart, und mit Bezug
auf diese auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung verweist, wonach es sich um
eine vorläufige Zahlung handle, die einer Abrechnungspflicht unterliege, wobei
die Differenz zwischen den geleisteten Akontozahlungen und dem später
festgestellten tatsächlichen Anspruch auszugleichen sei. Nach den
Feststellungen der Vorinstanz war der Beschwerdeführerin zwar bewusst, dass es
sich bei der Zahlung vom 11. Januar 2002 nicht um eine "Abschlagszahlung", d.h.
gemäss vorinstanzlicher Definition um eine Teilzahlung handelt, bei welcher der
Schuldner zu erkennen gibt, dass eine Restschuld übrigbleiben soll. Die
Beschwerdegegnerin hat demnach nicht anerkannt, dass zwingend ein über die
Akontozahlung hinausgehender Anspruch besteht. Dies ist entgegen der Auffassung
der Vorinstanz aber auch nicht nötig, wenn aus dem Verhalten der Schuldnerin
hervorgeht, dass sie das Bestehen einer Restschuld nicht ausschliesst und dass
sie gegebenenfalls zu deren Zahlung bereit ist (BGE 110 II 176 E. 3 S. 181 mit
Hinweisen). Indem die Vorinstanz dies verkennt, verletzt sie Bundesrecht. Dass
die Beschwerdegegnerin gleichzeitig eine Verjährungsverzichtserklärung
abgegeben hat, ändert daran nichts, da die Verjährungsunterbrechung vom
Schuldner nicht gewollt sein muss und selbst dann eintreten kann, wenn der
Schuldner mit der verjährungsunterbrechenden Handlung ausdrücklich damit droht,
sich auf die Verjährung zu berufen (GRÄMIGER, a.a.O., S. 36; vgl. auch SPIRO,
a.a.O., S. 353, Fn. 3). Da die Aufzählung der Unterbrechungshandlungen in Art.
135 Ziff. 1 OR nicht abschliessend ist, kommt der Frage, ob der Begriff
"Abschlagszahlung" grundsätzlich auch Akontozahlungen umfasst, wie die
Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den französischen und italienischen
Gesetzestext darlegt, oder vielmehr das sichere Bestehen einer Restschuld
voraussetzt, wie die Vorinstanz annimmt, keine Bedeutung zu.

5.3 Mit dem Einwand, die strafrechtliche Verjährung komme nicht zur Anwendung,
weil alle Beteiligten auf die Stellung eines
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Strafantrages verzichtet hätten und die Strafverfolgung damit nicht mehr offen
sei, dringt die Beschwerdegegnerin nicht durch. Da der Strafantrag keine
Strafbarkeitsbedingung, sondern eine Prozessvoraussetzung darstellt (vgl. schon
BGE 69 IV 69 E. 5 S. 72 ff.; RIEDO, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl.
2007, N. 20 ff. vor Art. 30 StGB), kommen die strafrechtlichen
Verjährungsfristen nach konstanter Rechtsprechung auch dann zur Anwendung, wenn
binnen der gesetzlichen Frist kein Strafantrag gestellt wurde (so schon BGE 77
II 314 E. 3a S. 317; 112 II 79 E. 4a S. 86 mit Hinweisen). Von dieser
Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlass. Der Antragsberechtigte soll
nicht gezwungen sein, einen an sich nicht gewünschten Strafantrag zu stellen,
damit er sich auf die längere Verjährungsfrist berufen kann.