Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 134 III 577



Urteilskopf

134 III 577

90. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z.
(Beschwerde in Zivilsachen)
5A_434/2008 vom 5. September 2008

Regeste

Art. 125 ZGB; nachehelicher Unterhalt. Grundsätze zur Bestimmung des
Unterhaltsbeitrages bei lebensprägender Ehe (Präzisierung der Rechtsprechung;
E. 3).

Sachverhalt ab Seite 577

BGE 134 III 577 S. 577

A. Z. (Ehefrau), geb. 1944, und X. (Ehemann), geb. 1946, heirateten 1971 vor
dem Zivilstandsamt A. Aus der Ehe gingen die heute volljährigen Kinder R., S.
und T. hervor. Seit dem 1. Mai 2000 leben die Parteien getrennt.

B. Am 8. Dezember 2004 reichte der Ehemann die Scheidungsklage ein. Mit Urteil
vom 24. Oktober 2006 schied das Bezirksgericht Brugg die Ehe und verurteilte
den Ehemann u.a. zu nachehelichem Unterhalt von Fr. 6'000.- pro Monat bis März
2008 (Erreichen des AHV-Alters der Ehefrau).
Auf Appellation und Anschlussappellation hin verpflichtete das Obergericht des
Kantons Aargau den Ehemann mit Urteil vom 27. Mai 2008 zu Unterhaltszahlungen
an die Ehefrau von Fr. 1'136.- (bzw. ab Auszug der Tochter T. von Fr. 1'736.-)
bis zu seinem Eintritt ins AHV-Alter und danach von Fr. 892.- (bzw. ab Auszug
der Tochter T. von Fr. 1'192.-).
BGE 134 III 577 S. 578

C. Im Unterhaltspunkt hat der Ehemann gegen dieses Urteil am 30. Juni 2008
Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und
Absehen von nachehelichem Unterhalt, eventualiter um Rückweisung der Sache an
die Vorinstanz. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit auf sie eingetreten werden
kann.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

3. Der Ehemann anerkennt zu Recht, dass die Ehe aufgrund der Dauer und
klassischen Rollenteilung lebensprägend war. Hingegen kritisiert er die
angewandte Methode der hälftigen Überschussteilung und macht geltend, der
abgeschiedene Ehegatte habe kein Recht auf lebenslängliche finanzielle
Gleichstellung. Er verweist dabei insbesondere auf BGE 134 III 145, in welchem
erwogen wurde, dass für den nachehelichen Unterhalt bei lebensprägenden Ehen in
einem ersten Schritt anhand der Feststellung der zuletzt erreichten bzw.
gepflegten gemeinsamen Lebenshaltung (zuzüglich der scheidungsbedingten
Mehrkosten) der gebührende Unterhalt eines jeden Ehegatten zu ermitteln, in
einem zweiten Schritt die beidseitige Eigenversorgungskapazität zu prüfen und
in einem dritten Schritt ein allfälliger Unterhaltsbeitrag des einen an den
anderen festzusetzen ist. Mit Bezug auf die Formulierung, die Methode der
hälftigen Überschussverteilung sei hierfür in der Regel unpassend, hat der
erwähnte Entscheid in der Praxis zu einer gewissen Verunsicherung geführt (vgl.
auch Urteilsbesprechungen von SPYCHER, ZBJV 144/2008 S. 514, und HAUSHEER, ZBJV
144/2008 S. 568), so dass sich das Bundesgericht zu einer Präzisierung
veranlasst sieht:
Der nacheheliche Unterhalt fusst auf anderen Grundsätzen (Art. 125 Abs. 1 ZGB)
und folgt anderen Kriterien (Art. 125 Abs. 2 ZGB) als der eheliche Unterhalt,
der auf der gegenseitigen ehelichen Beistandspflicht bzw.
Familienunterhaltspflicht (Art. 163 Abs. 1 ZGB) und der zwischen den Ehegatten
vereinbarten Aufgabenteilung beruht (Art. 163 Abs. 2 ZGB). Entsprechend können
die beiden Unterhaltsarten nicht gleichgesetzt werden und wäre es unzulässig,
den ehelichen Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung unabhängig von der
besonderen Situation des jeweiligen Einzelfalles einfach fortzusetzen. BGE 134
III 145 lag die Konstellation zugrunde, dass zufolge klassischer Rollenteilung
das Fr. 5'334.- betragende
BGE 134 III 577 S. 579
Einkommen des Ehemannes gleichzeitig den zuletzt erreichten gemeinsamen
Standard bildete bzw. die tatsächlich gepflegte Lebenshaltung angesichts der
festgestellten Sparquote sogar noch tiefer lag, dass aber für die nacheheliche
Zeit nicht allein dieses Einkommen zur Verfügung stand, weil sich die Ehefrau
im Zuge der Scheidung rasch in den Arbeitsprozess integrieren konnte und ihr
ein eigenes Einkommen von Fr. 3'690.- anzurechnen war. Bei dieser Sachlage war
für den gebührenden Unterhalt im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB nicht das infolge
Ausdehnung der Arbeitstätigkeit nunmehr zur Verfügung stehende Gesamteinkommen
von rund Fr. 9'000.-, sondern die letzte gemeinsame Lebenshaltung von etwas
über Fr. 5'000.- massgebend, weshalb die Methode der Existenzminimumsberechnung
mit hälftiger Teilung des sich aus den neuen Einkommensverhältnissen ergebenden
Überschusses nicht zu einem sachgerechten Ergebnis geführt hätte.
Gerade mit Blick auf die mit der Scheidung und der damit verbundenen Auflösung
der Versorgungsgemeinschaft häufig einhergehenden Veränderungen in der
ökonomischen Situation der Parteien lässt sich nicht unbekümmert um den
Einzelfall ein bestimmtes Berechnungsschema zur Anwendung bringen; damit würde
den Vorgaben von Art. 125 ZGB zu wenig Rechnung getragen. So hat ein jeder
Entscheid nicht nur den auf den konkreten Einzelfall angewandten Kriterien von
Art. 125 Abs. 2 ZGB gerecht zu werden, sondern beispielsweise auch zu
berücksichtigen, dass zum nachehelichen Unterhalt - im Unterschied zum
ehelichen - bei vorhandenen Mitteln der Vorsorgeaufbau gehört und je nach
konkreter Situation der gebührende Unterhalt im Sinn von Art. 125 Abs. 1 ZGB
für denjenigen Ehegatten, dem keine Erwerbsarbeit zumutbar ist, grösser sein
kann als derjenige des arbeitstätigen Ehepartners. Auch insofern würde eine
schematische Anwendung der Methode der hälftigen Überschussteilung zu
unsachgemässen Resultaten führen.
Dies heisst allerdings nicht - und insofern ist BGE 134 III 145 zu präzisieren
-, dass die Methode der hälftigen Überschussteilung von vornherein nicht zur
zahlenmässigen Konkretisierung des gebührenden Unterhaltes und des allfällig
geschuldeten nachehelichen Unterhaltsbeitrages herangezogen werden dürfte;
gerade bei langen, von klassischer Rollenteilung geprägten Ehen im mittleren
Einkommensbereich kann sie durchaus vernünftige Ergebnisse liefern und lassen
sich insoweit die in Art. 125 ZGB vorgegebenen Prinzipien rechnerisch adäquat
umsetzen. So hat denn auch das Bundesgericht bei
BGE 134 III 577 S. 580
seinen Entscheiden immer wieder auf kantonale Berechnungen abgestellt, die auf
der betreffenden Methode beruhten. Indes sind in jedem Fall die relevanten
Lebensverhältnisse festzustellen, weshalb es nicht angehen würde, die
erforderlichen tatsächlichen Feststellungen unabhängig vom konkreten Einzelfall
durch die Methode der hälftigen Überschussverteilung zu ersetzen, wie dies
teilweise Praxis ist.

4. Für den vorliegenden Fall ergibt sich, dass das Obergericht vom gebührenden
Unterhalt der Ehegatten ausgegangen ist und hierfür den zuletzt gelebten
gemeinsamen Standard festgestellt hat, indem es beweiswürdigend erwog (dazu die
nicht publ. E. 6), es könne für die Zeit des ehelichen Zusammenlebens von knapp
dreissig Jahren nicht von einer nennenswerten Sparquote gesprochen werden,
weshalb mit der Ehefrau und entgegen den Behauptungen des Ehemannes davon
auszugehen sei, dass während des Zusammenlebens, aber auch nach der
wirtschaftlichen Selbständigkeit der Kinder das verfügbare Einkommen für den
laufenden Unterhalt verbraucht worden sei. Auch wenn den konkreten Berechnungen
angesichts der stets wechselnden Rappenbeträge eine gewisse vordergründige
Scheingenauigkeit nicht abzusprechen ist, verletzt die obergerichtliche
Vorgehensweise im Ergebnis kein Bundesrecht, zumal den Gerichten bei der
Unterhaltsfestsetzung ein weites Ermessen zukommt (Art. 4 ZGB; BGE 127 III 136
E. 3a S. 141) und damit auch relativ grosse Freiheit in der Gewichtung der
relevanten Kriterien gemäss Art. 125 Abs. 2 ZGB.
(...)

8. Wenn der Ehemann schliesslich geltend macht, das Obergericht sei
fälschlicherweise von der Situation unmittelbar vor der Trennung ausgegangen
und habe ausser Acht gelassen, dass das Einkommen während rund 24 Jahren für
eine fünfköpfige Familie eingesetzt worden sei, verkennt er, dass eben gerade
der zuletzt erreichte Standard massgebend ist (BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594
f.; BGE 134 III 145 E. 4 S. 146).
Im Übrigen fusst die Unterhaltsrechtsprechung bei der lebensprägenden Ehe auf
dem Gedanken, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte auf den Fortbestand der
Ehe und die damit zusammenhängende Versorgung bauen durfte (Urteile 5C.169/2006
vom 13. September 2006, E. 2.4; 5C.244/2006 vom 13. April 2007, E. 2.4.8;
5A_701/2007 vom 10. April 2008, E. 4); diesfalls ist aber auch davon
auszugehen, dass die durch das wirtschaftliche Selbständigwerden der Kinder
freigewordenen Mittel für beide Ehegatten verwendet worden wären. Die
BGE 134 III 577 S. 581
Ehefrau hat aus diesem Grund nach einer 30-jährigen Ehe, der mehrere Kinder
entsprossen sind, grundsätzlich Anspruch auf Fortführung der gleichen
Lebenshaltung wie der Ehemann (BGE 132 III 593 E. 3.2 S. 594 f.; BGE 134 III
145 E. 4 S. 146).
Kann aber der Ehemann demnach die aufgrund der erwachsenen Kinder
freigewordenen Mittel nicht einfach für sich reklamieren, stossen schliesslich
die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Lehrabschluss der Tochter S. ins
Leere.